Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung IV

D-1255/2018

Urteil vom 15. März 2018

Einzelrichterin Contessina Theis,

Besetzung mit Zustimmung von Richterin Christa Luterbacher;

Gerichtsschreiberin Anne Kneer.

A._______,

geboren am (...),

Kamerun,
Parteien
vertreten durch Alfred Ngoyi Wa Mwanza,

BUCOFRAS Consultation juridique pour étrangers,

Beschwerdeführerin,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Asyl und Flüchtlingseigenschaft (ohne Wegweisung);
Gegenstand
Verfügung des SEM vom 14. Februar 2018 / N (...).

Sachverhalt:

A.
Die Beschwerdeführerin - eine kamerunische Staatsangehörige - reichte am 2. November 2001 ihr erstes Asylgesuch ein. Dabei machte sie unter anderem geltend, sie sei gabunische Staatsangehörige und sei von ihrem Onkel misshandelt worden. Das SEM trat am 22. Februar 2002 auf das Asylgesuch nicht ein und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz.

B.

B.a Am 26. Juli 2007 erhielt die Beschwerdeführerin aufgrund der Heirat mit ihrem (...) Ehemann eine Niederlassungsbewilligung. Diese Niederlassungsbewilligung wurde am 21. September 2017 vom kantonalen Migrationsamt aufgrund (...) widerrufen.

B.b Auf den am 25. Oktober 2017 dagegen erhobenen Rekurs wurde mit Rekursentscheid vom 11. Dezember 2017 aufgrund verpasster Rekursfrist nicht eingetreten.

B.c Über die gegen den Rekursentscheid erhobene Beschwerde beim kantonalen Verwaltungsgericht ist aktuell noch nicht entschieden worden.

C.
Die Beschwerdeführerin wurde am 3. Januar 2018 in Ausschaffungshaft genommen.

D.
Am 5. Januar 2018 ersuchte die Beschwerdeführerin gegenüber der Kantonspolizei Zürich mündlich um Asyl in der Schweiz. Ihr Rechtsvertreter reichte mit Fax vom 9. Januar 2018 (Datum Faxeingabe) beim kantonalen Migrationsamt ein schriftliches Asylgesuch ein. Am 15. Januar 2018 reichte der Rechtsvertreter abermals beim SEM ein schriftliches Asylgesuch ein.

E.
Mit an die Hilfswerksvertretung sowie an den Rechtsvertreter adressiertem Fax vom 24. Januar 2018 lud das SEM für die Anhörung zu den Asylgründen vom 1. Februar 2018 ein.

F.
Am 1. Februar 2018 wurde die Beschwerdeführerin ohne Anwesenheit ihres Rechtsvertreters zu ihren Asylgründen angehört.

Zur Begründung ihres Asylgesuchs machte sie im Wesentlichen geltend, als ihr Vater gestorben sei, habe ihr Onkel sie töten wollen. Sie trage heute noch Narben von diesem Angriff. Zudem sei sie von ihrer Familie verhext worden, als sie an der Beerdigung ihres Vaters teilgenommen habe. Davon habe sie eine Wunde am Bein. Sie befürchte bei einer Rückkehr nach Kamerun innert zwei Monaten getötet zu werden. Ferner habe sie sich politisch engagiert und werde deshalb vom kamerunischen Staat verfolgt.

G.
Mit Verfügung vom 14. Februar 2018 - eröffnet am 19. Februar 2018 - lehnte das SEM das Asylgesuch der Beschwerdeführerin ab und stellte fest, sie erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht.

H.
Mit Eingabe vom 1. März 2018 erhob die Beschwerdeführerin - handelnd durch ihren Rechtsvertreter - gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte dabei zur Hauptsache, auf die Beschwerde sei einzutreten, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und ihr sei Asyl zu gewähren, eventualiter sei sie vorläufig in der Schweiz aufzunehmen, subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner beantragte sie den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten zu können. In formeller Hinsicht ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten. Auf die in der Beschwerde gestellten Anträge betreffend vorläufiger Aufnahme wird nicht eingetreten, nachdem das SEM gar keine Wegweisung verfügt hat.

2.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.
Über offensichtlich begründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).

Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

4.

4.1 In der Beschwerde macht die Beschwerdeführerin unter anderem geltend, ihr Rechtsvertreter sei zur Anhörung nicht eingeladen worden, weshalb er daran nicht habe teilnehmen und sie unterstützen können. Die Beschwerdeführerin macht somit eine Verletzung des Rechts auf Vertretung und Verbeiständung geltend, was einen Teilgehalt des rechtlichen Gehörs darstellt.

4.2 Das Recht auf Vertretung und Verbeiständung gewährleistet als Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Befugnis, Prozesshandlungen durch einen Dritten eigener Wahl ausführen zu lassen oder sich bei mündlichen Verhandlungen von einem Dritten eigener Wahl unterstützen zu lassen. Die Vertretung und Verbeiständung kann auf jeder Stufe des Verfahrens erfolgen (vgl. Art. 11 VwVG). Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass eine Partei jederzeit einen Vertreter oder eine Vertreterin bestellen oder einen Beistand zuziehen darf. Das Verfahren nimmt auch nach der Bestellung einer Vertretung seinen Lauf. Allerdings hat die Behörde darauf zu achten, dass es dem Vertreter oder der Vertreterin möglich ist, seine oder ihre Aufgaben auch tatsächlich wahrzunehmen. So ist ihm oder ihr unter Vorbehalt der zeitgerechten Erledigung des Verfahrens die erforderliche Zeit zum Aktenstudium einzuräumen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2013 E-4402/2013 E. 4.2).

4.3 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur, eine Verletzung desselben führt deshalb grundsätzlich - das heisst ungeachtet der materiellen Auswirkungen - zur Aufhebung des daraufhin ergangenen Entscheides. Die Heilung von Gehörsverletzungen ist zwar in Ausnahmefällen auf Beschwerdeebene unter gewissen Voraussetzungen möglich, wenn das Versäumte nachgeholt wird, die beschwerdeführende Person dazu Stellung nehmen kann und der Beschwerdeinstanz im streitigen Fall die freie Überprüfungsbefugnis in Bezug auf Tatbestand und Rechtsanwendung zukommt, sowie die festgestellte Verletzung nicht schwerwiegender Natur ist und die fehlende Entscheidreife durch die Beschwerdeinstanz mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann (vgl. BVGE 2013/34 E. 4.2, 2012/24 E. 3.4, 2010/41 E. 6.4.2, 2007/30 E. 8.2 m.w.H.).

4.4 Aus den Akten geht hervor, dass das SEM am 24. Januar 2018 die Einladung für die Anhörung am 1. Februar 2018 per Fax versendet hat. Aus der Adresszeile des Faxes ist ersichtlich, dass der Fax an die Hilfswerksvertretung sowie an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gerichtet war. Indessen liegt den Akten lediglich ein Sendebericht vom 24. Januar 2018 an die Hilfswerksvertretung bei. Ein Sendebericht an den Rechtsvertreter fehlt. Auch auf Nachfrage hin vermochte das SEM keinen Sendebericht an den Rechtsvertreter zu liefern. Da der Behörde die Beweislast für die ordnungsgemässe Zustellung obliegt, muss daher davon ausgegangen werden, dass die Einladung für die Anhörung den Rechtsvertreter nie erreicht hat, weshalb dieser nicht an der Anhörung teilnehmen konnte. Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin war es so nicht möglich, seine Aufgabe tatsächlich wahrzunehmen.

4.5 Unter diesen Umständen kann das Anhörungsprotokoll vom 1. Februar 2018 nicht als Grundlage eines erstinstanzlichen Entscheides über das Asylgesuch der Beschwerdeführerin dienen und ist daher aus dem Recht zu weisen. Der rechtserhebliche Sachverhalt gilt folglich als nicht erhoben. Eine Heilung der Gehörsverletzung auf Beschwerdeebene kommt bei der vorliegenden Sachlage nicht in Betracht, da eine Wiederholung des fehlerhaften Verfahrensschrittes auf Beschwerdeebene nicht möglich ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2013 E-4402/2013 E. 4.4). Auf die weiteren Beschwerdevorbringen ist danach nicht mehr einzugehen.

5.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten gutzuheissen, die Verfügung des SEM vom 14. Februar 2018 ist aufzuheben und die Sache zur vollständigen Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das SEM ist insbesondere anzuweisen, eine ordentliche Anhörung im Sinne von Art. 29 AsylG im Beisein des Rechtsvertreters durchzuführen.

6.

6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 - 2 VwVG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache obsolet, ebenso jenes um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

6.2 Obsiegende Parteien haben Anspruch auf eine Entschädigung für die ihnen erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten (Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Es wurde keine Kostennote zu den Akten gereicht. Der notwendige Vertretungsaufwand lässt sich indes aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen, weshalb auf die Einholung einer solchen verzichtet werden kann (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9 -13 VGKE) ist der Beschwerdeführerin zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 300.- zuzusprechen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Die Verfügung des SEM vom 14. Februar 2018 wird aufgehoben und die Sache zur Anhörung der Beschwerdeführerin sowie zur anschliessenden Neubeurteilung an das SEM zurückgewiesen.

3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

4.
Das SEM wird angewiesen, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 300.- auszurichten.

5.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Contessina Theis Anne Kneer

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