Urteilskopf

108 Ib 509

88. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. Oktober 1982 i.S. Kyburz gegen Baukonsortium Säge, Gemeinde Oberentfelden sowie Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Sachverhalt ab Seite 509

BGE 108 Ib 509 S. 509

Lea Kyburz wandte sich als Miteigentümerin der Nachbarliegenschaft gegen ein Bauvorhaben des Baukonsortiums Säge, weil dieses den gesetzlichen Mindestabstand zum Wald auf der Suhreinsel in Oberentfelden nicht einhalte. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau entschied als letzte kantonale Instanz, dass es sich bei der fraglichen Fläche auf der Nordspitze der Suhreinsel nicht um Wald handle, weshalb die Vorschriften über den Waldabstand nicht verletzt würden. Lea Kyburz ficht diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an, das die Beschwerde nach Durchführung eines Augenscheins und unter Beizug eines forstwissenschaftlichen Gutachtens gutheisst.
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Erwägungen

Auszug aus den Erwägungen:

3. Im vorliegenden Fall ist streitig, ob das nördliche Ende der Suhreinsel in Oberentfelden als Waldareal im Sinne der Forstgesetzgebung gilt. Das Waldareal ist Schutzobjekt des eidgenössischen Forstpolizeirechts (Art. 31 Abs. 1 FPolG). Art. 1 FPolV umschreibt den Begriff des Waldes näher. Danach gilt als Wald unter anderem jede mit Waldbäumen und -sträuchern bestockte Fläche, die Holz erzeugt oder geeignet ist, Schutz- oder Wohlfahrtswirkungen auszuüben. Bei der Prüfung, ob diese Eigenschaften in einem bestimmten Fall vorliegen, sind daher in der Regel der tatsächlich vorhandene Wuchs und seine Funktionen massgebend. Als Waldareal gelten aber auch vorübergehend unbestockte und ertragslose Flächen eines Waldgrundstücks sowie Grundstücke, für die eine gesetzliche Aufforstungspflicht besteht (Art. 1 Abs. 1 und 2 FPolV). Dazu gehören Flächen, die in rechtswidriger Weise gerodet worden sind; das Waldareal kann nur durch rechtmässige Rodungen im Sinne von Art. 25 ff . FPolV vermindert werden, wobei aber als Ausgleich Ersatzaufforstungen vorzunehmen sind (BGE 104 Ib 235 /236 E. 2a; HANS DUBS, Rechtsfragen der Waldrodung in der Praxis des Bundesgerichts, Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen 1974, S. 275 ff.).

4. Bei der Schaffung des Zonenplans der Gemeinde Oberentfelden vom 11. März 1977 hatte das Kreisforstamt V die Suhreinsel als Ganzes als Wald bezeichnet. Mit seiner Waldfeststellungsverfügung vom 17. April 1979 gab das Kreisforstamt V diese Abgrenzung auf. Zwar bezeichnete es weiterhin den Hauptteil der Suhreinsel als Wald; die Waldeigenschaft verneinte es jedoch in bezug auf den nördlichen Fünftel der Insel. Gegen diese Änderung wendet sich die Beschwerdeführerin. Die Frage, ob die streitige, das nördliche Ende der Suhreinsel bildende Fläche von rund 20 m Länge und 8-4 m Breite zum Waldareal im Sinne von Art. 31 FPolG und Art. 1 FPolV gehört, hat forstwissenschaftliche und rechtliche Aspekte (BGE 107 Ib 355 E. 2a). Soweit die ersteren in Betracht fallen, ist der vom Bundesgericht beigezogene Experte ersucht worden, die heutige und die frühere Bestockung auf jener Fläche festzustellen und zu prüfen, ob ein natürlicher Zusammenhang dieser Bestockung mit dem südlich anschliessenden, allseitig als Wald anerkannten Wuchs besteht, oder ob es sich bei der
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fraglichen Bestockung um Einzelbäume handelt. In seinem Gutachten äussert sich der Experte zu diesen Fragen im Sinn einer Bejahung von Wuchszusammenhang und Waldeigenschaft sowohl nach früherem als auch nach heutigem Zustand.
5. Die am Gutachten geübte Kritik vermag nicht zu überzeugen. Wenn in den Jahren 1977/1978 einige Bäume gefällt wurden, welche die elektrische Freileitung von der Säge zur Fabrik der Knoblauch AG behinderten, so geschah dies ohne förmliche Rodungsbewilligung. Eine solche hätte auch die Wiederbepflanzung beim inzwischen erfolgten Abbruch der Leitung zu regeln gehabt. Unerheblich sind auch gewisse Betonmauern, von denen nicht behauptet wird, sie seien je bewilligt worden. Die Fläche des streitigen Gebiets spielt eine untergeordnete Rolle. Unerheblich ist auch, dass bisher im Kanton Aargau offenbar zwei bestockte Uferseiten bei der Berechnung der Waldfläche nicht gesamthaft, sondern jede für sich gemessen wurden. Die Betrachtungsweise des Experten, der bei vorhandenem Kronenschluss einer mehrseitigen Bachuferbestockung die betreffene Fläche gesamthaft bewertet, überzeugt mehr. Flugaufnahmen können je nach ihrer Qualität durchaus Beweiswert haben, wie dies hier jedenfalls für die Aufnahme von 1964 zutrifft. Auf den genauen Flächeninhalt der hier zu betrachtenden Bachuferbestockung kommt es zudem letztlich nicht an. Entscheidend ist, dass die streitige Fläche - wie sie früher bestockt war - eindeutig in einem Wuchszusammenhang mit dem südlich anschliessenden Hauptteil des Inselwäldchens gesehen werden muss (vgl. BGE 107 Ib 53 E. 4a). Das südliche Ende der Insel ist noch schmaler als das nördliche. Die Waldeigenschaft der Südspitze wird auch von den Kritikern mit Recht nicht in Frage gestellt. Es erscheint in der Tat wenig sinnvoll, solche Waldzungen vom Rumpfareal des Waldes abzutrennen und sie gesondert zu betrachten. Das muss auch für das nördliche Ende der Insel gelten. Dieser Ansicht waren die kantonalen Forstbeamten offenbar selbst, als sie anlässlich der Schaffung des kommunalen Zonenplans vom 11. März 1977 die gesamte Fläche der Suhreinsel als Waldareal erklärten. Dieser Auffassung war der im Namen des Kantonsoberförsters handelnde Kreisförster V noch am 23. März 1979, als er den Gemeinderat schriftlich darauf aufmerksam machte, dass der projektierte Block A den Waldabstand von 20 m nicht einhalte. Aus dem Schreiben des Kreisförsters geht zudem hervor, dass auch der Gemeinderat der Waldfestlegung von 1976
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zugestimmt hatte... Es entsteht der Eindruck, dass hier mit der Zurücknahme der Waldgrenze um rund 20 m der Wald nach dem projektierten Block A bestimmt wurde und nicht umgekehrt der Standort des Blocks nach dem Wald, wie es richtigerweise hätte geschehen sollen. Gewichtige Argumente sind gegen den Inhalt des Gutachtens nicht vorgebracht worden. Eine Abweichung von der Auffassung des Experten würde sich im übrigen nach ständiger Rechtsprechung nur rechtfertigen, wenn die Expertise auf einer falschen Auslegung des Gesetzes beruhen oder irrtümliche tatsächliche Feststellungen, Lücken oder Widersprüche enthalten würde (unveröffentlichte E. 4b des Urteils 106 Ib 231 ff.; 101 Ib 408 E. 3b aa; 94 I 291; 87 I 90 E. 3). Ein solcher Tatbestand liegt hier klarerweise nicht vor, weshalb für das Bundesgericht kein Anlass besteht, von der im Gutachten vorgenommenen forstwissenschaftlichen Sachverhaltsfeststellung abzuweichen.
6. Aufgrund der Expertise steht fest, dass selbst die heute noch vorhandenen Reste der ehemaligen Bachuferbestockung wegen ihres natürlichen Wuchszusammenhangs mit dem südlich anschliessenden Inselwäldchen als Waldzunge und mithin als Waldareal zu betrachten sind. Darüber hinaus ist aufgrund des Forstpolizeirechts festzustellen, dass für die Beurteilung nicht der heutige, sondern der frühere Wuchs massgebend ist (BGE 104 Ib 235 /236 E. 2a). Die in der Mitte der 70er Jahre noch vorhanden gewesene Bestockung ist seither in erheblichem Mass vermindert worden; nicht nur östlich des Sägereikanals, sondern auch auf dem nördlichen Ende der Suhreinsel selbst wurden Bäume und Sträucher geschlagen. Die Akten enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Rodungshandlungen im Einklang mit dem Forstpolizeirecht vorgenommen wurden. Vielmehr geht aus dem Bericht der Gemeinde vom 8. Januar 1982 hervor, dass die damalige Grundeigentümerin eigenmächtig und ohne entsprechende Bewilligung roden liess. Im Gegensatz zur Auffassung des Gemeinderates war die Grundeigentümerin zu unbewilligten Rodungen nicht berechtigt. Der Umstand, dass das Areal bis an den Sägereikanal heran in der Wohn- und Geschäftszone lag, gab kein Recht auf unbewilligte Rodung (BGE 101 Ib 313). Forstpolizeirechtlich ist unerheblich, ob in dem damals gültigen Zonenplan die Insel nicht als Wald eingestuft war, sondern im übrigen Gemeindegebiet figurierte. Massgebend sind vielmehr die tatsächlichen Wuchsverhältnisse (vgl. E. 3).
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Ist aber auf die früher vorhandene Bestockung abzustellen, so ist die streitige Fläche sowohl bei gesonderter Betrachtung des Ufergehölzes auf der Nordspitze der Insel als auch aus der sich aufdrängenden Sicht des Wuchszusammenhangs mit dem übrigen Teil des Inselwäldchens als Waldareal zu betrachten. Indem das Verwaltungsgericht dies verneint und die Einhaltung des Waldabstandes durch den Block A bejaht hat, hat es Bundesrecht verletzt (Art. 104 lit. a OG). Die Beschwerde ist daher gutzuheissen, und das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit aufzuheben. Es ist festzustellen, dass es sich bei der streitigen Fläche um Wald im Sinne der Forstpolizeigesetzgebung handelt.