EMARK - JICRA - GICRA 2001 / 23

2001 / 23 - 184

Auszug aus dem Urteil der ARK vom 13. Februar 2001 i.S. L. Z., Guinea
Art. 7 und Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG, Art. 8 ZGB: Beweislast und Beweisführung bei behaupteter Minderjährigkeit.

1. Die radiographische Untersuchung des Handknochens genügt zum Nachweis einer Identitätstäuschung im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG, sofern die Abweichung zwischen dem festgestellten Knochenalter und dem behaupteten Alter drei Jahre übersteigt (Erw. 4c).

2. Lässt sich das tatsächliche Alter eines angeblich minderjährigen Gesuchstellers mit vernünftigem Aufwand nicht ermitteln, hat dieser im Rahmen des Wegweisungsvollzugs die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen, das heisst, er kann sich nicht auf die für Minderjährige geltenden Regelungen berufen (Erw. 6c).
Art. 7 et art. 32 al. 2 let. b LAsi ; art. 8 CCS : fardeau de la preuve et administration de la preuve en cas d'allégation de minorité.

1. Le rapport radiologique relatif aux os de la main suffit comme preuve d'une tromperie sur l'identité au sens de l'art. 32 al. 2 let. b LAsi, lorsqu'il conclut à une différence de plus de trois ans entre l'âge déclaré et l'âge osseux (consid. 4c).

2. Si, après avoir fait usage de la diligence commandée par les circonstances, on ne peut établir l'âge réel d'un demandeur d'asile se prétendant mineur, celui-ci doit supporter les conséquences du défaut de preuve relatif à sa minorité ; au plan de l'exécution du renvoi, il ne peut se prévaloir des règles particulières régissant la procédure applicables aux mineurs (consid. 6c).

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Art. 7 e art. 32 cpv. 2 lett. b LAsi, art. 8 CC: onere della prova della minore età e deduzioni sull'età del richiedente l'asilo.

1. Il referto radiologico è sufficiente a dimostrare un inganno sull'identità, giusta l'art. 32 cpv. 2 lett. b LAsi, allorquando la differenza tra l'età indicata e quella ossea è superiore ai tre anni (consid. 4c).

2. In materia d'esecuzione dell'allontanamento, quando, pur usando della necessaria diligenza, non è possibile all'autorità giudicante di stabilire l'età effetiva del richiedente l'asilo, lo stesso deve sopportare le conseguenze della mancata dimostrazione della sua minore età; ciò significa che il richiedente non può prevalersi delle regole specifiche che reggono la procedura dei minorenni non accompagnati (consid. 6c).
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Der Beschwerdeführer stellte am 3. Januar 2000 ein Asylgesuch. Anlässlich der Kurzbefragung in der Empfangsstelle und der Einvernahme durch die kantonale Fremdenpolizei machte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Asylgesuches im Wesentlichen geltend, am 1. Januar 1984 in Labe (Guinea) geboren zu sein. Am 10. Oktober 1999 habe er mit einem Motorrad eine Fussgängerin angefahren. In der Folge habe ihn der Ehemann dieser Frau, ein Armeeoffizier, verprügelt, das Mobiliar seiner Wohnung zertrümmert und ihm mit dem Tod gedroht. Dank der Hilfe einiger Nachbarn habe sich der Beschwerdeführer gerade noch aus der gefährlichen Situation befreien und untertauchen können. Angesichts der Todesdrohungen habe er den Heimatstaat am 15. Dezember 1999 verlassen.
Das BFF erteilte zur Bestimmung des genauen Alters des Beschwerdeführers den Auftrag zur Erstellung einer Knochenalteranalyse. Gestützt auf das Ergebnis dieser Analyse, wonach das abgebildete Handskelett des Beschwerdeführers einem Knochenalter von circa 19 Jahren entspreche, trat das BFF mit Verfügung vom 19. April 2000 in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG wegen Täuschung über die Identität auf das Asylgesuch nicht ein und ordnete gleichzeitig die Wegweisung aus der Schweiz an. Einer allfälligen Beschwerde gegen diese Verfügung entzog es die aufschiebende Wirkung.
Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer bei der ARK Beschwerde. Zur Begründung machte er sinngemäss geltend, aufgrund einer umstrittenen Knochenalterbestimmung sei zu Unrecht davon ausgegangen worden, dass er volljährig sei.

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Die ARK weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:

4. a) Gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG wird auf ein Gesuch nicht eingetreten, wenn der Asylsuchende die Behörden über seine Identität täuscht und diese Täuschung aufgrund der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderer Beweismittel feststeht (vgl. Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG).
b) Die Vorinstanz hat sich zur Begründung ihres Nichteintretensentscheids auf die beim Beschwerdeführer durchgeführte Knochenalteranalyse gestützt, die ein Knochenalter von 19 Jahren ergab. Mit der Methode der Knochenalteranalyse (Analyse des radiographisch erfassten Wachstums des Handknochens) lässt sich indessen nach den Erkenntnissen der Kommission das Alter einer Person nicht genau, sondern nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite bestimmen. Dabei sind individuelle Abweichungen des Knochenwachstums vom statistischen Durchschnittswert zu berücksichtigen, welche sich noch innerhalb des Normalbereichs (entsprechend 90-95% der jeweiligen Altersgruppe) bewegen. Die Abweichungen sind je nach Rasse, Geschlecht und Alter unterschiedlich und können bis zu drei Jahren betragen (vgl. dazu das Grundsatzentscheid der ARK vom 12. September 2000 i.S. A.D., Guinea, EMARK 2000 Nr. 19, Erw. 7, S. 184 ff.). Liegt das vom Asylsuchenden behauptete Alter im Vergleich zum festgestellten Knochenalter noch innerhalb der "normalen" Abweichungen, genügt die Knochenalteranalyse zum Nachweis einer Identitätstäuschung nicht und stellt damit kein "anderes Beweismittel" als Grundlage eines Nichteintretensentscheides im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG
dar (vgl. Grundsatzentscheid, a.a.O., Erw. 8, S. 187 f.).
c) Wie sich aus den Akten ergibt, entsprach das am 17. Januar 2000 untersuchte Handskelett des Beschwerdeführers einem Knochenalter von 19 Jahren. Demgegenüber will der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Knochenalteranalyse nicht einmal 16-jährig gewesen sein bzw. seine Mutter soll ihm 1997 gesagt haben, er sei 13 Jahre alt. Dementsprechend liegen seine Altersangaben (knapp) ausserhalb der Bandbreite des auch nur theoretisch mit dem Resultat der Knochenalteranalyse vom 17. Januar 2000 vereinbaren Alters, weshalb der Nichteintretensentscheid des BFF zu Recht erging.
(...)

6. c) Hinsichtlich des Wegweisungsvollzugs ist vorab zu fragen, ob der Beschwerdeführer als Minderjähriger oder als Volljähriger zu betrachten ist. Er

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selbst behauptet, minderjährig zu sein, was zur Folge hätte, dass diesbezüglich Aspekte des Kindswohls mit zu berücksichtigen wären (EMARK 1998 Nr. 13, Erw. 5e, S. 98 ff.).
Die Möglichkeiten der Asylbehörden, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes (vgl. Art. 12
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 12 - Die Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls folgender Beweismittel:
a  Urkunden;
b  Auskünfte der Parteien;
c  Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen;
d  Augenschein;
e  Gutachten von Sachverständigen.
VwVG) das tatsächliche Alter eines Gesuchstellers zu ermitteln, sind sehr eingeschränkt. In diesem Rahmen hat das BFF seiner Pflicht zur Ermittlung des massgeblichen Sachverhalts genügt, indem es eine Knochenalteranalyse durchgeführt hat. Diese hat indessen keine Hinweise auf eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ergeben, sondern im Gegenteil dessen Volljährigkeit als wahrscheinlich erscheinen lassen. Der Beschwerdeführer hat seinerseits nichts unternommen, sein angebliches Kindsalter auch nur glaubhaft zu machen. Der Sachumstand der Minderjährigkeit ist somit unbewiesen geblieben. Nach der Bestimmung von Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz in analoger Weise auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, hat jene Partei die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen, die aus dem zu beweisenden Umstand Rechte zu ihren Gunsten ableitet (vgl. etwa BGE 112 Ib 67 Erw. 3). Da der Beschwerdeführer als Minderjähriger hinsichtlich des Wegweisungsvollzugs prozessual besser gestellt wäre, hat er die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen (in diesem Sinne auch M. Kummer, Berner Kommentar, N. 222 f. zu Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
ZGB, bezüglich der Ungewissheit über
die rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit); es kann im Folgenden daher von seiner Volljährigkeit ausgegangen werden.
Der Wegweisungsvollzug nach Guinea ist als zumutbar zu erachten, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland einer konkreten Gefährdung ausgesetzt ist. Dies gilt umso mehr, als seine Identität bis heute nicht mit Sicherheit feststeht, da er keinen Identitätsausweis zu den Akten reichte und diese Unterlassung nicht plausibel begründete. Ausserdem ist es dem Beschwerdeführer zuzumuten, sich im Heimatstaat eine neue Existenz, beispielsweise als Chauffeur aufzubauen. Er wird durch den Wegweisungsvollzug auch nicht vor unüberwindbare Hindernisse einer Reintegration in seinem Heimatland gestellt, da er sich erst seit dem 2. Januar 2000 in der Schweiz aufhält.

© 27.06.02


Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 2001-23-184-187
Datum : 13. Februar 2001
Publiziert : 13. Februar 2001
Quelle : Vorgängerbehörden des BVGer bis 2006
Status : Publiziert als 2001-23-184-187
Sachgebiet : Guinea
Gegenstand : Art. 7 und Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG, Art. 8 ZGB: Beweislast und Beweisführung bei behaupteter Minderjährigkeit.


Gesetzesregister
AsylG: 32
VwVG: 12
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 12 - Die Behörde stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls folgender Beweismittel:
a  Urkunden;
b  Auskünfte der Parteien;
c  Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen;
d  Augenschein;
e  Gutachten von Sachverständigen.
ZGB: 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.
BGE Register
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