Urteilskopf

107 IV 166

48. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. Dezember 1981 i.S. N. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 167

BGE 107 IV 166 S. 167

Am 20. September 1979, gegen 21.00 Uhr, drangen N. und E. in die Liliputeisenbahnanlage des Z. ein. Die beiden Männer verluden die Dampflokomotive "Flying Scotchman A 3/6" (Massstab 1:8) mittels mitgebrachter Schienenteile in einen entliehenen Ford Transit und transportierten sie an den Arbeitsplatz des N. Hier wurde sie - offen ausgestellt - auf die Strafanzeige des Z. hin von der Polizei am 28. September 1979 gefunden. Am 21. September 1979 überwies N. an Z. den Betrag von Fr. 10'000.--. Z. verweigerte die Annahme. Das Obergericht des Kantons Solothurn sprach N. am 23. Juni 1981 des Diebstahls schuldig und bestrafte ihn mit sechs Wochen Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, Aneignungsvorsatz und Bereicherungsabsicht fehlten auch deshalb, weil er Z. den Wert der Sache durch Überweisung eines Betrages von Fr. 10'000.-- sofort ersetzt habe. Sollte die Lokomotive mehr als Fr. 10'000.-- wert gewesen sein, so sei ihm auch hier Irrtum zuzubilligen, denn er habe keineswegs in der Absicht gehandelt, nur einen Teilwert der Sache zu ersetzen. a) Nach der herrschenden Lehre kann mangels Absicht unrechtmässiger Bereicherung jener Täter nicht wegen Diebstahls verurteilt werden, der zugleich mit der Wegnahme einer fremden Sache dem Eigentümer deren Wert vergütet (STRATENWERTH, BT I, S. 173, SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch, Nr. 536, HAFTER, BT, S. 230, LOGOZ, Commentaire, partie spéciale, p. 94, PETER DUERST, Der Begriff der Aneignung im Schweiz. Strafgesetzbuch, Diss. BE 1955, S. 60, NOLL, Die Sachentziehung im
BGE 107 IV 166 S. 168

System der Vermögensdelikte, ZStR 1968/84, S. 337 ff.). Das Obergericht hat dies nicht übersehen. Es verweist zustimmend auf BGE 85 IV 19, wonach die Aneignung einer fremden Sache nicht immer zu einer unrechtmässigen Bereicherung führt, so z.B. dann nicht, wenn gleichzeitig der Wert des angeeigneten Gegenstandes vergütet wird. Dennoch hat das Gericht im vorliegenden Fall die Bereicherungsabsicht des Täters bejaht, unter anderem mit der Begründung, dass es sich bei der weggenommenen Sache um ein unersetzbares Einzelstück mit Liebhaberwert handelt, das gar nicht erwerbbar war, weil der Eigentümer es nicht veräussern wollte. b) Eine Bereicherung und demnach auch die Bereicherungsabsicht werden in der Regel fehlen, wenn der Täter die weggenommene Sache ohne Schwierigkeiten auf einem Markt erwerben könnte und er dem Eigentümer spontan den auf dem Markt verlangten Preis bezahlt. Anders verhält es sich aber, wenn der Interessent die Sache nicht grundsätzlich jederzeit und ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu einem bestimmten Preis käuflich erwerben kann. Wer unter diesen Umständen einem andern die Sache wegnimmt, um sie wie ein Eigentümer zu besitzen, verschafft sich einen Vorteil und bereichert sich. Denn das "Besitzen" einer nicht ohne weiteres käuflich erwerbbaren Sache stellt einen über ihren Schätzwert hinausgehenden vermögenswerten Vorteil dar, der als Bereicherung im Sinne von Art. 137
SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937
CP Art. 137 - 1. Quiconque, pour se procurer ou procurer à un tiers un enrichissement illégitime, s'approprie une chose mobilière appartenant à autrui est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire, en tant que les conditions prévues aux art. 138 à 140 ne sont pas réalisées.
1    Quiconque, pour se procurer ou procurer à un tiers un enrichissement illégitime, s'approprie une chose mobilière appartenant à autrui est puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire, en tant que les conditions prévues aux art. 138 à 140 ne sont pas réalisées.
2    Si l'auteur a trouvé la chose ou si celle-ci est tombée en son pouvoir indépendamment de sa volonté,
StGB zu qualifizieren ist. Die in diesem Falle bestehende Bereicherungsabsicht des Täters lässt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz allerdings nicht damit begründen, dass der Eigentümer die Sache nicht veräussern wollte und dass er mit dem ihm überwiesenen Betrag sich keinen Realersatz beschaffen konnte. Das erstgenannte Kriterium ist lediglich hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Wegnahme von Bedeutung, und das zweite Kriterium berührt den Tatbestand des Diebstahls überhaupt nicht, sondern mag allenfalls bei der Strafzumessung von Bedeutung sein. Entscheidend ist allein das Argument, dass die Lokomotive "Flying Scotchman" mangels genügenden Angebots nicht ohne weiteres käuflich erworben werden kann, weil eben dem Besitz an dieser Sache grössere Bedeutung zukommt als ihrem Schätzwert. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache, die mangels genügender Angebote nicht ohne Schwierigkeiten käuflich erworben werden kann, wegnimmt, um sie wie ein Eigentümer zu besitzen, handelt in Bereicherungsabsicht, selbst wenn er dem Eigentümer den von Experten geschätzten
BGE 107 IV 166 S. 169

Wert der Sache sofort vergütet. Der von Experten geschätzte Wert vermag übrigens in einer solchen Lage über den Preis, der etwa bei einer Versteigerung des Objektes unter zahlungskräftigen Liebhabern erzielt werden könnte, nichts Verbindliches auszusagen, wie Kunstauktionen und ähnliche Veranstaltungen immer wieder zeigen. Die rechtswidrige Aneignung nimmt dem Eigentümer mit dem Gegenstand stets auch die vermögenswerte Möglichkeit, denselben zum Höchstpreis zu veräussern. Dass die hier in Frage stehende Lokomotive "Flying Scotchman" im Massstab 1:8, die Lieblingsmaschine des Beschwerdeführers, nicht ohne weiteres käuflich erworben werden kann, geht aus dem angefochtenen Urteil eindeutig hervor und ergibt sich übrigens auch aus dem Verhalten des Beschwerdeführers selber, der sich in dieser Sache seit Jahren erfolglos an den Eigentümer gewandt hatte. c) Die mit der Wegnahme der Lokomotive beabsichtigte Bereicherung ist unrechtmässig, da die Überweisung des Betrages von Fr. 10'000.-- an den Eigentümer gegen dessen Willen dem Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf die weggenommene Sache verschaffte. Die Verurteilung des N. wegen Diebstahls verstösst somit nicht gegen Bundesrecht.