Urteilskopf

103 Ia 444

67. Urteil vom 16. November 1977 i.S. Rutishauser gegen Grosser Rat des Kantons Thurgau
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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 444

BGE 103 Ia 444 S. 444

Gemäss § 4 lit. d der Kantonsverfassung des Kantons Thurgau (KV, vom 28. Februar 1869) unterliegen der Volksabstimmung "alle Grossratsbeschlüsse, welche eine neue einmalige Gesamtausgabe von mehr als Fr. 400'000.-- oder eine neue jährlich wiederkehrende Verwendung von mehr als Fr. 40'000.-- zur Folge haben, wenn zweitausend Stimmberechtigte innert sechs Wochen seit der Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt es verlangen". Am 28. März 1977 beschloss der Grosse Rat des Kantons Thurgau im Rahmen eines Eventualbudgets einen Kredit von Fr. 540'000.-- für Renovation und Ausbau des Bäckereigebäudes des Kantonsspitals Münsterlingen. Anlässlich der vorausgehenden Beratung stellte Max Rutishauser als Mitglied des Grossen Rates den Antrag, den Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Der Antrag wurde jedoch mit grosser Mehrheit verworfen. Der Kreditbeschluss wurde in der Folge im thurgauischen Amtsblatt publiziert. Gegen den Ausgabenbeschluss und den Beschluss des Grossen Rates, den fraglichen Kredit nicht dem fakultativen Referendum der Stimmbürger zu unterstellen, führt Rutishauser staatsrechtliche Beschwerde. Er rügt eine Verletzung der politischen Rechte gemäss § 4 lit. d KV und beantragt die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse. In der Beschwerdeergänzung wird erläuternd und berichtigend erklärt, der Beschwerdeführer verlange nicht die Aufhebung des Kreditbeschlusses an sich, sondern nur die Aufhebung des Beschlusses, mit dem
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der Kredit dem fakultativen Referendum entzogen worden sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen

Erwägungen:

1. Der strittige Kredit für die Renovation und den Ausbau des Bäckereigebäudes des Kantonsspitals Münsterlingen ist Teil eines Eventualbudgets (Nachtragskredite für Investitionen und Baubeiträge), das der thurgauische Grosse Rat an seiner Sitzung vom 28. März 1977 verabschiedet hat. Nachdem der Beschwerdeführer als Ratsmitglied an dieser Sitzung einen gegenteiligen Antrag gestellt hatte, beschloss der Rat ausdrücklich mit grosser Mehrheit, "diesen Kredit nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen".
Der Grosse Rat macht nun in seiner Vernehmlassung geltend, der Budgetbeschluss habe an sich und im konkreten Fall nur "deklaratorischen Charakter", da gemäss § 39 Abs. 1 Ziff. 3 KV dem Regierungsrat die Aufgabe obliege, das "Staatsvermögen" zu verwalten, wozu auch dessen Erhaltung und Unterhalt gehörten. Ob ein Beschluss des Grossen Rates dem fakultativen oder obligatorischen Referendum unterstehe, ergebe sich - unter Vorbehalt von § 4 Abs. 1 lit. b KV (sog. "fakultativ" fakultatives Referendum auf konstitutiven Beschluss des Grossen Rates hin) - aus der Verfassung (§ 4 Abs. 1 lit. c und d KV), weshalb entsprechende Anordnungen reine Vollzugshandlungen seien, für die der Regierungsrat gemäss § 39 Abs. 1 Ziff. 2 KV zuständig sei. Daher sei auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten, als die Aufhebung der genannten grossrätlichen Beschlüsse verlangt werde. Will der Grosse Rat mit seiner Stellungnahme sagen, der angefochtene Beschluss auf Nichtunterstellung des fraglichen Kredites unter das fakultative Referendum könne nicht Gegenstand der vorliegenden Beschwerde bilden, so kann ihm darin nicht gefolgt werden. Dem Finanzreferendum unterliegen nur neue Ausgaben, selbst wenn dies im anwendbaren Verfassungstext nicht ausdrücklich gesagt wird (BGE 101 Ia 585 E. 2b mit Verweis). Der Entscheid über die Unterstellung oder Nichtunterstellung einer bestimmten Ausgabe unter das (fakultative oder obligatorische) Referendum eröffnet der zuständigen Behörde in der Abgrenzung zwischen neuen und gebundenen Ausgaben einen gewissen Beurteilungsspielraum
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(BGE 102 Ia 459 E. 3a; BGE 101 Ia 136 E. 5; BGE 99 Ia 195) und erfordert eine Auslegung des kantonalen Rechts. Diese Beurteilung steht, wenn das kantonale Recht nicht ausdrücklich eine andere Regelung vorsieht, dem Parlament zu, weil sie über den blossen Vollzug von Gesetzen und Beschlüssen (im Sinne von § 39 Abs. 1 Ziff. 2 KV) hinausgeht. Dies gilt auch für den Kanton Thurgau, wie sich schon aus BGE 99 Ia 188 sinngemäss ergibt. Fraglos hätte der Regierungsrat im vorliegenden Fall nicht unter Berufung auf § 39 Abs. 1 Ziff. 2 KV einen vom grossrätlichen Beschluss abweichenden Entscheid mehr fällen können, sondern war durch ihn gebunden. Er hätte sonst seiner Verpflichtung, den Willen des Parlaments zu vollziehen, gerade zuwidergehandelt. Dies muss zum Schluss führen, dass dem fraglichen Beschluss des thurgauischen Grossen Rates, den umstrittenen Kredit nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen, konstitutiver Charakter zukommt, so dass er im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde sehr wohl angefochten werden kann. - Dem steht nicht entgegen, dass der Regierungsrat in unbestrittenen Fällen ohne weiteres die Unterstellung des Beschlusses unter das Referendum anordnet und publiziert. Es kann bei dieser Sachlage davon ausgegangen werden, dass der Regierungsrat den stillschweigenden Willen des Parlaments vollzieht. Im Falle einer Gutheissung der Beschwerde wäre demnach der grossrätliche Beschluss auf Nichtunterstellung des Kredites unter das fakultative Referendum aufzuheben, und der Regierungsrat als Vollzugsorgan wäre verpflichtet, den Kreditbeschluss unter Ansetzen der sechswöchigen Referendumsfrist im Amtsblatt zu veröffentlichen (§ 4 Abs. 1 lit. d KV). Der Ausgabenbeschluss als solcher ist materiell nicht angefochten. Ob es sich dabei um einen konstitutiven oder nur deklaratorischen Akt des Grossen Rates handelt, entscheidet sich zunächst einmal aufgrund der Beurteilung, ob hier eine neue oder gebundene Ausgabe vorliegt (folgende E. 2 und 3). Konstitutive Bedeutung hätte der Beschluss jedenfalls dann, wenn es sich erweisen sollte, dass es sich um eine neue Ausgabe handelt. Kommt das Bundesgericht zum Schluss, die Ausgabe sei als gebunden zu betrachten, so fragt sich, ob die Ausgabenkompetenz dem Regierungsrat oder dem Grossen Rat (unter Ausschluss des Finanzreferendums) zukommt. Liegt sie beim Regierungsrat, dann kommt dem grossrätlichen
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Beschluss nur deklaratorische Bedeutung zu, liegt sie beim Grossen Rat, dann ist von einer konstitutiven Wirkung auszugehen. Es sind somit an sich beide Möglichkeiten gegeben, und es ist nicht so, dass ein Budgetbeschluss schon aufgrund seiner Rechtsnatur nur deklaratorische Bedeutung haben könnte (BGE 95 I 535 f. E. 3). Für den hier zu treffenden Entscheid ist freilich allein massgebend, ob die fragliche Ausgabe als neu oder gebunden zu betrachten ist, und demzufolge dem Finanzreferendum unterliegt oder nicht. In diesem Sinne ist auf die Beschwerde einzutreten.

2. Als "gebunden" und damit nicht referendumspflichtig gelten nach den vom Bundesgericht aufgestellten allgemeinen Grundsätzen insbesondere jene Ausgaben, die durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfang nach vorgeschrieben sind oder die zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Gebunden ist eine Ausgabe ferner, wenn anzunehmen ist, das Stimmvolk habe mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die aus ihm folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der vom Gemeinwesen mit dem Grunderlass übernommenen Aufgaben gewählt werden. Es kann also auch dann, wenn die Frage, ob eine mit Ausgaben verbundene Aufgabe zu erfüllen ist, weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert ist, das "wie" wichtig genug sein, um die Mitsprache des Volkes zu rechtfertigen. Immer dann, wenn der entscheidenden Behörde in bezug auf den Umfang der Ausgabe, den Zeitpunkt ihrer Vornahme oder andere Modalitäten eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit zusteht, ist von einer "neuen" Ausgabe auszugehen (BGE 102 Ia 459 E. 3a, 467; BGE 101 Ia 133 E. 4, BGE 100 Ia 370 E. 3a, BGE 99 Ia 195, 203 E. 5, 720; BGE 98 Ia 298 E. 3, BGE 97 I 824 E. 4, BGE 96 I 708 E. 3, BGE 95 I 218 E. 3, 536 E. 4; BGE 93 I 624 E. 5; ZBl 78 1977 510 E. 5). Es besteht jedoch kein bundesrechtlicher Begriff der neuen und gebundenen Ausgabe. Von der bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich bei Auslegung des kantonalen Rechts oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis des kantonalen Gesetzgebers eine andere Betrachtungsweise aufdrängt. Denn das Finanzreferendum ist ein Institut
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des kantonalen Verfassungsrechts. Umfang und Ausgestaltung werden durch die Kantonsverfassung bestimmt, und das Bundesgericht wacht als Verfassungsgericht lediglich über die Einhaltung der dem Bürger durch die kantonale Verfassung zugesicherten Mitwirkung. Ist das Finanzreferendum im kantonalen Verfassungsrecht jedoch vorgesehen, so muss es sinnvoll, d.h. unter Berücksichtigung seiner staatspolitischen Funktion gehandhabt und darf nicht durch die kantonale Gesetzgebung und Praxis seiner Substanz entleert werden (BGE 102 Ia 459 E. 3a und b).
3. Es ist zu prüfen, ob der in Frage stehende Kredit nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, eventuell nach einer abweichenden kantonalen Praxis, die vor dem Verfassungsrecht standhält, als gebundene Ausgabe betrachtet werden durfte, so dass er nicht dem Finanzreferendum unterliegt. a) Es stellt sich vorerst die Frage, wieweit die zu erfüllende Aufgabe, der Betrieb einer spitaleigenen Bäckerei und der Unterhalt der hiefür notwendigen Räumlichkeiten, eine Grundlage in der Verfassung und/oder in einem Gesetz hat. Nach § 27 Abs. 2 KV soll für die "Unterbringung von Unbemittelten und unheilbar kranken Personen" eine besondere Anstalt errichtet werden. § 1 des Gesetzes über die Organisation der öffentlichen Krankenanstalten (vom 15. September 1970) bezeichnet das Kantonsspital Münsterlingen und die Kantonale Psychiatrische Klinik Münsterlingen als "kantonale Krankenanstalten". Die verfassungsmässige und gesetzliche Grundlage für den Betrieb dieser Spitäler ist demnach vorhanden. Von der Führung einer spitaleigenen Bäckerei ist im Gesetz nicht die Rede. Da diese jedoch im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes über die Organisation der öffentlichen Krankenanstalten schon bestanden hat, ist anzunehmen, der Gesetzgeber habe sie als zum Spitalbetrieb gehörig betrachtet. Daraus wiederum kann geschlossen werden, die Führung eines spitaleigenen Bäckereibetriebes sei durch den Grunderlass präjudiziert. Fraglich ist demnach einzig, ob und wieweit auch der Umfang der geplanten baulichen Aufwendungen und der Zeitpunkt ihrer Vornahme durch den Betrieb der Bäckerei und damit durch den Grunderlass vorausbestimmt sind. Ist das Kantonsspital Münsterlingen eine "kantonale Krankenanstalt", so ist es mit der dazugehörigen Bäckerei Teil des
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Staatsvermögens, das der Regierungsrat gemäss § 39 Abs. 1 Ziff. 3 KV zu verwalten hat. Darunter fällt sicher auch der Unterhalt der bestehenden Gebäulichkeiten. Insoweit ist auch von dieser Seite her die zu erfüllende Aufgabe durch die Kantonsverfassung präjudiziert. Dagegen stellt sich auch unter diesem Gesichtspunkt wiederum die Frage, ob dem Regierungsrat (bzw. dem Grossen Rat) bei der Wahl der Mittel und des Zeitpunktes ein verhältnismässig grosser Handlungsspielraum zustand, so dass sich nach bundesgerichtlicher Praxis eine Mitwirkung des Volkes über das fakultative Finanzreferendum aufdrängen würde.
b) Das Bundesgericht hat in BGE 77 I 115 E. 3 die Auffassung des solothurnischen Kantonsrates als "vertretbar" und vor der Verfassung haltbar bezeichnet, wonach Ausgaben für den "Unterhalt" von dem Staat gehörenden Gebäuden grundsätzlich nicht dem Finanzreferendum unterliegen. Wenn durch Gesetz oder Volksbeschluss die Erstellung oder der Ankauf eines Gebäudes für staatliche Zwecke bewilligt werde, so habe auch die spätere "Erhaltung" und "Instandhaltung" des Gebäudes als gewollt zu gelten, auch wenn es dafür an einer ausdrücklichen Ermächtigung des betreffenden Staatsorgans fehle. Die Ausgaben müssten sich allerdings auf den Unterhalt beschränken. Eigentliche "Erweiterungs- oder Ergänzungsbauten" fielen nicht darunter, "Umbauten" jedenfalls dann nicht, wenn die Arbeiten nicht der Erhaltung und dem Unterhalt dienen sollen, sondern dazu bestimmt sind, das Gebäude einem neuen Zweck dienstbar zu machen. Zum Begriff des Unterhalts gehöre auch die "Beseitigung unzulänglicher Verhältnisse" für die im Gebäude betriebene Anstalt, d.h. es fielen darunter nicht bloss Massnahmen, die zur Instandstellung oder Erhaltung, sondern auch diejenigen, die zu einer zeitgemässen Erfüllung des dem Gebäude angewiesenen Zweckes nötig seien, veränderten Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Danach umfasse der Unterhalt nicht bloss die ordentliche, laufende Instandhaltung, sondern unter Umständen auch einen einmaligen, aussergewöhnlichen Aufwand für den Unterhalt oder eine Umbaute, mit der keine Zweckänderung des Gebäudes verbunden sei. Auch im Lichte der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre eine kantonale Praxis dieses Inhaltes nicht zu beanstanden, sofern sie mit dem in Frage stehenden kantonalen
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Verfassungsrecht vereinbar ist. Fehlt allerdings eine solche gefestigte Praxis, so ist nach den Grundsätzen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu fragen, ob der zuständigen Behörde bei der Renovation des Gebäudes wesentliche Wahlmöglichkeiten zustanden. Dabei ist mit den im zitierten bundesgerichtlichen Entscheid wiedergegebenen Ausführungen grundsätzlich davon auszugehen, dass der Handlungsspielraum der Behörde bei einer Erweiterung oder Ergänzung bestehender Gebäulichkeiten wesentlich grösser ist als bei blosser Erhaltung oder Instandstellung. Fest steht auch, dass eine bauliche Veränderung verbunden mit einer Änderung des Zweckes, dem das Gebäude dient, den Rahmen blossen Unterhalts sprengt, und entsprechende Ausgaben dem Finanzreferendum zu unterstellen wären, wenn sie nicht aufgrund einer andern Norm als gebunden zu betrachten sind. Dagegen bedeutet die Beibehaltung des bestehenden Zweckes des Gebäudes noch nicht, dass Ausgaben für dessen Instandstellung und Erneuerung notwendigerweise dem Finanzreferendum entzogen sind, weil auch bei dieser Sachlage der Behörde eine mehr oder weniger grosse Handlungsfreiheit zustehen kann (vgl. BGE 95 I 219 E. 4). c) Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Zweck des bestehenden Bäckereigebäudes durch die geplante Renovation in keinerlei Hinsicht geändert werden soll. Die spitaleigene Bäckerei im Erdgeschoss besteht und ist in Betrieb, sie soll bezüglich des Abnehmerkreises nicht erweitert, sondern lediglich den modernen Bedürfnissen angepasst werden. Auch der Personalaufenthaltsraum im Erdgeschoss ist vorhanden, und wird nicht neu geschaffen. Schliesslich befand sich im Obergeschoss seit jeher Wohnraum für das Spitalpersonal. - Der Abbruch des Bäckereigebäudes (mit oder ohne Neubau und Aufgabe des Betriebes), wie ihn der Beschwerdeführer befürwortet, ist angesichts der gegebenen und unveränderten Zwecksetzung keine Alternative zur geplanten baulichen Veränderung, die unter dem Gesichtspunkt der Handlungsfreiheit der Behörde ernsthaft in Betracht zu ziehen wäre. Denn zunächst einmal hat der Gesetzgeber - wie schon ausgeführt - bei der Schaffung der Rechtsgrundlage für die kantonalen Krankenanstalten die Bäckerei als zum Spitalbetrieb gehörig betrachtet; der Regierungsrat (bzw. der Grosse Rat) hat keine Veranlassung, mit einer neuen betrieblichen
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Konzeption darüber hinwegzugehen. Sodann kann bei jeder baulichen Veränderung ein Neubau theoretisch in Betracht gezogen werden, so dass sich von der Tragweite der Entscheidung her immer eine Mitwirkung des Volkes aufdrängen würde, was nicht im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt. Ein Neubau kann deshalb nur dann für die Beurteilung als mögliche Alternative in Betracht kommen, wenn er sich bei den gegebenen Verhältnissen als naheliegende Lösung geradezu aufdrängt, etwa dann, wenn die bestehende Baute völlig oder nahezu wertlos ist. Eine solche Annahme verbietet sich hier schon deshalb, weil die Backstube als "Kernstück des Gebäudes" vor rund zehn Jahren modernisiert worden ist und keiner erneuten Renovation bedarf, somit einen ins Gewicht fallenden Wert darstellt. Die Notwendigkeit einer baulichen Veränderung ist offensichtlich. Das thurgauische Lebensmittelinspektorat toleriert den baulichen Zustand der Betriebsräume und Einrichtungen (mit Ausnahme der Backstube) nur noch auf Zusehen hin. Bei der Beseitigung eines polizeiwidrigen Zustandes kann von einer wesentlichen Entscheidungsfreiheit des verpflichteten Betriebsinhabers nicht die Rede sein. Die Erneuerung des Personalaufenthaltsraumes im Erdgeschoss mag weniger dringlich sein, ihre Kosten fallen aber nur unwesentlich ins Gewicht. Was die Wohnräume im Obergeschoss betrifft, so ist die Darstellung des Beschwerdegegners unbestritten geblieben, dass sie zur Zeit wegen ihres schlechten baulichen Zustandes unvermietbar sind. Können Räumlichkeiten infolge ihres baulichen Zustandes ihre Zweckbestimmung nicht mehr erfüllen, so ist die Notwendigkeit einer Instandstellung oder Erneuerung fraglos gegeben. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, die Erneuerung der verschiedenen Räumlichkeiten sei von unterschiedlicher Dringlichkeit, so dürfte es im Interesse einer wirtschaftlichen Bauweise liegen, die Arbeiten gleichzeitig vorzunehmen. Aufgrund dieser Überlegungen erweist es sich, dass auch der Zeitpunkt der Vornahme der baulichen Veränderung nicht im Belieben des Regierungsrates bzw. des Grossen Rates stand. Das Bäckereigebäude bildet zusammen mit andern Bauten den Hof vor dem früheren Haupteingang zum Kantonsspital Münsterlingen, somit eine bauliche Einheit, die Regierungsrat und Grosser Rat beibehalten wollen. Der Beschwerdeführer
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macht geltend, es fehle eine Gesamtkonzeption für die Erneuerung des westlichen Hofes vor dem Spitalgebäude, der insgesamt renovationsbedürftig sei. Das Mitspracherecht des Stimmbürgers müsse gewahrt werden, weil der hier angefochtene Kredit weitere Ausgaben für bauliche Aufwendungen präjudiziere. Der Einwand geht fehl. Die bauliche Gestaltung des Bäckereigebäudes in seiner äusseren Form und dessen Einordnung in eine Gesamtkonzeption sind aufgrund der gegebenen Verhältnisse vorausbestimmt, die der Regierungsrat und der Grosse Rat grundsätzlich beibehalten wollen. Eine völlige Neugestaltung des Bäckereigebäudes bei fehlender Einordnung in das Bestehende würde neue, für den Stimmbürger nicht voraussehbare Ausgaben bedingen, nicht die Erhaltung und Erneuerung des Bestehenden bedeuten, die dem Regierungsrat verfassungsmässig obliegen. Der Abbruch und Neubau des Gebäudes im Rahmen einer Neukonzeption auch der umliegenden Bauten ist daher keine Alternative, die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen wäre. Was das Innere des Gebäudes betrifft, so wird der Umfang der Aufwendungen für die Modernisierung des Bäckereibetriebes weitgehend durch die gegebenen sachlichen Bedürfnisse und die unveränderte Kapazität vorausbestimmt, so dass von einer wesentlichen Entscheidungsfreiheit des Regierungsrates bzw. des Grossen Rates keine Rede sein kann. Das gleiche gilt für die Aufwendungen für den Aufenthaltsraum im Erdgeschoss, die sich auf eine blosse Instandstellung beschränken. Grösser sind die Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung des Wohnraumes im Obergeschoss. Hier soll auch die räumliche Einteilung geändert werden, so dass von einem eigentlichen Umbau gesprochen werden muss. Fraglos hätte der Regierungsrat in diesem Bereich bezüglich Raumeinteilung und Ausstattung anders oder mehr im Sinne der Erhaltung des Bestehenden, und entsprechend teurer oder billiger bauen können. Auf der andern Seite aber ist die bauliche Gestaltung des Obergeschosses doch auch wieder in beträchtlichem Masse durch die gegebene und unveränderte Zweckbestimmung (Wohnraum für das Personal) und die zwar veränderlichen, aber in einem bestimmten Zeitpunkt doch wieder mehr oder weniger feststehenden Anforderungen an die Ausstattung von Wohnraum vorausbestimmt. Der Verwaltung als sachkundiges Organ muss hier ein gewisses Ermessen eingeräumt werden,
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selbst wenn sich die Art der Betätigung in einem gewissen Ausmass auf die Höhe der Kosten auswirkt. Von einer wesentlichen Ermessensfreiheit aber kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden. Der Beschwerdeführer legt auch nicht dar, inwiefern eine andere Gestaltung zu einer ins Gewicht fallenden Kostenreduktion geführt hätte. Selbst wenn man nun aber zur Auffassung neigen wollte, die dem Regierungsrat bzw. dem Grossen Rat beim Ausbau des Obergeschosses zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten könnten eine Unterstellung des Kredites unter das fakultative Finanzreferendum rechtfertigen, so müsste doch die bestehende und vom Beschwerdegegner im einzelnen nachgewiesene kantonale Praxis, wonach Umbau- und Renovationskredite für staatliche Gebäude nicht dem Finanzreferendum unterstehen, zum gegenteiligen Schluss führen. Demnach sind seit dem Jahre 1961 nicht weniger als zehn Kredite dieser Art in einer Höhe von Fr. 400'000.-- und mehr nicht als referendumspflichtig betrachtet worden. Eine solche Praxis ist mit dem kantonalen Verfassungsrecht vereinbar und hält auch vor dem Bundesrecht stand (BGE 77 I 115 E. 3); sie würde sodann auch abweichenden Grundsätzen vorgehen, die das Bundesgericht für die Abgrenzung von neuen und gebundenen Ausgaben aufgestellt hat (oben E. 2). Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was die Darstellung des Beschwerdegegners in dieser Hinsicht entkräften könnte, so dass von einer feststehenden und bisher unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis des kantonalen Gesetzgebers (BGE 102 Ia 459 f. E. 3a) ausgegangen werden kann. Aus all diesen Gründen durfte der thurgauische Grosse Rat, ohne Verfassungsrecht zu verletzen, zum Schluss kommen, der fragliche Kredit für Renovation und Ausbau des Bäckereigebäudes des Kantonsspitals Münsterlingen sei eine gebundene Ausgabe und unterliege dem fakultativen Finanzreferendum nicht. Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob dem Budgetbeschluss des Grossen Rates als solchem konstitutive oder nur deklaratorische Bedeutung zukommt. An sich hat der thurgauische Regierungsrat eine allgemeine Ausgabenkompetenz nur bis Fr. 10'000.--, was grundsätzlich auch im Spitalbereich Gültigkeit hat (§ 39 Abs. 3 KV). Anderseits obliegt ihm gemäss § 39 Abs. 1 Ziff. 3 KV die "Verwaltung" des Staatsvermögens,
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was mit entsprechenden, eventuell darüber hinausgehenden Aufwendungen verbunden ist. Für die Beantwortung der Frage, ob dem Regierungsrat oder dem Grossen Rat letztlich die Entscheidung bezüglich des vorliegenden Kredites zukommt, ist somit massgebend, ob sie auf die allgemeine Ausgabenkompetenz des Grossen Rates bezüglich Staatsbauten (§ 36 lit. h KV, vgl. auch lit. k betreffend Budgetrecht) oder die Zuständigkeit des Regierungsrates zur Verwaltung des Staatsvermögens (§ 39 Abs. 1 Ziff. 3 KV) abgestützt wird. Angesichts der Tatsache, dass die vorzunehmende bauliche Veränderung über den blossen Unterhalt des bestehenden Gebäudes hinausgeht und wohl deshalb mit einem besonderen Beschluss im Rahmen des Budgets dem Grossen Rat vorgelegt worden ist, neigt das Bundesgericht zur Auffassung, dass die Ausgabenkompetenz beim Grossen Rat liegt. Schliesslich muss auch nicht entschieden werden, ob die vom Beschwerdegegner eventualiter vorgenommene Aufspaltung des strittigen Kredites in einen neuen Ausgabenteil (Obergeschoss) und einen gebundenen Ausgabenteil (Bäckerei) vor dem Verfassungsrecht standhält.