Urteilskopf

99 IV 206

47. Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1973 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 206

BGE 99 IV 206 S. 206

A.- (Gekürzt.) Am 25. Mai 1973 verurteilte der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden B. u.a. wegen wiederholter und fortgesetzter Veruntreuung zu einer Gefängnisstrafe. Er warf ihm folgendes vor: Das Betreibungsamt Fünf Dörfer pfändete 1970 und 1971 je einen Lohnanteil von C. und D. Der Arbeitgeber B. wurde schriftlich aufgefordert, die gepfändeten Anteile an das Betreibungsamt abzuliefern. B. zahlte seinen Arbeitern entsprechend reduzierte Löhne aus, führte aber nur einen Teil der abgezogenen Beträge an das Betreibungsamt ab. Insgesamt lieferte er Fr. 1166.-- zuwenig ab.
B.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache zur Freisprechung.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Der Beschwerdeführer wurde wegen Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 140 - 1. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.199
1    Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.199
2    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr200 bestraft, wenn er zum Zweck des Raubes eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt.
3    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft,
4    Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt.
StGB verurteilt. Danach wird insbesondere bestraft, wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem Nutzen verwendet. Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass mit dem Erfordernis des Anvertrauens nicht auf die Eigentumsverhältnisse abgestellt wird. Auch eine eigene Sache, eigenes Geld, kann veruntreut werden, wenn sie wirtschaftlich zum Vermögen eines

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anderen gehört. Hingegen muss in jedem Fall ein Vertrauensverhältnis bestehen (BGE 99 IV 8, BGE 98 IV 25 /26, BGE 94 IV 139, BGE 81 IV 233 /34,BGE 75 IV 14). Es steht fest, dass der Beschwerdeführer den beiden Arbeitern jeweils den gepfändeten Lohnanteil abzog, d.h. ihnen den pfändungsfreien Teil des Lohnes ausbezahlte, seiner Verpflichtung zur Ablieferung der gepfändeten Lohnquoten an das Betreibungsamt aber nur teilweise nachkam. Soweit über die Lohnauszahlungen hinaus noch Geld vorhanden war, wurde es für Geschäftsauslagen und dergleichen verwendet. Das Kantonsgericht nimmt an, die gepfändeten Lohnanteile seien B. von seinen Arbeitnehmern anvertraut worden zum Zwecke der Weitergabe an eine bestimmte natürliche oder juristische Person und im Vertrauen darauf, dass er den abgezogenen Betrag bestimmungsgemäss verwende. Indessen haben die Arbeiter dem Beschwerdeführer weder einen Auftrag erteilt, noch bestand ein Vertrauensverhältnis hinsichtlich der Lohnabzüge. Vielmehr pfändete das Betreibungsamt den Lohn ohne irgendeine Willensäusserung der Arbeitnehmer; häufig werden solche Lohnpfändungen sogar gegen den Willen der Arbeitnehmer durchgeführt. Ein Vertrauensverhältnis hinsichtlich dieser Lohnbetreffnisse entstand zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber nicht. Der Arbeitnehmer kann bei Lohnpfändungen dem Arbeitgeber auch nicht etwa sein "Vertrauen" entziehen noch belässt er ihm den Lohnanteil. Der Arbeitnehmer kann den gepfändeten Lohnanteil nicht einmal für sich beanspruchen oder dem Arbeitgeber Weisungen über die Verwendung erteilen. Doch auch das Betreibungsamt und die Gläubiger vertrauen dem Arbeitgeber bei Lohnpfändungen nichts an. Auch hier entsteht kein Vertrauensverhältnis, sondern nur eine Ablieferungspflicht aufgrund einer betreibungsrechtlichen Anordnung. Der Arbeitgeber, der trotz Lohnpfändung dem Arbeitnehmer den ganzen Lohn ausbezahlt oder zwar einen Abzug vornimmt, das Betreffnis aber nicht weiterleitet, handelt widerrechtlich, begeht aber keine Veruntreuung.
Fehlt es somit an einem Vertrauensverhältnis, so erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde als begründet. Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob an der in BGE 94 IV 138 getroffenen Annahme, "anvertrauen" setze nicht eine vorausgehende Übergabe der Sache oder des Geldes an den Täter voraus, die im Schrifttum auf Kritik gestossen ist, festgehalten werden soll.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 99 IV 206
Date : 14. Dezember 1973
Published : 31. Dezember 1974
Source : Bundesgericht
Status : 99 IV 206
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, Veruntreuung. Der Arbeitgeber, der trotz. Lohnpfändung dem Arbeitnehmer den ganzen Lohn ausbezahlt


Legislation register
StGB: 140
BGE-register
75-IV-11 • 81-IV-228 • 94-IV-137 • 98-IV-22 • 99-IV-206 • 99-IV-6
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