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Auszug aus dem Urteil der Abteilung V
i. S. A. gegen Bundesamt für Migration
E-2097/2008 vom 7. Juli 2011

Asyl und Wegweisung. Flüchtlingsrechtliche Relevanz von Deportationen nach Eritrea. Situation der eritreisch-stämmigen Äthiopier in Äthiopien nach Ende der Deportationen. Darstellung der allgemeinen Lebensbedingungen. Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs alleinstehender Frauen.

Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG. Art. 83 Abs. 4
SR 142.20 Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) - Ausländer- und Integrationsgesetz
AIG Art. 83 Anordnung der vorläufigen Aufnahme - 1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.242
1    Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so verfügt das SEM die vorläufige Aufnahme.242
2    Der Vollzug ist nicht möglich, wenn die Ausländerin oder der Ausländer weder in den Heimat- oder in den Herkunftsstaat noch in einen Drittstaat ausreisen oder dorthin gebracht werden kann.
3    Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen.
4    Der Vollzug kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret gefährdet sind.
5    Der Bundesrat bezeichnet Heimat- oder Herkunftsstaaten oder Gebiete dieser Staaten, in welche eine Rückkehr zumutbar ist.243 Kommen weggewiesene Ausländerinnen und Ausländer aus einem dieser Staaten oder aus einem Mitgliedstaat der EU oder der EFTA, so ist ein Vollzug der Wegweisung in der Regel zumutbar.244
5bis    Der Bundesrat überprüft den Beschluss nach Absatz 5 periodisch.245
6    Die vorläufige Aufnahme kann von kantonalen Behörden beantragt werden.
7    Die vorläufige Aufnahme nach den Absätzen 2 und 4 wird nicht verfügt, wenn die weggewiesene Person:246
a  zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt wurde oder wenn gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne der Artikel 59-61 oder 64 StGB248 angeordnet wurde;
b  erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet; oder
c  die Unmöglichkeit des Vollzugs der Wegweisung durch ihr eigenes Verhalten verursacht hat.
8    Flüchtlinge, bei denen Asylausschlussgründe nach Artikel 53 und 54 AsylG250 vorliegen, werden vorläufig aufgenommen.
9    Die vorläufige Aufnahme wird nicht verfügt oder erlischt, wenn eine Landesverweisung nach Artikel 66a oder 66abis StGB oder Artikel 49a oder 49abis MStG251 oder eine Ausweisung nach Artikel 68 des vorliegenden Gesetzes rechtskräftig geworden ist.252
10    Die kantonalen Behörden können mit vorläufig aufgenommenen Personen Integrationsvereinbarungen abschliessen, wenn ein besonderer Integrationsbedarf nach den Kriterien gemäss Artikel 58a besteht.253
AuG.

1. Beendigung der Deportationen aus Äthiopien im Jahre 2002. Verbesserung der Rechtslage eritreisch-stämmiger Äthiopier. Aktualisierung der Lageanalyse von EMARK 2005 Nr. 12 E. 7 (E. 5).

2. Generelle Lagebeurteilung (E. 8.3 und 8.4). Rückkehrsituation und erschwerte sozioökonomische Situation alleinstehender Frauen. Es müssen begünstigende Umstände vorliegen, aufgrund derer gewährleistet ist, dass sich die betroffene Frau nach ihrer Rückkehr nicht in einer existenzbedrohenden Situation wiederfindet (E. 8.5 und 8.6).

Asile et renvoi. Caractère relevant du point de vue du droit d'asile des déportations vers l'Erythrée. Situation des Ethiopiens d'origine érythréenne en Ethiopie après la fin des déportations. Description des conditions générales de vie. Exigibilité de l'exécution du renvoi de femmes seules.

Art. 3 LAsi. Art. 83 al. 4 LEtr.

1. Cessation des déportations d'Ethiopie en 2002. Amélioration de la situation juridique des Ethiopiens d'origine érythréenne. Actualisation de l'analyse de la situation faite dans la décision JICRA 2005 no 12 consid. 7 (consid. 5).

2. Appréciation de la situation générale (consid. 8.3 et 8.4). Situation au retour et situation socio-économique difficile des femmes seules. Nécessité de l'existence de circonstances favorables permettant de garantir qu'à son retour, la femme concernée ne se retrouvera pas sans ressources, au point de voir sa vie mise en danger (consid. 8.5 et 8.6).

Asilo e allontanamento. Rilevanza, in materia di diritto di asilo, delle deportazioni verso l'Eritrea. Situazione dei cittadini etiopi di origine eritrea in Etiopia dopo la cessazione delle deportazioni. Descrizione delle condizioni di vita in generale. Esigibilità dell'esecuzione dell'allontanamento delle donne sole.

Art. 3 LAsi. Art. 83 cpv. 4 LStr.

1. Cessazione nel 2002 delle deportazioni dall'Etiopia. Miglioramento della situazione giuridica per i cittadini etiopi di origine eritrea. Aggiornamento dell'analisi della situazione rispetto alla decisione GICRA 2005 n. 12 consid. 7 (consid. 5).
2. Valutazione generale della situazione (consid. 8.3 e 8.4). Situazione al ritorno e situazione socioeconomica difficile per le donne sole. Devono sussistere circostanze favorevoli che permettano di garantire che dopo il ritorno la donna non si ritrovi senza risorse al punto di vedere la sua sopravvivenza minacciata (consid. 8.5 e 8.6).


Die aus Addis Abeba stammende Beschwerdeführerin - angeblich von gemischt amharisch-tigrinischer Ethnie - verliess ihr Heimatland im Mai 2006 und gelangte am 29. August 2006 in die Schweiz, wo sie gleichentags um Asyl nachsuchte. Ihre persönliche Situation betreffend machte sie geltend, ihre Eltern und Geschwister seien im Jahr 2001 aus Äthiopien ausgereist, nachdem ihr Vater, ein Mitglied der Befreiungsorganisation Eritreas, zum Verlassen des Landes aufgefordert worden sei. Sie habe sich damals entschlossen, weiterhin im Land zu verbleiben und dem Kleinhandel nachzugehen. Sie habe sich aber ständig vor Kontrollen und einer Ausweisung nach Eritrea gefürchtet. Auch sei es zu Unruhen gekommen, welchen sie jeweils nur knapp habe entgehen können. Da sie nicht mehr mit ihren Ängsten habe leben können - und da sie gemäss späterer Aussage von Dritten zur Ausreise aufgefordert worden sei -, habe sie sich zum Verlassen des Landes entschlossen. Sie habe das Hab und Gut der Eltern verkauft und sei mit dem Erlös ausgereist.

Das Bundesamt für Migration (BFM) wies das Asylgesuch der Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 4. März 2008 einerseits wegen Unglaubhaftigkeit und andererseits wegen fehlender Asylrelevanz der Vorbringen ab und ordnete ihre Wegweisung sowie den Vollzug an. Im Wesentlichen verneinte das BFM das Vorhandensein asylrelevanter Nachteile als Folge der geltend gemachten ethnischen Zugehörigkeit und führte aus, die äthiopische Regierung verfolge keine Politik der systematischen Diskriminierung einzelner Ethnien. Die Behelligungen von dritter Seite bezeichnete das BFM als zu wenig substanziiert und nachgeschoben. Zudem fehlten der Schilderung jegliche Realkennzeichen, so dass dieses Vorbringen nicht geglaubt werden könne. Den Wegweisungsvollzug erachtete das BFM sodann als zulässig, zumutbar und möglich.

Mit Eingabe vom 1. April 2008 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen die Verfügung des BFM. Sie beantragte die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und die Gewährung von Asyl oder der vorläufigen Aufnahme. Sie machte geltend, ihre Vorbringen seien zu Unrecht als unglaubhaft und asylrechtlich irrelevant taxiert worden. Personen mit gemischter ethnischer Herkunft müssten jederzeit mit Nachteilen rechnen. Zudem sei die Menschenrechtslage in Äthiopien schwierig und die allgemeine Lage unsicher und unstabil. Überdies sei der Wegweisungsvollzug der Beschwerdeführerin unzumutbar.

Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:


5. Das Bundesverwaltungsgericht kommt nach Durchsicht der Akten in Übereinstimmung mit der Vorinstanz zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin bis heute keiner Verfolgung gemäss Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) ausgesetzt war und weder im Zeitpunkt der Ausreise noch heute konkret befürchten muss beziehungsweise musste, einer solchen Gefahr ausgesetzt zu sein. Den Aussagen der Beschwerdeführerin ist zu entnehmen, dass sie bis zur Ausreise keinerlei Probleme gehabt hat. Sie negierte anfänglich ebenfalls Probleme mit Drittpersonen und gab an, sie habe Äthiopien präventiv verlassen, aus Angst, irgendwann nach Eritrea geschickt zu werden (...). Im Verlaufe der Anhörung machte sie auf Vorhalt früherer Angaben hin dann doch geltend, von Dritten verbal bedroht beziehungsweise gefragt worden zu sein, weshalb sie Äthiopien noch nicht verlassen habe (...).

Die geltend gemachte Befürchtung der Beschwerdeführerin, des Landes verwiesen zu werden, ist vor dem Hintergrund des im Jahre 1998 entflammten Grenzkonflikts zwischen Äthiopien und Eritrea und den darauffolgenden, seitens des äthiopischen Staates angeordneten Deportationen von Teilen des eritreisch-stämmigen Volkes aus Äthiopien, welche regelmässig mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft verbunden waren, zu sehen. Diese staatlichen Deportationen nach Eritrea haben jedoch bereits im Jahre 2002 wieder ein Ende gefunden (vgl. Internal Displacement Monitoring Centre, Eritrea: IDPs returned or resettled but border tensions remain, 16. Februar 2009; International Committee of the Red Cross, Annual Report 2008: Ethiopia, 27. Mai 2009), was bedeutet, dass sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ausreise im Jahre 2006 bereits seit längerer Zeit nicht mehr vor einer Ausweisung zu fürchten brauchte. Die Situation der eritreisch-stämmigen Ausländer in Äthiopien hat sich in den letzten Jahren im Übrigen auch auf rechtlicher Ebene erheblich verbessert. Die meisten seit 1998 eingeführten Beschränkungen sind zwischenzeitlich wieder aufgehoben worden. Eritreisch-stämmige Äthiopier haben ihr Eigentum und frühere Geschäftslizenzen wieder
zurückerhalten. Viele eritreisch-stämmige Äthiopier haben auch ihre ehemaligen Stellen im Staatsdienst zurückerhalten (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E 1724/2007 vom 5. Mai 2011 E. 3 mit weiteren Hinweisen). Mit Erlass des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Dezember 2003 erhielten Personen mit einem äthiopischen Elternteil zudem einen - vom Ausland her zwar nur schwer durchsetzbaren - Anspruch auf die äthiopische Staatsbürgerschaft (Alexandra Geiser, Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Äthiopien: Eritreische Herkunft, Bern 11. Mai 2009, S. 2).

Was die von der Vorinstanz als zweifelhaft gewerteten Behelligungen von dritter Seite betrifft, ist vorab festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführerin tatsächlich unterschiedlich zu diesen angeblichen Nachteilen geäussert hat. So gab sie bei der einlässlichen Anhörung zuerst an, « nie irgendwelche Probleme, mit niemandem », gehabt zu haben (...). Erst auf Vorhalt der in der Summarbefragung geltend gemachten Bedrohungen hin führte sie aus, es seien Leute zu ihr gekommen und hätten gefragt, was sie « denn noch in Äthiopien tun würde » (...). Die anfängliche Verneinung jeglicher Nachteile und die Aussage, sie sei präventiv ausgereist, lassen die später geltend gemachten Aufforderungen zur Ausreise in der Tat als wenig glaubhaft erscheinen, wenngleich ob der bereits heute teilweise noch andauernden Feindseligkeiten unter den Ethnien solche Äusserungen durchaus der Realität entsprechen könnten.

Die Frage der Glaubhaftigkeit solcher Äusserungen seitens anderer Ethnien kann jedoch letztlich offengelassen werden, da sie die Anforderungen an einen ersthaften Nachteil im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG - insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Deportationen nach Eritrea längst eingestellt wurden - nicht erfüllen. Zusammengefasst kann somit festgehalten werden, dass die Vorbringen insgesamt nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu führen vermögen. Die Vorinstanz hat das Asylgesuch somit zu Recht abgelehnt. Die Beschwerde ist folglich im Asylpunkt abzuweisen.

6. - 7.2 (...)

8.1 (...)

8.2 (...)

8.3 Die schweizerischen Asylbehörden gehen in konstanter Praxis von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nach Äthiopien aus (vgl. bereits Entscheidungen und Mitteilungen der schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1998 Nr. 22). Der zweieinhalb Jahre dauernde Grenzkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea wurde im Juni 2000 mit einem von der Organisation für die Einheit Afrikas vermittelten Waffenstillstand und einem von beiden Staaten am 12. Dezember 2000 unterzeichneten Friedensabkommen beendet. Trotz des Abzugs der UN-Friedenstruppen aus Eritrea im März 2008 und aus Äthiopien im August 2008 ist im heutigen Zeitpunkt nicht von einem offenen Konflikt im Grenzgebiet zwischen diesen beiden Staaten auszugehen, wenn auch gleichzeitig zu bemerken ist, dass eine Lösung der Grenzproblematik und eine Normalisierung zwischen den beiden Staaten nach wie vor nicht in Sicht ist (zur Entwicklung der Lage in Äthiopien siehe: Peter K. Meyer, SFH, Äthiopien. Update: Aktuelle Entwicklungen bis Juni 2009, Bern, 11. Juni 2009, S. 6ff.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E 1724/2007 vom 5. Mai 2011 und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E 5432/2006 vom 13. Januar 2011).

8.4 Gemäss öffentlich zugänglichen Quellen sind die Lebensumstände für den Grossteil der am oder unter dem Existenzminimum lebenden Bevölkerung Äthiopiens in jeder Hinsicht (Einkommen, Ernährungssicherung, Gesundheit, Bildung, Wohnraumversorgung) prekär. Im Frühling 2008 kam es im Osten/Südosten des Landes zu einer Dürre, in deren Folge Hunderttausende von Nutztieren verendeten und die eine Hungersnot in der Bevölkerung auslöste. Daneben führen sintflutartige Regenfälle immer wieder zu massiven Zerstörungen und Opferzahlen sowie Hunderttausenden von intern Vertriebenen.

Die Existenzbedingungen sind für die Mehrheit der Bevölkerung äusserst hart und bei Ernteausfällen oft auch lebensbedrohlich. In den letzten Jahren hat die internationale Gemeinschaft praktisch kontinuierlich Nahrungsmittelhilfe in der einen oder anderen Region Äthiopiens geleistet. Die rasante Inflation der letzten Jahre (teilweise über 30 %) drückt immer mehr Haushalte auch im städtischen Bereich unter die absolute Armutsgrenze, so dass sie nicht mehr in der Lage sind, die zum Überleben notwendigen Nahrungsmittel zu erwerben. Zum Aufbau einer sicheren Existenz sind ausreichend finanzielle Ressourcen und gut vermarktbare berufliche Fähigkeiten sowie intakte familiäre und soziale Netzwerke unabdingbar. Arbeitsplätze bleiben trotz des gestiegenen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre auch in städtischen Gebieten rar. Für wenig qualifizierte Arbeiter ist die Arbeitssituation nochmals schwieriger. Allein die starke Inflation der letzten Jahre (im Jahr 2008 stiegen beispielsweise die Preise für Lebensmittel um 60 %) hat zudem eine Mehrheit der Bevölkerung in existenzielle Nöte gebracht (vgl. Meyer, a. a.O., S. 18ff.).

8.5 Was die sozioökonomische Situation von alleinstehenden Frauen in Äthiopien betrifft, ist sodann Folgendes zu bemerken: Für alleinstehende und zurückkehrende Frauen ist es nicht leicht, sozialen Anschluss zu finden, da nicht verheiratete und allein lebende Frauen von der Gesellschaft - auch der städtischen - nicht akzeptiert werden. Alleinstehende Frauen werden in der Nachbarschaft nicht gerne gesehen, sie gelten als suspekt, da die kulturelle Norm für unverheiratete Frauen ein Leben in der Familie vorsieht. Eine Wohnung zu finden, ist in der Regel nur über Bekannte möglich. Allgemein wird davon ausgegangen, dass sie auf der Suche nach sexuellen Abenteuern sind. Wird eine alleinstehende Frau Opfer sexueller Gewalt, wird ihr die Schuld gegeben (vgl. Österreichisches Rotes Kreuz, ACCORD [Austrian Centre for Country of Origin und Asylum Research and Documentation], Reisebericht Äthiopien 05.-13. Oktober 2004, Dezember 2004).

Die Arbeitslosigkeit von Frauen in Addis Abeba wird auf 40 bis 55 % geschätzt. Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Frau in Äthiopien einer eigenständigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann, sind eine höhere Schulbildung, das Leben in der Stadt, das Verfügen über finanzielle Mittel, Unterstützung durch ein soziales Netzwerk sowie Zugang zu Informationen (vgl. < http:ethiopia.unfpa.org/drive/Gender.pdf >, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2011). Ohne diese Voraussetzungen bleiben Frauen oft nur Arbeiten, welche gesundheitliche Risiken bergen, so beispielsweise in der Prostitution oder in Haushalten, wo sie regelmässig verschiedenen Formen der Gewalt, auch sexueller, ausgesetzt sind (vgl. Alexandra Geiser, SFH, Äthiopien: Rückkehr einer jungen, alleinstehenden Frau, Bern, 13. Oktober 2009).

8.6 In Anbetracht dieser Faktoren und der persönlichen Voraussetzungen der Beschwerdeführerin ist nachfolgend zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen ist, der Beschwerdeführerin werde die soziale und wirtschaftliche Wiedereingliederung in ihre Heimat gelingen. Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass Äthiopien in den letzten Jahren einen wirtschaftlichen Boom mit zeitweilig zweistelligen Wachstumsraten zu verzeichnen hat, von dem freilich bisher vorab die urbane Mittelschicht profitiert hat, und dass Addis Abeba bessere Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten bietet als andere Städte oder ländliche Regionen.

Die Beschwerdeführerin ist eigenen Angaben zufolge in Addis Abeba geboren und hat dort bis zu ihrem (...) Altersjahr gelebt (...). Ab dem (...) Lebensjahr war sie nicht mehr bei ihren Eltern wohnhaft; diese und ihre drei Geschwister sind angeblich im Jahre 2001 nach C. ausgereist. Die Beschwerdeführerin gab weiter an, ab dem 10. Altersjahr während sechs Jahren zur Schule gegangen zu sein. Danach habe sie während acht Jahren als Haustochter bei den Eltern gelebt. Im Jahr 2002 sei sie ins Quartier D. und im Jahre 2005 ins Quartier E. gezogen, wo sie in einem Wohnhaus gelebt habe (...). An beiden Orten sei sie als Händlerin tätig gewesen (...). Laut Summarbefragung hat sie Handel mit (...) betrieben (...), was ihr zu monatlichen Einkünften von 200 bis 250 Bir verholfen hat. Die Beschwerdeführerin gab an, Addis Abeba nicht zusammen mit ihrer Familie verlassen zu haben, weil sie weiterhin dort habe arbeiten wollen (...). Zum Beziehungsnetz der Beschwerdeführerin lässt sich den Akten entnehmen, dass in Addis Abeba im Quartier F. einerseits Cousins und Cousinen sowie im Quartier G. andererseits eine Freundin wohnen, über deren Telefon sie erreichbar gewesen sei. Weitere Cousins/Cousinen lebten sodann im Quartier H. Auch ein Onkel
mütterlicherseits sei noch in Äthiopien wohnhaft (...). Angesichts des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin nur wenig Substanziiertes zum Wegzug der Familie nach C. angeben konnte und das Datum des letzten Kontaktes uneinheitlich angegeben hat (...), erachtet es das Bundesverwaltungsgericht zumindest als zweifelhaft, dass der Kontakt zu den fünf Familienmitgliedern seit Jahren völlig abgebrochen sein soll. Als ein einer Wiedereingliederung zugutekommendes Element wertet das Bundesverwaltungsgericht schliesslich, dass die Beschwerdeführerin in der Schweiz über Jahre im (...) berufliche Erfahrung sammeln konnte. Aufgrund der jahrelangen Arbeitstätigkeit ist schliesslich auch davon auszugehen, dass sie über Erspartes verfügt, welches ihr den Aufbau einer Existenz in Addis Abeba ebenfalls erleichtern dürfte.

Zusammenfassend geht das Bundesverwaltungsgericht somit davon aus, dass es der Beschwerdeführerin trotz der einleitend dargestellten schwierigen Lebensumstände für alleinstehende Frauen angesichts der persönlichen Voraussetzungen gelingen dürfte, sich wirtschaftlich und sozial in ihrem Heimatland zu reintegrieren. Gewichtig erscheinen dem Bundesverwaltungsgericht dabei insbesondere die bereits bewiesene Unabhängigkeit von den Eltern vor der Ausreise, das Bestehen eines verwandtschaftlichen, in Addis Abeba wohnhaften Netzes, welches ihr bei der Rückkehr behilflich sein kann, das frühere Betreiben eines Kleinhandels sowie die in der Schweiz erworbenen beruflichen Fähigkeiten. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet den Wegweisungsvollzug der relativ jungen und laut Akten gesunden Beschwerdeführerin somit in Übereinstimmung mit dem BFM als zumutbar.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 2011/25
Date : 07. Juli 2011
Published : 11. Dezember 2018
Source : Bundesverwaltungsgericht
Status : 2011/25
Subject area : Abteilung V (Asylrecht)
Subject : Asyl und Wegweisung


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AsylG: 3
AuG: 83
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