98 Ia 348
57. Urteil vom 21. Juni 1972 i.S. Möbel Widmer AG gegen Breitenstein und Obergericht des Kantons Luzern.
Regeste (de):
- 1. Prozessuales.
- a) Art. 87 OG. Ein letztinstanzlicher, die provisorische Rechtsöffnung verweigernder Entscheid ist ein Endentscheid (Erw. 1).
- b) Art. 90 OG. Kassatorische Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1).
- c) Art. 87 OG. Substitution von Motiven (Erw. 3 a.A.).
- 2. Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Es ist nicht willkürlich, als Umgehung der Bestimmungen über den Vorauszahlungs- bzw. Abzahlungskauf zu betrachten
Regeste (fr):
- 1. Procédure.
- a) Art. 87 OJ. Une décision de dernière instance cantonale qui refuse la mainlevée provisoire est une décision finale (consid. 1).
- b) Art. 90 OJ. Nature cassatoire du recours de droit public (consid. 1). c) Art. 87 OJ. Substitution de motifs (consid. 3).
- 2. Art. 4 Cst.; art. 227 a ss. CO. Vente de meubles.
- Il n'est pas arbitraire de considérer comme conclue en violation des dispositions sur la vente à tempérament et la vente avec paiements préalables
- - une vente au comptant qui déploie économiquement les effets d'un tel contrat (consid. 3);
Regesto (it):
- 1. Procedura.
- a) Art. 87 OG. Una decisione cantonale di ultima istanza che nega il rigetto provvisorio dell'opposizione ad una esecuzione costituisce una decisione finale (consid. 1).
- b) Art. 90 OG. Natura cassatoria del ricorso di diritto pubblico (consid. 1).
- c) Art. 87 OG. Sostituzione di motivi (consid. 3, inizio).
- 2. Art. 4 CF; art. 227 a ss. CO; compravendita di mobili.
- Non è arbitrario considerare conclusi con l'intento di eludere le norme sulla vendita a rate e sulla vendita a rate anticipate
Sachverhalt ab Seite 349
BGE 98 Ia 348 S. 349
A.- Mit Kaufvertrag vom 17. November 1965 (= Kaufvertrag 1965) verpflichtete sich die Möbel Widmer AG zur Lieferung von Möbeln drei Jahre nach Vertragsschluss und die zwanzigjährige Serviertochter Lotti Breitenstein zur Bezahlung des Kaufpreises von Fr. 9'273.-- bei der Lieferung. Einer Aufforderung der Verkäuferin vom 1. November 1968 zur Vertragserfüllung kam die Käuferin nicht nach, nahm die Möbel nicht ab und leistete keine Zahlung. Am 7. März 1969 schlossen die Parteien eine Vereinbarung (= Vereinbarung 1969), wonach der Kaufvertrag 1965 "aufgehoben und annulliert" wurde. Lotti Breitenstein verpflichtete sich, der Möbel Widmer AG für die Vertragsauflösung 35% der Kaufsumme (Fr. 3'245.--) in monatlichen Raten von Fr. 100.-- zu entrichten. Dieser Betrag sollte ihr bei einem späteren Möbelkauf angerechnet werden. Lotti Breitenstein leistete an die Möbel Widmer AG bis Ende 1969 insgesamt Fr. 700.-- und stellte dann die Zahlungen ein. 1971 von der Möbel Widmer AG für Fr. 2'545.-- betrieben, erhob sie Rechtsvorschlag.
B.- Unter Berufung auf die Vereinbarung 1969 verlangte die Möbel Widmer AG provisorische Rechtsöffnung. Der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Stadt verweigerte sie mit der Begründung, der Kaufvertrag 1965 sei wirtschaftlich ein Vorauszahlungsvertrag und daher als Umgehungsgeschäft nichtig. Einen Rekurs der Möbel Widmer AG wies das Obergericht des Kantons Luzern am 19. Januar 1972 ab, wobei es zu den Ausführungen der ersten Instanz über die Gültigkeit des Kaufvertrags 1965 nicht Stellung nahm, sondern die Vereinbarung 1969 selbst als Vorauszahlungsvertrag und mangels Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften als nichtig betrachtete.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Möbel Widmer AG Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids
BGE 98 Ia 348 S. 350
sowie Bewilligung der provisorischen Rechtsöffnung, eventuell (durch) Rückweisung der Sache in diesem Sinne. Sie bringt im wesentlichen vor, Inhalt der Vereinbarung 1969 sei ausschliesslich die Aufhebung des gültig abgeschlossenen Barzahlungs-Kaufvertrags 1965 und die Regelung der Schadenersatzfolgen daraus; ihre Umdeutung in einen Vorauszahlungsvertrag sei sachlich nicht vertretbar. Obergericht und Gegenpartei beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das die provisorische Rechtsöffnung verweigernde Urteil des Obergerichts ist ein (letztinstanzlicher) Endentscheid gemäss Art. 87 OG (BGE 94 I 368 E. 3). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, soweit dessen Aufhebung beantragt wird. Dagegen sind die Begehren um Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung bzw. Rückweisung zu diesem Zwecke wegen der rein kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde vorliegender Art unzulässig (BGE 96 I 2 E 1, BGE 95 I 197 E 2).
2. Das Obergericht begründet seine Auffassung, die Vereinbarung 1969 sei ein - mangels Erfüllung der gesetzlichen Formerfordernisse nichtiger - Vorauszahlungsvertrag, wie folgt: Sie verknüpfe die Aufhebung des Kaufvertrags 1965 mit einem neuen Kaufvertrag, nach welchem die in monatlichen Raten abzuzahlende Konventionalstrafe von Fr. 3'245.-- bei einem künftigen Möbelkauf im Umfange der ursprünglichen Kaufsumme angerechnet werde. Damit erfülle die Verembarung die in Art. 227 a Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 98 Ia 348 S. 351
Bedeutung wäre. Im Gegenteil liegt nahe, dass es gerade die Aussicht darauf war, für die Abstandszahlung in Zukunft doch noch eine Gegenleistung zu erhalten, welche die Beschwerdegegnerin zur Anerkennung der gemessen sowohl an ihren finanziellen Verhältnissen wie am ursprünglichen Kaufpreis sehr hohen Ersatzsumme bewogen hat. Zwar verpflichtete sie sich nicht zum Kauf von Möbeln, doch wurde sie durch die Vereinbarung mittelbar zum spätern Abschluss eines Kaufvertrags gezwungen, wenn sie nicht auf jede Gegenleistung für den Betrag von Fr. 3'245.-- verzichten wollte. Ihre Verpflichtung war insofern noch drückender, der Kaufszwang noch stärker als beim Abschluss eines Vorauszahlungsvertrags, als der Vorauszahlungskäufer im Falle der Kündigung nur ein Reugeld von höchstens 5% der Vertragssumme oder maximal Fr. 250.-- zu leisten hat (Art. 227 f
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 227 |
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3. Die Vereinbarung 1969 wurde beiderseits unter der Voraussetzung der Gültigkeit des Kaufvertrags 1965 geschlossen. Die Begründung des Amtsgerichtspräsidenten, der Kaufvertrag 1965 sei in Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen über den Vorauszahlungsvertrag geschlossen worden und seine Ungültigkeit ziehe auch diejenige der Vereinbarung 1969 nach sich, wurde vom Obergericht nicht übernommen, aber auch nicht ausdrücklich verworfen, sodass ihrer Substituierung als Ersatzbegründung keine formellen Hmdernisse entgegenstehen (BGE 96 I 549 E. 3, BGE 94 I 311 E 4). Ihre Stichhaltigkeit ist daher zu prüfen. Der Kaufvertrag 1965 war als Barkaufausgestaltet. Die Möbel sollten Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises geliefert werden. Die Besonderheit lag darin, dass die Erfüllung des Vertrages erst 3 Jahre nach dessen Abschluss erfolgen sollte. Die Herausschiebung der Erfüllungszeit allein macht einen Barkauf
BGE 98 Ia 348 S. 352
nicht zum Vorauszahlungsvertrag. Wo jedoch die besonderen Umstände eines Vertragsverhältnisses offenbaren, dass es wirtschaftlich die Wirkung eines Vorauszahlungsvertrages hat, ist es an die gesetzlichen Bestimmungen über den Vorauszahlungsvertrag gebunden. Mit dem Amtsgerichtspräsidenten ist davon auszugehen, dass die damals 20-jährige, vermögenslose Beschwerdegegnerin, um den Kaufvertrag erfüllen zu können, jeden Monat einen erheblichen Betrag aus ihrem Verdienst als Serviertochter hätte beiseite legen müssen. Damit übernahm sie wirtschaftlich die gleiche Verpflichtung, die ihr ein Vorauszahlungsvertrag gebracht hätte, ohne dass sie in den Genuss der zugunsten des Vorauszahlungskäufers aufgestellten Schutzvorschriften gekommen wäre. Insbesondere gewährte ihr der Vertrag weder das Recht, innert 5 Tagen den Verzicht auf den Vertragsschluss zu erklären, noch die Befugnis, den Vertrag zu kündigen unter Angabe des dabei zu zahlenden Reugeldes, wie dies Art. 227 a
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BGE 98 Ia 348 S. 353
kennen und wissen, dass es dieser nur mit grösster Anstrengung überhaupt möglich sein könnte, den Vertrag zu erfüllen. Daher musste sie bereits bei Vertragsschluss mit der Nichterfüllung seitens der Beschwerdegegnerin und damit mit einer späteren Umwandlung in einen Vorauszahlungs- oder Abzahlungsvertrag rechnen. Ein solcher "Barkauf" kann als Umgehung sowohl des Abzahlungs- wie des Vorauszahlungskaufs betrachtet werden. Mit dem Vorauszahlungskauf hat er die langfristige Bindung im Hinblick auf eine erst in ferner Zukunft liegende Gegenleistung gemeinsam. Dem Abzahlungsvertrag gleicht er sich an, wenn der Käufer am Lieferungszeitpunkt nicht bar zahlen kann und deshalb eine Abzahlungsverpflichtung eingehen muss. Keine dieser Betrachtungsweisen verstösst im vorliegenden Fall gegen klares Recht. Die eine wie die andere hat die Nichtigkeit des Kaufvertrags 1965 zur Folge, da er den Formerfordernissen keines der in Frage stehenden Vertragstypen genügt. Die Nichtigkeit dieses Vertrages hat zur Folge, dass die Vereinbarung 1969 des Rechtsgrundes entbehrt, denn für die Nichterfüllung eines nichtigen Vertrags kann auch kein Schadenersatz geschuldet sein, für dessen Zahlung Modalitäten vereinbart werden könnten.
4. Durfte somit die Nichtigkeit der Vereinbarung 1969 sowohl aus dem Umgehungscharakter dieser Vereinbarung als solcher wie aus demjenigen des Kaufvertrags 1965, aus dem sie sich herleitet, ohne Willkür geschlossen werden, so verstösst der angefochtene Entscheid nicht gegen klares Recht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit daraufeinzutreten ist.