Urteilskopf
105 Ib 301
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Juni 1979 i.S. Kraft gegen Generaldirektion SBB (Revisionsgesuch)
Regeste (de):
- Ausstand von Gerichtspersonen (Art. 22 , 23 und 26 OG).
- Ausstandsbegehren, die den Zweck des Ablehnungsverfahrens oder die verfassungsrechtliche Stellung des Bundesgerichts in Frage stellen, sind unzulässig und deshalb ausser Betracht zu lassen.
Regeste (fr):
- Récusation de membres du tribunal (art. 22, 23 et 26 OJ).
- Demandes de récusation mettant en cause la finalité de la procédure de récusation ou le rôle assigné au Tribunal fédéral par la constitution; de telles demandes sont inadmissibles et il n'y a pas lieu par conséquent de les prendre en considération.
Regesto (it):
- Ricusazione di membri del tribunale (art. 22 , 23 , 26 OG).
- Domande di ricusazione che compromettono lo scopo della procedura di ricusazione o la funzione attribuita al Tribunale dalla costituzione, sono inammissibili e non possono quindi essere prese in considerazione.
Sachverhalt ab Seite 302
BGE 105 Ib 301 S. 302
Am 7. Februar 1979 reichte Kraft beim Bundesgericht ein Revisionsgesuch mit folgenden Rechtsbegehren ein: 1. Vorgängig der Prüfung des Revisionsgesuches ist das nachstehend unterbreitete Ablehnungsbegehren gegen sämtliche ordentlichen Bundesrichter und ordentlichen Ersatzrichter zu behandeln.
2. Die Urteile vom 26. Oktober 1978 in Sachen A 336/78 und vom 9. Dezember 1977 in Sachen A 69/77 sind aufzuheben, und es ist eine neue und gesetzmässige Beurteilung mit durchzuführender Schlussverhandlung gemäss Art. 112 OG vorzunehmen.
In seiner Begründung bezichtigt der Gesuchsteller sämtliche ordentlichen Bundesrichter und Ersatzrichter der Befangenheit gemäss Art. 23 lit. c OG. Zudem macht er gegen alle Richter, die bisher an den Entscheiden in seiner Sache mitgewirkt haben, Ausstandsgründe im Sinne von Art. 22 Abs. 1 lit. a und Art. 23 lit. b OG geltend. Kraft vertritt sinngemäss die Auffassung, dass die Bundesrichter bzw. Ersatzrichter, die an den Urteilen vom 9. Dezember 1977 und 26. Oktober 1978 mitwirkten, sich - durch den in seinen Augen falschen Entscheid - verbrecherischer Handlungen gegen ihn schuldig machten. Es sei deshalb auszuschliessen, dass die übrigen Bundesrichter und ordentlichen Ersatzrichter noch über die vom Gesetz geforderte Unbefangenheit verfügten, da sie zu den von ihm schwer angegriffenen Bundesrichtern in einem kollegialen Verhältnis stünden.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Gesuchsteller lehnt sämtliche ordentlichen Mitglieder und Ersatzmänner des Bundesgerichts ab und verlangt die Bildung einer beschlussfähigen Gerichtsabteilung durch Bezeichnung ausserordentlicher Ersatzmänner im Verfahren nach Art. 26 Abs. 3 OG. Es stellt sich die Frage, ob dieses Gesuch zulässig ist. a) Nach dem Wortlaut des Gesetzes können die Ausschliessungs- und Ablehnungsgründe der Art. 22 und 23 OG lediglich
BGE 105 Ib 301 S. 303
gegen einzelne Mitglieder oder Ersatzmänner des Bundesgerichts und gegen bestimmte Justizbeamte geltend gemacht werden, nicht aber gegen das Bundesgericht und dessen Abteilungen und Kammern als solche (vgl. Urteil Kissling vom 1. Februar 1966 E. 2; so auch schon REICHEL, Kommentar zum OG von 1893, Anmerkungen zu den Art. 32 und 28). Das in Art. 26 Abs. 3 vorgesehene Verfahren zur Bestellung ausserordentlicher Ersatzmänner dient einzig für den Fall, dass aufgrund als geeignet erkannter Ausstandsgründe soviele Mitglieder und Ersatzmänner in den Ausstand zu treten haben, dass keine gültige Verhandlung über die hängigen Ausstandsbegehren stattfinden kann. Diesem Verfahren kam vor allem in der Gründerzeit des Bundesgerichts aufgrund des zahlenmässig kleinen Richterkollegiums erhöhte Bedeutung zu. b) Bei der Beurteilung von Ausstandsbegehren sind verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Einerseits ist nicht zu verkennen, dass ein abgelehnter Richter, der über die ihn betreffenden Ausstandsgründe selber urteilt, eher geneigt sein könnte, ein gegen ihn gerichtetes Ausstandsbegehren abzulehnen (Urteil Schindler vom 25. September 1978 E. 5 c); aus diesem Grund sollen Ausstandsbegehren grundsätzlich durch Richter beurteilt werden, gegen die kein streitiger Ausstandsgrund vorliegt. Anderseits darf das Verfahren nicht missbraucht werden, und namentlich nicht zur - wenn auch vorläufigen - Ausschaltung der Rechtspflegeinstanz und damit zur Lahmlegung der Justiz führen (Urteil Schindler, E. 5 b und c; Urteil Stettler vom 7. März 1979, E. 4 b). Die Eignung der geltend gemachten Ausstandsgründe ist vorab nach dem Zweck des Ablehnungsverfahrens zu beurteilen. Dieser besteht darin, eine objektive Rechtsprechung durch unabhängige Richter zu gewährleisten (BGE 92 I 276). Sodann ist die verfassungsrechtliche Stellung und Aufgabe des Bundesgerichts zu berücksichtigen. Diesem ist vom Verfassungsgeber aufgetragen, letztinstanzlich Streitsachen zu entscheiden. In dieser Funktion kann das Bundesgericht nicht leichthin in seiner ordentlichen Besetzung von einer Partei in den Ausstand versetzt werden. Aus dem Sinn und Zweck dieser beiden Gesichtspunkte ergeben sich Grenzen, die das Recht, den Ausstand eines Mitglieds des höchsten Gerichts zu verlangen, einschränken. Schliesslich ist beim Gesuchsteller - wie bei jedem Rechtsuchenden überhaupt - ein loyales Verständnis für das
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von ihm ausgeübte Rechtvorauszusetzen; der Rechtsschutz wird ihm nur gewährt, wenn er von seinen Rechten in der vom Gesetzgeber verstandenen Art Gebrauch macht. c) Nach diesen Beurteilungskriterien betrachtet, kann ein einzelner Richter lediglich wegen seiner früheren Mitwirkung an einem andern Bundesgerichtsurteil in der Sache des Gesuchstellers nicht als befangen abgelehnt werden, und dies selbst dann nicht, wenn er sich anlässlich der Verhandlung gegen das Rechtsbegehren des Gesuchstellers eingesetzt haben sollte (Urteil Gutweniger vom 23. März 1979 E. 3; auch Urteil Kissling, E. 2 b). Aus den gleichen Gründen kann dem Richter die Unabhängigkeit nicht abgesprochen werden, weil er der gleichen Gerichtsabteilung angehört, die früher schon in der Sache des Gesuchstellers geurteilt hat. Es müssten vielmehr in beiden Fällen zusätzliche Ausschliessungsgründe vorgebracht und im einzelnen begründet werden. Das Gesamtgericht und seine Abteilungen ihrerseits können nicht aus dem einzigen Grund abgelehnt werden, weil es - bzw. eine seiner Abteilungen oder Kammern - schon zuvor in der Sache des Gesuchstellers geurteilt hat. In all diesen Fällen sind die derart gestellten Ablehnungsgesuche unzulässig, und es fehlt damit die Voraussetzung für die Durchführung eines Ausstandsverfahrens. Da keine Ermessensausübung durch die Richter erforderlich ist, um die Untauglichkeit der erwähnten Ausstandsgründe zu erkennen, genügt es in solchen Fällen, wenn eine Gerichtsabteilung - in der Regel die in der Sache selbst zuständige - feststellt, dass keine nach Massgabe des Gesetzes geeigneten Ausstandsgründe geltend gemacht werden und dass damit die Eintretensvoraussetzung für ein Ausstandsverfahren fehlt. Dieser Abteilung können auch jene Richter angehören, die von einem solchen Ausstandsbegehren betroffen sind. d) Der Gesuchsteller beschränkt sich im vorliegenden Fall darauf, einen Teil der Bundesrichter wegen früherer Mitwirkung in seiner Sache als befangen zu erklären und den übrigen Richtern sowie ordentlichen Ersatzmännern die Unabhängigkeit wegen ihrer Zugehörigkeit zum Gericht und den sich daraus ergebenden kollegialen Gefühlen abzusprechen. Diese Gründe sind - wie dargelegt - untauglich. Das Ausstandsbegehren ist deshalb unzulässig und ausser Betracht zu lassen.