55. Auszug aus dem Urteil vom 21. Dezember 1981 i.S. Rossi gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Graubünden Regeste (de):
Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 KUVG. Bestimmung des Rentensatzes, wenn der Versicherte beim Eintritt des Unfalles infolge eines nicht SUVA-versicherten Gesundheitsschadens teilinvalid ist.
Art. 91 KUVG. Anwendbarkeit dieser Bestimmung.
Regeste (fr):
Art. 77 al. 1 et art. 78 al. 1 LAMA. Détermination du taux de la rente, lorsque, au moment de l'accident, l'assuré est déjà partiellement invalide en raison d'une atteinte à la santé qui n'est pas couverte par la Caisse nationale.
Art. 91 LAMA. Application de cette disposition.
Regesto (it):
Art. 77 cpv. 1 e art. 78 cpv. 1 LAMI. Determinazione del tasso della rendita, quando l'assicurato alla sopravvenienza dell'incidente è già parzialmente invalido per causa di un danno alla salute non assicurato dall'INSAI.
2. Nach Art. 77 Abs. 1 KUVG wird die Invalidenrente rechnerisch in Prozenten des Jahresverdienstes des Versicherten festgesetzt, wobei die Rente bei vollständiger Invalidität 70% des Jahresverdienstes beträgt. Als Jahresverdienst gilt der Lohnbetrag, den der Versicherte innerhalb eines Jahres vor dem Unfall in dem die Versicherung bedingenden Betrieb bezogen hat (Art. 78 Abs. 1 KUVG). Dieser Jahresverdienst ist also nicht identisch mit jenem Verdienst, den der Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung wahrscheinlich erzielen könnte und der für die Bestimmung des Invaliditätsgrades massgebend ist. Wenn ein Versicherter schon vor dem Unfall teilinvalid war und deswegen ein um das Ausmass dieser Teilinvalidität reduziertes Salär bezogen hat, so darf die Rentenberechnung nicht in der Weise vorgenommen werden, dass man einerseits auf den ausschliesslich aus dem Unfall resultierenden Invaliditätsgrad, welcher in einem Bruchteil der vollen Erwerbsfähigkeit ausgedrückt wird, und anderseits auf jenen Jahreslohn abstellt, den der Versicherte für die vor dem Unfall vorhandene Teilerwerbsfähigkeit bezogen hat. Sonst entspräche die Rente nicht der festgestellten und von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zu entschädigenden Einschränkung der Erwerbsfähigkeit. Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher in BGE 105 V 208 den Grundsatz aufgestellt, dass in Fällen, in denen die Erwerbsfähigkeit bei Eintritt des versicherten Unfallereignisses bereits durch einen Gesundheitsschaden beeinträchtigt ist, für dessen Folgen die SUVA nicht haftet, die durch den versicherten Unfall erfolgte zusätzliche Verminderung der Erwerbsfähigkeit proportional zu der vor dem Unfallereignis bestandenen Resterwerbsfähigkeit ausgeglichen werden muss; dies jedenfalls dann, wenn der massgebende Jahresverdienst aufgrund jenes Lohnes bestimmt wurde, den der Versicherte durch die Verwertung dieser Resterwerbsfähigkeit
BGE 107 V 236 S. 238
erzielt hat. Der in Anwendung dieser Regel zu entschädigende Rentensatz berechnet sich nach der folgenden Formel: Invaliditätsgrad aus versichertem Unfall allein /
Resterwerbsfähigkeit vor dem Unfall x 100
3. Nach Art. 91 KUVG werden die Geldleistungen der SUVA entsprechend gekürzt, wenn die Krankheit, die Invalidität oder der Tod nur teilweise die Folge eines versicherten Unfalles ist. Die Anwendung dieser Bestimmung setzt voraus, dass der versicherte Unfall und unfallfremde Faktoren die Krankheit, die Invalidität oder den Tod gemeinsam verursacht haben. Dagegen ist Art. 91 nicht anzuwenden, wenn einerseits der Unfall und anderseits nichtversicherte, unfallfremde Faktoren je verschiedene, einander nicht beeinflussende Schäden verursacht haben oder wenn der Unfall und die unfallfremden Faktoren je verschiedene Körperteile betreffen. In solchen Fällen werden die Folgen des versicherten Unfalles isoliert bewertet. Alsdann ist die Geldleistung der SUVA ohne Beachtung der unfallfremden Faktoren festzusetzen. Anderseits ist Art. 91 KUVG dann anwendbar, wenn der versicherte Unfall sich gegen einen Körperteil richtet, der bereits von einer Krankheit betroffen ist. In einem solchen Fall ist der Gesamtschaden zu schätzen und die Leistung in dem Umfang zu kürzen, als der Schaden auf unfallfremde, nichtversicherte Faktoren zurückgeht. Diese Unterscheidung ist vor allem deshalb bedeutsam, weil damit verhindert werden kann, dass die SUVA für die Behandlung vorbestandener Leiden aufkommen muss, auf welche der Unfall überhaupt keinen Einfluss ausübt (BGE 105 V 207 und BGE 104 V 161; MAURER, Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, S. 302).
4. ...
5. Der Beschwerdeführer arbeitete seit Juli 1977 bis zum Unfall in der Firma X. In Anwendung von Art. 77 Abs. 1 KUVG ist der Verdienst, den er in diesem Betrieb erzielt hat, der Rentenberechnung zugrunde zu legen. Die Firma X zahlte dem Beschwerdeführer einen Lohn von insgesamt Fr. 3'008.25 aus. Dieser Betrag ergibt einen durchschnittlichen Tagesverdienst von Fr. 27.-- bzw. - unter Annahme von 312 Arbeitstagen im Jahr - ein Jahresgehalt von Fr. 8'424.-- und entspricht der schon vor dem Unfall auf 50% reduzierten
BGE 107 V 236 S. 239
Erwerbsfähigkeit. Die SUVA hat diese Lohnsumme freiwillig auf Fr. 10'000.-- erhöht. Dabei muss es sein Bewenden haben. Eine Erhöhung mit der Begründung, der Lohn eines gesunden Plattenlegers belaufe sich bei halbtägiger Arbeit auf mindestens Fr. 11'000.--, ist ausgeschlossen, weil - wie bereits in Erwägung 2 dargelegt - für die eigentliche Rentenberechnung nicht der wahrscheinlich erzielbare, sondern der vor dem Unfall effektiv erreichte Verdienst massgebend ist.
6. Zusammenfassend ist folgendes festzustellen: Einerseits beträgt die ausschliesslich aus dem versicherten Unfall resultierende Invalidität 40% der vollen - und nicht etwa der vor dem Unfall bestandenen restlichen - Erwerbsfähigkeit. Wegen der hälftigen Verminderung der Erwerbsfähigkeit bezog der Beschwerdeführer vor dem Unfall einen Invalidenlohn von bloss Fr. 10'000.--. Bei diesen Gegebenheiten muss in Anwendung des in Erwägung 2 dargelegten Grundsatzes (BGE 105 V 208) die durch den Unfall eingetretene zusätzliche Verminderung der Leistungsfähigkeit proportional zu der vor dem Unfall vorhanden gewesenen Resterwerbsfähigkeit wie folgt ausgeglichen werden: Invalidität aus Unfall allein / Resterwerbsfähigkeit vor Unfall x 100 = 40% / 50% x 100 = 80%
Somit ist der Rentensatz auf 80% der vor dem Unfall bestandenen Resterwerbsfähigkeit festzulegen. Vorbehalten bleibt die Kürzung dieser Rente wegen allfälliger Überversicherung (Art. 45 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 45
IVG). Auf dieser Basis wird die SUVA eine neue Rentenverfügung erlassen.