Urteilskopf

112 II 503

85. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Dezember 1986 i.S. S. gegen R. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 503

BGE 112 II 503 S. 503

A.- Im Jahre 1975 lancierte die C. das sogenannte "Project Timberlease 50 000". Darin pries sie eine Geldanlage im paraguayischen Urwald an. Die Investoren sollten Abschnitte von je einer Hektare Land für Fr. 2'500.-- mieten und der D. untervermieten. D. verpflichtete sich, jährlich 10% Zinsen sowie am 1. August 1981 ein Kapital von Fr. 3'300.-- je Hektare zurückzuzahlen. Bereits der Prospekt enthielt den Hinweis, die R. garantiere die Rückzahlung des investierten Kapitals. Mit Einverständnis dieser Gesellschaft liess die D. sodann Ende September 1975 in der internationalen Finanzpresse Inserate mit folgendem Wortlaut erscheinen: "Lease unit holders of the final tranche of Project Timberlease 50 000 are hereby advised that notwithstanding the date of signature and
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payment of
contracts, the invested capital guaranteed jointly and severally by D. and R. as indicated in the brochure 'Project Timberlease 50 000', will be repaid by R. on August 1, 1981."
Am 15. Oktober 1975 unterzeichneten die I. "on behalf of sub-account M 13001" und C. einen Vertrag über 100 "lease units". Der "Mietzins" von Fr. 250'000.-- und eine Verkaufskommission von Fr. 12'500.-- wurden bezahlt. Im Dezember 1975 distanzierte sich die R. öffentlich von ihrer Garantieerklärung. Sie liess durch Inserate mitteilen, sie sei lediglich als Versichererin von D. tätig gewesen; da diese ihre Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nicht erfüllt habe, falle die Grundlage des abgegebenen Zahlungsversprechens dahin. Weder C. noch D. zahlten je Zinsen oder Kapital zurück. Die Investoren wandten sich daher an die R. und verlangten von ihr, das abgegebene Zahlungsversprechen zu erfüllen. In der Folge liess die Beklagte das Argument mit dem Versicherungsvertrag fallen. Sie stellte sich nun auf den Standpunkt, das ganze "Project Timberlease 50 000" sei ein aufgelegter Schwindel gewesen, und der Verwaltungsratspräsident von D., X., habe ihr Zahlungsversprechen mit betrügerischen Angaben erschlichen. Sie erstattete das investierte Kapital nur denjenigen Anlegern zurück, die ihrer Meinung nach gutgläubig gewesen seien, das heisst bei der Investition von den Machenschaften des X. nichts gewusst hätten.
B.- Am 15. August 1983 belangte S. als Zessionar der drei Timberlease-Anleger T., G. und M. die R. beim Handelsgericht des Kantons Zürich für insgesamt Fr. 525'000.-- nebst Zins. Nach Abtrennung des Verfahrens betreffend die Forderungen der Investoren T. und G. hat das Handelsgericht am 25. März 1986 die Klage betreffend die Forderung des Investors M. in Höhe von Fr. 250'000.-- nebst Zins abgewiesen.
C.- Den Entscheid des Handelsgerichts hat S. mit Berufung angefochten. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Fr. 250'000.-- nebst Zins zu bezahlen, eventuell die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz hat im wesentlichen erwogen, der Anleger M. sei Vertragspartner von C. und Begünstigter aus der Rückzahlungsverpflichtung von D. geworden. Auf Grund des Schuldversprechens der Beklagten stehe an sich den Anlegern ein vertragliches Forderungsrecht
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gegen sie zu; der Anleger M. könne sich jedoch nicht darauf berufen, weil ihm das Wissen der bösgläubigen I. zuzurechnen sei. Mit der Berufung wird dies in Frage gestellt.
3. Durch ihr öffentlich abgegebenes Schuldversprechen hat sich die Beklagte unbestrittenermassen verpflichtet, den Investoren ihr Anlagekapital zurückzuzahlen. Zu prüfen ist, ob ihre Verpflichtung unverbindlich ist, weil sie selbst durch absichtliche Täuschung zu ihrem Zahlungsversprechen veranlasst wurde. Dies würde voraussetzen, dass der Anleger M. zum Zeitpunkt der Zeichnung bösgläubig war (Art. 28 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
1    Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.
2    Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen.
OR). Da M. selbst gutgläubig war, ist entscheidend, ob ihm der böse Glaube der I. kraft Wissensvertretung zugerechnet werden kann. a) Dass M. bei der Zeichnung durch die I. vertreten wurde, ergibt sich schon daraus, dass er seine Identität lange nicht bekanntgeben wollte und nur die I. für ihn aufgetreten ist. Daran ändert nichts, dass die Beklagte ihr Versprechen durch ein Inserat direkt an die potentiellen Investoren gerichtet hat. b) Die Frage, ob der böse Glaube des Vertreters dem Vertretenen stets zuzurechnen ist oder ob, wie der Kläger geltend macht, insoweit, insbesondere wenn der Vertreter eine juristische Person ist, differenziert werden muss, etwa danach, dass nur auf das Wissen derjenigen Organperson abgestellt wird, die das konkrete Rechtsgeschäft vornimmt, kann offenbleiben. Denn die vorliegend zu beurteilende Konstellation zeichnet sich dadurch aus, dass der Vertreter des M., die I., zugleich wirtschaftlich identisch ist mit dem Vertragspartner, der C. Der Anlagevertrag wurde am 15. Oktober 1975 abgeschlossen. Bereits am 24. September 1975 hatte X. alle Aktien der I. erworben. Er war, wie die Vorinstanz feststellt, deren faktischer Verwaltungsrat. Zugleich war er der Initiant und Beherrscher des betrügerischen Timberlease-Projektes. Deshalb ist die I. durch die Person von X. als wirtschaftlich identisch anzusehen mit der C./D.-Gruppe, welcher die Anlagegelder zukommen sollten. Umgekehrt hat die Beklagte diese Gruppe, wenn auch ohne Kenntnis des von X. inszenierten Betruges, aber immerhin leichtfertig mit ihrer Erklärung unterstützt. Würde man in einer derartigen Situation dem Anleger M. das Wissen des Vertreters zurechnen, so käme man zum stossenden Ergebnis, dass man ihm auf dem Umweg über die Wissenszurechnung unterstellen würde, er habe in den ihm gegenüber begangenen Betrug eingewilligt. Dies zeigt, dass in einer derartigen Konstellation das Wissen des Vertreters dem Vertretenen nicht zugerechnet werden kann.
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Für dieses Ergebnis sprechen im übrigen sowohl die aktienrechtliche Durchgriffstheorie wie auch das Verbot der Doppelvertretung. Auch wenn juristische Personen in der Regel eine von ihren Aktionären unabhängige Rechtspersönlichkeit haben, weicht man von diesem Prinzip ab, wenn es zu einem Treu und Glauben widersprechenden Resultat führt (BGE 108 II 214 mit Hinweisen). Zwar ist diese Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen entwickelt worden; sie beruht aber auf dem allgemeinen Grundgedanken, dass die Unterscheidung zwischen juristischer Person und dem hinter ihr stehenden, alles beherrschenden Aktionär in bestimmten Konstellationen eine juristische Fiktion darstellt, die den realen Gegebenheiten in keiner Weise entspricht. In diesem Sinne ist auch vorliegend für die Beurteilung der Frage, ob dem Anleger M. das Wissen der I. zugerechnet werden kann, zu berücksichtigen, dass die I. mit X. und dieser seinerseits mit der C./D.-Gruppe wirtschaftlich identisch war. Auch aus dem Verbot der Doppelvertretung (BGE 106 Ib 148 mit Hinweisen) ergibt sich, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden eine Wissenszurechnung nicht erfolgen kann. Denn verbietet man im Hinblick auf Interessenkollisionen eine Doppelvertretung, so geht es auch nicht an, das Wissen des die I. beherrschenden X., der sich das Geld des durch die I. vertretenen Anlegers M. betrügerisch verschaffen wollte, diesem zuzurechnen. c) Somit ergibt sich, dass die Vorinstanz zu Unrecht die Bösgläubigkeit des Anlegers M. angenommen hat. Ist dieser aber als gutgläubig anzusehen, bleibt das von der Beklagten abgegebene Schuldversprechen verbindlich.
4. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, ohne dass zu prüfen wäre, ob überdies die Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung gegeben wäre. Immerhin ist anzumerken, dass der Anleger M. aus den gleichen Gründen nicht in eine unerlaubte Handlung des X. einwilligen konnte, an welcher die Beklagte möglicherweise mitgewirkt hat. Die Vorinstanz wird sich noch zur Frage der Gültigkeit der Zession an den Kläger zu äussern haben. Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich dabei nicht um die Vervollständigung des Sachverhaltes in einem Nebenpunkt, welche das Bundesgericht auch selbst vornehmen könnte.