Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

6B_506/2015

Urteil vom 6. August 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Till Gontersweiler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Genugtuung für ungerechtfertigte Haft (versuchte Tötung),

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 9. April 2015.

Sachverhalt:

A.

Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führte gegen A.X.________ und B.X.________ eine Strafuntersuchung wegen versuchter Tötung zum Nachteil von C.________, nachdem die beiden die Frau am 21. November 2013 mit einer Schussverletzung im Beckenbereich und Schnittverletzungen an den Handgelenken ins Spital Bülach gebracht hatten. A.X.________ befand sich vom 22. bis am 24. November 2013 in Untersuchungshaft. Am 6. März 2014 stellte die Staatsanwaltschaft das betreffende Verfahren infolge Dahinfallens eines hinreichenden Tatverdachts ein. Sie auferlegte A.X.________ einen Teil der Verfahrenskosten und richtete ihm weder eine Entschädigung noch eine Genugtuung aus.

B.

Auf Beschwerde von A.X.________ reduzierte das Obergericht des Kantons Zürich am 9. April 2015 den von ihm zu tragenden Verfahrenskostenanteil und sprach ihm eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- für die erlittene Haft zu.

C.

Dagegen führt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. April 2015 sei aufzuheben und die Sache zwecks Festsetzung einer willkürfreien, gesetzmässigen Genugtuungssumme an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.

Das Obergericht des Kantons Zürich hat am 1. Juli 2015 eine Stellungnahme eingereicht. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Höhe der Genugtuung. Zur Begründung führt sie aus, der Beschwerdegegner habe sich lediglich zwei Tage und vier Stunden in Haft befunden. Das im November 2013 gegen ihn eröffnete Strafverfahren wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zum Nachteil seiner Freundin sei bereits am 6. März 2014 wieder eingestellt worden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei bei kürzeren Freiheitsentzügen eine Genugtuung von Fr. 200.-- pro Tag angemessen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorlägen. Bei der Bemessung seien neben der Dauer der Haft auch die Schwere des vorgeworfenen Delikts sowie die Auswirkungen auf die persönliche Situation des Verhafteten und die Belastung durch das Verfahren, beispielsweise durch extensive Medienberichterstattung, mit zu berücksichtigen. Anzufügen wären hier auch noch Kriterien wie die Art der Verhaftung oder etwa die Auswirkungen der Haft auf das soziale Umfeld des Verhafteten. Zwar treffe im konkreten Fall durchaus zu, dass der Vorwurf einer versuchten Tötung zum Nachteil der Freundin sehr schwerwiegend sei. Dasselbe gelte für die damit zusammenhängende Haft von insgesamt 52 Stunden. Damit seien die Verletzungen der persönlichen Verhältnisse des
Beschwerdegegners allerdings bereits erschöpft. Namentlich könnten keine spektakuläre Verhaftung, keine extensive Medienberichterstattung oder Auswirkungen auf seine persönliche Situation mit besonderen physischen, psychischen und/oder sozialen Problemen als Folge des strafrechtlichen Vorwurfs und der erlittenen Haft ausgemacht werden. Unter Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Höhe der Genugtuung in Haftfällen erscheine es völlig abwegig und sei nicht mehr haltbar, wenn dem Beschwerdegegner eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- zugesprochen werde. Die Vorinstanz überschreite mit dieser Summe ihr Ermessen.

1.2.

Die Vorinstanz erwägt, die dreitägige Inhaftierung stelle eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung dar, welche die Zusprechung einer Genugtuung rechtfertige. Dem Beschwerdeführer sei die versuchte Tötung seiner Freundin zur Last gelegt worden. Dabei handle es sich um einen sehr schwerwiegenden Vorwurf, weshalb die beantragte Genugtuung in der Höhe von Fr. 3'000.-- angemessen erscheine.

In ihrer Stellungnahme vom 1. Juli 2015 verweist die Vorinstanz auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, dergemäss im Falle einer sehr schwerwiegenden Verdächtigung die pro Hafttag auszurichtende Genugtuung derart zu erhöhen sei, dass die betroffene Person in jedem Fall (also selbst wenn sie sich nur wenige Tage in Haft befand) einen Mindestbetrag von einigen Tausend Franken erhalte.

1.3.

1.3.1. Die Festlegung der Genugtuungssumme beruht auf richterlichem Ermessen, in welches das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (Urteil 6B_53/2013 vom 8. Juli 2013 E. 3.2 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 139 IV 243). Das Bundesrecht setzt keinen bestimmten Mindestbetrag fest (Art. 429 Abs. 1 lit. c
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 429 Ansprüche - 1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
1    Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
a  eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung;
b  Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind;
c  Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug.
2    Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.
3    Hat die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut, so steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 Buchstabe a ausschliesslich der Verteidigung zu unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist.275
StPO). Bei der Ausübung des Ermessens kommt den Besonderheiten des Einzelfalles entscheidendes Gewicht zu.

Aufgrund der Art und Schwere der Verletzung ist zunächst die Grössenordnung der in Frage kommenden Genugtuung zu ermitteln. Im Falle einer ungerechtfertigten Inhaftierung erachtet das Bundesgericht grundsätzlich Fr. 200.-- pro Tag als angemessen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine höhere oder geringere Entschädigung rechtfertigen. In einem zweiten Schritt sind ebendiese Besonderheiten des Einzelfalls zu würdigen, wozu unter anderem die Schwere des Tatverdachts gehört, dem eine Person ausgesetzt war. Das Bundesgericht hat (wie von der Vorinstanz zutreffend ausgeführt) den Grundsatz festgehalten, dass im Falle einer sehr schwerwiegenden Verdächtigung die pro Hafttag auszurichtende Genugtuung entsprechend zu erhöhen ist, sodass die betroffene Person jedenfalls einen Mindestbetrag von einigen tausend Franken erhält (vgl. Urteile 8G.122/2002 vom 9. September 2003 E. 6.1.5, 6B_574/2010 vom 31. Januar 2011 E. 2.3 und 6B_758/2013 vom 11. November 2013 E. 1.2.1; je mit Hinweisen).

1.3.2. Im vorliegenden Fall erscheint eine Genugtuung von Fr. 3'000.-- für knapp drei Tage Haft tatsächlich hoch. Die Vorinstanz hat sich bei der Festlegung aber an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung orientiert und ihr Ermessen damit weder überschritten noch missbraucht. Wohl kann "einige tausend Franken" auch nur Fr. 2'000.-- bedeuten und ist die erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung lediglich als Grundsatz zu verstehen, von dem gegebenenfalls abgewichen werden kann. Beides lässt den vorinstanzlichen Entscheid jedoch nicht gänzlich unhaltbar erscheinen. Die dem Beschwerdegegner zugesprochene Summe mag unter den konkreten Umständen die Obergrenze markieren. Ein Missbrauch oder eine Überschreitung des vorinstanzlichen Ermessens liegt indes nicht vor. Die Rüge erweist sich als unbegründet.

2.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG). Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. August 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler