91 II 388
55. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1965 i.S. "Basler-Unfall", Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft gegen Simone.
Regeste (de):
- Örtliche Zuständigkeit für die Schadenersatzklage eines in der Schweiz wohnhaften, durch ein schweizerisches Motorfahrzeug im Ausland Geschädigten
- a) bei gleichzeitiger Belangung des Halters und des Haftpflichtversicherers in der Schweiz,
- b) bei Belangung nur des Haftpflichtversicherers.
- Art. 49
OG, Art. 85
SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR)
LCR Art. 85
Regeste (fr):
- For de l'action en dommages-intérêts lorsqu'elle est intentée par une personne domiciliée en Suisse victime d'un accident causé à l'étranger par un véhicule automobile suisse,
- a) à la fois au détenteur et à son assurance responsabilité civile en Suisse,
- b) à l'assurance seule.
- Art. 49 OJ, 85 LCR.
Regesto (it):
- Foro dell'azione di risarcimento promossa da una persona domiciliata in Svizzera, vittima d'un infortunio causato all'estero da un veicolo a motore svizzero,
- a) contro il detentore e l'assicurazione della responsabilità civile contemporaneamente,
- b) contro l'assicurazione soltanto.
- Art. 49
OG, 85 LCStr.
Sachverhalt ab Seite 388
BGE 91 II 388 S. 388
A.- Die in Olten wohnhafte Frau Cesira Simone wurde bei einem Autounfall, den sie als Fahrgast im Personenwagen des Remigio Zaninoni auf einer Fahrt in Italien erlitt, schwer verletzt. Sie erhob gegen den in Niedererlinsbach (SO) wohnhaften Fahrzeughalter und Lenker Zaninoni und dessen Haftpflichtversicherer, die "Basler-Unfall", beim Amtsgericht Olten-Gösgen Klage auf solidarische Verpflichtung der beiden Beklagten zur Bezahlung von Fr. 300'000.-- nebst Zins, unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Beide Beklagten bestritten unter Hinweis auf Art. 85

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |
B.- Das Amtsgericht Olten-Gösgen wies mit Einrede-Entscheid vom 15. Januar 1965 die Einrede der mangelnden ört lichen Zuständigkeit ab.
BGE 91 II 388 S. 389
Das Obergericht des Kantons Solothurn bestätigte auf Appellation beider Beklagten hin den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 29. April 1965.
C.- Gegen dieses Urteil hat die "Basler-Unfall" die Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie hält an der Bestreitung der örtlichen Zuständigkeit der solothurnischen Gerichte fest und beantragt, es sei zu erkennen, dass sie sich auf die Klage nicht einzulassen habe. Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das angefochtene Urteil ist ein selbständiger Vorentscheid einer oberen kantonalen Instanz über die örtliche Zuständigkeit der von der Klägerin angerufenen solothurnischen Gerichte. Er ist somit gemäss Art. 49

2. Art. 85

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |
"1) Für Schadenersatzklagen aus Unfällen von Motorfahrzeugen oder Fahrrädern im Ausland gilt sowohl der Gerichtsstand des Unfallortes als auch des Wohnsitzes des Beklagten zur Zeit der Klageerhebung; Art. 84 dieses Gesetzes ist nicht anwendbar. 2) Verursacht ein mit gültigen schweizerischen Kontrollschildern oder Kennzeichen versehenes Motorfahrzeug oder Fahrrad einen Unfall im Ausland, so wendet der schweizerische Richter die Haftpflicht- und Versicherungsbestimmungen dieses Gesetzes an auf Ansprüche a) aus dem Schaden von Personen, die mit einem solchen Motorfahrzeug gegen Entgelt befördert wurden und die Fahrt in der Schweiz angetreten haben oder beenden wollen; b) von Geschädigten, die zur Zeit des Unfalles ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten." Die Vorinstanz ist zum Schlusse gelangt, nach den Gesetzesmaterialien sei nicht anzunehmen, die Bundesversammlung habe bei der Schaffung des Art. 85

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 79 |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |
BGE 91 II 388 S. 390
wollen; dagegen sei nicht beabsichtigt gewesen, für die Klage gegen den Versicherer hinsichtlich des Gerichtsstandes eine Verschlechterung einzuführen. Infolge der vorgenommenen Vereinfachung des Wortlautes sei allerdings eine "verbale Unebenheit" entstanden, da eine Versicherungsunternehmung keinen "Wohnsitz", sondern einen "Sitz" habe. Das sei aber angesichts der ratio des Art. 85

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 85 |

SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 58 Armée - 1 La Suisse a une armée. Celle-ci est organisée essentiellement selon le principe de l'armée de milice. |

SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 59 Service militaire et service de remplacement - 1 Tout homme de nationalité suisse est astreint au service militaire. La loi prévoit un service civil de remplacement. |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 84 |
3. Das MFG bestimmte in Art. 45, dass die Klage gegen den Haftpflichtigen beim Gericht seines Wohnsitzes oder beim Gericht des Unfallortes angebracht werden könne; gemäss Art. 49 Abs. 3 MFG sodann konnte das Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer beim Gericht des Wohnsitzes des Halters oder des Unfallortes geltend gemacht werden. Dem Verletzten stand somit die Wahl zwischen dem Gericht des Unfallortes und demjenigen des Wohnsitzes des Halters offen; er konnte an einem dieser Orte den Prozess gegen beide Beklagten (Halter und Versicherer) einleiten. Das auf den vorliegcnden Streitfall anwendbare SVG hat dieses Wahlrecht beseitigt. Als ordentlichen Gerichtsstand bezeichnet Art. 84

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BGE 91 II 388 S. 391
des Halters zu belangen. Das Gesetz sieht somit einen gemeinsamen Gerichtsstand für alle Ansprüche des durch einen Strassenverkehrsunfall Geschädigten vor. Damit sollte der nach dem MFG bestehenden Möglichkeit vorgebeugt werden, dass es infolge der Belangung des Halters und des Lenkers (oder mehrerer Halter und Lenker) vor verschiedenen Gerichten zu einander widersprechenden Urteilen über den gleichen Unfall komme (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr, vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II S. 59). Nur bei Zustimmung aller Geschädigter, die noch nicht abgefunden sind, kann die Klage auch am Wohnsitz eines Haftpflichtigen, oder, wenn sie sich gegen den Versicherer richtet, am Sitz der Versicherungsunternehmung angebracht werden. Diese Regelung gilt für Unfälle, die sich in der Schweiz zugetragen haben. Für Unfälle im Ausland enthielt das MFG keine besonderen Bestimmungen. Der bundesrätliche Entwurf für das SVG sah diesbezüglich in Art. 79 die folgende Regelung vor: "1) Verursacht ein mit gültigen schweizerischen Kontrollschildern versehenes Motorfahrzeug oder ein mit gültigen schweizerischen Kennzeichen versehenes Fahrrad einen Unfall im Ausland, aus dem nur in der Schweiz wohnhafte Personen geschädigt sind, so können diese im gemeinsamen Einverständnis die Schadenersatzklage in der Schweiz anbringen. Die gleiche Möglichkeit haben sie, wenn die im Ausland wohnenden Geschädigten abgefunden sind. 2) Die Klage ist gegen den Halter oder Radfahrer beim Richter seines Wohnsitzes zur Zeit der Klageanhebung, die Klage gegen den Versicherer am Sitze der Versicherungsunternehmung oder am Wohnsitz des Haftpflichtigen anzubringen. 3) Der Richter entscheidet diese Fälle nach den Haftpflicht- und Versicherungsbestimmungen dieses Gesetzes." Danach sollte also ein Geschädigter beim Vorliegen der in Art. 79 Abs. 1 des Entwurfes umschriebenen Voraussetzungen die Möglichkeit haben, am Wohnsitz des Haftpflichtigen sowohl diesen als auch die Versicherungsunternehmung einzuklagen und seine sämtlichen Ansprüche in einem Prozess beurteilen zu lassen. Es wurde somit für Unfälle im Ausland neben dem ordentlichen, für alle Beklagten gemeinsamen Gerichtsstand des Unfallortes auch noch ein gemeinsamer Gerichtsstand in der Schweiz vorgesehen. Die nationalrätliche Kommission für das SVG beantragte dem Nationalrat, dem Entwurf zuzustimmen. Auf Antrag von
BGE 91 II 388 S. 392
Nationalrat Harald Huber wurde jedoch der heute geltende Wortlaut angenommen; er blieb - abgesehen davon, dass der Ständerat auf Vorschlag seiner Kommission bei der Gerichtsstandsbestimmung von Abs. 1 zunächst das Wort "schweizerischen" vor dem Wort "Wohnsitz" einfügte, später aber sich der Fassung des Nationalrates anschloss (Sten.Bull. StR 1958 S. 129 und 213) - bei der weiteren Behandlung unangefochten und ist als Art. 85 Gesetz geworden. Hinsichtlich des Gerichtsstandes bestimmt nun Abs. 1, es gelte sowohl der Gerichtsstand des Unfallortes als auch derjenige des Wohnsitzes des Beklagten zur Zeit der Klageanhebung; Art. 84 wird als nicht anwendbar bezeichnet. Eine ausdrückliche Bestimmung, wonach auch die Versicherungsunternehmung am Wohnsitz des Beklagten (d.h. des Halters oder des aus Verschulden Haftenden) belangt werden könne, fehlt. Es fielen im Parlament auch keine Voten darüber, was unter dem Begriff "Beklagter" zu verstehen sei, und insbesondere auch nicht über die weitere Frage, an welchem Ort die Versicherungsunternehmung belangt werden könne, um die Durchführung zweier Prozesse in der Schweiz zu vermeiden. Nationalrat Huber begründete seinen Antrag mit dem Interesse der im Ausland geschädigten Schweizer an einer Beurteilung durch schweizerische Gerichte und mit dem Hinweis auf allfällige Vollstreckungsschwierigkeiten im Falle der Beurteilung im Ausland. Es ging ihm um die Verbesserung des Schutzes der in der Schweiz wohnhaften Geschädigten sowie solcher, die gegen Entgelt befördert werden und die Fahrt in der Schweiz angetreten hatten oder beenden wollten. Für die Anwendung schweizerischen Rechtes sollte nicht mehr notwendig sein, dass ausländische Geschädigte abgefunden seien, wie es der bundesrätliche Entwurf vorsah. Das Risiko, dass im Falle mehrerer Geschädigter derselbe Unfall zu Klagen im Ausland und in der Schweiz führen könnte, wurde ausdrücklich erwähnt, im Hinblick auf die genannten Gründe aber als das kleinere Übel in Kauf genommen (Sten.Bull. N R 1957 S. 260 ff.).
4. a) Es fällt zunächst auf, dass in Art. 79 Abs. 2 des Entwurfs bei Auslandunfällen ein gemeinsamer schweizerischer Gerichtsstand für Klagen gegen den Halter und die Versicherungsunternehmung ausdrücklich vorgesehen, diese Bestimmung dann aber im Gesetz durch diejenige ersetzt wurde, wonach "sowohl der Gerichtsstand des Unfallortes, als auch des Wohnsitzes des
BGE 91 II 388 S. 393
Beklagten" gegeben ist. Es ist jedoch zu beachten, dass das SVG in Art. 84 für Unfälle in der Schweiz - im Gegensatz zur Ordnung im MFG - für alle Klagen einen ordentlichen gemeinsamen Gerichtsstand am Unfallort vorsieht und andere Gerichtsstände nur subsidiär, unter bestimmten Voraussetzungen, zulässt. Art. 85

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BGE 91 II 388 S. 394
behandelt werden sollte als bei Unfällen im Inland, für die sie sich ebenfalls am ordentlichen gemeinsamen Gerichtsstand belangen lassen muss. c) Keine ausdrückliche Regelung ist bei dieser Auslegung dem Gesetz zu entnehmen für den Fall, dass nur die Versicherungsunternehmung eingeklagt wird. Hier fehlt ein Beklagter im Sinne der oben gemachten Ausführungen, an dessen Wohnsitz die Versicherungsunternehmung zu belangen wäre. In diesem Falle besteht aber auch kein Interesse an einem gemeinsamen ordentlichen Gerichtsstand zwecks Vermeidung mehrerer Prozesse. Mangels gesetzlicher Regelung greift daher der Grundsatz des Art. 59

SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 59 Service militaire et service de remplacement - 1 Tout homme de nationalité suisse est astreint au service militaire. La loi prévoit un service civil de remplacement. |
5. Dass die übrigen Voraussetzungen des Art. 85

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Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 29. April 1965 bestätigt.