97 II 306
42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1971 i.S. X. gegen Y.
Regeste (de):
- Nachträglich eingetretene Beschränkung der Verfügungsfreiheit (Art. 516
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 516 - Tritt für den Erblasser nach Errichtung einer Verfügung von Todes wegen eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit ein, so wird die Verfügung nicht aufgehoben, wohl aber der Herabsetzungsklage unterstellt.
- Ein Erbvertrag zwischen dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau, der den Pflichtteil der zweiten Ehefrau verletzt, unterliegt der Herabsetzungsklage. Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben im gleichen Verhältnis (Art. 525 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 525 - 1 Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben und Bedachten im gleichen Verhältnis, soweit nicht aus der Verfügung ein anderer Wille des Erblassers ersichtlich ist.
1 Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben und Bedachten im gleichen Verhältnis, soweit nicht aus der Verfügung ein anderer Wille des Erblassers ersichtlich ist. 2 Wird die Zuwendung an einen Bedachten, der zugleich mit Vermächtnissen beschwert ist, herabgesetzt, so kann er unter dem gleichen Vorbehalt verlangen, dass auch diese Vermächtnisse verhältnismässig herabgesetzt werden.
Regeste (fr):
- Diminution de la capacité de disposer survenue après coup (art. 516 CC).
- Un pacte successoral conclu entre le défunt et sa première femme qui lèse la réserve de la deuxième femme est soumis à l'action en réduction. La réduction a lieu pour tous les héritiers institués dans la même proportion (art. 525 al. 1 CC).
Regesto (it):
- Limitazione della facoltà di disporre intervenuta successivamente (art. 516 CC).
- Un contratto successorio concluso tra il defunto e la sua prima moglie, lesivo della riserva della seconda moglie, soggiace all'azione di riduzione. La riduzione avviene per tutti gli eredi istituiti, nella medesima proporzione (art. 525 cpv. 1 CC).
Sachverhalt ab Seite 306
BGE 97 II 306 S. 306
Aus dem Tatbestand:
A.- Die kinderlosen Eheleute X.-Y. schlossen am 6. Februar 1958 einen Erbvertrag, womit sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Sie bestimmten, dass von dem nach dem Tode des Zweitversterbenden vorhandenen Reinvermögen eine Quote von 60% den Verwandten des Ehemannes (der Erbengruppe X.) und eine solche von 40% den Verwandten der Ehefrau (der Erbengruppe Y.) zufallen solle. Der Erbvertrag regelte auch die Verteilung dieser Gesamtquoten unter die einzelnen Verwandten. Am 2. Januar 1962 starb die Ehefrau. In der Folge heiratete X. wieder. In einer am 9. Mai 1967 errichteten eigenhändigen letztwilligen Verfügung wies er seiner zweiten Ehefrau 1/4 des Nachlasses zu Eigentum zu und stellte fest, dass die erbvertraglich bedachten Verwandten der ersten Ehefrau 40% der verbleibenden 3/4 des Nachlasses erhalten würden. Für die seiner
BGE 97 II 306 S. 307
eigenen Verwandtschaft zugedachten 60% von 3/4 des Nachlasses traf er neue, teilweise vom Erbvertrag abweichende Verfügungen. Am 23. Januar 1968 starb X.
B.- Mit einer am 16. Januar 1969 eingeleiteten Klage gegen die zweite Ehefrau und die Verwandten des Erblassers verlangten die im Erbvertrag erwähnten Verwandten der ersten Ehefrau u.a., es sei ihnen eine Quote von 40% des beim Tode des Erblassers vorhandenen Reinvermögens zuzuweisen. Das Bezirksgericht schützte diesen Anspruch. Das Obergericht nahm ebenfalls an, die Kläger hätten grundsätzlich 40% des Gesamtnachlasses zu beanspruchen, zog jedoch von dieser Quote den Anteil von 6% der Lydia Y. (einer im Jahre 1966 verstorbenen Verwandten der ersten Ehefrau) ab und setzte die Gesamtquote der Kläger demgemäss auf 34% des Nachlasses X. fest.
C.- Dagegen haben die Beklagten die Berufung an das Bundesgericht erhoben. Die Verminderung der Gesamtquote der Erbengruppe Y. um den Anteil der Lydia Y. (d.h. um 6%) ist nicht mehr streitig.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
7. Im Testament vom 9. Mai 1967 hat der Erblasser die Ansprüche aller Vertragserben (sowohl der Verwandtschaft X. als auch der Verwandtschaft Y.) generell um den Pflichtteil der zweiten Ehefrau, d.h. um einen Viertel, gekürzt. Den erbvertraglich eingesetzten Verwandten der ersten Ehefrau (der Erbengruppe Y.) sprach er nämlich 40% von 3/4 des Nachlasses zu und erklärte im weitern, er wolle, da er den eigenen Verwandten (der Erbengruppe X.) gegenüber nicht vertraglich gebunden sei, über die verbleibenden 60% des nicht der zweiten Ehefrau zu Eigentum zufallenden Teils, d.h. über 60% von 3/4 des Nachlasses, testamentarisch verfügen. Die Vorinstanz vertritt nun die Auffassung, der Pflichtteil der zweiten Ehefrau gehe richtigerweise ausschliesslich zulasten der Erbengruppe X. und die Kläger - die Erbengruppe Y. - hätten auf volle 40% (bzw., nach Abzug des Anteils der Lydia Y., auf volle 34%) des Gesamtnachlasses Anspruch. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. a) Durch das Hinzutreten eines Pflichtteilsanspruchs, d.h. bei nachträglicher Einschränkung der Verfügungsfreiheit, bleiben gemäss Art. 516

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 516 - Tritt für den Erblasser nach Errichtung einer Verfügung von Todes wegen eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit ein, so wird die Verfügung nicht aufgehoben, wohl aber der Herabsetzungsklage unterstellt. |
BGE 97 II 306 S. 308
und darin vorgesehene erbrechtliche Zuwendungen nur im Umfange der verfügbaren Quote bestehen (ESCHER N 1 zu Art. 516

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 516 - Tritt für den Erblasser nach Errichtung einer Verfügung von Todes wegen eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit ein, so wird die Verfügung nicht aufgehoben, wohl aber der Herabsetzungsklage unterstellt. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 525 - 1 Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben und Bedachten im gleichen Verhältnis, soweit nicht aus der Verfügung ein anderer Wille des Erblassers ersichtlich ist. |
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1 | Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben und Bedachten im gleichen Verhältnis, soweit nicht aus der Verfügung ein anderer Wille des Erblassers ersichtlich ist. |
2 | Wird die Zuwendung an einen Bedachten, der zugleich mit Vermächtnissen beschwert ist, herabgesetzt, so kann er unter dem gleichen Vorbehalt verlangen, dass auch diese Vermächtnisse verhältnismässig herabgesetzt werden. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 494 - 1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen. |
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1 | Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen. |
2 | Er kann über sein Vermögen frei verfügen. |
3 | Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie: |
1 | mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und |
2 | im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.521 |

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beider Verwandtengruppen um einen Viertel gekürzt seien, und machte dann von seinem behaupteten Recht der freien Verfügbarkeit über den Anteil der Verwandtschaft X. lediglich in der Weise Gebrauch, dass er eine teilweise Neuaufteilung dieser Quote unter die Erben seiner Seite vornahm. Den (ebenfalls gekürzten) Anteil der Erbengruppe Y. dagegen liess er un berührt. Nach dem Gesagten ist somit den Klägern in Abänderung des vorinstanzlichen Urteils ein Anspruch auf 25,5% des Nachlasses von X. zuzusprechen.