Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C 186/2022

Urteil vom 13. September 2022

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Helsana Versicherungen AG,
Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Februar 2022 (KV.2021.00068).

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene A.________ war ab dem 1. Januar 2017 bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert. Mit Verfügung vom 28. April 2021 beseitigte die Helsana den von A.________ erhobenen Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr......... des Betreibungsamtes B.________ und erteilte Rechtsöffnung über Fr. 4'990.10 (ausstehende KVG-Prämien Januar bis November 2020 nebst Inkassokosten, Mahngebühren und aufgelaufener Zins). Mit Einspracheentscheid vom 16. September 2021 hiess die Helsana die dagegen erhobene Einsprache lediglich hinsichtlich der Betreibung für die Betreibungskosten gut; im Umfang von Fr. 4'893.75 (Fr. 4'107.95 KVG-Prämien Januar bis November 2020 nebst Zins seit 11. März 2021, Fr. 125.80 bis zum 10. März 2021 aufgelaufener Zins und Fr. 660.- Mahnkosten) hob sie den Rechtsvorschlag auf und erteilte sie Rechtsöffnung.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich - nachdem es die Beschwerdeantwort der Helsana vom 1. Dezember 2021 eingeholt hatte - mit Urteil vom 2. Februar 2022 ab.

C.
A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, das Urteil vom 3. Februar 2022 sei aufzuheben; es sei festzustellen, dass die Kündigung per 31. Dezember 2017 rechtmässig sowie gültig erfolgte und dass ab dem 1. Januar 2018 keine Verpflichtungen gegenüber der Helsana bestehen; die Betreibung Nr......... des Betreibungsamtes B.________ sei zu löschen; eventualiter sei die Sache zur Behebung von Verfahrensmängeln und anschliessend neuen Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Die Helsana schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das kantonale Gericht reicht eine Vernehmlassung ein, ohne einen formellen Antrag zu stellen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Stellungnahme. A.________ reicht eine weitere Eingabe ein.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt vorab eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Er habe auf die Beschwerdeantwort der Helsana vom 1. Dezember 2021 nicht reagieren können. Entgegen der Darstellung des kantonalen Gerichts sei ihm weder die Beschwerdeantwort noch die entsprechende prozessleitende Verfügung vom 9. Dezember 2021 zugestellt worden; jedenfalls liege bezüglich der Zustellung Beweislosigkeit vor, was zu Lasten des kantonalen Gerichts gehe.

1.2. Gemäss Art. 29 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
1    Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
2    Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör.
3    Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
BV und Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK haben die Parteien eines Gerichtsverfahrens Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst insbesondere das Recht, von jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu äussern zu können (sog. Replikrecht). Die Wahrnehmung des Replikrechts setzt voraus, dass jede dem Gericht eingereichte Stellungnahme oder Vernehmlassung den Beteiligten zugestellt wird, sodass sie selbst entscheiden können, ob sie sich dazu äussern wollen oder nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob in diesen Eingaben neue und erhebliche Gesichtspunkte enthalten sind oder nicht (zum Ganzen: BGE 144 III 117 E. 2.1; 142 III 48 E. 4.1.1; 138 I 484 E. 2.1; Urteil 6B 1434/2021 vom 8. Juni 2022 E. 2.4.1).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur (BGE 144 IV 302 E. 3.1 mit Hinweisen). Eine Verletzung des Replikrechts führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (Urteile 6B 1434/2021 vom 8. Juni 2022 E. 2.4.1; 1B 25/2020 vom 27. Mai 2020 E. 3.2 mit Hinweis).

1.3. Mit Blick auf die soeben dargelegten Vorgaben genügt die formelle Rüge des Beschwerdeführers - entgegen der vorinstanzlichen Auffassung - den Anforderungen von Art. 106 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 106 Rechtsanwendung - 1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
1    Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an.
2    Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist.
BGG.

1.4. Die prozessleitende Verfügung vom 9. Dezember 2021, mit der das Sozialversicherungsgericht dem Beschwerdeführer insbesondere die Beschwerdeantwort der Helsana eröffnen wollte, trägt zwar den Versandstempel vom 13. Dezember 2021. Indessen räumt das kantonale Gericht selbst ein, dass die genannte Verfügung nicht mit eingeschriebener Briefpost erfolgte und diesbezüglich kein Zustellnachweis vorhanden ist. Die Feststellung der Vorinstanz (Sachverhalt Ziff. 2 im angefochtenen Urteil), wonach sie die Beschwerdeantwort der Helsana dem Beschwerdeführer mit der Verfügung vom 9. Dezember 2021 zugestellt habe, ist mangels einer beweismässigen Grundlage unhaltbar (vgl. Art. 105 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 105 Massgebender Sachverhalt - 1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
1    Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat.
2    Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht.
3    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so ist das Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden.95
BGG).

1.5. Die Beweislast für die Zustellung und das Zustellungsdatum einer Verfügung liegt grundsätzlich bei der Behörde, die daraus eine rechtliche Konsequenz ziehen will (BGE 142 IV 125 E. 4.3; 136 V 295 E. 5.9, mit zahlreichen Hinweisen). Die fehlende (resp. beweislos gebliebene) Zustellung der Beschwerdeantwort vom 1. Dezember 2021 verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Eine Heilung dieses Mangels im bundesgerichtlichen Verfahren ist nicht möglich (vgl. BGE 133 I 100 E. 4.9; Urteile 9C 547/2021 vom 14. Dezember 2021 E. 2.3; 1C 338/2020 vom 19. Januar 2021 E. 2.6).
Auf die weiteren (materiellen) Ausführungen des Beschwerdeführers ist an dieser Stelle nicht einzugehen. Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen, als der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung unter Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Vorinstanz zurückzuweisen ist.

2.
Eine Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt in Bezug auf die Verfahrenskosten als Obsiegen (BGE 137 V 210 E. 7.1). Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG). Der obsiegende, aber nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG i.V.m. Art. 1 des Reglements vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]; Urteil 9C 131/2021 vom 24. November 2021 E. 7).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. D as Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Februar 2022 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, V. Kammer, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. September 2022

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Parrino

Die Gerichtsschreiberin: Dormann