Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B 744/2008/sst

Urteil vom 23. Januar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Ferrari,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Meier,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
StGB),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 23. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksamt Zofingen verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 17. Mai 2005 wegen Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von Art. 253
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
StGB zu 7 Tagen Gefängnis. Es hielt für erwiesen, dass er am 19. Juli 2004 auf dem Bezirksposten Zofingen der Kantonspolizei Aargau den Verlust seines Reisepasses zu Protokoll gab und gleichentags bei seiner Wohnsitzgemeinde Walterswil einen neuen Reisepass beantragte, obwohl sich sein Reisepass aufgrund einer gültigen Pass- und Schriftensperre bei den Akten des Strafgerichts Zug befand.
X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl, worauf die Staatsanwaltschaft mit Anklageverfügung vom 17. Juni 2005 dem Bezirksgericht Zofingen beantragte, X.________ gemäss Strafbefehl zu verurteilen.
Am 9. Januar 2006 lud der Gerichtspräsident von Zofingen X.________ zur Hauptverhandlung vom 3. März 2006 vor.
Am 20. Februar 2006 beantragte die Staatsanwaltschaft mit Zusatz-Anklage, X.________ wegen Verstosses gegen Art. 23 Abs. 5
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
ANAG zu verurteilen, da er am 13. Dezember 2005 als Geschäftsführer der Salons "A.________" in Safenwil und "B.________" in Oftringen Ausländerinnen ohne gültige Arbeitsbewilligungen als Prostituierte beschäftigt habe.
Zur Hauptverhandlung vom 3. März 2006 erschien X.________ nicht. Gleichentags lud ihn der Präsident des Bezirksgerichts Zofingen erneut zur Hauptverhandlung auf den 8. Mai 2006 vor und forderte ihn auf, innert 10 Tagen die Gründe für sein unentschuldigtes Nichterscheinen zu nennen und zu belegen. Am 27. April 2006 teilte ihm der Gerichtspräsident zudem mit, bei Nichterscheinen werde auf Grund der Akten entschieden.

B.
Am 8. Mai 2006 sprach der Bezirksgerichtspräsident von Zofingen X.________ von der Anklage der Erschleichung einer falschen Beurkundung sowie im Fall "B.________" von der Zusatzanklage frei, verurteilte ihn indessen im Fall "A.________" wegen Beschäftigens einer Ausländerin ohne Bewilligung im Sinne von Art. 23 Abs. 4
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
i.V.m. Art. 3 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
ANAG zu 7 Tagen Haft und 500 Franken Busse.
X.________ erhob gegen seine Verurteilung Berufung und beantragte sinngemäss, ihn vollumfänglich freizusprechen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anschlussberufung. Sie beantragte, die Berufung abzuweisen, X zusätzlich wegen Verstosses gegen Art. 23 Abs. 5
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 253 - Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt,
ANAG zu verurteilen und ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 14 Tagessätzen à 150 Franken sowie einer Busse von 500 Franken zu bestrafen.
Das Obergericht des Kantons Aargau hob das bezirksgerichtliche Urteil am 23. Juli 2008 in Gutheissung der Berufung von X.________ und von Amtes wegen auf. Es stellte fest, der Strafbefehl des Bezirksamtes Zofingen vom 17. Mai 2005 sei in Rechtskraft erwachsen und gelte als Urteil (Dispositiv-Ziffer 1.1.1). Es schrieb das Verfahren betreffend Erschleichung einer falschen Beurkundung als erledigt von der Geschäftskontrolle ab (Dispositiv-Ziffer 1.1.2). Von der Zusatzanklage betreffend die ANAG-Delikte sprach es ihn frei (Dispositiv-Ziffer 1.2) und auferlegte ihm einen Teil der bezirksgerichtlichen Gerichtskosten (Dispositiv-Ziffer 1.3). Die Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft wies es ab (Dispositiv-Ziffer 2). Es nahm die obergerichtlichen Verfahrenskosten auf die Staatskasse (Dispositiv-Ziffer 3) und sprach X.________ eine Entschädigung zu (Dispositiv-Ziffer 4).

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Dispositiv-Ziffern 1.1.1 und 1.1.2 sowie 1.3 aufzuheben, sodass es in Bezug auf die Anklage wegen Erschleichung einer falschen Beurkundung beim Freispruch bleibe. Ausserdem seien die Kosten des bezirksgerichtlichen Verfahrens vollumfänglich auf die Staatskasse zu nehmen, und es sei ihm dafür eine angemessene Parteientschädigung zu Lasten des Kantons Aargau zuzusprechen.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht verzichten auf Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Umstritten ist vorliegend einzig die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Erschleichung einer falschen Beurkundung. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Freispruch des Bezirksgerichtspräsidenten in diesem Punkt sei keineswegs nichtig, sondern mangels Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft in Rechtskraft erwachsen.

1.1 Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. Die Nichtigkeit eines Entscheids ist von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden jederzeit von Amtes wegen zu beachten (BGE 133 II 366 E. 3.1 und 3.2; 129 I 361 E. 2 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

1.2 Nach § 198 Abs. 3 der Strafprozessordnung vom 11. November 1958 (StPO) gilt die Einsprache gegen einen Strafbefehl als zurückgezogen, wenn der Angeklagte unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erscheint. Das Obergericht hat erwogen, der Beschwerdeführer sei zur bezirksgerichtlichen Hauptverhandlung vom 3. März 2006 unentschuldigt nicht erschienen, weshalb seine Einsprache gegen den Strafbefehl vom 17. Mai 2005 von Gesetzes wegen als zurückgezogen gelte. Ohne hängige Einsprache sei der Bezirksgerichtspräsident für die materielle Überprüfung des Strafbefehls nicht zuständig gewesen, womit sein Entscheid nichtig sei.
Die Regelung von § 198 Abs. 3 ist verfassungs- und konventionsrechtlich nicht zu beanstanden (Entscheid des Bundesgerichts 1P.729/ 2005 vom 17. Februar 2006, E. 2.2). Obwohl der Beschwerdeführer in der Vorladung in unübersehbarem Fettdruck ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, erschien er zur Hauptverhandlung vom 3. März 2006 nicht, ohne sich vorgängig entschuldigt oder um deren Verschiebung ersucht zu haben. Die ihm mit Verfügung vom 3. März 2006 für den Nachweis angesetzte 10-tägige Frist, sie aus entschuldbaren Gründen versäumt zu haben, liess er ungenutzt verstreichen. An der Hauptverhandlung vom 8. Mai 2006 zu dieser Säumnis befragt, erklärte der Beschwerdeführer: "Das ist irgendwie untergegangen. Es tut mir leid, das ist nicht meine Art."
Das Obergericht ist im angefochtenen Entscheid offensichtlich zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die Hauptverhandlung vom 3. März 2006 unentschuldigt verpasst hat. Damit gilt die Einsprache nach § 198 Abs. 3 StPO von Gesetzes wegen als spätestens nach Ablauf der 10-tägigen Frist für das Beibringen von beachtlichen Verhinderungsgründen und damit jedenfalls vor der zweiten Hauptverhandlung vom 8. Mai 2006 als zurückgezogen. Zu diesem Zeitpunkt war somit keine Einsprache mehr hängig, womit der Gerichtspräsident von Zofingen nicht befugt war, den Strafbefehl vom 17. Mai 2005 zu überprüfen. Fraglich kann nur sein, ob dies seinen Entscheid als nichtig erscheinen lässt, wie das Obergericht annimmt.

1.3 Der Bezirksgerichtspräsident von Zofingen war sachlich, örtlich und funktionell zur Behandlung der Einsprache des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl zuständig. Er hat "bloss" übersehen, dass im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Einsprache nicht mehr hängig war. Er hat damit zwar einen Verfahrensfehler begangen, aber keine grundlegende Zuständigkeitsvorschrift verletzt, was ohne weiteres zur Annahme von Nichtigkeit führen würde. Der Fehler ist zudem aus dem Entscheid vom 8. Mai 2006 selber, der keine Erwägungen zum Verfahren enthält, nicht ersichtlich. Das Erkennen des Fehlers setzt vielmehr das Studium der Verfahrensakten voraus. Er ist somit weder offensichtlich noch leicht erkennbar. Im Bereich des Strafrechts ist zudem die Rechtssicherheit von besonderer Bedeutung. Es geht unter diesem Gesichtspunkt nicht an, allenfalls noch nach Jahren ein unangefochten gebliebenes und in formelle Rechtskraft erwachsenes Strafurteil nichtig zu erklären, dessen fehlerhaftes Zustandekommen ohne Aktenkenntnis nicht erkennbar ist. Das Obergericht hat den umstrittenen Freispruch zu Unrecht nichtig erklärt und ihm damit jede Rechtswirksamkeit abgesprochen. Die Rüge ist begründet.

2.
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben, soweit er den Beschwerdeführer belastet, ohne dass die weiteren Rügen geprüft zu werden brauchen. Insbesondere kann offen bleiben, ob das Obergericht es unterlassen hat, seinen Entscheid in verfassungskonformer Weise zu publizieren (BGE 124 IV 234 mit Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 1P.298 vom 1. September 2006, E. 2.2 in: ZBl 108/2007 S. 444), wie der Beschwerdeführer behauptet. Dies lässt sich anhand der Akten nicht beurteilen, und das Obergericht hat sich dazu in der Vernehmlassung trotz bundesgerichtlicher Aufforderung nicht geäussert. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird das Obergericht über die Kosten- und Entschädigungsfolgen des bezirksgerichtlichen Verfahrens neu zu befinden haben.
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG), und der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Dispositiv-Ziffern 1.1.1, 1.1.2 und 1.3 des obergerichtlichen Urteils vom 23. Juli 2008 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau wird verpflichtet, Rechtsanwalt Bruno Meier für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Januar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Favre Störi