Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummern: RP.2020.3, RP.2020.4 (Hauptverfahren: RR.2020.11, RR.2020.12)

Zwischenentscheid vom 23. Januar 2020 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Andreas J. Keller, Instruktionsrichter, Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

1. A. SA,

2. B. SA, beide vertreten durch Rechtsanwalt Peter Burckhardt und Rechtsanwältin Eva Wyler,

Gesuchstellerinnen

gegen

Bundesanwaltschaft,

Gesuchsgegnerin

Gegenstand

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen

Vorsorgliche Massnahmen (Art. 56
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 56 - Nach Einreichung der Beschwerde kann die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter von Amtes wegen oder auf Begehren einer Partei andere vorsorgliche Massnahmen treffen, um den bestehenden Zustand zu erhalten oder bedrohte Interessen einstweilen sicherzustellen.
VwVG)

Der Instruktionsrichter hält fest, dass:

- die Bundesanwaltschaft im Jahr 2015 u.a. gegen die A. SA ein Strafverfahren eröffnete wegen des Verdachts der Bestechung und der Geldwäscherei;

- sie im März 2016 bei der C. SA und bei der D. Sàrl Datenträger beschlagnahmte, auf welchen mutmasslich Daten im Zusammenhang mit den untersuchten Tatvorgängen gespeichert waren;

- in der Zwischenzeit im gleichen Kontext bei der Bundesanwaltschaft von verschiedenen Staaten Rechtshilfeersuchen eingegangen sind, mit welchen um Auswertung der sichergestellten Daten erbeten wurde;

- die A. SA und die B. SA mit Eingabe vom 30. September 2019 um Einräumung der Parteistellung in sämtlichen hängigen (passiven) Rechtshilfeverfahren ersuchten, welche die erwähnten, von der Bundesanwaltschaft beschlagnahmten Daten zum Gegenstand haben (vgl. zum Ganzen RR.2020.11-12, act. 1.3, S. 1 f.);

- die Bundesanwaltschaft diesen Antrag mit Schlussverfügung vom 2. Dezember 2019 abwies (RR.2020.11-12, act. 1.3);

- die A. SA und die B. SA mit Beschwerde vom 3. Januar 2020 die Aufhebung der angefochtenen Verfügung verlangen und erneut um Einräumung der Parteistellung in den erwähnten Rechtshilfeverfahren ersuchen (act. 1);

- sie dabei den prozessualen Antrag stellen, die Bundesanwaltschaft sei superprovisorisch anzuweisen, alle während des Beschwerdeverfahrens hängigen passiven Rechtshilfeverfahren, die von der Bundesanwaltschaft auf Servern bei C. SA und D. Sàrl beschlagnahmte Daten und Dokumente der Beschwerdeführerinnen und mit ihnen verbundene Gesellschaften zum Gegenstand haben, zu sistieren (act. 1);

- der Instruktionsrichter am 8. Januar 2020 die Bundesanwaltschaft superprovisorisch anwies, bis zum Erlass des Entscheides über die verlangten vorsorglichen Massnahmen keine Schlussverfügungen zu erlassen, mit welchen direkt oder indirekt die rechtshilfeweise Herausgabe von Daten und Informationen, welche auf den bei der C. SA und D. Sàrl beschlagnahmten Servern sichergestellt wurden, an ausländische Behörden bewilligt wird (act. 2);

- die Bundesanwaltschaft auf eine Gesuchsantwort verzichtet (act. 4);

- das Bundesamt für Justiz die kostenfällige Abweisung des Gesuchs beantragt, soweit darauf einzutreten sei (act. 5).

Der Instruktionsrichter zieht in Erwägung, dass:

- auf Beschwerdeverfahren in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten die Bestimmungen des VwVG anwendbar sind (Art. 39 Abs. 2 lit. b
SR 173.71 Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG) - Strafbehördenorganisationsgesetz
StBOG Art. 39 Grundsatz - 1 Das Verfahren vor den Kammern des Bundesstrafgerichts richtet sich nach der StPO25 und nach diesem Gesetz.
1    Das Verfahren vor den Kammern des Bundesstrafgerichts richtet sich nach der StPO25 und nach diesem Gesetz.
2    Ausgenommen sind Fälle nach:
a  den Artikeln 35 Absatz 2 und 37 Absatz 2 Buchstabe b; auf sie ist das Bundesgesetz vom 22. März 197426 über das Verwaltungsstrafrecht anwendbar;
b  Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe a; auf sie sind das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 196827 sowie die Bestimmungen der einschlägigen Rechtshilfeerlasse anwendbar;
c  Artikel 37 Absatz 2 Buchstabe c; auf sie sind das Bundespersonalgesetz vom 24. März 200028 und das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 anwendbar;
d  Artikel 37 Absatz 2 Buchstaben e-g; auf sie ist das Verwaltungsverfahrensgesetz anwendbar.29
i.V.m. Art. 37 Abs. 2 lit. a Ziff. 1
SR 173.71 Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG) - Strafbehördenorganisationsgesetz
StBOG Art. 37 Zuständigkeiten - 1 Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
1    Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
2    Sie entscheiden zudem über:
a  Beschwerden in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten gemäss:
a1  dem Rechtshilfegesetz vom 20. März 198114,
a2  dem Bundesgesetz vom 21. Dezember 199515 über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts,
a3  dem Bundesgesetz vom 22. Juni 200116 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof,
a4  dem Bundesgesetz vom 3. Oktober 197517 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen;
b  Beschwerden, die ihnen das Bundesgesetz vom 22. März 197418 über das Verwaltungsstrafrecht zuweist;
c  Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesverwaltungsgerichts über das Arbeitsverhältnis seiner Richter und Richterinnen und seines Personals sowie des Personals der ständigen Sekretariate der eidgenössischen Schätzungskommissionen;
d  Konflikte über die Zuständigkeit der militärischen und der zivilen Gerichtsbarkeit;
e  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 21. März 199720 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit zum Entscheid zuweist;
f  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 7. Oktober 199421 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes zum Entscheid zuweist;
g  Konflikte über die Zuständigkeit nach dem Geldspielgesetz vom 29. September 201723.
StBOG), wenn das IRSG nichts anderes bestimmt (Art. 12 Abs. 1
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz
IRSG Art. 12 Im Allgemeinen - 1 Wenn dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, wenden die Bundesverwaltungsbehörden das Bundesgesetz vom 20. Dezember 196843 über das Verwaltungsverfahren, die kantonalen Behörden die für sie geltenden Vorschriften sinngemäss an. Für Prozesshandlungen gilt das in Strafsachen massgebende Verfahrensrecht.
1    Wenn dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, wenden die Bundesverwaltungsbehörden das Bundesgesetz vom 20. Dezember 196843 über das Verwaltungsverfahren, die kantonalen Behörden die für sie geltenden Vorschriften sinngemäss an. Für Prozesshandlungen gilt das in Strafsachen massgebende Verfahrensrecht.
2    Die kantonalen und eidgenössischen Bestimmungen über den Stillstand von Fristen gelten nicht.44
IRSG);

- nur Beschwerden gegen Entscheide, welche die Übermittlung von Auskünften aus dem Geheimbereich oder die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten an das Ausland bewilligen, von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung haben (Art. 21 Abs. 4 lit. b
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz
IRSG Art. 21 Gemeinsame Bestimmungen - 1 Der Verfolgte kann einen Rechtsbeistand bestellen. Sieht er davon ab oder ist er dazu nicht in der Lage, so wird ein Beistand amtlich ernannt, wenn es die Wahrung seiner Interessen erfordert.
1    Der Verfolgte kann einen Rechtsbeistand bestellen. Sieht er davon ab oder ist er dazu nicht in der Lage, so wird ein Beistand amtlich ernannt, wenn es die Wahrung seiner Interessen erfordert.
2    Weitere Personen, die von der Rechtshilfemassnahme betroffen werden oder als Geschädigte bei Erhebungen anwesend sind, können, wenn es die Wahrung ihrer Interessen erfordert, bei der Durchführung der Rechtshilfehandlung einen Rechtsbeistand beiziehen und sich, soweit der Untersuchungszweck nicht beeinträchtigt wird, durch ihn vertreten lassen.
3    Personen, gegen die sich das ausländische Strafverfahren richtet, können Verfügungen nur anfechten, wenn eine Rechtshilfemassnahme sie persönlich und direkt betrifft und sie ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben.64
4    Die Beschwerde gegen einen Entscheid, der in Anwendung dieses Gesetzes ergangen ist, hat keine aufschiebende Wirkung. Ausgenommen sind Beschwerden gegen einen Entscheid:
a  der die Auslieferung bewilligt; oder
b  der die Übermittlung von Auskünften aus dem Geheimbereich oder die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten an das Ausland bewilligt.65
IRSG i.V.m. Art. 55 Abs. 5
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 55 - 1 Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung.
1    Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung.
2    Hat die Verfügung nicht eine Geldleistung zum Gegenstand, so kann die Vorinstanz darin einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entziehen; dieselbe Befugnis steht der Beschwerdeinstanz, ihrem Vorsitzenden oder dem Instruktionsrichter nach Einreichung der Beschwerde zu.96
3    Die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter kann die von der Vorinstanz entzogene aufschiebende Wirkung wiederherstellen; über ein Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist ohne Verzug zu entscheiden.97
4    Wird die aufschiebende Wirkung willkürlich entzogen oder einem Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung willkürlich nicht oder verspätet entsprochen, so haftet für den daraus erwachsenden Schaden die Körperschaft oder autonome Anstalt, in deren Namen die Behörde verfügt hat.
5    Vorbehalten bleiben die Bestimmungen anderer Bundesgesetze, nach denen eine Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hat.98
VwVG);

- die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter nach Einreichung der Beschwerde von Amtes wegen oder auf Begehren einer Partei andere vorsorgliche Massnahmen treffen kann, um den bestehenden Zustand zu erhalten oder bedrohte Interessen einstweilen sicherzustellen (Art. 56
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 56 - Nach Einreichung der Beschwerde kann die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter von Amtes wegen oder auf Begehren einer Partei andere vorsorgliche Massnahmen treffen, um den bestehenden Zustand zu erhalten oder bedrohte Interessen einstweilen sicherzustellen.
VwVG);

- den bisher der Beschwerdekammer vorliegenden Informationen nicht zu entnehmen ist, wie viele passive Rechtshilfeverfahren bei der Gesuchsgegnerin hängig sind, welche die zur Diskussion stehenden Daten betreffen, und welche Länder allenfalls um Auswertung und Herausgabe dieser Daten ersuchen;

- eine rechtshilfeweise Herausgabe dieser Daten an ausländische Behörden vor der Klärung der Frage nach der Parteistellung der Gesuchstellerinnen zur Folge haben könnte, dass die entsprechenden Rechtshilfeverfahren durchgeführt und abgeschlossen werden, ohne den möglicherweise an den Daten berechtigten Gesuchstellerinnen die ihnen zustehenden Parteirechte zu gewähren;

- die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen einer allfälligen Parteistellung der Gesuchstellerinnen Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind;

- die vorgängige und grundsätzlich irreversible Herausgabe der Daten an die ausländischen Behörden faktisch die Gegenstandslosigkeit dieses Beschwerdeverfahrens herbeiführen würde;

- das Gesuch daher gutzuheissen und die bereits superprovisorisch verfügte Anweisung an die Gesuchsgegnerin auf die Dauer des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zu erstrecken ist;

- die Kosten dieses Entscheides bei der Hauptsache verbleiben;

und verfügt:

1. Die Bundesanwaltschaft wird angewiesen, bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens betreffend Parteistellung der Gesuchstellerinnen in den verschiedenen passiven Rechtshilfeverfahren keine Schlussverfügungen zu erlassen, mit welchen direkt oder indirekt die rechtshilfeweise Herausgabe von Daten und Informationen, welche auf den bei der C. SA und D. Sàrl beschlagnahmten Servern sichergestellt wurden, an ausländische Behörden bewilligt wird.

2. Die Kosten des vorliegenden Entscheides verbleiben bei der Hauptsache.

Bellinzona, 23. Januar 2020

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Instruktionsrichter: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Peter Burckhardt und Rechtsanwältin Eva Wyler

- Bundesanwaltschaft

- Bundesamt für Justiz, Fachbereich Rechtshilfe

Rechtsmittelbelehrung

Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar (Art. 93 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 93 Andere Vor- und Zwischenentscheide - 1 Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
1    Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
a  wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können; oder
b  wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
2    Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und dem Gebiet des Asyls sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar.86 Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind.
3    Ist die Beschwerde nach den Absätzen 1 und 2 nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken.
Satz 1 BGG).