Urteilskopf

112 Ib 55

9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Januar 1986 i.S. S. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 56

BGE 112 Ib 55 S. 56

Aus den Erwägungen:

5. d) Der Beschwerdeführer macht geltend, beim Vorwurf des Subventionsbetruges handle es sich um denjenigen eines Fiskaldeliktes, für welches die Auslieferung nicht zulässig sei. aa) Nach Art. 5 EAÜ wird in Abgabe-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen "die Auslieferung unter den Bedingungen dieses Übereinkommens nur gewährt, wenn dies zwischen Vertragsparteien für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist". Zwischen der Schweiz und der BRD bestehen keine solchen Vereinbarungen. Geht man vom Wortlaut der angeführten Bestimmung aus, so hält es allein schon deshalb schwer, den Subventionsbetrug in eine der hier genannten Gruppen einzugliedern. Bereits dieses Argument spricht dafür, dass diese Betrugsart auslieferungsrechtlich nicht privilegiert werden sollte. Für die Auslegung des Begriffs der Fiskaldelikte ist im übrigen das Recht des ersuchten Staates massgebend. Der hier in Betracht fallende Art. 3 Abs. 3
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz
IRSG Art. 3 Art der Tat - 1 Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach schweizerischer Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat, eine Verletzung der Pflichten zu militärischen oder ähnlichen Dienstleistungen darstellt oder gegen die Landesverteidigung oder die Wehrkraft des ersuchenden Staats gerichtet erscheint.
1    Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach schweizerischer Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat, eine Verletzung der Pflichten zu militärischen oder ähnlichen Dienstleistungen darstellt oder gegen die Landesverteidigung oder die Wehrkraft des ersuchenden Staats gerichtet erscheint.
2    Die Einrede des politischen Charakters wird keinesfalls berücksichtigt:
a  bei Völkermord;
b  bei einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
c  bei einem Kriegsverbrechen; oder
d  wenn die Tat besonders verwerflich erscheint, weil der Täter zur Erpressung oder Nötigung Leib und Leben von Menschen in Gefahr brachte oder zu bringen drohte, namentlich durch Entführung eines Flugzeuges, Verwendung von Massenvernichtungsmitteln, Auslösen einer Katastrophe oder durch Geiselnahme.16
3    Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt. Es kann jedoch entsprochen werden:
a  einem Ersuchen um Rechtshilfe nach dem dritten Teil dieses Gesetzes, wenn ein Abgabebetrug Gegenstand des Verfahrens ist;
b  einem Ersuchen nach allen Teilen dieses Gesetzes, wenn ein qualifizierter Abgabebetrug im Sinne von Artikel 14 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 22. März 197417 über das Verwaltungsstrafrecht Gegenstand des Verfahrens ist.18
IRSG bestimmt, dass einem Ersuchen dann nicht entsprochen wird, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt. Auch hier ist wiederum festzustellen, dass der Subventionsbetrug unter keine der nach dieser Bestimmung von der Rechtshilfe ausgenommenen Gruppen fällt. Eine "Verkürzung fiskalischer Abgaben" liegt dann vor, wenn der Private dem Staat nicht das leistet, was er ihm aufgrund der massgebenden Abgabegesetze schuldet (vgl. dazu HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 464 f.). Beim Subventionsbetrug dagegen veranlasst der Private den Staat zu einer Leistung, die ohne täuschende Machenschaften nicht erhältlich wäre. Hierin liegt ein so wesentlicher Unterschied, dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe dies übersehen und den Subventionsbetrug gewissermassen stillschweigend zu den Abgabedelikten gerechnet. Zusätzlich ist auf die Botschaft des Bundesrates zum IRSG zu verweisen, die nicht den geringsten Hinweis darauf enthält, dass auch dieses Delikt ausgeschlossen werden sollte (BBl 1976 II 454 f.). Ein Versehen oder eine Gesetzeslücke kann ausgeschlossen werden. Es könnte sich allerdings fragen, ob nicht ein Fiskaldelikt im weiteren Sinn vorliege, nämlich ein Verstoss gegen eine währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahme. In der Botschaft zum IRSG
BGE 112 Ib 55 S. 57

werden als Beispiele für wirtschaftspolitische Massnahmen, deren Verletzung Auslieferung und Rechtshilfe ausschliesst, etwa die Beschränkungen des freien Zahlungsverkehrs und protektionistische Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote angeführt. Der Bundesrat fügte bei, der Umschreibung des Gesetzes möge eine gewisse Unbestimmtheit anhaften, doch sei es angesichts der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse am Platze, der Rechtsprechung einen gewissen Spielraum zu lassen. Sodann wird beispielsweise bemerkt, Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung des einzelnen, die zum Schutz von Treu und Glauben im Verkehr aufgestellt worden seien, sollten von der Rechtshilfe (gemeint: im weiteren Sinn) nicht ausgeschlossen sein, obschon ihnen vielleicht eine Art wirtschaftspolitischer Charakter nicht abgesprochen werden könne. Ihrer Zielsetzung nach würde der Ausschluss dieser Strafsachen geradezu dem Sinn und Zweck der Rechtshilfe als einem Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität zuwiderlaufen (BBl 1976 II 455). bb) Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, der Tatbestand des Subventionsbetruges sei im Sinne einer unechten Gesetzeskonkurrenz in demjenigen der Steuerhinterziehung inbegriffen, für welche die Auslieferung nicht bewilligt und keine Rechtshilfe gewährt werden dürfe. Nach den Regeln über die unechte Gesetzeskonkurrenz müsse daher die Auslieferung auch hinsichtlich des Subventionsbetruges unterbleiben. Besteht zwischen Auslieferungsdelikten und fiskalischen Tatbeständen Konnexität, so ist nicht ausschlaggebend, auf welcher Gruppe das Schwergewicht liegt; die Auslieferung für die gemeinrechtlichen Tatbestände ist zu bewilligen unter der Bedingung, dass der Verfolgte für die Fiskaldelikte nicht bestraft werden darf und dass diese auch nicht als Strafschärfungsgrund berücksichtigt werden dürfen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall der unechten Gesetzeskonkurrenz, d.h. dann, wenn der Tatbestand eines Nichtauslieferungsdeliktes denjenigen des Auslieferungsdeliktes nach allen Seiten umfasst, so dass das Auslieferungsdelikt im Nichtauslieferungsdelikt aufgeht (BGE 110 Ib 188 E. 3c mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer geht indessen nicht von dieser speziell für das Auslieferungsrecht gefassten Begriffsbestimmung der unechten Gesetzeskonkurrenz aus, sondern ist - mit Hinweis auf strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung - der Meinung, eine solche liege dann vor, wenn "der Tatbestand nicht mit allen einzelnen Merkmalen, wohl aber wertmässig, dem Verschulden und Unrecht nach, in anderen enthalten ist, so dass die eine Bestimmung die andere konsumiert".
BGE 112 Ib 55 S. 58

Bereits die Differenz auf der begrifflichen Ebene lässt vermuten, dass der Einwand des Beschwerdeführers unbegründet ist. Konkret macht er geltend, der Subventionsbetrug sei wertmässig im Delikt der Steuerhinterziehung, für das er in Deutschland ebenfalls verfolgt werde, enthalten, so dass die Steuerhinterziehung den Subventionsbetrug konsumiere. Steuerhinterziehung begeht, wer durch unwahre Angaben oder Verletzung von Verfahrensvorschriften dem Staat Steuern vorenthält (vgl. dazu z.B. Art. 129 des BRB über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940; ERNST HÖHN, Steuerrecht, 4. Auflage, Bern/Stuttgart 1981, S. 419; WERNER DE CAPITANI, Internationale Rechtshilfe - eine Standortbestimmung, ZSR NF Bd. 100, II, S. 365 ff., 398). Demgegenüber führt der Private beim Subventionsbetrug den Staat unter Verwendung von Täuschungsmitteln, in der Regel von falschen Urkunden, hinters Licht in der Absicht, ihn zu einer Leistung zu veranlassen, die sonst nicht erhältlich wäre. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Subventionsbetrug im Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht aufgeht. Insbesondere qualifiziert sich jener gegenüber diesem dadurch, dass nicht nur falsche Angaben gemacht werden, sondern spezifische täuschende Machenschaften erfolgen. Auch dieser Einwand des Beschwerdeführers erweist sich somit als unbegründet. cc) Subventionsbetrug ist in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Er stellt einen Sonderfall des allgemeinen Betrugstatbestandes dar und enthält dieselbe Strafdrohung (§§ 326 und 264 dtStGB). Es bleibt zu prüfen, ob der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Subventionsbetrug zum Nachteil des Landes Berlin auch in der Schweiz strafbar wäre. Trifft dies nicht zu, so fehlt es an der für eine Auslieferung erforderlichen beidseitigen Strafbarkeit im Sinne von Art. 2 Ziff. 1 EAÜ (BGE 108 Ib 298 E. 7a mit Hinweisen; H. SCHULTZ, a.a.O., S. 324). Nach schweizerischem Recht fällt Subventionsbetrug zum Nachteil der Eidgenossenschaft unter Art. 14 Abs. 1
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)
VStrR Art. 14 - 1 Wer die Verwaltung, eine andere Behörde oder einen Dritten durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder sie in einem Irrtum arglistig bestärkt und so für sich oder einen andern unrechtmässig eine Konzession, eine Bewilligung oder ein Kontingent, einen Beitrag, die Rückerstattung von Abgaben oder eine andere Leistung des Gemeinwesens erschleicht oder so bewirkt, dass der Entzug einer Konzession, einer Bewilligung oder eines Kontingents unterbleibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer die Verwaltung, eine andere Behörde oder einen Dritten durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder sie in einem Irrtum arglistig bestärkt und so für sich oder einen andern unrechtmässig eine Konzession, eine Bewilligung oder ein Kontingent, einen Beitrag, die Rückerstattung von Abgaben oder eine andere Leistung des Gemeinwesens erschleicht oder so bewirkt, dass der Entzug einer Konzession, einer Bewilligung oder eines Kontingents unterbleibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Bewirkt der Täter durch sein arglistiges Verhalten, dass dem Gemeinwesen unrechtmässig und in einem erheblichen Betrag eine Abgabe, ein Beitrag oder eine andere Leistung vorenthalten oder dass es sonst am Vermögen geschädigt wird, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
3    Wer gewerbsmässig oder im Zusammenwirken mit Dritten Widerhandlungen nach Absatz 1 oder 2 in Abgaben- oder Zollangelegenheiten begeht und sich oder einem andern dadurch in besonders erheblichem Umfang einen unrechtmässigen Vorteil verschafft oder das Gemeinwesen am Vermögen oder an andern Rechten besonders erheblich schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
4    Sieht ein Verwaltungsgesetz für eine dem Absatz 1, 2 oder 3 entsprechende nicht arglistig begangene Widerhandlung eine Busse vor, so ist in den Fällen nach den Absätzen 1-3 zusätzlich eine Busse auszufällen. Deren Bemessung richtet sich nach dem entsprechenden Verwaltungsgesetz.
des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR); die Strafdrohung ist leichter als diejenige für Betrug nach Art. 148
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207
StGB, geht aber immer noch bis zur Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis verbunden mit Busse. Allerdings wird dem Beschwerdeführer in Deutschland nicht Subventionsbetrug zulasten des Bundes, sondern zum Nachteil eines Landes vorgeworfen. Aufgrund eines neueren Urteils des Bundesgerichts steht fest - nachdem in dieser Hinsicht einige Unklarheit herrschte (vgl. BGE 110 IV 24 ff.; 108 IV 180 ff.; DETLEF KRAUSS, Die strafrechtliche Problematik der Erschleichung kantonaler Subventionen, in Festschrift für Frank Vischer zum 60. Geburtstag, Zürich 1983, S. 47 ff.) -,

BGE 112 Ib 55 S. 59

dass Subventionsbetrug zum Nachteil eines Kantons jedenfalls dann gemäss Art. 148
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207
StGB strafbar ist, wenn die Elemente dieses Straftatbestandes vorliegen (BGE 112 IV 20 ff.). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, bestimmte Tatbestandselemente des gemeinrechtlichen Betrugs seien nicht gegeben. In bezug auf den Vorwurf des Subventionsbetruges ist deshalb auch die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen gegen seine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland zur Verfolgung wegen Subventionsbetrugs erweisen sich somit alle als unbegründet.