Urteilskopf

102 Ia 31

7. Auszug aus dem Urteil vom 3. März 1976 i.S. Schlecht gegen Kanton Basel-Landschaft und dessen Steuerrekurskommission.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 32

BGE 102 Ia 31 S. 32

Frau Anna Schlecht in Münchenstein veräusserte am 29. März 1972 50 geerbte Namenaktien der Agruma AG Basel. Die Steuerverwaltung des Kantons Baselland besteuerte den dabei erzielten Kapitalgewinn bei der Einkommenssteuerberechnung für das Steuerjahr 1973 nach den Regeln des Gesetzes über die kantonalen Steuern vom 7. Juli 1952 (aStG) und des auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Gesetzes über die befristete Besteuerung von Steuereinkommen über Fr. 80'000.-- (Reichtumssteuergesetz). Frau Schlecht rekurrierte gegen die Veranlagung erfolglos an die Steuerrekurskommission Baselland. Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt sie, deren Entscheid sei aufzuheben.
Erwägungen

Aus der Erwägungen:

3. Die Beschwerdeführerin behauptet, die Anwendung des erst auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Reichtumssteuergesetzes auf ihren im Jahre 1972 erzielten Kapitalgewinn komme einer unzulässigen Rückwirkung gleich. Das Bundesgericht hat im abstrakten Normenkontrollverfahren verneint, dass das Reichtumssteuergesetz allgemein rückwirkenden Charakter habe, hat aber offen gelassen, ob nicht im einzelnen Steuerfall eine unzulässige Rückwirkung eintreten könne, und bemerkt, es könnte ihr allenfalls durch eine verfassungsmässige Auslegung von § 7 des Reichtumssteuergesetzes begegnet werden (BGE 99 Ia 657 f. E. 11).
a) Das Bundesgericht hat wiederholt festgestellt, von Rückwirkung eines Steuergesetzes könne nur gesprochen werden,
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wenn die Rechtsfolge der Steuerpflicht an Tatbestände anknüpfe, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegen, nicht aber auch dann, wenn lediglich der Umfang der Steuerpflicht nach Tatsachen bestimmt werde, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten seien (BGE 74 I 104mit Verweisungen, BGE 101 Ia 85 f. E. 2). Mit dieser Formel soll zum Ausdruck gebracht werden, dass ein neues Steuergesetz für die Bestimmung des nach seinem Inkrafttreten vorhandenen Steuerobjektes auf die Jahre vor dem Inkrafttreten als Bemessungsgrundlage zurückgreifen darf. Die Praenumerandobesteuerung des Einkommens beruht ja auf dem methodischen Grundsatz, dass das zu besteuernde Einkommen der Veranlagungsperiode nach dem in den vorangehenden Jahren (Bemessungsperiode) erzielten Einkommen festgelegt wird. Diese heute allgemein übliche Methode ist nach der erwähnten Bundesgerichtspraxis auch bei einem Wechsel der Gesetzgebung zulässig. Vor dem Inkrafttreten der neuen Steuervorschriften eingetretene Tatsachen dürfen als Elemente der Bemessung verwendet werden, wenn es darum geht, das Steuerobjekt zu bestimmen. b) Von der Bemessung der ordentlichen Einkommenssteuer aufgrund der in der Bemessungsperiode erzielten Einkünfte ist die Besteuerung der Kapitalgewinne zu unterscheiden. In den meisten Kantonen werden nur die Grundstückgewinne durch eine Spezialeinkommenssteuer erfasst. Einige Kantone belegen sowohl Gewinne auf beweglichem wie auch unbeweglichem Privatvermögen mit Spezialsteuern. Schliesslich gibt es Kantone, die - wie bisher Baselland (§ 11 Abs. 3 Satz 2 und § 12 aStG) - private Gewinne als Einkommen besteuern. Werden Vermögensgewinne bei der Praenumerandobesteuerung irgendwie in die ordentliche Einkommensbesteuerung einbezogen, so stellt dies eine klare Abweichung vom methodischen Grundgedanken dar, dass das laufende Einkommen der Steuerperiode, welches das eigentliche Steuerobjekt bildet, nach den aus den Vorjahren sich ergebenden Elementen zu bemessen sei; denn der ausserordentliche Kapitalgewinn hat einmaligen Charakter und wird sich in der Steuerperiode nicht Wiederholen. Der Einbezug in die Besteuerung des Einkommens ist ein Notbehelf; man will auf diese Weise den einmaligen Vermögenszugang steuerlich erfassen, ohne eine eigentliche Spezialsteuer schaffen zu müssen, verlässt aber dabei die
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Grundidee der Schätzung des laufenden Einkommens nach dem Einkommen der Vorjahre. Meistens wird der Kapitalgewinn indessen auch bei diesem System nicht einfach den übrigen Einkommensbestandteilen gleichgestellt, sondern erfährt eine spezielle Behandlung. Dies ist auch nach dem alten StG der Fall: Gemäss § 29 werden private Vermögensgewinne bei der Bestimmung des Steuersatzes nur zur Hälfte angerechnet. Gemäss § 12 werden Vermögensgewinne und andere ausserordentliche Einkünfte, die während der Dauer der Steuerpflicht erzielt worden sind, in jedem Fall für ein volles Jahr besteuert. Hört die Steuerpflicht auf, so wird eine Sondersteuer erhoben.
Die Steuer auf den Vermögensgewinnen ist somit nicht ein Bestandteil der ordentlichen Einkommenssteuer, sondern im Grunde eine mit der Einkommensbesteuerung verknüpfte Spezialbesteuerung. Die Spezialsteuer wird allerdings nach altem Recht im Rahmen der ordentlichen Besteuerung des Einkommens (unter Anwendung eines reduzierten Steuersatzes) erhoben, soweit dies möglich ist. Bei Aufhören der Steuerpflicht tritt der Charakter der Sondersteuer klar hervor. Auch wenn die Beschwerdeführerin 1973 nicht mehr im Kanton Baselland steuerpflichtig gewesen wäre, hätte dieser den 1972 erzielten Vermögensgewinn gemäss § 12 aStG besteuert.
c) Es ergibt sich also deutlich, dass die Berücksichtigung des Vermögensgewinnes bei der Berechnung der Einkommenssteuer nicht ein gewöhnliches Element für die Bemessung des in der Veranlagungsperiode zu erfassenden Einkommens bildet, sondern dass auf diesem Wege einfach ein im Vorjahr erzielter Kapitalgewinn als ein gewissen Sondervorschriften unterliegendes "Akzessorium" des ordentlichen Einkommens besteuert wird, sofern die Steuerpflicht weiterhin besteht. Hört die Steuerpflicht auf, so erhebt der Kanton Baselland auf dem vorher eingetretenen Kapitalgewinn eine entsprechende Sondersteuer.
Da somit die Berücksichtigung des Vermögensgewinnes nicht der Bestimmung des Umfanges der Steuerpflicht für die Veranlagungsperiode aufgrund von Tatsachen aus dem Vorjahr dient, sondern den abgeschlossenen Tatbestand des Vermögensgewinnes (im "Anhang" an die Einkommenssteuer) einer speziellen Besteuerung unterwirft, stellt im vorliegenden Fall die Anwendung des Reichtumssteuergesetzes eine unzulässige Rückwirkung dar. Es ist auch unbestritten, dass diese
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Rückwirkung weder ausdrücklich angeordnet worden ist (vgl. § 7 Reichtumssteuergesetz und BGE 99 Ia 657 E. 11) noch sich aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes als klar gewollt ergibt. Grundlage der Besteuerung ist nicht die Annahme, die Beschwerdeführerin werde nach Inkrafttreten des Reichtumssteuergesetzes wiederum einen entsprechenden Vermögensgewinn machen, sondern der abgeschlossene Tatbestand der Gewinnerzielung wird nachträglich besteuert. Anzuwenden ist daher das im Zeitpunkt der Erzielung dieses Kapitalgewinnes geltende Recht.