Urteilskopf

112 IV 132

39. Urteil des Kassationshofes vom 19. August 1986 i.S. Fa. X. c. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Bundesamt für Energiewirtschaft (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 133

BGE 112 IV 132 S. 133

A.- Die Fa. X. mit Geschäftssitz in Z. nahe an der Schweizer Grenze verkaufte Geräte der Unterhaltungselektronik und elektrische Haushaltapparate. Sie warb mittels Prospekten, die sie in der Schweiz verteilte, auch um schweizerische Kunden. Darin garantierte sie "kostenlose Geräte-Aufstellung frei Haus" und "Schweizer Service durch ... X ...". Allein im August 1984 lieferte sie über 90 Apparate an Kunden in der Schweiz. Die Geräte waren nicht gemäss den schweizerischen Vorschriften geprüft und gekennzeichnet.

B.- Mit Urteil vom 19. November 1985 büsste das Bezirksgericht Brugg die Fa. X. wegen Inverkehrbringens einer Vielzahl von elektrischen Geräten ohne Bewilligung und Sicherheitszeichen in Anwendung von Art. 55 ElG, Art. 121 ff. und 123quater StVO mit Fr. 3'000.--. Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau wies am 30. April 1986 die von der Gebüssten erhobene Berufung ab. Die kantonalen Gerichte bestätigten damit die Strafverfügung des Bundesamtes für Energiewirtschaft vom 27. Februar 1985 mit der Änderung, dass sie im Unterschied zu diesem nicht fahrlässige, sondern vorsätzliche Begehung annahmen.
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C.- Die Fa. X. ficht das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau mit staatsrechtlicher und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren beantragt sie die Aufhebung des Entscheides und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Freisprechung. Das Bundesamt für Energiewirtschaft beantragt in seinem Gegenbemerkungen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Gemäss Art. 123quater der Starkstromverordnung (SR 734.2; StVO) wird nach Art. 55 ElG bestraft, wer Materialien oder Apparate im Sinne von Art. 121 ff. StVO in Verkehr bringt, ohne im Besitz einer entsprechenden Bewilligung zu sein. Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass die von ihr an schweizerische Haushalte gelieferten Fernsehgeräte Apparate im Sinne von Art. 121 ff. StVO und nicht gemäss diesen Vorschriften geprüft, als zulässig anerkannt und gekennzeichnet worden sind. Sie macht aber geltend, sie habe die Geräte nicht in der Schweiz in Verkehr gebracht. Zur Begründung wiederholt sie im wesentlichen die Argumente, die sie bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Energiewirtschaft sowie im kantonalen Strafverfahren vorgetragen hat. Diese Einwände sind unbegründet oder gehen an der Sache vorbei.

2. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, auf welche die Vorinstanzen am Rande verwiesen, erfüllt bereits das Anpreisen oder Anbieten von Apparaten (zwecks Verkauf oder Vermietung) das Tatbestandsmerkmal des Inverkehrbringens im Sinne von Art. 123quater StVO (BGE 105 IV 150 mit Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil). Daran ist festzuhalten. Indem die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen im Urteil des Bezirksgerichts Brugg im Jahre 1982 in der Schweiz Prospekte verteilen liess, in denen sie ihre Geräte und deren Lieferung an schweizerische Haushalte anbot, erfüllte sie den objektiven Tatbestand von Art. 123quater StVO.
3. Die Beschwerdeführerin erfüllte das Tatbestandsmerkmal des Inverkehrbringens nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen aber vor allem auch dadurch, dass sie Fernsehapparate etc., die von Personen mit schweizerischem Wohnsitz bei
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ihr gekauft worden waren, an die schweizerischen Haushalte lieferte. a) Wohl unterstehen die für den Export bestimmten Materialien sowie die Gebrauchtapparate nach Art. 121bis Abs. 3 und 6 StVO nicht der Prüfungspflicht; daraus kann die Beschwerdeführerin indessen nichts für den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ableiten. Aus dem Ausland eingeführte Apparate unterliegen der Prüfungspflicht wie das Material schweizerischen Ursprungs (Art. 121bis Abs. 4 StVO). b) Dass die Kaufverträge in der BRD bzw. mit einer deutschen Firma nach deutschem Recht abgeschlossen wurden und die Kaufobjekte nach der hier nicht zu überprüfenden Meinung der Beschwerdeführerin bereits dadurch allenfalls in der BRD in Verkehr gebracht wurden, ändert nichts daran, dass die Geräte durch ihre Lieferung an schweizerische Haushalte im Sinne von Art. 123quater StVO auch in der Schweiz in Verkehr gebracht wurden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, das Eigentum an den Geräten sei bereits mit dem Vertragsabschluss auf die Käufer übergegangen, ist verfehlt, und im übrigen ist der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs wie auch jener des Übergangs der Gefahr für die Frage des Inverkehrbringens belanglos. Unerheblich ist auch, dass nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen für beide Vertragsparteien der Ort der Niederlassung der Beschwerdeführerin Erfüllungsort war. Entscheidend ist, dass die Beschwerdeführerin die von ihr verkauften Apparate auf Wunsch frei Haus an die Kunden in der Schweiz lieferte, worauf sie in ihrer Werbung übrigens noch besonders hinwies. Die zivilrechtliche Qualifikation dieser Lieferungen ist dabei ohne Bedeutung. Dass die Lieferkosten entgegen einer insoweit etwas missverständlichen Bemerkung im angefochtenen Urteil nicht von der Beschwerdeführerin, sondern vom Käufer getragen wurden, ist unerheblich. c) Die Beschwerdeführerin war allerdings entgegen den insoweit etwas missverständlichen Ausführungen im angefochtenen Entscheid nicht "Importeurin" der Apparate. Die Vorinstanz sah sich zu diesen in der Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht kritisierten Überlegungen offenbar durch den Wortlaut von Art. 2 des Sicherheitszeichen-Reglements (SZR; SR 734.231) veranlasst, wonach unter "in Verkehr bringen" "jede Art der Besitzübertragung vom schweizerischen Hersteller oder vom Importeur bis zum inländischen Verbraucher" zu verstehen ist. Diese Umschreibung ist
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insoweit etwas zu eng und ungenau, als sie nach ihrem Wortlaut den Import von Geräten durch schweizerische Händler als solchen sowie den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt der Lieferung von Apparaten durch einen ausländischen Händler direkt an schweizerische Haushalte nicht erfasst. Art. 2 des vom Schweizerischen Elektrotechnischen Verein erlassenen Sicherheitszeichen-Reglements ist vom Richter unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von Art. 123quater StVO zu interpretieren. Demgemäss kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schon das Anpreisen und Anbieten von Apparaten den Tatbestand von Art. 123quater StVO erfüllen, obschon diese Handlungen vom Wortlaut von Art. 2 SZR nicht erfasst werden (s. BGE 105 IV 150 mit Hinweis). Im übrigen fand nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen eine "Besitzübertragung" im Sinne von Art. 2 SZR in der Schweiz dadurch statt, dass die Chauffeure der Beschwerdeführerin in der Schweiz die Apparate den schweizerischen Kunden übergaben. d) Es trifft zu, dass laut einem Schreiben des Eidgenössischen Starkstrominspektorats vom 5. Juni 1985 an das Bezirksgericht Brugg "elektrotechnische Geräte oder Apparate, die im Ausland gekauft und lediglich für den Eigenverbrauch persönlich importiert wurden, [...] nicht unter die gesetzliche Prüf- und Bewilligungspflicht, da kein Inverkehrbringen in der Schweiz gemäss Art. 121bis Abs. 1 der Starkstromverordnung erfolgt". Daraus kann die Beschwerdeführerin indessen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Wohl ist ein Gerät gleich "gefährlich", ob es von der Beschwerdeführerin frei Haus geliefert oder vom Käufer selber nach Hause mitgenommen wird. Die Gefährdung bzw. die Gefährlichkeit des Apparats ist jedoch nicht Tatbestandsmerkmal von Art. 123quater StVO. Es genügt, dass das Gerät nicht vorschriftsgemäss geprüft und gekennzeichnet wurde. Aus diesem Grunde ist es auch belanglos, dass die deutschen und internationalen Bestimmungen, denen die fraglichen Apparate nach den Ausführungen in der Beschwerdeschrift entsprachen, nicht weniger streng sein sollen als die schweizerischen Vorschriften. Im übrigen ist die Behauptung der Beschwerdeführerin, die von den Geräten allenfalls ausgehende Gefahr sei bereits mit dem Abschluss der Kaufverträge, der den Käufern einen Anspruch auf Übergabe der Sache verlieh, geschaffen worden, offensichtlich verfehlt. Diese Gefahr besteht in der Schweiz erst dann, wenn die Geräte in die Schweiz gelangt sind.
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e) Von einer Verletzung von Art. 7
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 7 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, ohne dass die Voraussetzungen der Artikel 4, 5 oder 6 erfüllt sind, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt;
b  der Täter sich in der Schweiz befindet oder ihr wegen dieser Tat ausgeliefert wird; und
c  nach schweizerischem Recht die Tat die Auslieferung zulässt, der Täter jedoch nicht ausgeliefert wird.
2    Ist der Täter nicht Schweizer und wurde das Verbrechen oder Vergehen nicht gegen einen Schweizer begangen, so ist Absatz 1 nur anwendbar, wenn:
a  das Auslieferungsbegehren aus einem Grund abgewiesen wurde, der nicht die Art der Tat betrifft; oder
b  der Täter ein besonders schweres Verbrechen begangen hat, das von der internationalen Rechtsgemeinschaft geächtet wird.
3    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als die Sanktionen nach dem Recht des Begehungsortes.
4    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK12, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
5    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, aber dort nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB kann entgegen den Behauptungen in der Beschwerdeschrift ebenfalls keine Rede sein. Die Beschwerdeführerin wurde nicht von Schweizer Gerichten nach schweizerischen Recht verurteilt, weil in der Schweiz ein Erfolg, etwa eine Gefährdung, eingetreten wäre, welcher gar nicht zum Tatbestand von Art. 123quater StVO gehört, sondern weil sie die Tathandlung des Inverkehrbringens (auch) in der Schweiz ausführte, indem sie die Geräte an die schweizerischen Haushalte lieferte.
4. Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann auch den subjektiven Tatbestand. a) Das Bundesamt für Energiewirtschaft hatte in seiner Strafverfügung vom 27. Februar 1985 der Beschwerdeführerin lediglich fahrlässige Widerhandlung gegen die Elektrizitätsgesetzgebung vorgeworfen, wobei es ihr offenbar einen fahrlässigen Sachverhaltsirrtum betreffend die Prüfungs- und Kennzeichnungspflicht zubilligte. Die Vorinstanz nahm demgegenüber in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bezirksgerichts Brugg Vorsatz an. Der in der Nichtigkeitsbeschwerde erhobene Einwand, Fahrlässigkeit sei nicht gegeben, geht demnach an der Sache vorbei. Die damit zusammenhängenden Ausführungen zu den Fragen der Gefährdung und des adäquaten Kausalzusammenhangs sind im übrigen aus den bereits gennanten Gründen verfehlt. b) Die Berufung der Beschwerdeführerin auf Sachverhalts- und Rechtsirrtum ist unbegründet. Die Beschwerdeführerin wusste nach den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen, dass Geräte der fraglichen Art in der Schweiz einer besonderen Prüfungs- und Kennzeichnungspflicht nach den schweizerischen Vorschriften unterstehen. Sie wusste auch, dass das Inverkehrbringen von ungeprüften und nicht gekennzeichneten Geräten in der Schweiz verboten ist. Nach der landläufigen Anschauung des juristischen Laien (s. BGE 99 IV 55) kann es unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Starkstromverordnung keinen Unterschied machen, ob ein Händler mit Geschäftssitz in der Schweiz oder ein Händler mit Geschäftssitz in der BRD Apparate an Kunden mit schweizerischem Wohnsitz verkauft und liefert. Die Beschwerdeführerin erlag lediglich allenfalls insoweit einem Irrtum, als sie annahm, die Lieferung von Apparaten an schweizerische Haushalte, die aufgrund von in der BRD abgeschlossenen Verträgen erfolgte, sei nicht als "Inverkehrbringen" von Geräten in der Schweiz im Sinne von Art. 123quater
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StVO zu werten. Das ist ein strafrechtlich unerheblicher sog. Subsumtionsirrtum (vgl. STRATENWERTH, AT I, S. 150 f., SCHULTZ, AT I, S. 232). Es ist daher ohne Bedeutung, dass ein solcher Irrtum von der Vorinstanz allenfalls zu Unrecht verneint wurde oder dass er aus den in der Nichtigkeitsbeschwerde genannten Gründen allenfalls entschuldbar war. Im übrigen deuten die "Eigenverbrauchsbestätigungen", welche die Beschwerdeführerin die Käufer mit schweizerischem Wohnsitz unterzeichnen liess, nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen darauf hin, dass die Beschwerdeführerin sich der Problematik der Lieferung von Geräten an Kunden mit schweizerischem Wohnsitz bewusst war. Sie hatte damit keine zureichenden Gründe zur Annahme, sie tue überhaupt nichts Unrechtes (s. dazu BGE 104 IV 218 E. 2), wenn sie faktisch gleich einem schweizerischen Händler solche Lieferungen vornahm.