BGE-111-II-127


Urteilskopf

111 II 127

28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. September 1985 i.S. F. gegen Direktion der Justiz des Kantons Zürich (Berufung)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 127

BGE 111 II 127 S. 127

Mit Beschluss der Vormundschaftsbehörde La Chaux-de-Fonds vom 15. März 1966 wurde den Eheleuten F. die elterliche Gewalt über ihre Kinder L., geboren 1954, und R., geboren 1955, entzogen und für die Kinder eine Vormundschaft errichtet. Die Vormundschaftsbehörde Rüti/ZH übernahm mit Beschluss vom 10. Januar 1983 die nunmehr nach Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
ZGB weiterbestehende Vormundschaft über R. F. zur Weiterführung. Mit Schreiben vom 20. August 1984 stellte der Vater H. F. bei der Vormundschaftsbehörde Rüti das Gesuch, die Vormundschaft über seinen Sohn R. sei aufzuheben und dieser im Sinne von Art. 385 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB unter seine elterliche Gewalt zu stellen. Die Vormundschaftsbehörde wies dieses Gesuch mit Beschluss vom 6. September 1984 ab. Dieser Beschluss wurde auf Beschwerde des Gesuchstellers hin zunächst vom Bezirksrat Uster und sodann mit Verfügung vom 31. Juli 1985 von der Direktion der Justiz des Kantons Zürich bestätigt. Gegen diese Verfügung hat H. F. die Berufung an das
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Bundesgericht erklärt. Die Justizdirektion beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Gemäss der Rechtsmittelbelehrung der Justizdirektion ist gegen die angefochtene Verfügung im Sinne von Art. 44 lit. d OG die Berufung an das Bundesgericht zulässig. Es geht hier jedoch nicht um die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt über ein unmündiges Kind im Sinne von Art. 313 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 313 - 1 Verändern sich die Verhältnisse, so sind die Massnahmen zum Schutz des Kindes der neuen Lage anzupassen.
ZGB, auf welche Bestimmung in Art. 44 lit. d OG verwiesen wird. Der Berufungskläger verlangt vielmehr die Übertragung der elterlichen Gewalt über seinen unter Vormundschaft stehenden mündigen Sohn gestützt auf Art. 385 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB. Es ist daher ungeachtet der in der angefochtenen Verfügung enthaltenen Rechtsmittelbelehrung zu prüfen, ob auch in einem solchen Fall gestützt auf Art. 44 lit. d OG die Berufung an das Bundesgericht zulässig sei. Art. 44 lit. d OG nennt bei der Umschreibung der Berufungsgründe der Entziehung und Wiederherstellung der elterlichen Gewalt nur die Art. 311
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 311 - 1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die Kindesschutzbehörde die elterliche Sorge:431
und 313
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 313 - 1 Verändern sich die Verhältnisse, so sind die Massnahmen zum Schutz des Kindes der neuen Lage anzupassen.
ZGB. Dies entspricht der vor der Revision des Kindesrechts geltenden Fassung, in welcher die durch diese beiden Bestimmungen ersetzten Art. 285
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
und 287
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 287 - 1 Unterhaltsverträge werden für das Kind erst mit der Genehmigung durch die Kindesschutzbehörde verbindlich.
ZGB angegeben worden waren. Schon der Gesetzeswortlaut spricht somit dafür, dass eine Berufung im Falle des Art. 385 Abs. 3
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB nicht zulässig sein soll. Diese sich aus dem Gesetzestext ergebende Lösung wird durch den unterschiedlichen Charakter der Wiederherstellung der elterlichen Gewalt über unmündige Kinder im Sinne von Art. 313
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ZGB Art. 313 - 1 Verändern sich die Verhältnisse, so sind die Massnahmen zum Schutz des Kindes der neuen Lage anzupassen.
ZGB und jener über mündige Kinder im Sinne von Art. 385 Abs. 3
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB bestätigt. Bei der ersten handelt es sich um die Aufhebung einer Kindesschutzmassnahme, die ihrerseits nur unter den strengen Voraussetzungen des Art. 311 Abs. 1 Ziff. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 311 - 1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die Kindesschutzbehörde die elterliche Sorge:431
und 2
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ZGB Art. 311 - 1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die Kindesschutzbehörde die elterliche Sorge:431
ZGB angeordnet werden darf; es ist im Rahmen von Art. 313 Abs. 2
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ZGB Art. 313 - 1 Verändern sich die Verhältnisse, so sind die Massnahmen zum Schutz des Kindes der neuen Lage anzupassen.
ZGB somit zu prüfen, ob die Gründe für den Gewaltentzug inzwischen weggefallen sind. Im Falle von Art. 385 Abs. 3
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB ist hingegen von der zuständigen Vormundschaftsbehörde nach pflichtgemässem Ermessen abzuwägen, ob die Erstreckung der elterlichen Gewalt oder die Ernennung eines Vormundes den Interessen des Entmündigten besser diene (SCHNYDER/MURER, N. 33 ff. zu Art. 385
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB, mit Hinweisen). Es springt in die Augen, dass das Rechtsschutzbedürfnis im ersten Fall viel stärker ist als im
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zweiten Fall und dass auch unter dem Gesichtspunkt der Justiziabilität ein grosser Unterschied zwischen den beiden Fällen besteht. In der Lehre wurde schon unter der Herrschaft des alten Kindesrechts mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass im Falle der Wiederherstellung der elterlichen Gewalt über mündige Kinder die Berufung an das Bundesgericht ausgeschlossen sei (EGGER, N. 8, und KAUFMANN, N. 21 zu Art. 385
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, S. 44/45; BIRCHMEIER äussert sich nicht zu dieser Frage). Insbesondere GIESKER-ZELLER vertrat indessen den gegenteiligen Standpunkt (Die zivilrechtliche Beschwerde an das Schweizerische Bundesgericht, S. 57 f.). Seine Ausführungen vermögen die Zulassung einer Berufung zur Geltendmachung einer Verletzung von Art. 385 Abs. 3
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB heute aber umso weniger zu rechtfertigen, als bei der Revision des Kindesrechts der frühere Art. 273 Abs. 2
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ZGB Art. 273 - 1 Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr.344
ZGB ("Mündige Kinder, die entmündigt werden, stehen unter der elterlichen Gewalt, wenn die zuständige Behörde es nicht für angezeigt erachtet, ihnen einen Vormund zu bestellen") gestrichen worden ist, womit jede Unklarheit darüber beseitigt ist, dass die elterliche Gewalt im Falle der Entmündigung volljähriger Kinder nicht etwa von Gesetzes wegen wieder auflebt (SCHNYDER/MURER, N. 33 zu Art. 385
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB). Die neuste Lehrmeinung schliesst sich denn auch der herrschenden Doktrin an, wonach eine Berufung an das Bundesgericht im Falle von Art. 385 Abs. 3
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB ausgeschlossen sei (SCHNYDER/MURER, N. 45 zu Art. 385
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
ZGB). Es besteht keinerlei Anlass, heute die in Art. 44 lit. d OG vorgesehene Berufungsmöglichkeit auf einen Fall auszudehnen, der im Gesetzestext nicht genannt ist und sich von dem dort ausdrücklich erwähnten Fall sowohl unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses als auch der Justiziabilität erheblich unterscheidet (vgl. auch BGE 95 II 302). Auf die Berufung kann aus diesen Gründen nicht eingetreten werden. Als staatsrechtliche Beschwerde kann die Eingabe des Berufungsklägers nicht entgegengenommen werden, da es an einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b
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ZGB Art. 385 - 1 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann gegen eine Massnahme zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit jederzeit schriftlich die Erwachsenenschutzbehörde am Sitz der Einrichtung anrufen.
OG genügenden Begründung fehlt.