98 V 26
7. Auszug aus dem Urteil vom 15. März 1972 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Stauffer AG und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 52
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen.
- Funktion und Verantwortung des Arbeitgebers im beitragsrechtlichen Bezugsverfahren. Begriff des durch grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften verursachten Schadens (Präzisierung der Rechtsprechung).
Regeste (fr):
- Art. 52 LAVS.
- Fonction et responsabilité de l'employeur dans la procédure d'encaissement des cotisations. Notion du dommage dû à l'inobservation gravement fautive des prescriptions (précision de la jurisprudence).
Regesto (it):
- Art. 52 LAVS.
- Funzionee risponsabilità deldatore di lavoro nella procedura d'incasso dei contributi. Nozione del danno causato per inosservanza gravemente colposa delle prescrizioni (indicazioni precisanti la giurisprudenza).
Sachverhalt ab Seite 26
BGE 98 V 26 S. 26
A.- Die Stauffer AG hatte über die Bezüge der bei ihr seit Oktober 1958 als Propagandistin, bzw. Vertreterin beschäftigten G. sozialversicherungsrechtlich nicht abgerechnet, weil sie annahm, G. sei als Selbständigerwerbende der Ausgleichskasse angeschlossen. Am 30. Dezember 1970 erliess die Ausgleichskasse
BGE 98 V 26 S. 27
für die Beitragsjahre 1965-1969 eine Nachzahlungsverfügung im Betrage von Fr. 2790.95, welche in Rechtskraft erwachsen ist, sowie eine Schadenersatzverfügung, lautend auf eine Forderung von Fr. 2580.75 für verjährte paritätische Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten für die Jahre 1960 bis 1964. Auf Einsprache der Stauffer AG machte die Ausgleichskasse die Schadenersatzforderung klageweise geltend..
B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies mit Entscheid vom 12. Mai 1971 die Klage ab, weil der beklagten Firma keine grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften im Sinne von Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
C.- Gegen diesen Entscheid hat das Bundesamt für Sozialversicherung rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Rechtsbegehren, die Stauffer AG sei zu verhalten, fürdieJahre 1960 bis 1964 Schadenersatz in einer gerichtlich festzusetzenden Höhe zu leisten. Die Stauffer AG beantragt, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Gemäss Art. 128

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

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SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
BGE 98 V 26 S. 28
Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher auf die vom Bundesamt für Sozialversicherung erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten (Art. 132

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.101 Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) AHVV Art. 202 |
4. Werden Beiträge nicht innert fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, für welche sie geschuldet sind, durch Verfügung geltend gemacht, so können sie nicht mehr eingefordert oder entrichtet werden (Art. 16 Abs. 1

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 16 Verjährung - 1 Werden Beiträge nicht innert fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet sind, durch Erlass einer Verfügung geltend gemacht, so können sie nicht mehr eingefordert oder entrichtet werden. In Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG84 endet die Verjährungsfrist für Beiträge nach den Artikeln 6 Absatz 1, 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 erst ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die massgebende Steuerveranlagung rechtskräftig wurde.85 Wird eine Nachforderung aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist festsetzt, so ist diese Frist massgebend. |
5. Gemäss Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
BGE 98 V 26 S. 29
dem Arbeitgeber komme in seinen Beziehungen zum Arbeitnehmer keine Organ- oder organähnliche Stellung zu, welches im übrigen auch immer die verwaltungsmässigen Aufgaben des Arbeitgebers sein mögen, die diesem unbestrittenermassen obliegen. Diese Auffassung bestätigte das Eidg. Versicherungsgericht auch im Urteil i.S. Pré-de-Vers vom 21. März 1957 (ZAK 1957 S. 448), wo es die Organstellung des Arbeitgebers verneinte, dagegen ausführte, der Arbeitgeber handle bei der Entrichtung paritätischer Beiträge als vom Gesetz bezeichneter Substitut. In BGE 96 V 124 bemerkte das Gericht ohne nähere Begründung, in der AHV komme den Arbeitgebern nebst ihrer Eigenschaft als Beitragspflichtige (Art. 12

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 12 Beitragspflichtige Arbeitgeber - 1 Als Arbeitgeber gilt, wer obligatorisch versicherten Personen Arbeitsentgelte gemäss Artikel 5 Absatz 2 ausrichtet. |
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a | der Unterstellung unter die Beitragspflicht von Arbeitgebern ohne Betriebsstätte in der Schweiz; |
b | der Befreiung von der Beitragspflicht von Arbeitgebern mit einer Betriebsstätte in der Schweiz.67 |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 51 Aufgaben - 1 Die Arbeitgeber haben von jedem Lohn im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 den Beitrag des Arbeitnehmers abzuziehen.288 |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
6. Der Arbeitgeber hat indessen den verursachten Schaden gemäss Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
BGE 98 V 26 S. 30
über die Abrechnungspflicht absichtlich nicht nachgekommen sei, fehlen Anhaltspunkte; es kann sich einzig fragen, ob sie diese Vorschriften grobfahrlässig verletzt hat. Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn ein Arbeitgeber das ausser acht lässt, was jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (EVGE 1957 S. 219, 1961 S. 232). Im Schrifttum wird zu Recht die Auffassung vertreten, dass diese im Hinblick auf die Praktikabilität und Rechtssicherheit erforderliche Objektivierung des Fahrlässigkeitsbegriffes nicht starr zu handhaben ist; dies schon mit Rücksicht darauf, dass den Arbeitgebern in der AHV verwaltungsrechtliche Aufgaben von Gesetzeswegen alseine unausweichliche Folge ihrer sozialen Stellung und ohne Berücksichtigung ihrer persönlichen Fähigkeiten und ohne Entgelt auferlegt werden (WINZELER, a.a.O., S. 68). Das Mass der zu verlangenden Sorgfalt ist daher abzustufen entsprechend der Sorgfaltspflicht, die in den kaufmännischen Belangen jener Arbeitgeberkategorie, welcher der betreffende Arbeitgeber angehört, üblicherweise erwartet werden kann und muss. In diesem Sinne hat die Beschwerdegegnerin die Vorschriften über die Abrechnungspflicht grobfahrlässig verletzt. Eine Aktiengesellschaft gehört in Anbetracht der ihr eigenen rechtlichen Struktur zu jener Arbeitgeberkategorie, an deren Sorgfaltspflicht grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind. Es hätte der Beschwerdegegnerin bei der gegebenen Sachlage ernstlich als zweifelhaft erscheinen müssen, ob die Tätigkeit von G. wirklich als selbständige Erwerbstätigkeit bewertet werden dürfe. Wenn siees nicht für nötig erachtete, sich über die Abrechnungspflicht zu vergewissern und die Frage zu prüfen, ob die angeblich von G. selbständig vorgenommene Abrechnung zulässig sei, so liegt hierin eine grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften...
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 12. Mai 1971 aufgehoben und es wird die Sache zu weiterer Abklärung im Sinne der Erwägungen und zu neuer Verfügung an die Ausgleichskasse zurückgewiesen.