Urteilskopf

94 IV 102

27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1968 i.S. Gamberoni gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
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Erwägungen ab Seite 103

BGE 94 IV 102 S. 103

Aus den Erwägungen:

II.

1. Nach Art. 55
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind.
1    Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind.
2    Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege.
StGB kann der Richter den Ausländer, der zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt wird, für drei bis fünfzehn Jahre, bei Rückfall auf Lebenszeit aus dem Gebiet der Schweiz verweisen. Der Beschwerdeführer befindet sich im Rückfall nach Art. 67
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 67 - 1 Hat jemand in Ausübung einer beruflichen oder einer organisierten ausserberuflichen Tätigkeit ein Verbrechen oder Vergehen begangen, für das er zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten verurteilt worden ist, und besteht die Gefahr, dass er seine Tätigkeit zur Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen missbrauchen wird, so kann ihm das Gericht die betreffende oder vergleichbare Tätigkeiten für sechs Monate bis zu fünf Jahren ganz oder teilweise verbieten.94
1    Hat jemand in Ausübung einer beruflichen oder einer organisierten ausserberuflichen Tätigkeit ein Verbrechen oder Vergehen begangen, für das er zu einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten verurteilt worden ist, und besteht die Gefahr, dass er seine Tätigkeit zur Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen missbrauchen wird, so kann ihm das Gericht die betreffende oder vergleichbare Tätigkeiten für sechs Monate bis zu fünf Jahren ganz oder teilweise verbieten.94
2    Hat jemand gegen einen Minderjährigen oder eine andere besonders schutzbedürftige Person ein Verbrechen oder Vergehen begangen und besteht die Gefahr, dass er in Ausübung einer beruflichen oder einer organisierten ausserberuflichen Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt mit Minderjährigen oder mit anderen besonders schutzbedürftigen Personen umfasst, weitere Straftaten dieser Art begeht, so kann ihm das Gericht die betreffende Tätigkeit für ein Jahr bis zehn Jahre verbieten.
2bis    Das Gericht kann das Verbot nach Absatz 2 lebenslänglich verhängen, wenn zu erwarten ist, dass die Dauer von zehn Jahren nicht ausreicht, damit vom Täter keine Gefahr mehr ausgeht. Es kann ein zeitlich befristetes Verbot nach Absatz 2 auf Antrag der Vollzugsbehörde jeweils um höchstens fünf Jahre verlängern, wenn dies notwendig ist, um den Täter von weiteren Verbrechen und Vergehen, wie sie Anlass für das Verbot waren, abzuhalten.95
3    Wird jemand wegen einer der nachfolgenden Straftaten zu einer Strafe verurteilt oder wird deswegen gegen ihn eine Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 oder 64 angeordnet, so verbietet ihm das Gericht lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu Minderjährigen umfasst:
a  Menschenhandel (Art. 182), sofern er die Straftat zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung an einem minderjährigen Opfer begangen hat;
b  sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187), sexuelle Handlungen mit Abhängigen (Art. 188) oder sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt (Art. 196);
c  sexuelle Nötigung (Art. 189), Vergewaltigung (Art. 190), Schändung (Art. 191), sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten (Art. 192), Ausnützung der Notlage (Art. 193), Exhibitionismus (Art. 194), Förderung der Prostitution (Art. 195) oder sexuelle Belästigungen (Art. 198), sofern er die Straftat an oder vor einem minderjährigen Opfer begangen hat;
d  Pornografie (Art. 197):
d1  nach Artikel 197 Absatz 1 oder 3,
d2  nach Artikel 197 Absatz 4 oder 5, sofern die Gegenstände oder Vorführungen sexuelle Handlungen mit Minderjährigen zum Inhalt hatten.96
4    Wird jemand wegen einer der nachfolgenden Straftaten zu einer Strafe verurteilt oder wird deswegen gegen ihn eine Massnahme nach den Artikeln 59-61, 63 oder 64 angeordnet, so verbietet ihm das Gericht lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu volljährigen, besonders schutzbedürftigen Personen umfasst, sowie jede berufliche oder jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit im Gesundheitsbereich mit direktem Patientenkontakt:
a  Menschenhandel (Art. 182) zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, sexuelle Nötigung (Art. 189), Vergewaltigung (Art. 190), Schändung (Art. 191), sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten (Art. 192), Ausnützung der Notlage (Art. 193), Exhibitionismus (Art. 194), Förderung der Prostitution (Art. 195) oder sexuelle Belästigungen (Art. 198), sofern er die Straftat begangen hat an oder vor:
a1  einem volljährigen, besonders schutzbedürftigen Opfer, oder
a2  einem volljährigen nicht besonders schutzbedürftigen Opfer, das zum Widerstand unfähig oder urteilsunfähig war oder sich aufgrund einer körperlichen oder psychischen Abhängigkeit nicht zu Wehr setzen konnte;
b  Pornografie (Art. 197 Abs. 2 erster Satz und Abs. 4 oder 5), sofern die Gegenstände oder Vorführungen zum Inhalt hatten:
b1  sexuelle Handlungen mit volljährigen, besonders schutzbedürftigen Opfern, oder
b2  sexuelle Handlungen mit volljährigen, nicht besonders schutzbedürftigen Opfern, die zum Widerstand unfähig oder urteilsunfähig waren oder sich aufgrund einer körperlichen oder psychischen Abhängigkeit nicht zur Wehr setzen konnten.97
4bis    Das Gericht kann in besonders leichten Fällen ausnahmsweise von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes nach Absatz 3 oder 4 absehen, wenn ein solches Verbot nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, wie sie Anlass für das Verbot sind. Von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes darf jedoch nicht abgesehen werden, wenn der Täter:
a  verurteilt worden ist wegen Menschenhandel (Art. 182), sexueller Nötigung (Art. 189), Vergewaltigung (Art. 190), Schändung (Art. 191) oder Förderung der Prostitution (Art. 195); oder
b  gemäss den international anerkannten Klassifikationskriterien pädophil ist.98
5    Wird der Täter im selben Verfahren wegen mehrerer Straftaten zu einer Strafe verurteilt oder wird gegen ihn deswegen eine Massnahme angeordnet, so legt das Gericht fest, welcher Anteil der Strafe oder welche Massnahme auf eine Straftat entfällt, die ein Tätigkeitsverbot nach sich zieht. Dieser Strafanteil, die Massnahme sowie die Straftat sind massgebend dafür, ob ein Tätigkeitsverbot nach Absatz 1, 2, 2bis, 3 oder 4 verhängt wird. Die Strafanteile für mehrere einschlägige Straftaten werden addiert. Es können mehrere Tätigkeitsverbote verhängt werden.99
6    Das Gericht kann für die Dauer der Verbote Bewährungshilfe anordnen.100
7    ...101
StGB. Art. 67 Ziff. 2 bestimmt ausdrücklich, dass eine Bestrafung im Ausland Rückfall begründet, wenn sie wegen einer strafbaren Handlung erfolgt ist, für die nach schweizerischem Recht die Auslieferung bewilligt werden könnte. Bezieht sich auch diese Bestimmung in erster Linie auf die Strafschärfung nach Ziff. 1, so gilt sie doch nicht weniger für Art. 55. Warum hier der Begriff des Rückfalls ein anderer sein sollte als dort, ist nicht zu ersehen. Die Einheit wird auch in der Literatur als selbstverständlich angenommen.
Dass für qualifizierten Diebstahl und Diebstahlsversuch, die Gegenstand des Urteils der Cour d'Assises de la Seine vom 13. Juni 1957 bildeten, nach dem Bundesgesetz vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande die Auslieferung bewilligt werden könnte (vgl. dazu Art. 6 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 6 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und
b  der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird.
2    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.
3    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK11, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, dort aber nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB und BGE 79 IV 50), ist unbestritten.
2. Das heisst indessen noch nicht, dass der Rückfall notwendig zur Ausweisung auf Lebenszeit führen müsse. Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 kann bei Rückfall Verweisung auf Lebenszeit ausgesprochen werden. HAFTER, Allg. Teil, 2. Aufl., S. 303 Ziff. V vertritt die Auffassung, dass die Landesverweisung im wesentlichen nicht Strafe, sondern sichernde Massnahme sei und im Gesetz daher richtiger bei den Massnahmen als bei den Nebenstrafen eingefügt worden wäre. Verhielte es sich so, so wäre für ihre Anordnung und Bemessung der Sicherungszweck ausschlaggebend, und auf das Verschulden und die persönlichen Verhältnisse des Täters käme wenig an. Tatsächlich wurde die Landesverweisung aber bewusst und gewollt als Nebenstrafe in das Gesetz aufgenommen, mit der Folge, dass Art. 63 darauf Anwendung findet. Bei den schweren Folgen, die sie für den
BGE 94 IV 102 S. 104

Verurteilten haben kann, ist das auch verständlich und entspricht dem Schuldprinzip des Strafgesetzbuches. Damit ist der Sicherungszweck nicht ausgeschaltet. Dies umso weniger, als nach Art. 42 Ziff. 1 a.E. für den ausländischen Gewohnheitsverbrecher die Landesverweisung Ersatz sein kann für die Verwahrung, welche in erster Linie die Sicherung der Öffentlichkeit bezweckt (vgl. zum letzten BGE 84 IV 148). Bei der Landesverweisung kommt dem Sicherungszweck eine richtunggebende Funktion zu, nur darf diese die Entscheidung nicht mehr oder weniger allein beherrschen. Sache des Richters ist es, im einzelnen Falle den Ausgleich zwischen dem Straf- und dem Sicherungszweck der Landesverweisung zu finden.
3. Der Beschwerdeführer ist ein 42 jähriger gemeingefährlicher Berufsverbrecher, bei dem wenig Aussicht besteht, dass er seine Gesinnung und Lebensführung noch wesentlich ändern werde. Daher liegt es im Interesse des Landes, ihn dauernd von der Schweiz fernzuhalten, soweit das mit der Landesverweisung überhaupt möglich ist. Landesverweisung auf Lebenszeit für drei Einbruchsdiebstähle ist freilich auch unter Berücksichtigung von Vorleben und Persönlichkeit des Beschwerdeführers eine weitgehende zusätzliche Sanktion neben der Freiheitsstrafe. Besondere Bedeutung kommt anderseits den persönlichen Verhältnissen zu. Die Wirkung der Landesverweisung ist für den Täter je nach seinen Beziehungen zum Gastlande eine ganz verschiedene. Der Ausländer, der in der Schweiz verwurzelt ist, hier seine Familie und seine berufliche Existenz hat, wird durch die Landesverweisung unverhältnismässig härter getroffen als derjenige, den keine engern Beziehungen mit dem Lande verbinden. Der Beschwerdeführer hat, abgesehen vom Aufenthalt in Flüchtlingslagern in den letzten beiden Kriegsjahren, nie in der Schweiz gelebt. Zur Begehung der Diebstähle ist er nach der Feststellung der Vorinstanz eigens aus dem Ausland in die Schweiz eingereist. Sein Vater soll auf dem Golfplatz in Lugano angestellt sein, wohnt aber auf der italienischen Seite der Grenze, die Mutter hat ihr Domizil in Lugano, wo sie in einem Café-Restaurant arbeitet, die Schwester ist in Féchy VD mit einem Schweizer verheiratet. Bei Landesverweisung auf Lebenszeit wird der Beschwerdeführer somit die Mutter an ihrem Wohnort Lugano und die Schwester an ihrem Wohnort in Féchy nicht mehr besuchen können. Beide
BGE 94 IV 102 S. 105

wohnen indessen nicht sehr weit von der Grenze entfernt, sodass sie ihn in Italien, die Schwester unter Umständen auch in Frankreich, treffen können. Die Vorinstanz hat nicht allein auf das Bedürfnis nach Sicherung abgestellt, Art. 55
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 55 - 1 Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind.
1    Das Gericht sieht bei der bedingten Strafe vom Widerruf und bei der bedingten Entlassung von der Rückversetzung ab, wenn die Voraussetzungen der Strafbefreiung gegeben sind.
2    Als zuständige Behörden nach den Artikeln 52, 53 und 54 bezeichnen die Kantone Organe der Strafrechtspflege.
StGB also nicht falsch aufgefasst. In Abwägung aller Umstände kann auch nicht gesagt werden, sie habe mit der Verweisung auf Lebenszeit das sachliche Ermessen überschritten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 94 IV 102
Date : 22. November 1968
Published : 31. Dezember 1969
Source : Bundesgericht
Status : 94 IV 102
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 55 StGB, Landesverweisung. 1. Rückfall: Der Begriff ist der gleiche wie in Art. 67 StGB (Erw.1). 2. Die Landesverweisung


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StGB: 6  55  63  67
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79-IV-49 • 84-IV-145 • 94-IV-102
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