Urteilskopf

103 IV 289

80. Urteil des Kassationshofes vom 13. September 1977 i.S. X., Y. und Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 289

BGE 103 IV 289 S. 289

Am späteren Vormittag des 27. Dezember 1974 liess sich F. durch den ihm nicht vertrauten Skilift W. hochziehen. Am nächsten Schleppbügel folgten die beiden Knaben A. und
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B. G. Bei der Bergstation angelangt, liess F. den Bügel los, bevor das Gehänge das Umlenkrad passiert hatte. Der Bügel wurde in der Folge um die Schrägstütze des Umlenkrades herumgeschleudert, worauf ein Zug entstand, der das Schleppseil unmittelbar beim Bügel zum Reissen brachte. Das Gehänge schoss nun talwärts gegen die Rollenbatterie des obersten Mastes, wo es sich verklemmte. Dies bewirkte erneut einen Zug, dem der Mast nicht zu widerstehen vermochte. Dieser stürzte um und begrub den sich noch am Skilift befindenden A. G. unter sich, der dadurch getötet wurde. Gegen X., Y. und Z. sowie gegen drei weitere Vorstandsmitglieder des Kur- und Verkehrsvereines W., der die Anlage im Juni 1974 von der Skilift W. AG übernommen und seither selbst betrieben hatte, wurde in der Folge Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Die Staatsanwaltschaft Graubünden warf ihnen vor, sie hätten als für den Betrieb des Skiliftes Verantwortliche pflichtwidrig unterlassen, einen sogenannten Zielwächter zur Beaufsichtigung der Bergstation einzustellen. Wegen dieser Unterlassung habe sich dort niemand befunden, der F. den Bügel hätte abnehmen können bzw. in der Lage gewesen wäre, den Lift durch Betätigen des Nothalteknopfes abzustellen, bevor der oberste Mast umgerissen worden wäre. Der Kreisgerichtsausschuss von Sur-Tasna erklärte die sechs Angeklagten am 11. Dezember 1976 im Sinne der Anklage schuldig und verurteilte sie zu Bussen zwischen 50 und 300 Franken. Hiegegen erhoben die Verurteilten kantonale Berufung, die durch den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden mit Urteil vom 9. März 1977 abgewiesen wurde. X., Y. und Z. führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichtsausschusses sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Beschwerdeführer machen unter Berufung auf die Gutachter H. und I. geltend, das Einstellen eines Zielwächters hätte den Tod von A. G. nur möglicherweise, nicht aber mit der für eine Verurteilung erforderlichen an Sicherheit grenzenden
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Wahrscheinlichkeit, verhindert, da ein Zielwächter durch einen schlecht übergebenen Bügel hätte aktionsunfähig werden können oder die Gefahr unter Umständen nicht erkannt und den Notschalter deshalb nicht bedient hätte. Die Frage, mit welch hoher Wahrscheinlichkeit die von den Beschwerdeführern erwartete, aber unterlassene Handlung den tödlichen Unfall abgewendet hätte, fällt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Rahmen der natürlichen Kausalität (vgl. BGE 102 IV 102; BGE 101 IV 152 E. 2a und 2b). Sie gehört mithin in den Bereich des Tatsächlichen (BGE 101 IV 152 E. 2b mit Hinweisen), der auf Nichtigkeitsbeschwerde hin durch das Bundesgericht nicht überprüft werden kann (Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
und Art. 277bis Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BStP). Auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beschwerdeführer, die nicht etwa behaupten, der Kantonsgerichtsausschuss sei von einem bundesrechtswidrigen Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges ausgegangen, kann daher nicht eingetreten werden.
2. Mit dem Hinweis auf den Umstand, dass der umgestürzte Mast nicht vorschriftsgemäss verankert gewesen sei und dass er ohne diesen Mangel im schlimmsten Falle nur umgebogen worden wäre, versuchen die Beschwerdeführer, die Rechtserheblichkeit des Zusammenhanges zwischen ihrer Unterlassung und dem Tod von A. G. in Zweifel zu ziehen. Zur Annahme eines adäquaten Kausalzusammenhanges ist indessen nicht erforderlich, dass die Pflichtwidrigkeit des ins Recht Gefassten die alleinige und unmittelbare Ursache des Erfolges sei. Es genügt, dass sein schuldhaftes Verhalten geeignet war, nach der Erfahrung des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu den tatsächlich eingetretenen Folgen zu führen (BGE 92 IV 87 mit Hinweis; dazu auch BGE 100 IV 283 f. E. 3d mit Hinweisen). Die Rechtserheblichkeit des Kausalzusammenhanges entfiele im vorliegenden Fall dann, wenn der von den Beschwerdeführern hervorgehobene Materialfehlern so aussergewöhnlich gewesen wäre, dass damit schlechthin nicht gerechnet werden musste (BGE 100 IV 284 mit Hinweisen). Davon kann indessen keine Rede sein. Gewiss war der Verlauf des Unfalles nicht bis in alle Einzelheiten vorauszusehen. Dass jedoch das Fehlen eines Zielwächters, der eine Gefahr rechtzeitig hätte erkennen und die Anlage hätte ausser Betrieb setzen können, zu einer
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Tötung führen konnte, ist nicht so abwegig, dass damit nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht hätte gerechnet werden müssen. Ob eine Person durch einen ungeschickt losgelassenen Bügel hätte am Kopf getroffen werden können, ob ein bei der Bergstation gestürzter ungeübter Skifahrer von einem nachfolgenden Skiliftbenützer hätte angefahren werden und auf diese Art tödliche Verletzungen (beispielsweise schwere Schnittwunden durch die Skikanten) hätte erleiden können, oder ob sich der Unfall so zugetragen habe, wie es tatsächlich geschah, ist für die Frage der Rechtserheblichkeit des Zusammenhanges zwischen der Unterlassung der Beschwerdeführer, einen Zielwächter einzustellen, und dem Tod von A. G. ohne Belang (vgl. BGE 92 IV 88 unten mit Hinweisen).

3. Gemäss Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB macht sich der fahrlässigen Tatbegehung schuldig, wer die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit dann, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet hat, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (dazu BGE 97 IV 171 f. E. 2). Die Beschwerdeführer räumen ein, dass sie in der Vorstandssitzung vom 3. Dezember 1974 darauf aufmerksam gemacht worden seien, es müsse ein Zielwächter postiert werden. Sie machen jedoch geltend, es sei ihnen dabei nicht mit Entschiedenheit vor Augen geführt worden, dass ein solcher aus Gründen der Sicherheit unbedingt notwendig sei. Da sie von der technischen Seite des Betriebes, für den ein mit der Anlage von der früheren Inhaberin übernommenes Vorstandsmitglied verantwortlich erklärt worden sei, nichts verstanden hätten, hätten sie höchstens an die Gefahr leichterer Verletzungen gedacht, nicht aber an einen tödlichen Unfall.
Diese Einwände sind unbehelflich. Bei den drei Beschwerdeführern handelt es sich um Männer, deren ältester im Zeitpunkt des Unfalles erst etwas mehr als 42 Jahre alt war und die alle im Kanton Graubünden aufgewachsen sind. Seit einigen Jahren führt jeder in W. ein Hotel. Dass sie mit dem Skisport und mit den verschiedenen Skiliftsystemen und deren Tücken nicht vertraut gewesen sein sollten, ist angesichts ihrer persönlichen Verhältnisse höchst unwahrscheinlich. Sollten sie anfänglich tatsächlich ahnungslos gewesen sein, müssen sie
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spätestens in der Vorstandssitzung vom 3. Dezember 1974, als ihnen von der Vorschrift, bei der Bergstation einen Zielwächter aufzustellen, Kenntnis gegeben wurde, erkannt haben, dass es um das Ausschalten der Gefahr schwerer Unfälle ging, denn zur Vermeidung nur leichter Verletzungen wäre diese einschneidende Massnahme nicht angeordnet worden. Nach ihrer Intelligenz, Bildung und beruflichen Stellung wären die Beschwerdeführer auf jeden Fall verpflichtet gewesen, sich darüber Gedanken zu machen, so dass ihnen zumindest unbewusste Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.