6B_981/2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B 981/2009

Urteil vom 25. Februar 2010
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrichterin
Jacquemoud-Rossari.
Gerichtsschreiber Briw.

Parteien
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X._________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ambulante Behandlung, Aufschub der Freiheitsstrafe,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. August 2009.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Zürich fand X._________ am 28. August 2008 schuldig des Verbrechens gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 2
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
, 4
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
und 5
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19 - 1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer:
i.V.m. Ziff. 2 lit. a und c BetmG, der mehrfachen Übertretung von Art. 19a Ziff. 1
SR 812.121 Bundesgesetz vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG) - Betäubungsmittelgesetz
BetmG Art. 19a - 1. Wer unbefugt Betäubungsmittel vorsätzlich konsumiert oder wer zum eigenen Konsum eine Widerhandlung im Sinne von Artikel 19 begeht, wird mit Busse96 bestraft.
BetmG sowie der mehrfachen Tätlichkeit (Art. 126 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 126 - 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.
i.V.m. Abs. 2 lit. c StGB). Es sprach ihn vom Vorwurf der Geldwäscherei frei. Es bestrafte ihn mit unbedingten Freiheits- und Geldstrafen sowie mit Busse. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zwecks ambulanter Behandlung auf.

Im Appellationsverfahren stellte das Obergericht des Kantons Zürich am 28. August 2009 u.a. fest, die bezirksgerichtlichen Schuldsprüche seien rechtskräftig geworden. Von der Anklage der Geldwäscherei sprach es ihn ebenfalls frei. Es bestrafte ihn mit 2¾ Jahren Freiheitsstrafe (wovon 75 Tage durch Untersuchungshaft erstanden waren) und Fr. 3'000.-- Busse, teilweise als Zusatzstrafe zu einem Strafbefehl vom 3. März 2004. Es ordnete die ambulante Behandlung psychischer Störungen sowie eine Suchtbehandlung (Art. 63
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB) an und vermerkte, dass er sich bereits im vorzeitigen Massnahmevollzug befand. Den Vollzug der Freiheitsstrafe sowie die mit Strafbefehl vom 3. März 2004 bedingt aufgeschobene Strafe von 90 Tagen Gefängnis, die es für vollziehbar erklärte, schob es zum Zwecke des Massnahmevollzugs auf.

B.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die ambulante Massnahme aufzuheben und die Freiheitsstrafe zu vollziehen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 63
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB (i.V.m. Art. 56 Abs. 1 lit. c
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 56 - 1 Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn:
StGB). Die Voraussetzungen einer Massnahme und des Strafaufschubs seien nicht gegeben.

1.1 Die Vorinstanz stellt fest, das überzeugende psychiatrische Gutachten diagnostiziere eine Kokainsucht (wobei der Beschwerdegegner aktuell drogenfrei lebe; ICD-10 F14.2) und eine neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Charakterneurose (ICD-10 F60.9). Es sei grundsätzlich von einer Rückfallgefahr auszugehen, insbesondere wegen der nur "anbehandelten" charakterneurotischen Anlage. Eine psychotherapeutische Behandlung sei angebracht. Der Gutachter bejahe eine Rückfallgefahr klar, falls die Drogensucht nicht behandelt werde. Seine heutige Abstinenz führe nicht zur Verneinung der Massnahmebedürftigkeit. Sonst würde schlechter gestellt, wer bereits vor der Gerichtsverhandlung seine Sucht angehe.

Sie begründet den Vollzugsaufschub einerseits mit der gutachterlich festgestellten Kernstörung der Neurose, die in einer konflikthaften Autoritätsproblematik liege, welche in der Haft noch konsolidiert würde, und andererseits damit, dass der Beschwerdegegner sich beruflich und familiär aufgefangen habe. Der Strafvollzug brächte eine Destabilisierung mit sich. Er unterziehe sich seit Oktober 2007 einer Psychotherapie, welche inzwischen als Massnahme geführt werde. Deren Weiterführung sei sehr wichtig.

1.2 Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB kann eine ambulante Behandlung angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Gemäss Art. 63 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB kann das Gericht eine Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Dabei ist auch unter dem neuen Recht vom Ausnahmecharakter des Strafaufschubs auszugehen. Eine ambulante Massnahme und entsprechend der damit verbundene mögliche Aufschub der Strafe bedürfen einer besonderen Rechtfertigung (Urteil 6B 724/2008 vom 19. März 2009, E. 3.2.3 mit Hinweis auf BGE 129 IV 161 E. 4.1 und 4.3).
1.2.1 Die Anordnung einer Massnahme bedeutet zugleich eine ungünstige Prognose, so dass eine gleichzeitig ausgefällte Strafe nicht gemäss Art. 42
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 42 - 1 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten.33
(bedingt) oder Art. 43
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 43 - 1 Das Gericht kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens drei Jahren teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen.37
StGB (teilbedingt) aufgeschoben werden kann (Urteil 6B 141/2009 vom 24. September 2009 E. 1).
1.2.2 Die vier Vorstrafen stehen im Zusammenhang mit Verkehrsregelverletzungen, und auch der Kokainhandel diente u.a. der Finanzierung eines Luxusautos. Die persönlichen Verhältnisse, die berufliche Entwicklung sowie das Bestreben um Weiterbildung sind günstige Voraussetzungen einer Massnahme. Er war geständig und hatte sich schon vor Anordnung der Massnahme in psychiatrische Behandlung begeben. Die Vorinstanz beurteilt die Weiterführung der Therapie nachvollziehbar als sehr wichtig (angefochtenes Urteil S. 20 mit Hinweis auf den Arztbericht vom 1. Juli 2009, act. 93).

Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass der psychiatrische Befund als "schwere" Störung im Sinne von Art. 63 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB qualifiziert werden kann. Die "psychisch schwere Störung" ist eine psychiatrische Indikation. Das Gesetz verweist dafür ausdrücklich auf die lex artis der ärztlichen Wissenschaften (BGE 127 IV 154 E. 3d). Vom Gutachten kann nicht ohne triftige Gründe abgewichen werden. Der psychiatrische Befund unterliegt indessen der normativen Wertung durch das Gericht. Die von der Rechtsprechung geforderte nähere Qualifizierung der "Persönlichkeitsstörung" und ihres symptomatischen Zusammenhangs mit der Tat wird vom Gutachten geleistet. Eine Behandlung ist angezeigt. Die Störung gründet in der Lebensgeschichte und den Erziehungsverhältnissen, die zu einer "Behinderung und Verbiegung seiner Persönlichkeitsentwicklung" (Gutachten S. 46) geführt hatten. Der Beschwerdegegner hatte die in der Pubertät und Frühadoleszenz anstehenden Entwicklungsschritte nicht bewältigen können. Ein Scheitern der Therapie würde die Legalprognose nachhaltig verschlechtern.
1.2.3 Diese tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung würde bei einem Strafvollzug erheblich beeinträchtigt. Eine sofortige Behandlung bietet sehr gute Resozialisierungschancen. Es liegt auf der Hand, dass ein Rückfall in den Kokainkonsum die Gefahr des Drogenhandels mit sich bringt. Dass es aufgrund der "neurotischen Verstrickung in seine innerlich fixierten Autoritätskonflikte" in Zukunft "irgendwelche Delikte" (so das Gutachten S. 50) sein könnten, erscheint nachvollziehbar. Auch für die Beschwerdeführerin ist klar, dass ein Strafvollzug eine Autoritätsproblematik mit sich bringen kann. Wie sie ausführt, war der Beschwerdegegner bis zu seiner Verhaftung gesellschaftlich integriert, immer berufstätig und in normalen familiären Verhältnissen. Diese Normalität war aber durch die Persönlichkeitsstörung gebrochen, welche sich in den strafbaren Handlungen zeigte. Es ist daher entgegen der Beschwerdeführerin ersichtlich, worin die besondere Rückfallgefahr liegt und auch, worin die Vordringlichkeit der Behandlung besteht, nämlich in der therapeutisch unterstützten Überwindung der Entwicklungsdefizite. Die tatsächlichen Anstrengungen des zur Einsicht gelangten Beschwerdegegners lassen sich nicht als blosse bekenntnishafte
Aussagen zur Vermeidung des Strafvollzugs interpretieren. Der Aufschub des Strafvollzugs (Art. 63 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
StGB) lässt sich aus Gründen der Heilbehandlung rechtfertigen (BGE 129 IV 161 E. 4.1). Der Beschwerdegegner kommt gut weg. Darin liegt keine Ermessensverletzung der Vorinstanz.

2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind weder Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG) noch Entschädigungen auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Februar 2010

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Briw