Urteilskopf

112 Ia 124

22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. April 1986 i.S. X. gegen Einwohnergemeinde Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 125

BGE 112 Ia 124 S. 125

Mit Urteil vom 12. März 1975 verpflichtete das Obergericht des Kantons Luzern die Einwohnergemeinde Luzern, X. für die Enteignung einer grösseren Landfläche mit insgesamt Fr. 1'294'221.40 zu entschädigen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern setzte am 23. November 1979 die vom Enteigneten zu leistende Grundstückgewinnsteuer auf Fr. 250'697.70 und am 9. Januar 1981 die darauf zu bezahlenden Verzugszinsen auf Fr. 34'512.65 fest. Die Kosten einer von der Enteignerin verlangten Bankgarantie für die Grundstückgewinnsteuer beliefen sich auf Fr. 13'000.--. X. forderte die Grundstückgewinnsteuer, den Verzugszins und die Kosten für die Bankgarantie von der Einwohnergemeinde Luzern zurück. Die kantonale Schätzungskommission Luzern wies das Begehren mit Entscheid vom 30. Mai 1984 ab, nachdem ein früher gefällter Nichteintretensentscheid vom Verwaltungsgericht aufgehoben worden war. Eine gegen diesen Entscheid gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 27. Juni 1984 wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 12. September 1985 abgewiesen. X. führt mit Eingabe vom 23. Oktober 1985 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 22ter BV und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts
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des Kantons Luzern vom 12. September 1985 aufzuheben und die Sache "zur grundsätzlichen Gutheissung und masslichen Festsetzung der Enteignungsentschädigung" an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung der Eigentumsgarantie gemäss Art. 22ter BV und § 9 KV geltend. a) Einer Garantie, die in einer Kantonsverfassung verankert ist, kommt nur dann eigene Tragweite zu, wenn sie ein ausgedehnteres Recht als die entsprechende Bestimmung der Bundesverfassung gewährt (BGE 104 Ia 435 E. 2 mit Hinweis). Das ist im Verhältnis von Art. 22ter BV und § 9 KV nicht der Fall (Urteil des Bundesgerichts vom 27. April 1977, ZBl 79/1978 S. 20). Das Bundesgericht kann sich deshalb auf die Prüfung beschränken, ob Art. 22ter BV in der vom Beschwerdeführer behaupteten Hinsicht verletzt ist. b) Nach der Auffassung des Beschwerdeführers umfasst die durch Art. 22ter BV gewährleistete volle Entschädigung auch die Rückerstattung der Grundstückgewinnsteuer samt Nebenkosten wie Verzugszinsen und Kosten für die Bankgarantie. Dieser Teil der Enteignungsentschädigung gehöre zum vollen Verkehrswert im Sinne von § 18 lit. a EntG; evtl. falle der unter die weiteren, dem Enteigneten verursachten Nachteile gemäss § 18 lit. c EntG. Indem das Obergericht seinerzeit bei der Festsetzung der Entschädigung die Frage der Rückerstattung der Grundstückgewinnsteuer offengelassen habe, habe es zum Ausdruck gebracht, dass mit seinem Urteil vom 12. März 1975 nicht der volle Verkehrswert festgelegt worden sei. Die Schmälerung der Entschädigung durch Steuern um mehr als 20% lasse sich nicht mehr mit der Eigentumsgarantie vereinbaren. c) Die Annahme des Beschwerdeführers, das Obergericht habe in seinem Urteil vom 12. März 1975 nicht den vollen Verkehrswert des enteigneten Landes festgelegt, indem es die Rückerstattungsfrage offengelassen habe, ist offensichtlich unrichtig. Aus diesem Entscheid geht klar hervor, dass das Gericht die betreffende Frage einzig mangels sachlicher Zuständigkeit offengelassen hat. Sodann ergibt sich aus dem Urteil, dass auf der Grundlage der sogenannten statistischen Methode der volle Verkehrswert entschädigt wurde.
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Damit wurden die Ansprüche des Beschwerdeführers gemäss § 18 lit. a EntG in vollem Umfang abgegolten. d) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 lit. c des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930, der unbestrittenermassen § 18 lit. c EntG entspricht, ist die bei einer Enteignung erhobene Grundstückgewinnsteuer dem Enteigneten nicht zurückzuvergüten. Dieser Grundsatz gilt selbst dort, wo dem Enteigneten infolge Landabtauschs kein Geldgewinn zufliesst. Er betrifft die gesamte Steuer, also auch jenen Teil, um den sie höher ausfällt, weil wegen der früheren Veräusserung ein höherer Steuersatz anzuwenden ist. Steuern sind kein Schaden, sondern öffentliche Lasten, die jedermann nach Massgabe der Gesetze zu tragen hat. Sie können deshalb auch nicht als "weiterer Nachteil" aufgefasst werden, der zu entschädigen wäre. In der Regel rechtfertigt es sich auch, dass der Enteignete die höhere Steuer zu leisten hat, da er auch früher in den Besitz des Gegenwerts des Wertzuwachses gelangt. Freilich kann der kantonale Gesetzgeber auf die Besteuerung von Liegenschaftsgewinnen bei Enteignungen verzichten; hat er das aber - wie im Kanton Luzern - nicht vorgesehen, so kann für die Steuer nicht der Entschädigungspflichtige belangt werden. In Sonderfällen kann zwar die Belastung des Enteigneten unbillig sein; stets unbillig wäre jedoch die Belastung des Enteigners, müsste dieser doch für Steuern aufkommen, die weder auf ihn zugeschnitten noch für ihn bestimmt sind. Hinzu kommt, dass bei voller Überwälzung der Grundstückgewinnsteuer auf den Enteigner der Enteignete mehr als den blossen Nachteilsausgleich erhalten würde; denn durch die Bezahlung wird eine Steuerschuld gelöscht, die ohne Enteignung weiterhin latent auf dem Grundbesitz des Enteigneten gelastet hätte, auch wenn ungewiss ist, wann der Grundstückgewinn realisiert worden wäre (BGE 102 Ib 182 ff.; BGE 100 Ib 71 ff.). Diese im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entwickelten Grundsätze sind ohne weiteres auch auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde übertragbar. Sie zeigen, dass die Grundstückgewinnsteuern keinen weiteren Nachteil im Sinne von § 18 lit. c EntG darstellen, und dass die Verneinung einer Rückerstattungspflicht vor der Eigentumsgarantie grundsätzlich standhält. g) Der Beschwerdeführer sieht indessen darin eine Verletzung der Eigentumsgarantie, dass ihm als Architekten und Ingenieur die Grundlage für ein anspruchsvolles Bauvorhaben und damit auch die Basis für einen entsprechenden Verdienst bzw. Gewinn entzogen
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worden sei. Er übersieht dabei, dass der entgangene Gewinn bei der Bemessung der Expropriationsentschädigung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist. Es stand ihm frei, sich mit der auf der Grundlage des Verkehrswerts berechneten Enteignungsentschädigung Realersatz zu beschaffen, mit dem er sich als Unternehmer wirtschaftlich betätigen kann (PETER WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Diss. Zürich 1966, S. 105; RUDOLF MERKER, Der Grundsatz der "vollen Entschädigung" im Enteignungsrecht, Diss. Zürich 1975, S. 37; vgl. BGE 103 Ib 293 ff.). Besondere Umstände, die zu einer Abweichung von dieser Regel führen würden, sind nicht ersichtlich.
4. Der Beschwerdeführer erachtet es schliesslich als Verstoss gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit, dass er die volle Grundstückgewinnsteuer entrichten müsse und sie nicht zurückerstattet erhalte, weil er das Ersatzgrundstück nicht im Kanton Luzern habe beschaffen können und ein Tausch wegen der Ablehnung des entsprechenden Vertrags durch den Grossen Stadtrat von Luzern nicht möglich gewesen sei. Diese Rüge ist unbegründet. Hätte der Beschwerdeführer im Kanton Luzern tauschweise ein Grundstück als Realersatz erhalten, so wäre er von der Grundstückgewinnsteuer nicht befreit worden; in diesem Fall wäre ihm lediglich ein Steueraufschub gewährt worden (§ 4 Abs. 1 Ziff. 4 des luzernischen Gesetzes über die Grundstückgewinnsteuer vom 31. Oktober 1961, Fassung vom 17. September 1974). Überdies bestand nach § 17 Abs. 1 EntG kein Anspruch auf Realersatz; der Grosse Stadtrat durfte deshalb den vorgesehenen Realersatz durch Tausch ohne weiteres ablehnen. Dass die betreffende kantonale Bestimmung als solche verfassungswidrig sei, rügt der Beschwerdeführer zu Recht nicht.