99 Ia 444
54. Urteil vom 24. Januar 1973 i.S. Landesring der Unabhängigen gegen Einwohnergemeinde Zollikofen und Regierungsrat des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 1. Zulässiger Rechtsbehelf für die Anfechtung kantonal letztinstanzlicher Entscheide über indirekte Kommissionswahlen ist die staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 2. Voraussetzungen für die Beschwerdelegitimation einer politischen Partei (Erw. 2);
- 3. Gemeindebeschwerde wegen angeblicher Missachtung des im kantonalen und kommunalen Recht vorgesehenen Minderheitenschutzes bei Kommissionswahlen. Umfang der regierungsrätlichen Kognition im Weiterziehungsverfahren (Erw. 3);
- 4. Dürfen Listenverbindungen, die für die Wahlen ins Gemeindeparlament vereinbart worden sind, auch bei den Kommissionswahlen berücksichtigt werden? Beurteilung eines Falles aus der Gemeinde Zollikofen (Erw. 4).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst. Droit communal; élection des membres des commissions communales; protection des minorités.
- 1. Pour attaquer les décisions cantonales de dernière instance en matière d'élection au 2e degré des membres de commissions, c'est lavoie du recours de droit public prévue à l'art. 84 al. 1 lettre a OJ qui est ouverte (consid. 1).
- 2. Conditions relatives à la qualité pour recourir d'un parti politique (consid. 2).
- 3. Recours en matière communale contre la prétendue violation des prescriptions cantonales et communales destinées à protéger les minorités lors de l'élection des membres d'une commission. Etendue du pouvoir d'examen du Conseil d'Etat en tant qu'autorité de recours (consid. 3).
- 4. Les apparentements de listes qui ont été convenus pour les élections au parlement communal peuvent-ils aussi être pris en considération lors de l'élection des membres d'une commission? Solution d'un cas d'espèce relatif à la commune de Zollikofen (consid. 4).
Regesto (it):
- Art. 4 CF; diritto comunale; elezione dei membri delle commissioni comunali; protezione delle minoranze.
- 1. Le decisioni cantonali di ultima istanza in materia di elezione indiretta dei membri di commissioni sono impugnabili con ricorso di diritto pubblico ai sensi dell'art. 84 cpv. 1 lett. a
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- 2. Presupposti della legittimazione ricorsuale di un partito politico (consid. 2).
- 3. Ricorso in materia comunale contro la pretesa violazione di disposizioni cantonali e comunali destinate a proteggere le minoranze in occasione dell'elezione dei membri di una commissione. Estensione del potere cognitivo del Consiglio di Stato quale autorità di ricorso (consid. 3).
- 4. Possono essere considerate anche in occasione dell'elezione dei membri di una commissione le congiunzioni di liste convenute per l'elezione del parlamento comunale? Fattispecie relativa al comune di Zollikofen (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 445
BGE 99 Ia 444 S. 445
A.- Das bernische Gesetz über das Gemeindewesen (Gemeindegesetz; GG) vom 9. Dezember 1917 enthält unter anderem folgende Bestimmungen: "Art. 17 Abs. 3 Bei der Bestellung der Behörden und Kommissionen ist auf die Vertretung der Minderheiten angemessene Rücksicht zu nehmen. Art. 63 Abs. 1
Gegen die von Gemeindeorganen getroffenen Wahlen, sowie gegen Beschlüsse, welche allgemeine Interessen der Gemeinde berühren, kann jeder in Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigte Bürger wegen Verletzung oder willkürlicher Anwendung von Gesetzen, Dekreten, Verordnungen oder Gemeindereglementen Beschwerde führen." Über die Zusammensetzung der Gemeindekommissionen bestimmt die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde Zollikofen vom 12. Dezember 1971 (GO) folgendes:
BGE 99 Ia 444 S. 446
B. Zusammensetzung
I. Mitgliederzahl
Art. 53
1 Die ständigen Kommissionen setzen sich aus 3 bis 11 Mitgliedern zusammen. 2 Innerhalb dieses Rahmens und vorbehältlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen wird die Mitgliederzahl der einzelnen Kommissionen durch den Grossen Gemeinderat festgesetzt. II. Vertretungsanspruch der Wählergruppen
Art. 54
1 Für die Berechnung der Mitgliederzahl, die jeder Wählergruppe in jeder einzelnen Kommission zufällt, ist auf die bei der Wahl des Grossen Gemeinderates erreichten Parteistimmenzahlen abzustellen. 2 Die Mitglieder der Kommissionen werden nach den Vorschriften der Geschäftsordnung der Wahlbehörden im Mehrheitsverfahren gewählt. 3 Mitglieder von Amtes wegen sind derjenigen Partei anzurechnen, welcher sie angehören. Ist ein solches Mitglied parteilos, so ist es derjenigen Partei anzurechnen, die am meisten Sitze aufweist. Bei Sitzgleichheit entscheidet das Los. Sind mehrere von Amtes wegen gewählte Mitglieder parteilos, so sind sie den vertretenen Parteien gemäss ihrer Stärke anzurechnen. 4 Im übrigen gelten für die Vertretung der Minderheiten die Bestimmungen des Gemeindegesetzes.
B.- Am 12. Dezember 1971 fanden in der Einwohnergemeinde Zollikofen Wahlen in den Grossen Gemeinderat statt, für welche die Freisinning-demokratische Partei, die Bürgerpartei und die Christlichsoziale Partei eine Listenverbindung im Sinne von Art. 102 und 116 GO vereinbart hatten. Der Urnengang zeitigte das folgende Ergebnis: Stimmenzahl % Sitze im Grossen
Gemeinderat
Sozialdemokratische Partei 28038 29,88 12
Freisinnig-demokratische Partei 24449 26,05 11
Bürger-Partei 25127 26,78 11
Christlichsoziale Partei 8084 8,6 13
Landesring der Unabhängigen 8149 8,68 3
------------------------
Total 93847 100,00 40
Bei der Bestellung der Gemeindekommissionen kam es in der Folge zu Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Art. 54 Abs. 1 GO. Mit Beschluss vom 20. Dezember 1971 ging der Gemeinderat davon aus, dass bei der Verteilung nach Parteistimmenzahlen auf die Listenverbindungen abzustellen sei, d.h. dass die für die Gemeindewahlen durch Listen verbundenen
BGE 99 Ia 444 S. 447
Parteien eine "Wählergruppe" im Sinne von Art. 54 Abs. 1 GO bildeten. Diese Berechnungsmethode, die bereits bei den Gemeindewahlen der Jahre 1963 und 1967 angewendet worden war, hatte zur Folge, dass der Landesring der Unabhängigen in den Kommissionen mit sieben und neun Mitgliedern keinen Einsitz nehmen konnte, obwohl er einige Parteistimmen mehr erzielt hatte als die Christlichsoziale Partei.
C.- Am 22. Januar 1972 erhob die Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen Gemeindebeschwerde mit der Begründung, das Vorgehen des Gemeinderats verletze Art. 17 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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D.- Die Ortsgruppe Zollikofen des Landesrings der Unabhängigen, vertreten durch zwei Vorstandsmitglieder, führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
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E.- Der Gemeinderat von Zollikofen und die Direktion der Gemeinden des Kantons Bern beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
BGE 99 Ia 444 S. 448
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, das vom Regierungsrat geschützte Vorgehen des Gemeinderats bei der Bestellung der ständigen Kommissionen verletze das Stimm- und Wahlrecht der Bürger und könne daher auf dem Weg einer staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a
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BGE 99 Ia 444 S. 449
im kantonalen Beschwerdeverfahren willkürlich beschränkt und damit gegen Art. 4
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2. Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist legitimiert, wer behauptet, durch den angefochtenen Hoheitsakt persönlich in seinen Rechten verletzt worden zu sein (Art. 88
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 56 Beziehungen der Kantone mit dem Ausland - 1 Die Kantone können in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge schliessen. |
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1 | Die Kantone können in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Ausland Verträge schliessen. |
2 | Diese Verträge dürfen dem Recht und den Interessen des Bundes sowie den Rechten anderer Kantone nicht zuwiderlaufen. Die Kantone haben den Bund vor Abschluss der Verträge zu informieren. |
3 | Mit untergeordneten ausländischen Behörden können die Kantone direkt verkehren; in den übrigen Fällen erfolgt der Verkehr der Kantone mit dem Ausland durch Vermittlung des Bundes. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 60 - 1 Vereine, die sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder andern nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen, erlangen die Persönlichkeit, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist. |
|
1 | Vereine, die sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder andern nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen, erlangen die Persönlichkeit, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist. |
2 | Die Statuten müssen in schriftlicher Form errichtet sein und über den Zweck des Vereins, seine Mittel und seine Organisation Aufschluss geben. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 99 Ia 444 S. 450
sich mit staatsrechtlicher Beschwerde gegen eine angebliche Verletzung von Art. 54 GO bzw. Art. 17 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, Art. 54 GO könne ohne Willkür dahin ausgelegt werden, dass die Listenverbindungen auch bei der Bestellung der Kommissionen zu berücksichtigen seien; dies um so mehr, als den Gemeindeorganen bei der Auslegung der Gemeindeordnung ein weiter Spielraum des Ermessens offen stehe. Die Beschwerdeführer machen in diesem Zusammenhang vor allem geltend, der Regierungsrat habe seine Überprüfungsbefugnis zu Unrecht beschränkt und sich damit einer formellen Rechtsverweigerung schuldig gemacht, denn nach Art. 70 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 22. Oktober 1961 (VRPG) sei der Regierungsrat verpflichtet, die Anwendung und Auslegung des Gemeinderechts im Weiterziehungsverfahren frei zu prüfen. Der Umfang der regierungsrätlichen Kognition bei der Beurteilung von Gemeindebeschwerden ergibt sich aus dem kantonalen Gesetzesrecht. Insoweit vermag das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid deshalb nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür zu überprüfen. Läge der Betrachtungsweise des Regierungsrats jedoch eine willkürliche Auslegung der massgebenden Verfahrensvorschriften zugrunde, so wäre die Beschwerde in der Tat gutzuheissen, denn eine gegen den klaren Gesetzeswortlaut verstossende Beschränkung der Überprüfungsbefugnis verstösst nach der Rechtsprechung gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 99 Ia 444 S. 451
mag Art. 63 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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BGE 99 Ia 444 S. 452
Lücke, so hat diesfalls bei der Kommissionsbildung Art. 54 Abs. 4 GO Platz zu greifen, wonach für die Vertretung der Minderheiten die Bestimmungen des GG massgebend sein sollen. In Betracht fällt dabei offensichtlich Art. 17 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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4. Ist demnach - wie ohne Willkür angenommen werden kann - davon auszugehen, dass der Gemeinderat bei der Bildung der Kommissionen nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden hatte, ob und gegebenenfalls wie dabei Listenverbindungen zu berücksichtigen sind, so bleibt im vorliegenden Verfahren - ähnlich wie im Verfahren vor dem Regierungsrat - bloss diese Ermessensbetätigung zu prüfen. Von einem Ermessensmissbrauch, dem einzigen hier in Betracht fallenden Verstoss, könnte freilich nur dann gesprochen werden, wenn der Gemeinderat sich von absonderlichen und sachwidrigen Überlegungen hätte leiten lassen und einen dem Sinn der GO klarerweise widersprechenden, offensichtlich unbilligen Beschluss gefasst hätte (vgl. BGE 96 I 429 Erw. 2; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 221 X, S. 79). So verhält es sich indessen nicht. Wohl ist die Listenverbindung in erster Linie eine Partnerschaft zur Verwertung der Reststimmen bei der Verhältniswahl (vgl. dazu BENNO SCHMID, Die Listenverbindung im schweizerischen Proportionalwahlrecht, Diss. Zürich 1961, S. 35 ff.). Damit ist jedoch ihre Aufgabe noch nicht notwendigerweise erschöpft, denn es ist nicht geradezu unhaltbar, sie darüber hinaus als taugliches Mittel des Minderheitenschutzes zu betrachten. Nach dem Sinngehalt von Art. 17 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 99 Ia 444 S. 453
eingegangene und allenfalls auf Fraktionsebene fortgesetzte Bündnis mit Rücksicht auf das politische Kräfteverhältnis, wie es sich aus der Wahl ergeben hat, auch bei der Zusammensetzung der Kommissionen zu berücksichtigen. Dabei mag auch in Betracht fallen, dass dieses Vorgehen in der Gemeinde Zollikofen einerlangjährigen, unangefochtenenÜbung entspricht. Der angefochtene Beschluss des Gemeinderats kann deshalb nicht als offensichtlich minderheitsfeindlich bezeichnet werden, sondern liegt noch innerhalb des weiten Ermessensspielraums, der den Gemeindeorganen nach Massgabe von Art. 17 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.