Urteilskopf

104 Ia 131

23. Urteil vom 26. April 1978 i.S. Gemeinde Tägerig gegen Grossen Rat und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 133

BGE 104 Ia 131 S. 133

§ 147 des aargauischen Baugesetzes vom 2. Februar 1971 (BauG) lautet: "1 Die Gemeindebauvorschriften treten mit der Annahme durch die zuständigen Gemeindeorgane in Kraft. 2 Die Gemeindebauvorschriften unterliegen der Genehmigung durch den Grossen Rat, der sie nach Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit überprüft. In einfachen Fällen kann der Grosse Rat die Genehmigung einer von ihm bestellten Kommission übertragen. 3 Die Genehmigungsbehörde kann nach Anhören des Gemeinderates an den Gemeindebauvorschriften Änderungen redaktioneller oder formeller Art selbst vornehmen. Sie kann im übrigen einzelne Teile der Vorschriften zur Abänderung mit angemessener Fristansetzung an die Gemeinden zurückgeben und die Abänderung selbst vornehmen, wenn diese durch die Gemeinden nicht fristgemäss und zweckmässig erfolgt. Erhalten Gemeindebauvorschriften in ihrer Gesamtheit die kantonale Genehmigung nicht, so gelten sie als aufgehoben." Das in § 147 BauG vorgesehene Verfahren gilt auch für den Erlass von kommunalen Zonenplänen, Überbauungsplänen und Gestaltungsplänen (§ 127 BauG). Die Einwohnergemeinde Tägerig stimmte im Jahre 1973 in einer Gemeindeversammlung und in einer anschliessenden Referendumsabstimmung einer Bau- und Zonenordnung zu. Der Zonenplan unterteilt das Baugebiet in "definitives Baugebiet" (1. Etappe) und "zusätzliches Baugebiet" (2. Etappe). § 30 der Bau- und Zonenordnung (BZO) lautete in seiner ursprünglichen, von der Gemeinde beschlossenen Fassung wie folgt:
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"1 Das zusätzliche Baugebiet kann vom Gemeinderat ganz oder teilweise in definitives umgewandelt werden, wenn die zweckmässige Erschliessung mit Strassen, Wasser (inkl. Brandschutz), Kanalisation und elektrischer Energie auf Grund eines Überbauungsplanes technisch und finanziell sichergestellt ist. Die Umwandlung ist dem Baudepartement mitzuteilen. 2 Vor der Umwandlung ist die Gemeinde zu keinerlei finanziellen Leistungen an die Erschliessung dieser Gebiete verpflichtet." Der Regierungsrat des Kantons Aargau stellte in seiner Botschaft dem Grossen Rat den Antrag, Bauordnung und Zonenplan der Gemeinde Tägerig zu genehmigen. In der zuständigen grossrätlichen Kommission (Strassenbaukommission) wurden jedoch gegenüber dem erwähnten § 30 BZO Bedenken erhoben. Der Grosse Rat genehmigte in seiner Sitzung vom 10. Juni 1975 die Bauordnung und den Zonenplan von Tägerig, nahm jedoch, einem Antrag der Strassenbaukommission folgend, § 30 BZO von der Genehmigung aus und verhielt die Gemeinde, diese Vorschrift gemäss einem vom Grossen Rat gemachten Abänderungsvorschlag neu zu formulieren und sie hernach erneut zur Genehmigung zu unterbreiten. Die Gemeindeversammlung von Tägerig lehnte am 12. Dezember 1975 die vom Grossen Rat verlangte Abänderung von § 30 BZO einstimmig ab. Der Grosse Rat beschloss daraufhin am 15. September 1976 gestützt auf § 147 Abs. 3 BauG, dass § 30 BZO wie folgt neu gefasst werde: "1 Das zusätzliche Baugebiet ist für eine der Entwicklung der Gemeinde entsprechende spätere Überbauung vorgesehen. 2 Das zusätzliche Baugebiet kann erst zur Überbauung freigegeben werden, wenn die Umwandlung in definitives Baugebiet vorgenommen worden ist. 3 Das zusätzliche Baugebiet kann ganz oder teilweise in definitives Baugebiet umgewandelt werden, wenn - das definitive Baugebiet, soweit es für Bauzwecke zur Verfügung steht, weitgehend überbaut ist - die Entwicklung der Gemeinde eine weitere Bereitstellung von Baugebiet erfordert - die finanzielle Lage der Gemeinde die Umwandlung und Freigabe zur Überbauung erlaubt - die zweckmässige Erschliessung mit Strassen, Wasser (inkl. Brandschutz), Kanalisation und elektrischer Energie auf Grund eines vom Grossen Rat genehmigten Überbauungsplanes technisch und finanziell sichergestellt ist. 4 Die Umwandlung wird durch den Gemeinderat im Einvernehmen mit dem kantonalen Baudepartement vorgenommen.
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5 Vor der Umwandlung ist die Gemeinde zu keinerlei finanziellen Leistungen an die Erschliessung dieser Gebiete verpflichtet." Die Gemeinde Tägerig erhob gegen diesen Grossratsbeschluss am 14. Oktober 1976 staatsrechtliche Beschwerde. Gleichzeitig reichte der Gemeinderat beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau ein Gesuch um prinzipale Normenkontrolle ein mit dem Hauptbegehren, es sei der Grossratsbeschluss vom 15. September 1976 betreffend die Abänderung von § 30 BZO ungültig zu erklären und aufzuheben. Im Hinblick auf dieses kantonale Verfahren wurde die Behandlung der staatsrechtlichen Beschwerde vom 14. Oktober 1976 ausgesetzt. Mit Urteil vom 17. Oktober 1977 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau den im kantonalen Normenkontrollverfahren gestellten Antrag ab. Die Gemeinde Tägerig erhebt im Anschluss hieran am 19. Dezember 1977 eine zweite staatsrechtliche Beschwerde mit dem Hauptantrag, es seien das Urteil des Verwaltungsgerichtes und der Beschluss des Grossen Rates aufzuheben. Das Bundesgericht tritt auf die erste staatsrechtliche Beschwerde nicht ein und weist die zweite ab, aus folgenden
Erwägungen

Erwägungen:

1. Die Gemeinde Tägerig rügt in beiden Verfahren eine Verletzung der Gemeindeautonomie, wobei sie sich im Zusammenhang mit dieser Rüge auf gewisse ungeschriebene oder aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV abgeleitete Verfassungsgrundsätze beruft (Grundsatz der Verhältnismässigkeit, Willkürverbot, Rechtsgleichheit). Eine derartige staatsrechtliche Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 2 OG erst nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zulässig. Die Gemeinde konnte den in ihre Autonomie eingreifenden Beschluss des Grossen Rates mit einem Normenkontrollbegehren beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau anfechten, und zwar mit sämtlichen Rügen, die sie in den beiden staatsrechtlichen Beschwerden erhebt. Wie das Bundesgericht in BGE 103 Ia 362 ff. festgestellt hat, ist das in den §§ 68 ff. des aargauischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vorgesehene abstrakte Normenkontrollverfahren einem Rechtsmittelverfahren im Sinne von Art. 86 Abs. 2 OG gleichzusetzen. Steht dieser kantonale Rechtsbehelf offen, so muss er, vorbehältlich der in Art. 86 Abs. 2 Satz 2 OG genannten Ausnahmen,
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vor Einreichung einer staatsrechtlichen Beschwerde ergriffen werden. Auf die erste, unmittelbar im Anschluss an den beanstandeten Grossratsbeschluss erhobene Beschwerde vom 14. Oktober 1976 ist daher mangels Erschöpfung des Instanzenzuges nicht einzutreten.
2. Mit der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde vom 19. Dezember 1977 verlangt die Gemeinde Tägerig sowohl die Aufhebung des Verwaltungsgerichtsurteils wie auch des Beschlusses des Grossen Rates. a) Entscheidet eine kantonale Rechtsmittelbehörde mit freier Kognition, so ersetzt ihr Urteil den vorangegangenen unterinstanzlichen Entscheid, und es kann nur der Rechtsmittelentscheid Anfechtungsobjekt der staatsrechtlichen Beschwerde bilden. Hatte hingegen die kantonale Rechtsmittelinstanz eine beschränkte Kognition, so kann mit der im Anschluss an den Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die Aufhebung des unterinstanzlichen Sachentscheides verlangt werden (BGE 94 I 462 und seitherige Praxis). Das Bundesgericht hat bisher in der Regel angenommen, dass das auf einer freien rechtlichen und tatsächlichen Kognition beruhende Urteil eines kantonalen Verwaltungsgerichts die vorangegangenen unterinstanzlichen kantonalen Entscheide ersetze und daher nur dieses letztinstanzliche Urteil Anfechtungsobjekt einer staatsrechtlichen Beschwerde bilden könne (so BGE 100 Ia 192; BGE 99 Ia 148, 484; BGE 98 Ia 156; BGE 94 I 220; abweichend: BGE 100 Ia 267). Ob und inwieweit diese Rechtsprechung noch einer gewissen Differenzierung bedarf, kann hier offen bleiben; denn sie bezieht sich auf die Anfechtung von Verfügungen. Bei der Anfechtung von Erlassen gilt allgemein die Regel, dass mit der im Anschluss an den kantonalen Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die Aufhebung der angefochtenen Vorschrift selber verlangt werden kann (BGE 103 Ia 364; BGE 101 Ia 491 E. 9; BGE 98 Ia 405 Nr. 64). Entsprechendes gilt auch für Beschwerden gegen Wahlen und Abstimmungen (vgl. BGE 102 Ia 267 f.). Der Beschluss des Grossen Rates vom 15. September 1976 hat insofern, als er einer baurechtlichen Vorschrift der Gemeinde einen neuen Inhalt gibt, den Charakter eines Erlasses. Mit der im Anschluss an das Verwaltungsgerichtsurteil erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde kann daher auch noch die Aufhebung dieses Grossratsbeschlusses beantragt werden.
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b) Ob ein Beschwerdeführer von der in bestimmten Fällen gegebenen Möglichkeit, mit der im Anschluss an den kantonalen Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die Aufhebung des unterinstanzlichen Sachentscheides zu verlangen, Gebrauch macht oder nicht, hat auf den Umfang der bundesgerichtlichen Kognition keinen Einfluss, sofern die geltend gemachten Verfassungsrügen von der Rechtsmittelinstanz geprüft worden sind. Auch wenn bloss die Aufhebung des Rechtsmittelentscheides verlangt wird, prüft das Bundesgericht, ob die den Beschwerdeführer belastende Anordnung, soweit sie im kantonalen Rechtsmittelverfahren nicht beseitigt worden ist, gegen die angerufenen Verfassungsnormen verstösst. Hat die kantonale Rechtsmittelinstanz das Vorliegen der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu Unrecht verneint, so verletzt ihr Entscheid seinerseits das betreffende Verfassungsrecht, und es genügt, dass sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid richtet. Voraussetzung ist freilich, dass die Rechtsmittelinstanz aufgrund der ihr nach kantonalem Verfahrensrecht zustehenden Kognition die Möglichkeit hatte, die vor Bundesgericht erhobenen Verfassungsrügen der Sache nach zu prüfen. Will jemand mit einer erst im Anschluss an den Rechtsmittelentscheid eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde Rügen erheben, die der Kognition der Rechtsmittelinstanz entzogen waren, so muss er notgedrungen auch den unterinstanzlichen kantonalen Entscheid mitanfechten, damit das Bundesgericht auf diese Rügen eintreten kann; der Entscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz, die aufgrund ihrer beschränkten Überprüfungsbefugnis nicht in der Lage ist, die beanstandete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, bildet kein taugliches Anfechtungsobjekt.
Der letztgenannte Fall trifft hier jedoch nicht zu. Die Beschwerdeführerin erhebt vor Bundesgericht keine Rügen, die der Kognition des aargauischen Verwaltungsgerichtes entzogen gewesen wären. Sie hätte sich daher ohne Verringerung ihrer Erfolgschancen darauf beschränken können, das Urteil des Verwaltungsgerichtes anzufechten. Wenn es ihr nach der erwähnten Rechtsprechung trotz fehlender verfahrensrechtlicher Notwendigkeit gestattet ist, gleichzeitig auch noch die Aufhebung des vorangegangenen Grossratsbeschlusses zu verlangen, so deshalb, weil ein solches Vorgehen prozessökonomisch erscheint und gegebenenfalls die Wiederherstellung der verfassungsmässigen Lage erleichtert.
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3. a) Es darf davon ausgegangen werden, dass die aargauischen Gemeinden auch unter der Herrschaft des kantonalen Baugesetzes vom 2. Februar 1971 bei der Festlegung von Zonenplänen und beim Erlass der dazugehörigen Vorschriften im Sinne der bundesgerichtlichen Autonomierechtsprechung über eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit verfügen. Dass sie bei dieser Tätigkeit einer Zweckmässigkeitskontrolle durch die kantonale Genehmigungsbehörde unterworfen sind, schliesst das Vorliegen eines geschützten Autonomiebereiches nicht aus. Vom Umfang der der kantonalen Behörde zustehenden Überprüfungsbefugnis hängt jedoch ab, wann ein Eingriff in die kommunale Gestaltungsfreiheit die Autonomie der Gemeinde verletzt (BGE 102 Ia 170; BGE 101 Ia 261 mit Hinweisen; BGE 96 I 381; BGE 93 I 160, 432). Die Gemeinde kann sich somit unter Berufung auf ihre Autonomie gegen ungerechtfertigte Eingriffe der kantonalen Genehmigungsbehörde zur Wehr setzen. Soweit nicht die Auslegung und Anwendung spezieller Normen des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechtes in Frage steht, prüft das Bundesgericht den Entscheid der kantonalen Behörde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 104 Ia 45, 127; BGE 102 Ia 71; BGE 100 Ia 395). b) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird zu Recht nicht behauptet, dass das Vorgehen des Grossen Rates gegen irgendwelche unmittelbar durch die Kantonsverfassung gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsbefugnisse verstosse. Massgebend für den Umfang der Gemeindeautonomie im Bau- und Planungswesen sind die Vorschriften der kantonalen Gesetzgebung (vgl. Art. 95 KV), deren Handhabung das Bundesgericht im Rahmen einer Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. c) Im vorliegenden Falle ist zu entscheiden, ob der Grosse Rat als Genehmigungsbehörde von den ihm durch § 147 BauG eingeräumten Befugnissen in haltbarer Weise Gebrauch gemacht hat. Nach § 147 Abs. 2 BauG prüft der Grosse Rat die kommunalen Bauvorschriften und Zonenpläne sowohl auf ihre Rechtmässigkeit als auch auf ihre Zweckmässigkeit hin. Stellt er einen Mangel fest, so kann er die Vorschrift zur Änderung an die Gemeinde zurückweisen und, falls die Gemeinde nicht innert der ihr gesetzten Frist eine zweckmässige Lösung beschliesst, selber die Vorschrift abändern (§ 147 Abs. 3 BauG). Die Beschwerdeführerin rügt, dass § 30 der kommunalen Bau- und
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Zonenordnung in der von der Gemeinde beschlossenen Fassung sowohl recht- als auch zweckmässig gewesen sei und der Grosse Rat der Vorschrift daher zu Unrecht die Genehmigung verweigert habe. Die vom Grossen Rat beschlossene Fassung sei nicht zweckmässiger als jene der Gemeinde, sondern im Gegenteil weniger zweckmässig, ja sogar völlig unzweckmässig. d) Es ist richtig, dass die in § 147 BauG vorgesehene Zweckmässigkeitskontrolle nicht den Sinn hat, dass der Grosse Rat die aus dem kommunalen Rechtsetzungsverfahren hervorgegangenen Vorschriften nach Belieben durch eigene Normen ersetzen darf. Die Genehmigungsbehörde soll vielmehr nur dann intervenieren, wenn sie die von der Gemeinde getroffene Lösung für unzweckmässig hält, und die Anordnung einer Ersatzlösung setzt voraus, dass diese zweckmässiger ist als die Regelung der Gemeinde. Es dürfte auch dem Sinn von § 147 BauG entsprechen, dass der Grosse Rat seine Zweckmässigkeitskontrolle mit Zurückhaltung ausübt und den Gemeinden einen gewissen Spielraum belässt (vgl. ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, N. 11 zu §§ 146/147, S. 406). e) Ob sich der Grosse Rat im vorliegenden Falle an diese Schranken gehalten hat, ist weitgehend eine Ermessensfrage, die das Bundesgericht im Rahmen einer Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft. Der verfassungsrechtliche Schutz der Autonomie beschränkt sich hier praktisch darauf, dass der Eingriff in die kommunale Gestaltungsfreiheit auf vernünftigen, vertretbaren Überlegungen beruhen und die von der Genehmigungsbehörde an Stelle der Gemeinde getroffene Anordnung ihrerseits sachlich haltbar sein muss (vgl. BGE 102 Ia 171; BGE 101 Ia 262 f.). Für eine weitergehende Kontrolle, so namentlich für die Abklärung der Frage, welche von zwei vertretbaren Lösung die zweckmässigere ist, besteht im Rahmen einer Willkürprüfung kein Raum. Wohl enthält § 147 BauG eine weitergehende Schranke als nur das Willkürverbot; die Genehmigungsbehörde darf in die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinde nur eingreifen, wenn dies bei pflichtgemässer Würdigung der Verhältnisse als geboten erscheint; doch liegt eine verfassungsrechtlich relevante Autonomieverletzung erst vor, wenn die kantonale Genehmigungsbehörde die ihr durch § 147 BauG übertragene Rechts- und Zweckmässigkeitskontrolle willkürlich ausgeübt hat. Unter
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diesem Gesichtswinkel ist der Beschluss des Grossen Rates im folgenden zu prüfen. f) Ob auch das Verwaltungsgericht, das - im Gegensatz zum Bundesgericht - die Handhabung des kantonalen Gesetzesrechtes an sich frei zu prüfen hat, seine Kognition in der gleichen Weise beschränken durfte, ist hier nicht weiter zu untersuchen. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nicht behauptet, dass das Verwaltungsgericht dadurch, dass es auf das erhobene Normenkontrollbegehren hin den Beschluss des Grossen Rates mit dem gleichen Massstab prüfte, den das Bundesgericht bei Autonomiebeschwerden anwendet, eine Rechtsverweigerung begangen habe.
4. a) Die Unterteilung der Bauzonen in verschiedene, räumlich abgegrenzte Abschnitte (Etappen) ist ein planerisches Mittel, um den Nachteilen, die sich aus der Ausscheidung eines grossen oder überdimensionierten Baugebietes ergeben können, zu begegnen. Im aargauischen Baurecht wird zwischen Erschliessungsetappierung und Baugebietsetappierung unterschieden. Die Erschliessungsetappierung will sicherstellen, dass die Erschliessungstätigkeit der öffentlichen Hand systematisch und rationell erfolgt. Sie besteht darin, dass die Gemeinde nur in einem Teil der Bauzone die Erschliessungskosten übernimmt; im übrigen Teil kann zwar gebaut werden, doch haben die Grundeigentümer die vollen Erschliessungskosten selber zu bezahlen. Die Baugebietsetappierung dient darüber hinaus dem Zweck, den Ablauf der Überbauung nach allgemeinen raumplanerischen Gesichtspunkten zu lenken (geordnete Besiedlung, Verhinderung der Streubauweise). In den entfernter gelegenen Teilen der Bauzone ist das Bauen vorläufig verboten, doch kann das Gebiet der zweiten Etappe sukzessive in definitives Baugebiet umgewandelt und damit zur Überbauung freigegeben werden (vgl. Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide 1976, S. 277 ff.; THOMAS PFISTERER, Möglichkeiten zur Beschränkung der Baugebiete aus der Sicht vorab des aargauischen Rechts, in: Planen und Bauen in der Nordwestschweiz, 1977, S. 6 ff.). b) Die Gemeinde Tägerig sah in § 30 BZO eine Erschliessungsetappierung vor. Durch die vom Grossen Rat beschlossene Fassung von § 30 BZO wird eine Baugebietsetappierung vorgeschrieben. Die Rüge der Beschwerdeführerin, eine Baugebietsetappierung sei in der aargauischen Baugesetzgebung nirgends ausdrücklich
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vorgesehen, weshalb die vom Grossen Rat getroffene Anordnung der gesetzlichen Grundlage entbehre, dringt, jedenfalls unter dem Gesichtswinkel der Willkür, nicht durch. Wenn die Planungsorgane befugt sind, das Baugebiet auf das für eine zweckmässige Besiedlung erforderliche Mass zu beschränken, so haben sie auch die Möglichkeit, die Bauzone in verschiedene, stufenweise zu überbauende Abschnitte zu unterteilen. Es ist daher davon auszugehen, dass das aargauische Baugesetz sowohl die eine wie die andere Form der Etappierung zulässt (vgl. ZIMMERLIN, a.a.O., N. 6 und 7 zu § 128 BauG, S. 337 ff.). Zu prüfen bleibt, ob die vom Grossen Rat beschlossene Regelung auf vertretbaren Überlegungen beruht und sachlich vor dem Willkürverbot standhält. c) Der Regierungsrat führt in seiner Vernehmlassung aus, dass die Baugebietsfläche von Tägerig nach Auffassung des Grossen Rates zu gross sei. Statt sie auf dem Wege der Auszonung (bzw. Nichteinzonung) zu verkleinern, sei als mildere Massnahme eine Baugebietsetappierung angeordnet worden. Die von der Gemeindeversammlung Tägerig beschlossene Etappierungsvorschrift erscheine dem Grossen Rat wegen ihrer largen Formulierung nicht als ausreichend. Da der Gemeinderat Tägerig schon in drei Fällen provisorisches Baugebiet in definitives umgewandelt habe, ohne dass - wie nach § 30 BZO erforderlich - ein von der kantonalen Behörde genehmigter Überbauungsplan vorgelegen hätte, habe sich der Grosse Rat veranlasst gesehen, die Voraussetzungen für die Etappenumwandlung präziser zu umschreiben. Inwiefern das ausgeschiedene Baugebiet der Gemeinde Tägerig zu gross sein soll, wird in der Vernehmlassung des Regierungsrates, der selber ursprünglich die Genehmigung der kommunalen Bau- und Zonenordnung beantragt hatte, nicht näher ausgeführt. Der Regierungsrat stellt jedoch die Massnahme des Grossen Rates in einen grösseren Zusammenhang. Er weist darauf hin, dass heute im Kanton Aargau gesamthaft ein Baugebiet für 800'000 bis 900'000 Einwohner ausgeschieden sei; da jedoch nach heutiger Prognose der Kanton im Jahre 2000 nur 520'000 Einwohner haben werde, sei das ausgeschiedene Baugebiet eindeutig überdimensioniert. Die planerischen Gegenmassnahmen seien die Auszonung und die Etappierung. Die herkömmliche Erschliessungsetappierung, bei welcher der Grundeigentümer bei Übernahme der Kosten der Basiserschliessung in der zweiten Etappe praktisch beliebig an jeder Stelle bauen
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könne, reiche nicht aus, um die Entwicklung in den Griff zu bekommen und eine unerwünschte und unökonomische Streubauweise zu verhindern. Die vom Grossen Rat beschlossene Etappierungsvorschrift, wonach zunächst nur in der ersten Etappe erschlossen und gebaut werden dürfe und eine Umwandlung von Gebiet der zweiten Etappe in definitives Baugebiet nur bei Vorliegen präzis umschriebener Voraussetzungen im Einvernehmen mit den kantonalen Instanzen erfolgen dürfe, sei ein zweckmässiges Mittel, um sicherzustellen, dass die Ortsplanung der regionalen und kantonalen Richtplanung und dem vom Kanton verfolgten Siedlungskonzept entspreche.
Das Verwaltungsgericht hat sich diesen Überlegungen im wesentlichen angeschlossen und ist ebenfalls zum Schluss gelangt, dass die vom Grossen Rat beschlossene Baugebietsetappierung zulässig sei und den aargauischen Gemeinden zwangsweise auferlegt werden könne. d) Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese Überlegungen entkräften würde. Sie tut insbesondere nicht dar, dass die Verhältnisse in Tägerig derart besonders gelagert seien, dass die von der kantonalen Behörde angestellten grundsätzlichen Erwägungen für diese Gemeinde keine Geltung haben könnten. Dass der Regierungsrat ursprünglich der Meinung war, die von der Gemeinde Tägerig beschlossene Lösung könne ohne Änderungen genehmigt werden, schliesst nicht aus, dass die vom Grossen Rat geforderte Änderung sachlich begründbar und zweckmässig ist. Es erscheint nicht unvernünftig, die kurzfristige Konzentration der Überbauung im definitiven Baugebiet dadurch zusätzlich zu fördern, dass im Baugebiet zweiter Etappe einstweilen nicht gebaut werden darf, solange in der ersten Etappe ausreichend Land zur Verfügung steht. Indem die Gemeinde eine Erschliessungsetappierung vorsah, ging sie selber davon aus, dass zunächst die Überbauung des definitiven Baugebietes wünschbar sei und dass eine Staffelung der Überbauung des übrigen Baugebietes in ihrem eigenen Interesse liege. Der Grosse Rat verstärkte nur die Mittel zur Erreichung dieses Zieles. Die Voraussetzungen, von denen der Grosse Rat die Umwandlung der zweiten Etappe in definitives Baugebiet abhängig macht, sind sachbezogen und geeignet, das angestrebte planerische Ziel zu erreichen. Sie haben für die Gemeinde keine übermässige Einschränkung der baulichen Entwicklung zur Folge. Steht im definitiven Baugebiet nicht
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mehr genügend Bauland zur Verfügung, so kann auch nach der vom Grossen Rat beschlossenen Regelung zusätzliches Baugebiet zur Überbauung freigegeben werden. Ob in Tägerig derartige Umwandlungen schon sehr bald vorgenommen werden müssen, ist ohne Belang. Sollten sich die kantonalen Behörden einem Umwandlungsbegehren in willkürlicher Weise widersetzen, können die Gemeinden oder die betroffenen Grundeigentümer hiegegen die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ergreifen. e) Von einer rechtsungleichen Behandlung könnte nur die Rede sein, wenn der Grosse Rat bei andern Gemeinden, die sich in einer gleichen oder ähnlichen Lage wie Tägerig befinden, eine ganz andere Haltung eingenommen hätte. Dies wurde jedoch nicht dargetan. Der Vergleich mit den Gemeinden, die noch keine Ortsplanung haben, ist nicht stichhaltig.