Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BB.2017.40

Beschluss vom 13. März 2017 Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Stephan Blättler, Vorsitz, Andreas J. Keller und Cornelia Cova,

Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

A., vertreten durch Rechtsanwalt Dominic Nellen,

Gesuchsteller

gegen

B., Staatsanwalt des Bundes,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Ausstand der Bundesanwaltschaft (Art. 59 Abs. 1 lit. b
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 59 Entscheid - 1 Wird ein Ausstandsgrund nach Artikel 56 Buchstabe a oder f geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Artikel 56 Buchstaben b-e abstützt, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren:22
i.V.m. Art. 56
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO)

Die Beschwerdekammer hält fest, dass:

- A. als Ermittler und Russland-Spezialist für die Bundeskriminalpolizei tätig ist (vgl. act. 2.1, S. 2);

- die Bundeskriminalpolizei gegen A. am 8. Februar 2017 im Zusammenhang mit dessen Reise nach Moskau im Dezember 2016 bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige erhob wegen des Verdachts der Amtsanmassung, des Amtsmissbrauchs, der Verletzung des Amtsgeheimnisses sowie des Sich bestechen lassens (act. 2.1);

- die Verfahrensleitung dem Staatsanwalt des Bundes B. übertragen wurde (vgl. act. 2, S. 1) und dieser A. am 14. Februar 2017 ein erstes Mal als Beschuldigten einvernahm (act. 2.2);

- A. mit Eingabe vom 22. Februar 2017 u. a. beantragt, der verfahrensleitende Staatsanwalt des Bundes B. habe in den Ausstand zu treten, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (act. 1);

- B. in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2017 festhält, es könne für die weiteren Untersuchungshandlungen von einem Anschein der Befangenheit seinerseits ausgegangen werden (act. 2);

- A. in seiner Replik auf weitere Ausführungen zur Frage des Ausstands verzichtet und für das vorliegende Verfahren eine pauschale Entschädigung von Fr. 1‘000.– beantragt (act. 4);

- die Replik B. am 6. März 2017 zur Kenntnis gebracht wurde (act. 5).

Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung, dass:

- sie zuständig ist zum Entscheid über Ausstandsgesuche, wenn ein Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO geltend gemacht wird und die Bundesanwaltschaft betroffen ist (Art. 59 Abs. 1 lit. b
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 59 Entscheid - 1 Wird ein Ausstandsgrund nach Artikel 56 Buchstabe a oder f geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Artikel 56 Buchstaben b-e abstützt, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren:22
StPO i.V.m. Art. 37 Abs. 1
SR 173.71 Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG) - Strafbehördenorganisationsgesetz
StBOG Art. 37 Zuständigkeiten - 1 Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
1    Die Beschwerdekammern des Bundesstrafgerichts treffen die Entscheide, für welche die StPO13 die Beschwerdeinstanz oder das Bundesstrafgericht als zuständig bezeichnet.
2    Sie entscheiden zudem über:
a  Beschwerden in internationalen Rechtshilfeangelegenheiten gemäss:
a1  dem Rechtshilfegesetz vom 20. März 198114,
a2  dem Bundesgesetz vom 21. Dezember 199515 über die Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten zur Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts,
a3  dem Bundesgesetz vom 22. Juni 200116 über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof,
a4  dem Bundesgesetz vom 3. Oktober 197517 zum Staatsvertrag mit den Vereinigten Staaten von Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen;
b  Beschwerden, die ihnen das Bundesgesetz vom 22. März 197418 über das Verwaltungsstrafrecht zuweist;
c  Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesverwaltungsgerichts über das Arbeitsverhältnis seiner Richter und Richterinnen und seines Personals sowie des Personals der ständigen Sekretariate der eidgenössischen Schätzungskommissionen;
d  Konflikte über die Zuständigkeit der militärischen und der zivilen Gerichtsbarkeit;
e  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 21. März 199720 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit zum Entscheid zuweist;
f  Anstände, die ihnen das Bundesgesetz vom 7. Oktober 199421 über kriminalpolizeiliche Zentralstellen des Bundes zum Entscheid zuweist;
g  Konflikte über die Zuständigkeit nach dem Geldspielgesetz vom 29. September 201723.
StBOG);

- eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand tritt, wenn sie aus anderen als den in Art. 56 lit. a
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
bis e StPO genannten Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte (Art. 56 lit. f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO);

- Art. 56
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO die Verfassungsbestimmung von Art. 30 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
BV konkretisiert, wonach jede Person Anspruch darauf hat, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird (BGE 141 IV 178 E. 3.2.1; 138 I 425 E. 4.2.1 S. 428; 138 IV 142 E. 2.1 S. 144);

- hinsichtlich der Unparteilichkeit des Staatsanwalts im Sinne von Unabhängigkeit und Unbefangenheit – für das Stadium des Vorverfahrens – Art. 29 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
BV ein mit Art. 30 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zukommt (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2 S. 180);

- die verfassungsrechtlichen Garantien verletzt werden, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE 141 IV 178 E. 3.2.1; 138 I 425 E. 4.2.1 S. 428; 138 IV 142 E. 2.1 S. 144 f.);

- solche Umstände entweder in einem bestimmten Verhalten der betreffenden Person oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein können (TPF 2012 37 E. 2.2 S. 39);

- der Gesuchsgegner ausführt, er habe als damaliger Adjunkt der Bundesanwältin bzw. des Bundesanwalts in der (immer noch hängigen) Angelegenheit C. (Strafverfahren/Rechtshilfeverfahren) während mehrerer Jahre (ca. 1998 – 2001) teilweise auch zusammen mit dem Gesuchsteller gearbeitet (act. 2, S. 2);

- diese hängige Strafsache in einem weiteren Zusammenhang mit dem gegen den Gesuchsteller gerichteten Strafverfahren steht, nachdem sich dieser in Moskau auch mit Anwälten der C. getroffen hat (act. 2.1, S. 2 und 3), wobei er die Interessen der Bundesanwaltschaft vertreten und ihnen deren Standpunkt klar gemacht habe (act. 2.1, Beilage 2, S. 2);

- allein dieser Umstand objektiv den Anschein der Befangenheit zu begründen vermag, es nicht darauf ankommt, ob der Gesuchsgegner tatsächlich befangen ist (BGE 141 IV 178 E. 3.2.1; TPF 2012 37 E. 2.2 S. 39);

- das gegen den Gesuchsgegner gerichtete Ausstandsgesuch aus diesem Grund gutzuheissen ist;

- über die weiteren Anträge Ziff. 2 bis 6 in der Eingabe des Gesuchstellers vom 22. Februar 2017 (act. 1) die jeweils zuständige Behörde zu entscheiden hat;

- bei diesem Ausgang des Verfahrens keine Gerichtsgebühr zu erheben ist (Art. 59 Abs. 4
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 59 Entscheid - 1 Wird ein Ausstandsgrund nach Artikel 56 Buchstabe a oder f geltend gemacht oder widersetzt sich eine in einer Strafbehörde tätige Person einem Ausstandsgesuch einer Partei, das sich auf Artikel 56 Buchstaben b-e abstützt, so entscheidet ohne weiteres Beweisverfahren:22
Satz 1 StPO);

- der Gesuchsteller entsprechend Anspruch hat auf Entschädigung für seine Aufwendungen im vorliegenden Verfahren (analog Art. 429 Abs. 1 lit. a
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 429 Ansprüche - 1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
StPO; vgl. hierzu die Urteile des Bundesgerichts 1B_227/2013 vom 15. Oktober 2013, E. 6.2 m.w.H.; 1B_51/2013 vom 27. September 2013, E. 3.2);

- die Entschädigung ermessensweise festzusetzen ist auf Fr. 1‘000.– (inkl. Auslagen und MwSt.; vgl. Art. 10 i.V.m. Art. 12 Abs. 2 des Reglements des Bundesstrafgerichts vom 31. August 2010 über die Kosten, Gebühren und Entschädigungen in Bundesstrafverfahren [BStKR; SR 173.713.162]);

und erkennt:

1. Das Ausstandsgesuch gegen den Staatsanwalt des Bundes B. wird gutgeheissen.

2. Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

3. Die Bundesanwaltschaft hat dem Gesuchsteller für das vorliegende Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.– zu bezahlen.

Bellinzona, 13. März 2017

Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung an

- Rechtsanwalt Dominic Nellen

- Bundesanwaltschaft, B., Staatsanwalt des Bundes

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.