Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas

Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts

Prozess
{T 7}
I 27/03

Urteil vom 12. Dezember 2003
IV. Kammer

Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Hadorn

Parteien
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,

gegen

K.________, 1991, Beschwerdegegner, vertreten durch seine Mutter M.________,

Vorinstanz
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 23. Januar 2002 / 13. Dezember 2002)

Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 30. Juli 2001 lehnte die IV-Stelle Basel-Landschaft die Gewährung medizinischer Massnahmen zur Behandlung eines Psychoorganischen Syndroms (POS) an K.________ (geb. am 11. Juli 1991) ab.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der Mutter von K.________ hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 23. Januar 2002 / 13. Dezember 2002 gut.
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
Die IV-Stelle schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das kantonale Gericht sich zur Sache äussert, ohne einen konkreten Antrag zu stellen. K.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch Minderjähriger auf medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 13 Abs. 1
SR 831.20 Loi fédérale du 19 juin 1959 sur l'assurance-invalidité (LAI)
LAI Art. 13 Droit à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales - 1 Les assurés ont droit jusqu'à ce qu'ils atteignent l'âge de 20 ans à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales (art. 3, al. 2, LPGA112).
1    Les assurés ont droit jusqu'à ce qu'ils atteignent l'âge de 20 ans à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales (art. 3, al. 2, LPGA112).
2    Les mesures médicales au sens de l'al. 1 sont accordées pour le traitement des malformations congénitales, des maladies génétiques ainsi que des affections prénatales et périnatales qui:
a  font l'objet d'un diagnostic posé par un médecin spécialiste;
b  engendrent une atteinte à la santé;
c  présentent un certain degré de gravité;
d  nécessitent un traitement de longue durée ou complexe, et
e  peuvent être traitées par des mesures médicales au sens de l'art. 14.
3    L'al. 2, let. e, ne s'applique pas aux mesures médicales pour le traitement de la trisomie 21.
und 2
SR 831.20 Loi fédérale du 19 juin 1959 sur l'assurance-invalidité (LAI)
LAI Art. 13 Droit à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales - 1 Les assurés ont droit jusqu'à ce qu'ils atteignent l'âge de 20 ans à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales (art. 3, al. 2, LPGA112).
1    Les assurés ont droit jusqu'à ce qu'ils atteignent l'âge de 20 ans à des mesures médicales pour le traitement des infirmités congénitales (art. 3, al. 2, LPGA112).
2    Les mesures médicales au sens de l'al. 1 sont accordées pour le traitement des malformations congénitales, des maladies génétiques ainsi que des affections prénatales et périnatales qui:
a  font l'objet d'un diagnostic posé par un médecin spécialiste;
b  engendrent une atteinte à la santé;
c  présentent un certain degré de gravité;
d  nécessitent un traitement de longue durée ou complexe, et
e  peuvent être traitées par des mesures médicales au sens de l'art. 14.
3    L'al. 2, let. e, ne s'applique pas aux mesures médicales pour le traitement de la trisomie 21.
IVG; Art. 1 Abs. 1
SR 831.232.21 Ordonnance du 9 décembre 1985 concernant les infirmités congénitales (OIC)
OIC Art. 1 Définition - 1 Sont réputées infirmités congénitales au sens de l'art. 13 LAI les infirmités présentes à la naissance accomplie de l'enfant. La simple prédisposition à une maladie n'est pas réputée infirmité congénitale. Le moment où une infirmité congénitale est reconnue comme telle n'est pas déterminant.
1    Sont réputées infirmités congénitales au sens de l'art. 13 LAI les infirmités présentes à la naissance accomplie de l'enfant. La simple prédisposition à une maladie n'est pas réputée infirmité congénitale. Le moment où une infirmité congénitale est reconnue comme telle n'est pas déterminant.
2    Les infirmités congénitales sont énumérées dans la liste en annexe. Le Département fédéral de l'intérieur peut adapter la liste chaque année pour autant que les dépenses supplémentaires d'une telle adaptation à la charge de l'assurance n'excèdent pas trois millions de francs par an au total.2
GgV), namentlich bei einem angeborenen POS (Ziff. 404 GgV Anhang), sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 122 V 113) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 30. Juli 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Behandlung des POS besteht.
2.1 Das erwähnte Leiden wurde unbestrittenermassen erstmals am 20. Juni 2000 diagnostiziert, somit vor dem vollendeten 9. Altersjahr (11. Juli 2000). Auch die Überweisung zur Behandlung erfolgte vor Ablauf dieser Frist. Mangels verfügbarer Therapieplätze und dementsprechend längeren Wartezeiten für die Psychomotorik-Therapie konnte mit der Behandlung selbst erst im November 2000 begonnen werden. Die Verwaltung erachtete daher die Voraussetzung des rechtzeitigen Behandlungsbeginns im Sinne von Ziffer 404 GgV Anhang als nicht erfüllt.
2.2 Dieser Sachverhalt ist der Vorinstanz nicht entgangen. Sie erwog indessen, heutzutage übersteige die Nachfrage nach PsychomotorikTherapieplätzen das vorhandene Angebot bei weitem. Im Kanton Basel-Landschaft würden zwei unterschiedliche Wartelisten geführt: eine für Kinder mit einer Gutsprache der Invalidenversicherung und eine weitere für Kinder, deren Therapie vom Kanton bezahlt werde. Die Wartezeiten bei der ersten Gruppe betrage zwischen einem halben und einem ganzen Jahr, bei der zweiten Gruppe ein bis eineinhalb Jahre. Es sei eine absolute Ausnahme, wenn einmal unmittelbar nach der Diagnosestellung mit der Behandlung begonnen werden könne. Zudem würden Kinder mit Kostengutsprache der Invalidenversicherung bevorzugt behandelt. Um eine positive Invalidenversicherungsverfügung zu erhalten, müssten potentielle POS-Kinder bereits im Alter von 7½ bis 8 Jahren angemeldet werden. Je nach Behandlungsart und damit verbundener Wartezeit führe die Begrenzung von Invalidenversicherungsleistungen auf Fälle mit Diagnosestellung und Behandlungsbeginn vor vollendetem 9. Altersjahr zu grossen Ungleichheiten, die dem Sinn von Ziffer 404 GgV Anhang nicht mehr entsprächen. Es dürfe nicht den Versicherten bzw. deren Eltern angelastet werden,
wenn diese Alterslimite wegen zu langer Wartezeiten bei den Therapieplätzen verpasst werde. Daher rechtfertige es sich, einen neutralen, von Wartefristen und Therapieart unabhängigen, aber genau bestimmbaren Zeitpunkt als Behandlungsbeginn zuzulassen, nämlich das Datum der Anmeldung zur Therapie. Diese Lösung erfülle das Gebot der Rechtsgleichheit, könnten doch Ungleichbehandlungen, welche sich auf Grund der verschieden langen Wartefristen bei der jeweils benötigten Therapieart ergäben, ausgeräumt werden. Die Anmeldung zur Therapie sei ein Schritt, mit dem nicht nur die Behandlungsbedürftigkeit festgestellt werde, was für den Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung noch nicht genüge. Vielmehr sei dies ein dokumentierbarer erster Schritt zur Behandlung selbst, welche hiermit eingeleitet werde. Daher könne in der Anmeldung zur Therapie ohne Weiteres der Beginn der Behandlung gesehen werden, zumal sich dieser Zeitpunkt genau festlegen lasse. Die Abgrenzungsfunktion des Begriffs des rechtzeitigen Behandlungsbeginns gemäss Ziffer 404 GgV Anhang werde somit nicht in Frage gestellt.
2.3 Demgegenüber besteht das BSV in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde darauf, dass das klare Kriterium des rechtzeitigen Behandlungsbeginns nicht aufgeweicht werden dürfe. Die Argumentation des kantonalen Gerichts führe dazu, dass die Zeitpunkte der Diagnosestellung und des Behandlungsbeginns identisch würden, da mit der Diagnosestellung in aller Regel auch die Indikation zur Behandlung gegeben sei.
2.4 In seiner jüngsten Rechtsprechung (AHI 2002 S. 61 Erw. 1b in fine; Urteil F. vom 7. September 2001, I 37/01) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht bestätigt, dass am klaren Kriterium des rechtzeitigen Behandlungsbeginns (wie auch demjenigen der rechtzeitigen Diagnose) aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten sei. Sodann gehe es nicht an, bei festgestellter Behandlungsbedürftigkeit bereits eine Behandlung im Verordnungssinne anzunehmen, da der Rechtsbegriff der Behandlung sonst die erforderliche Bestimmtheit verlieren und Ziff. 404 GgV Anhang die ihr zugedachte Abgrenzungsfunktion praktisch nicht mehr erfüllen könnte.
2.5 Bei strikter Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall ist die kritische Frist der Ziff. 404 GgV Anhang unbestrittenermassen nicht gewahrt worden. Die demnach nicht entscheidende Anmeldung zur Behandlung erfolgte noch rechtzeitig, der für den Anspruch auf Invalidenversicherungsleistungen massgebende Beginn der Therapie selbst hingegen nicht mehr. Aus den Erwägungen der Vorinstanz ist zu schliessen, dass im Kanton Basel-Landschaft offenbar wiederholt Wartezeiten von mehr als einem Jahr von der Diagnose bis zum Behandlungsbeginn verstreichen und während dieser Zeit das 9. Altersjahr vollendet wird, so dass die versicherten Kinder Invalidenversicherungsleistungen verlieren, auf welche sie bei kürzeren Wartezeiten Anspruch gehabt hätten. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass die Vorinstanz die Frage aufwirft, ob bereits der Zeitpunkt der Anmeldung zur Behandlung an Stelle des Beginns der Behandlung zur Fristwahrung genügen könnte.
2.6 Das Problem langer Wartezeiten hat das Eidgenössische Versicherungsgericht schon beschäftigt. Bisher hat es an seiner Rechtsprechung festgehalten und trotz nicht sogleich verfügbarer Behandlungsplätze auf dem rechtzeitigen Behandlungsbeginn als Anspruchsvoraussetzung für Invalidenversicherungsleistungen unter Ziff. 404 GgV Anhang bestanden. Ob allzu lange Wartezeiten derart störende Ergebnisse verursachen, dass diese Rechtsprechung zu ändern wäre, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Denn hier betrug die Wartezeit von der Diagnosestellung (20. Juni 2000) bis zum Beginn der Behandlung am 2./9. November 2000 rund 4½ Monate. Damit stellt sich die von der Vorinstanz aufgeworfene Problematik von mehr als einjährigen Wartezeiten vorliegend gar nicht. Mit 4½ Monaten war die Zeitspanne von der Diagnosestellung bis zum Behandlungsbeginn nicht wesentlich länger als in vergleichbaren Fällen, in welchen das Gericht am Behandlungsbeginn und nicht an der Anmeldung zur Behandlung als Anspruchsvoraussetzung festgehalten hat (AHI 2002 S. 62 Erw. 2a: "einige Monate"; erwähntes Urteil F.: mindestens 3½ Monate). Der vorliegende Fall bietet daher keinen Anlass, die geltende Rechtsprechung in Frage zu stellen. Demnach hat die Behandlung zu spät
begonnen, weshalb die Invalidenversicherung unter Ziff. 404 GgV Anhang nicht leistungspflichtig wird.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 23. Januar 2002/ 13. Dezember 2002 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, der Ausgleichskasse Basel-Landschaft und der IV-Stelle Basel-Landschaft zugestellt.
Luzern, 12. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: