Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C 311/2021

Urteil vom 23. September 2021

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Amanda Guyot,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 31. März 2021 (IV 2020/35).

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene A.________ meldete sich im November 2014 unter Hinweis auf psychische Störungen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach beruflichen Massnahmen, Abklärungen - insbesondere Einholung des psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. B.________ vom 30. November 2017 und des bidisziplinären (psychiatrisch/orthopädisch) Gutachtens der Dres. med. B.________ und C.________ vom 23. Juli 2018 - und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 15. Januar 2020 einen Rentenanspruch.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 31. März 2021gut; es hob die Verfügung vom 15. Januar 2020 auf und sprach A.________ eine halbe Invalidenrente ab dem 1. Mai 2015zu.

C.
Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des Entscheids vom 31. März 2021 und die Bestätigung ihrer Verfügung vom 15. Januar 2020. Ferner ersucht sie um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.

A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und unentgeltliche Rechtspflege beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 42 Rechtsschriften - 1 Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
1    Rechtsschriften sind in einer Amtssprache abzufassen und haben die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
2    In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt oder aus anderen Gründen ein besonders bedeutender Fall vorliegt, so ist auszuführen, warum die jeweilige Voraussetzung erfüllt ist. 14 15
3    Die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat; richtet sich die Rechtsschrift gegen einen Entscheid, so ist auch dieser beizulegen.
4    Bei elektronischer Einreichung muss die Rechtsschrift von der Partei oder ihrem Vertreter beziehungsweise ihrer Vertreterin mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 201616 über die elektronische Signatur versehen werden. Das Bundesgericht bestimmt in einem Reglement:
a  das Format der Rechtsschrift und ihrer Beilagen;
b  die Art und Weise der Übermittlung;
c  die Voraussetzungen, unter denen bei technischen Problemen die Nachreichung von Dokumenten auf Papier verlangt werden kann.17
5    Fehlen die Unterschrift der Partei oder ihrer Vertretung, deren Vollmacht oder die vorgeschriebenen Beilagen oder ist die Vertretung nicht zugelassen, so wird eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels angesetzt mit der Androhung, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibt.
6    Unleserliche, ungebührliche, unverständliche, übermässig weitschweifige oder nicht in einer Amtssprache verfasste Rechtsschriften können in gleicher Weise zur Änderung zurückgewiesen werden.
7    Rechtsschriften, die auf querulatorischer oder rechtsmissbräuchlicher Prozessführung beruhen, sind unzulässig.
. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 97 Unrichtige Feststellung des Sachverhalts - 1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
1    Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.86
, Art. 105 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG).

2.
Im angefochtenen Entscheid wurden die rechtlichen Grundlagen für den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 7 f
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 7 Erwerbsunfähigkeit - 1 Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt.
1    Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt.
2    Für die Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit sind ausschliesslich die Folgen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Eine Erwerbsunfähigkeit liegt zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist.11
. ATSG und Art. 28
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 28 Grundsatz - 1 Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
1    Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, die:
a  ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b  während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG206) gewesen sind; und
c  nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid (Art. 8 ATSG) sind.
1bis    Eine Rente nach Absatz 1 wird nicht zugesprochen, solange die Möglichkeiten zur Eingliederung im Sinne von Artikel 8 Absätze 1bis und 1ter nicht ausgeschöpft sind.207
2    ...208
IVG), zur Invaliditätsbemessung (Art. 16
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 16 Grad der Invalidität - Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre.
ATSG) sowie zur Bedeutung und Beweiskraft medizinischer Unterlagen (BGE 125 V 256 E. 4; 125 V 351 E. 3a) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch der vorinstanzliche Hinweis, wonach die Einschränkungen infolge psychischer Erkrankungen grundsätzlich anhand systematisierter Indikatoren zu beurteilen sind (BGE 141 V 281; 143 V 418). Darauf wird verwiesen.

3.
Im bidisziplinären Gutachten vom 23. Juli 2018 stellten die Dres. med. B.________ und C.________ folgende Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit: chronisches zervikozephales Schmerzsyndrom ohne Radikulopathie (ICD-10: M35.0); Belastungs- und Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks (ICD-10: M57.4); medial betonte Gonarthrose des rechten Kniegelenks (ICD-10: M17.1); chronifizierte, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig und im Verlauf überwiegend mittelgradig (ICD-10: F33.8). In somatischer Hinsicht hielten die Experten die angestammte Tätigkeit für nicht mehr, hingegen leidensadaptierte (d.h. körperlich leichte bis intermittierend mittelschwere, wechselbelastende, überwiegend sitzend auszuübende) Arbeiten für uneingeschränkt zumutbar. Unter psychischen Aspekten attestierten sie eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % vom Mai 2014 bis November 2017 und von 70 % ab Dezember 2017.

Die Vorinstanz hat diesem Gutachten in Bezug auf den medizinischen Sachverhalt Beweiskraft beigemessen; von den ärztlichen Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit ist sie lediglich insoweit abgewichen, als sie zwischen November und Dezember 2017 keine Zustandsverschlechterung eruieren konnte. Dementsprechend hat sie festgestellt, der Versicherte sei seit der "Krankschreibung" vom 27. Mai 2014 - abgesehen von Zeiten stationärer und teilstationärer Behandlungen - in leidensangepassten Tätigkeiten zu 50 % arbeitsfähig. Sodann hat sie mittels eines Prozentvergleichs den Invaliditätsgrad auf 50 % festgelegt und den Anspruch auf eine halbe Invalidenrente ab Mai 2015 bejaht.

4.

4.1. Umstritten ist einzig, ob die vom psychiatrischen Experten Dr. med. B.________ attestierte Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf einen Rentenanspruch von rechtlicher Relevanz ist. Die IV-Stelle verneint dies, indem sie im Wesentlichen argumentiert, Dr. med. B.________ sei ausdrücklich von einem bio-psycho-sozialen Krankheitsbild ausgegangen, und das Beschwerdebild sei massgeblich durch psychosoziale und soziokulturelle Faktoren geprägt. Nach Darstellung des Gutachters würde deren Wegfallen zu einer weitgehenden Besserung der gesundheitlichen Störung führen, weshalb von vornherein nicht von einem verselbstständigten, rechtlich relevanten Gesundheitsschaden auszugehen sei.

4.2. Der im Hinblick auf Rentenleistungen der Invalidenversicherung geltende enge (bio-psychische) Krankheitsbegriff klammert soziale Faktoren so weit aus, als es darum geht, die für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit kausalen versicherten Faktoren zu umschreiben. Die funktionellen Folgen von Gesundheitsschädigungen werden hingegen auch mit Blick auf psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren abgeschätzt, welche den Wirkungsgrad der Folgen einer Gesundheitsschädigung beeinflussen (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1 mit Hinweisen). Soweit soziale Belastungen direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, bleiben sie ausgeklammert, gilt es doch sicherzustellen, dass gesundheitlich bedingte Erwerbsunfähigkeit zum einen (Art. 4 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 4 Invalidität - 1 Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
1    Die Invalidität (Art. 8 ATSG46) kann Folge von Geburtsgebrechen, Krankheit oder Unfall sein.47
2    Die Invalidität gilt als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat.48
IVG) und nicht versicherte Erwerbslosigkeit oder andere belastende Lebenslagen zum andern nicht ineinander aufgehen (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 mit Hinweis auf BGE 127 V 294 E. 5a; vgl. auch BGE 143 V 409 E. 4.5.2). Psychosoziale Belastungsfaktoren können jedoch mittelbar zur Invalidität beitragen, wenn und soweit sie zu einer ausgewiesenen Beeinträchtigung der psychischen Integrität als solcher führen, welche ihrerseits eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bewirkt, wenn sie einen verselbstständigten
Gesundheitsschaden aufrechterhalten oder den Wirkungsgrad seiner Folgen verschlimmern (Urteile 9C 10/2021 vom 15. Juni 2021 E. 3.3.1; 8C 559/2019 vom 20. Januar 2020 E. 3.2 mit Hinweis; vgl. auch Urteil 8C 407/2020 vom 3. März 2021 E. 4.1).

Da die Invalidenversicherung finalen, nicht kausalen Charakter hat, ist die Ursache einer einwandfrei festgestellten psychischen Erkrankung invalidenversicherungsrechtlich nicht von Bedeutung. Es braucht für die Annahme einer Invalidität ein medizinisches Substrat, das (fach-) ärztlicherseits schlüssig festgestellt wird und nachgewiesenermassen die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt (Urteile 8C 407/2020 vom 3. März 2021 E. 4.2; 8C 207/2020 vom 5. August 2020 E. 5.2.2; vgl. auch BGE 127 V 294 E. 5a).

4.3. Die Vorinstanz hat gestützt auf die Beurteilungen des Dr. med. B.________ und unter Berücksichtigung der gesamten Aktenlage festgestellt, psychosoziale Faktoren - namentlich die Kündigung des langjährigen Anstellungsverhältnisses im Mai 2014 und die Problematik im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung von der Ehefrau - hätten zur Entstehung und Aufrechterhaltung der ärztlich diagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung beigetragen oder seien allenfalls gar Hauptursachen für deren Entstehung gewesen. Dr. med. B.________ habe aber ein eigenständiges medizinisches Substrat mit funktionellen Auswirkungen schlüssig festgestellt und dargelegt, dass sich eine im Klassifizierungssystem des ICD-10 gelistete psychische Störung entwickelt habe. Mehrere Ärzte (so auch Dr. med. D.________ vom Regionalen Ärztlichen Dienst und der behandelnde Psychiater Dr. med. E.________) hätten e inen verselbstständigten Gesundheitsschaden attestiert.

4.4.

4.4.1. Die IV-Stelle macht nicht geltend, und es ist auch nicht ersichtlich, dass die soeben wiedergegebenen vorinstanzlichen Feststellungen offensichtlich unrichtig (unhaltbar, willkürlich: BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen; Urteil 9C 84/2021 vom 2. August 2021 E. 2) sein sollen, oder dass die Diagnose einer chronifizierten, rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig und im Verlauf überwiegend mittelgradig (ICD-10: F33.8), vom psychiatrischen Gutachter nicht lege artis gestellt worden wäre.

4.4.2. Entgegen der Auffassung der IV-Stelle lässt sich in concreto ein verselbstständigter Gesundheitsschaden nicht einzig mit dem Argument verneinen, die gesundheitliche Störung würde sich verbessern oder möglicherweise ganz entfallen, wenn die psychosozialen und soziokulturellen Belastungsfaktoren wegfielen. Solche Faktoren und ihre Entwicklung sind mit Blick auf die Komplexe "Persönlichkeit" und "sozialer Kontext" (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.3.2 und 4.3.3) bei der Beurteilung von Einschränkungen infolge psychischer Erkrankungen grundsätzlich stets zu berücksichtigen. Dem trug Dr. med. B.________ Rechnung, indem er zwar ausführte, dass die Depression ohne die genannten Faktoren "deutlich schwächer" ausfiele, aber gleichzeitig darlegte, dass sich der Versicherte diesen nicht entziehen könne. Zudem konnte der Experte weder die zu erwartende Verbesserung quantifizieren noch sagen, ob die seit Jahren in mittelgradiger Ausprägung bestehende depressive Störung "komplett sistieren würde".

Aus der von der Beschwerdeführerin angerufenen Rechtsprechung ergibt sich nichts zu ihren Gunsten. Im Urteil 9C 194/2017 vom 29. Januar 2018 E. 6.3.4 wurde ein verselbstständigter Gesundheitsschaden nicht verneint, vielmehr wurde den psychosozialen Verhältnissen bei der Würdigung der Indikatoren gemäss BGE 141 V 281 Rechnung getragen. Auch im Urteil 9C 740/2018 vom 7. Mai 2019 E. 5 standen psychosoziale Faktoren der Annahme eines relevanten Leidens nicht entgegen. Im Urteil 9C 171/2020 vom 12. Mai 2020 E. 5.1 wurde - anders als hier - bereits im zugrunde liegenden, als beweiskräftig erachteten Gutachten eine eigenständige Störung verneint. Im Urteil 8C 582/2017 vom 22. März 2018 E. 5.4 wurde zwar angesichts psychosozialer Belastungsfaktoren ein verselbstständigtes psychisches Leiden mit Krankheitswert verneint. Indessen stellte das Bundesgericht im Urteil 8C 407/2020 vom 3. März 2021 E. 4.1 klar, dass die Beurteilung der psychosozialen Belastungsfaktoren der eigentlichen Prüfung der Standardindikatoren nicht vorangestellt und, gleichsam als läge ein Ausschlussgrund (vgl. BGE 141 V 281 E. 2.2) vor, ein invalidisierender Gesundheitsschaden losgelöst von dieser Prüfung verneint werden darf. Somit ging die Vorinstanz auch nicht von
einem falschen Verständnis des Begriffs eines "verselbstständigten" Leidens aus.

4.4.3. Demnach bleibt die (implizite) vorinstanzliche Feststellung eines verselbstständigten Gesundheitsschadens für das Bundesgericht verbindlich (vgl. vorangehende E. 1 und E. 4.3 in fine).

4.5. Sodann hat die Vorinstanz zutreffend (vgl. vorangehende E. 4.2) erwogen, dass die ärztlich festgestellte Pathologie invalidenversicherungsrechtlich relevant bleibt, solange - wie hier - psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren einen Gesundheitsschaden aufrechterhalten oder den Wirkungsgrad seiner Folgen verschlimmern.

In concreto sind zudem keine Ausschlussgründe für die Bejahung einer Invalidität (im Sinne von BGE 141 V 281 E. 2.2) ersichtlich, und solche werden auch nicht vorgebracht. Demnach hat das kantonale Gericht kein Recht verletzt, indem es dem festgestellten psychischen Leiden nicht von vornherein unter Verweis auf vorhandene psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren die invalidisierende Wirkung abgesprochen hat.

4.6. Zur Beweiskraft des bidisziplinären Gutachtens vom 23. Juli 2018 und zur vorinstanzlichen Feststellung, wonach sich Dr. med. B.________ bei seiner Einschätzung der Arbeitsfähigkeit am strukturierten Beweisverfahren resp. an den massgeblichen Standardindikatoren (vgl. BGE 141 V 281 E. 4.1.3) orientiert habe, äussert sich die IV-Stelle mit keinem Wort, weshalb sich diesbezügliche Weiterungen erübrigen. Damit bleibt auch die vorinstanzliche Feststellung betreffend die Arbeitsfähigkeit (vgl. vorangehende E. 3) für das Bundesgericht verbindlich. Die Beschwerde ist unbegründet.

5.
Mit diesem Urteil wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG). Der obsiegende Beschwerdegegner hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
und 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat Rechtsanwältin Amanda Guyot für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Dieser Entscheid wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. September 2021

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Parrino

Die Gerichtsschreiberin: Dormann