Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

9C_154/2014

Urteil vom 3. September 2014

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat Frischkopf,
Beschwerdegegner,

Pensionskasse der B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Gnädinger,

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 7. Februar 2014.

Sachverhalt:

A.
Ein Vorbescheid der IV-Stelle des Kantons Uri vom 10. November 2011 sah vor, dass A.________ mit Wirkung ab Mai 2011 Anspruch auf eine ganze Rente habe. Die Pensionskasse der B.________ AG erhob Einwände. Darauf holte die IV-Stelle zur näheren Abklärung der Anspruchsberechtigung bei einer Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) eine Expertise ein. Die Verwaltung kam zum Schluss, wegen Widersprüchen in dem am 16. Juli 2012 erstatteten Gutachten sei eine neue polydisziplinäre Beurteilung nötig (Verfügung vom 18. Oktober 2013).

B.
Das Obergericht des Kantons Uri hiess die dagegen erhobene Beschwerde des A.________ gut, hob die Verfügung vom 18. Oktober 2013 auf und stellte fest, der Beschwerdeführer habe mit Wirkung ab Mai 2011 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente (Entscheid vom 7. Februar 2014).

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

A.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Pensionskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf deren Gutheissung.

Erwägungen:

1.
Gegenstand des vorinstanzlich angefochtenen Zwischenentscheids vom 18. Oktober 2013 war die Anordnung eines (zusätzlichen) Gutachtens. Das kantonale Gericht würdigte das medizinische Dossier und kam zum Schluss, der Sachverhalt sei genügend abgeklärt; von einer weiteren Begutachtung seien keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Hätte sich schon die Einholung des ersten Gutachtens vom 16. Juli 2012 erübrigt, so sei nicht zu prüfen, ob diese Expertise den beweisrechtlichen Anforderungen genüge. Die Sache sei spruchreif; über den Rentenanspruch könne deshalb direkt entschieden werden. Dem Versicherten stehe eine Invalidenrente zu. Die IV-Stelle, die Einrichtung der beruflichen Vorsorge und das BSV machen geltend, im Beschwerdeverfahren fehle es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und soweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 125 V 413 E. 1a S. 414).

Vor kantonalem Gericht war eine Zwischenverfügung angefochten, nach welcher eine zusätzliche gutachtliche Abklärung des medizinischen Sachverhalts notwendig sei. Strittig ist, ob es darüber hinaus eine Entscheidung über den Rentenanspruch treffen durfte. Eine Ausdehnung des kantonalen Beschwerdeverfahrens aus prozessökonomischen Gründen auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes, das heisst ausserhalb des durch die Verfügung bestimmten Rechtsverhältnisses liegende Frage, ist nach der Rechtsprechung unter der dreifachen Voraussetzung zulässig, dass sie (1.) spruchreif ist, (2.) mit dem bisherigen Streitgegenstand so eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann, und dass dazu (3.) das rechtliche Gehör gewährt worden ist (vgl. statt vieler BGE 130 V 501 E. 1.2 S. 503 mit Hinweis; Urteil 9C_678/2011 vom 4. Januar 2012 E. 3.1 [SVR 2012 IV Nr. 35 S. 136]). In casu können die beiden ersten Erfordernisse insofern als erfüllt betrachtet werden, als das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid die Auffassung vertritt, die (medizinische) Aktenlage (ohne Berücksichtigung des MEDAS-Gutachtens vom 16. Juli 2012) begründe den Anspruch des mittlerweile 62-jährigen Versicherten auf eine ganze
Invalidenrente (ab 1. Mai 2011), dies auch mit Blick auf die altersbedingte Unverwertbarkeit einer allfälligen Restarbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Hingegen hat die Vorinstanz offensichtlich das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten, insbesondere jenes der IV-Stelle, welche im Beschwerdeverfahren formell Parteistellung innehat (BGE 136 V 376 E. 4.1.2 S. 378), im Zuge ihrer Verfahrensausdehnung nicht gewahrt, weshalb der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben ist (Art. 95 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG).

2.
Innerhalb des Anfechtungs- und Streitgegenstands liegt die Frage nach dem Schicksal der strittigen Verfügung vom 18. Oktober 2013.

2.1. Die Vorinstanz hat sich eingehend damit auseinandergesetzt, ob Lücken im rechtserheblichen medizinischen Sachverhalt bestehen, welche über die von der IV-Stelle angeordnete neue Begutachtung zu schliessen wären. Sie hat die Frage verneint. Ein Zwischenentscheid über die Anordnung einer Expertise ist an das Bundesgericht weiterziehbar, sofern formelle Ablehnungsgründe gegen vorgesehene Sachverständige beurteilt worden sind (BGE 138 V 271; vgl. Art. 92 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 92 Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und den Ausstand
1    Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig.
2    Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden.
BGG). Hier stellt sich indes die Frage, ob der vorinstanzlich angeordnete Abschluss der Beweiserhebung für die Verwaltung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bedeuten kann, der ihr den Rechtsweg an das Bundesgericht eröffnet (Art. 93 Abs. 1 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 93 Andere Vor- und Zwischenentscheide - 1 Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
1    Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
a  wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können; oder
b  wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
2    Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und dem Gebiet des Asyls sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar.85 Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind.
3    Ist die Beschwerde nach den Absätzen 1 und 2 nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken.
BGG). Sie ist grundsätzlich zu bejahen, denn ein solcher Entscheid versetzt die IV-Stelle in eine gleichartige Lage wie ein Rückweisungsentscheid, der materiellrechtliche Anordnungen enthält, welche den Beurteilungsspielraum der Verwaltung wesentlich einschränken. Wird diese dadurch gezwungen, eine ihres Erachtens rechtswidrige neue Verfügung zu erlassen, kann sie den Rückweisungsentscheid anfechten (BGE 133 V 477 E. 5.2.4 S. 484). Die analog anzunehmende Möglichkeit eines Weiterzugs an das Bundesgericht kommt freilich nur
in Betracht, wenn die Beschwerdeinstanz, wie hier, eine (weitere) Begutachtung nicht zulässt (und damit die IV-Stelle zwingt, eine Leistungsverfügung auf einen aus ihrer Sicht unvollständigen Sachverhalt abzustützen), nicht aber im umgekehrten Fall, wenn sie eine von der Verwaltung als überflüssig betrachtete Begutachtung anordnet (vgl. etwa das Urteil 9C_454/2014 vom 31. Juli 2014 E. 2.1).

2.2. Die konkrete Verfahrensvorgeschichte erlaubt dem Bundesgericht allerdings keine abschliessende Beurteilung der strittigen Frage. Die erst letztinstanzlich zum Verfahren beigeladene Pensionskasse des Beschwerdegegners als präsumptiv leistungspflichtige Vorsorgeeinrichtung wird wohl an (gegebenenfalls zu treffende) Festlegungen der IV-Stelle gebunden sein (vgl. BGE 132 V 1). Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, müsste sie aus praktischen Gründen weitgehend auf das medizinische Dossier der Invalidenversicherung abstellen. Nachdem die Vorsorgeeinrichtung im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht beigeladen wurde, verletzte eine letztinstanzliche Anhandnahme der strittigen Frage ihren grundsätzlichen Anspruch auf den doppelten Instanzenzug (BGE 125 V 413 E. 2c S. 417). Hinzu kommt, dass das Bundesgericht die für die Beurteilung zentralen Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid - unter Vorbehalt der Ausnahmetatbestände gemäss Art. 97 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 97 Unrichtige Feststellung des Sachverhalts - 1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
1    Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.
2    Richtet sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung, so kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.86
BGG - nicht überprüfen könnte.

Die Sache ist daher an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit einer weiteren Begutachtung das rechtliche Gehör gewähre (vgl. auch die Stellungnahme der Pensionskasse im bundesgerichtlichen Verfahren) und sodann darüber neu entscheide.

3.
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird umständehalber verzichtet (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
zweiter Satz BGG). Der Beigeladenen steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri vom 7. Februar 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur Gewährung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten und zum anschliessenden neuen Entscheid über die Notwendigkeit einer weiteren Begutachtung an das kantonale Gericht zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Pensionskasse der B.________ AG, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. September 2014

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub