Urteilskopf

105 V 280

60. Auszug aus dem Urteil vom 19. November 1979 i.S. "Die Eidgenössische" Kranken- und Unfallkasse gegen Überschlag und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 280

BGE 105 V 280 S. 280

Aus den Erwägungen:

2. Die Bestimmungen des KUVG über die Krankenversicherung haben einen territorialen Geltungsbereich. Vorbehältlich gegenteiliger statutarischer Vorschriften haben die Krankenkassen für ausserhalb der Schweiz behandelte Leiden keine Leistungen zu erbringen, selbst wenn der Versicherte im Ausland krank geworden ist (BGE 98 V 155, RSKV 1976, S. 12). Nach der Rechtsprechung ist der Grenzgänger hinsichtlich seiner Ansprüche gegenüber der Krankenkasse gleich zu behandeln wie jeder andere Versicherte, der sich in derselben
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gesundheitlichen und versicherungsrechtlichen Lage befindet. Dies gilt allerdings nur, solange er in der benachbarten Grenzzone wohnt und dort den von der Krankenkasse für notwendig erachteten medizinischen und administrativen Kontrollen zugänglich bleibt. Dass er keinen Wohnsitz in der Schweiz besitzt, ist dagegen unerheblich. Wenn er, obwohl er täglich einen Teil der Zeit im Ausland verbringen muss, bezüglich der Beitragspflicht gleich behandelt wird wie ein Versicherter mit schweizerischem Wohnsitz, so sind ihm auch dieselben Leistungen zu gewähren. Die Kasse darf ihm im Krankheitsfall nicht entgegenhalten, er wohne ausserhalb ihres Tätigkeitsgebietes, nachdem sie zuvor die Beiträge ohne Rücksicht auf seine Stellung als Grenzgänger festgesetzt und erhoben hat. Allerdings darf sie ihre Leistungen von dem Zeitpunkt an einstellen, da der Versicherte seinen Wohnsitz von der benachbarten Grenzzone endgültig in eine andere ausländische Gegend verlegt (BGE 103 V 71).
3. a) Im vorliegenden Fall enthalten weder der Kollektivversicherungsvertrag noch die Kassenstatuten besondere Bestimmungen über das Versicherungsverhältnis bei Grenzgängern. Der Grenzgänger ist hinsichtlich der Beitragspflicht den übrigen Kollektivversicherten gleichgestellt. Da auch die nach der Rechtsprechung massgebenden zusätzlichen Voraussetzungen als erfüllt gelten können, standen dem Versicherten grundsätzlich die gleichen Leistungsansprüche zu, wie sie Kollektivversicherte mit Wohnsitz in der Schweiz haben. Dies wird von der Kasse nicht bestritten. Streitig ist dagegen, ob sie insbesondere nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder auch hinsichtlich der im Ausland durchgeführten Massnahmen leistungspflichtig ist. b) Gemäss Art. 3 Abs. 3 KUVG ist die Krankenversicherung von den anerkannten Krankenkassen nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit zu betreiben. Danach muss zwischen den Beiträgen und den Versicherungsleistungen ein gewisses Gleichgewicht bestehen; ferner haben die Kassen das Verhältnismässigkeitsprinzip und den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder zu wahren (EVGE 1968, S. 163 lit. c; RSKV 1973, S. 149, 1971, S. 21). Das Gleichheitsgebot bedeutet, dass Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist (vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, S. 423 ff. und dort zitierte Rechtsprechung).
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Wo es die unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen, kann daher eine von der allgemeinen Ordnung abweichende Regelung geboten sein (vgl. EVGE 1967, S. 185). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Versicherte ungeachtet seines Wohnortes auf Grund des zwischen seinem Arbeitgeber und der Kasse bestehenden Kollektivversicherungsvertrages zum Kassenbeitritt verpflichtet war und die gleichen Mitgliederbeiträge zu entrichten hatte wie die in der Schweiz wohnhaften Versicherten. Nach den sich aus Art. 3 Abs. 3 KUVG ergebenden Grundsätzen sind ihm somit dieselben Leistungen zu gewähren wie andern Versicherten (BGE 103 V 74). Die Auffassung der Kasse, wonach der Grenzgänger nur Anspruch auf Behandlung in der Schweiz habe, führt aber zu einer erheblichen Schlechterstellung in der Leistungsberechtigung, indem das Recht auf freie Wahl des Arztes und Apothekers am Aufenthaltsort und dessen Umgebung (Art. 15 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 1 KUVG) praktisch aufgehoben wird. Art. 21 Abs. 1 KUVG kann daher im Falle von Grenzgängern nicht in dem von der Kasse genannten Sinn Anwendung finden. Wie Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherung zu Recht feststellen, verlangt das Gebot der Gleichbehandlung, dass der Grenzgänger jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen auch einen an seinem Wohnort oder in dessen Umgebung praktizierenden Arzt konsultieren und die ärztlich verordneten Medikamente in einer ausländischen Apotheke beziehen kann. Dabei rechtfertigt es sich, auf das Kriterium der Zumutbarkeit abzustellen,womit auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen wird (vgl. EVGE 1968, S. 163). Die Leistungspflicht der Kasse beurteilt sich folglich danach, ob es vom Grenzgänger nach den gesamten Umständen, insbesondere den gesundheitlichen Verhältnissen, verlangt werden kann, dass die ärztliche Behandlung in der Schweiz erfolgt. Ist dies zu verneinen, so hat die Kasse die Kosten der ambulanten Behandlung durch einen am Wohnort oder in dessen Umgebung praktizierenden ausländischen Arzt zu übernehmen und die ärztlich verordneten Medikamente zu vergüten. Sie hat insoweit auch eine ausländische Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit anzuerkennen. Schliesslich hat sie die versicherten Leistungen bei Aufenthalt in einer ausländischen Heilanstalt zu erbringen, falls sich der Versicherte aus medizinischen Gründen in eine solche Anstalt begeben muss.