Urteilskopf

111 II 401

80. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1985 i.S. X. gegen Z. (Berufung)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 401

BGE 111 II 401 S. 401

X. und Z. heirateten im Jahre 1956 und lebten während der Dauer ihrer Ehe unter dem Güterstand der Gütertrennung. Die Ehefrau war Inhaberin einer Reihe von Geschäften, in denen der Ehemann als Angestellter mitarbeitete. Seit dem 1. Juli 1970
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lebten die Ehegatten getrennt. Im Jahre 1972 versuchten sie, ihre gegenseitigen Ansprüche aus ihrer privaten und geschäftlichen Tätigkeit zu ermitteln. In der Folge teilten sie die Geschäfte unter sich auf, kamen aber im übrigen zu keiner Einigung. Gestützt auf die Klage der Ehefrau sprach der Pretore della Giurisdizione di Lugano-Città am 20. Dezember 1976 die Scheidung der Ehe aus und verwies die güterrechtliche Auseinandersetzung der Parteien ad separatum. Am 5. Oktober 1982 machte die Ehefrau beim Bezirksgericht Oberlandquart eine Klage anhängig mit dem Begehren, ihr geschiedener Ehemann sei zu verpflichten, ihr aus Güterrecht Fr. 118'993.60 zuzüglich Verzugszins von 5% seit 1. Januar 1971 zu bezahlen. Das Bezirksgericht hiess die Klage am 1. September 1983 teilweise gut und verpflichtete den Beklagten zur Bezahlung von Fr. 99'330.15 nebst Zins zu 5% ab 21. Dezember 1981 an die Klägerin. Eine Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wies das Kantonsgericht von Graubünden am 19. November 1984 ab. Der Beklagte erhebt Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und auf die Klage nicht einzutreten. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und tritt auf die Klage nicht ein.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Seinen Antrag, es sei auf die Klage nicht einzutreten, begründet der Beklagte damit, dass für die Beurteilung der Klage der Scheidungsrichter und nicht der Richter am Wohnsitz des Beklagten zuständig gewesen wäre. Da das Scheidungsurteil vom 20. Dezember 1976 die güterrechtliche Auseinandersetzung ad separatum verwiesen habe, sei diese im Sinne eines Nachverfahrens zur Ergänzung des Scheidungsurteils gemäss der Rechtsprechung zu Art. 154 ZGB vom Scheidungsrichter durchzuführen.
Das Kantonsgericht ging zunächst vom bundesrechtlichen Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils aus, der verlange, dass über die güterrechtliche Auseinandersetzung im Scheidungsurteil entschieden werde. Ausnahmsweise könne diese jedoch ad separatum verwiesen werden, wenn z.B. der Scheidungspunkt und die übrigen Folgen der Scheidung spruchreif seien, die güterrechtliche Auseinandersetzung aber ein langwieriges Verfahren und damit
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eine ungebührliche Verzögerung der Prozesserledigung erwarten lasse (BÜHLER/SPÜHLER, N. 77 der Vorbemerkungen zu Art. 149 -157 ZGB). Verweise der Scheidungsrichter die güterrechtliche Auseinandersetzung als Ganzes in ein gesondertes Verfahren und bestehe keine Gefahr, dass nicht aufeinander abgestimmte oder sogar widersprüchliche Urteile erlassen werden, könne dieses Nachverfahren auch bei dem für Forderungsklagen zuständigen Richter statt beim Scheidungsrichter anhängig gemacht werden. Im vorliegenden Fall habe der Scheidungsrichter die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der Parteien als Ganzes ad separatum verwiesen. Da keinerlei Gefahr bestehe, dass ein heutiges Urteil mit dem früheren in Widerspruch geraten könnte, sei nicht einzusehen, weshalb die Klägerin ihre Ansprüche nicht bei dem für Forderungsklagen zuständigen Richter am Wohnsitz des Beklagten hätte anhängig machen dürfen. Im übrigen habe sich der Beklagte auf die vorliegende Klage eingelassen, habe er doch in den Rechtsschriften mit keinem Wort die Zuständigkeit des angerufenen Richters bestritten. a) Soweit das Kantonsgericht der Meinung ist, die Zuständigkeit des angerufenen Richters werde durch die Einlassung des Beklagten auf die Klage begründet, übersieht es, dass die prozessuale Einlassung auf eine Klage, die an einem zwingenden und ausschliesslichen bundesrechtlichen Gerichtsstand anzubringen gewesen wäre, nicht genügen kann, um die bundesrechtliche Zuständigkeitsnorm zu übergehen (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 13 f. zu Art. 144 ZGB). Art. 144 ZGB ist daher, selbst wenn der Scheidungsrichter die vermögensrechtliche Auseinandersetzung als Ganzes ad separatum verweist, von Amtes wegen zu beachten (BGE 89 I 313 und BGE 85 II 299; BÜHLER/SPÜHLER, N. 15 zu Art. 144 ZGB).
b) Die Vorinstanz stützt ihre Auffassung, dass für die Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung auch der ordentliche Richter für Forderungsklagen zuständig sein könne, auf BGE 108 II 381 ff. In diesem Urteil wird jedoch in Übereinstimmung mit zahlreichen früheren Entscheiden (BGE 98 II 344 und BGE 95 II 67 mit Hinweisen) nur festgehalten, dass über alle güterrechtlichen Ansprüche entweder im Scheidungsurteil selber oder dann allenfalls in einem beim Scheidungsrichter anzuhebenden Nachverfahren entschieden werden müsse, falls nicht die güterrechtliche Auseinandersetzung als Ganzes in ein gesondertes Verfahren verwiesen werde. Aus diesem mehr beiläufigen Nachsatz kann nun
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aber nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass bei einer zulässigen Verweisung der güterrechtlichen Ansprüche ad separatum ein Alternativgerichtsstand bei dem im ordentlichen Verfahren für Forderungsklagen zuständigen Richter gegeben sein könne (BGE 95 II 67 mit Hinweisen und 77 II 22). Dies käme höchstens für die - wohl sehr seltenen - Fälle in Betracht, wo nur Forderungen streitig sind, die keinen Bezug zur ehelichen Gemeinschaft haben (z.B. Ansprüche aus ausservertraglicher Schädigung). Das trifft aber im vorliegenden Fall keineswegs zu, ist doch nicht nur umstritten, ob der Klägerin überhaupt noch vermögensrechtliche Ansprüche gegen den früheren Ehemann zustehen, sondern es geht auch um die Gültigkeit des von den Parteien abgeschlossenen Ehevertrags und den Rechtsgrund der eingeklagten Forderung. Diese Fragen lassen sich nicht losgelöst von der früheren ehelichen Gemeinschaft der Parteien beantworten. Der Scheidungsrichter hätte sie daher kaum ad separatum verweisen dürfen. Zu ihrer Beurteilung kann auf jeden Fall nicht der ordentliche, sondern nur der Scheidungsrichter zuständig sein (BÜHLER/SPÜHLER, N. 85 zu den Vorbemerkungen zu Art. 149 -157 ZGB). Die Vorinstanz geht denn auch richtigerweise davon aus, dass es sich vorliegend um ein Nachverfahren zum Scheidungsprozess handle. Für ein solches hätte sie aber nicht den ordentlichen Richter für gewöhnliche Forderungsklagen als zuständig erklären dürfen. c) In BGE 109 Ia 53 ff. hat das Bundesgericht diese Grundsätze ausdrücklich bestätigt für den Fall, dass zwischen Ehegatten, die unter dem Güterstand der Gütertrennung leben, anlässlich der Scheidung Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur entstehen. Es wurde dabei zwar in erster Linie festgehalten, dass vermögensrechtliche Streitigkeiten, zu denen die Gütertrennung Anlass gibt, im Scheidungsprozess selber zu bereinigen seien, womit indirekt auch gegen eine Verweisung in ein gesondertes Verfahren Stellung genommen wurde. Zugleich brachte das Bundesgericht aber klar zum Ausdruck, dass auch Ansprüche des einen Ehegatten aus einer Tätigkeit, die zur Erhaltung oder Vermehrung des Vermögens des andern Gatten diente, eng mit der Ehe zusammenhängen und in der ehelichen Beistandspflicht wurzeln. Auch im vorliegenden Fall geht es nicht einfach um irgendwelche Forderungen, die zur ehelichen Gemeinschaft keinen Bezug haben, sondern um die vermögensrechtlichen Ansprüche der Parteien aus dem Ehevertrag, wobei ihre Beziehungen im Zusammenhang mit den fünf von ihnen geführten Geschäften eine wesentliche Rolle spielen. Zudem ist die
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Frage zu klären, ob im Hinblick auf die eheliche Gemeinschaft und die sich daraus ergebende gegenseitige Beistandspflicht trotz des Ehevertrags und des Anstellungsverhältnisses des Ehemannes allenfalls auf eine einfache Gesellschaft zwischen den Gatten hätte geschlossen werden müssen. Alle diese Fragen sind aber vom Scheidungsrichter zu beurteilen. Das Kantonsgericht hat die dargelegten Grundsätze missachtet und Art. 144 ZGB verletzt, indem es das Urteil des Bezirksgerichts Oberlandquart bestätigt hat. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, und auf die Klage ist wegen Unzuständigkeit des angerufenen Richters nicht einzutreten. Bei diesem Ergebnis brauchen die weiteren vom Beklagten in der Berufungsschrift erhobenen Rügen nicht mehr geprüft zu werden.