90 II 62
8. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Januar 1964 i.S. Reinmann gegen Reimnann.
Regeste (de):
- Bäuerliches Vorkaufsrecht nach EGG und Nationalstrassenbau.
- Der Erwerb von Land durch den Staat zum Zwecke der Leistung von Realersatz (unmittelbar oder im Landumlegungsverfahren) an vom Nationalstrassenbau betroffene Landwirte geschieht in Erfüllung einer (bestimmten) öffentlichen, gemeinnützigen Aufgabe im Sinne von Art. 10 lit. b
EGG; daher entfällt das Vorkaufsrecht. (Art. 10
und 21
EGG; Art. 30 ff. Bundesgesetz über Nationalstrassen).
Regeste (fr):
- Droit de préemption rural d'après la LPR et la réglementation concernant la construction des routes nationales.
- L'acquisition de terrain par l'Etat en vue de le restituer en nature (directement ou dans une procédure de remaniement parcellaire) à des agriculteurs touchés par la construction d'une route nationale a lieu afin de réaliser une oeuvre de caractère public ou d'utilité publique au sens de l'art. 10 litt. b LPR; le droit de préemption ne peut donc être invoqué (Art. 10 et 21 LPR; art. 30 ss. de la loi fédérale sur les routes nationales).
Regesto (it):
- Diritto di prelazione agricolo secondo la LPF e la regolamentazione concernente la costruzione delle strade nazionali.
- L'acquisto di terreno da parte dello Stato per destinarlo a restituzioni in natura (direttamente o in una procedura di raggruppamento terreni) ad agricoltori colpiti dalla costruzione di strade nazionali è concluso allo scopo di attuare un'opera di carattere pubblico o di utilità pubblica nel senso dell'art. 10 lett. b LPF; il diritto di prelazione non può pertanto essere fatto valere. (Art. 10 e 21 LPF; art. 30 sgg. della legge federale sur le strade nazionali.)
Sachverhalt ab Seite 62
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A.- Der Staat Bern kaufte mit Vertrag vom 17. Februar 1961 von Ernst Reinmann zum Preise von Fr. 315'000.-- einen Teil seines Heimwesens in Wiedlisbach (GB Nr. 403) sowie die dazu gehörenden Grundstücke GB Nr. 404-407, mit dem Zweck, diese landwirtschaftlich genützten Grundstücke andern Landwirten, deren Liegenschaften durch die Nationalstrasse Nr. 1 durchschnitten werden, unmittelbar oder mittelbar (im Landumlegungsverfahren)
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als Realersatz anbieten zu können. Dieser Zweck wurde in Art. 10 des Vertrags ausdrücklich festgehalten: "Der Staat Bern erwirbt die Vertragssachen zur Leistung von Realersatz im Zusammenhang mit der zu erstellenden Autobahn durch die Gemeinde Wiedlisbach. Soweit die Grundstücke von der Autobahn berührt werden, könnte der Staat Bern vom Enteignungsrecht Gebrauch machen." In Ziffer 12 wurde vereinbart, dass, falls der Staat das erworbene Teilstück vom GB Nr. 403 A nicht mit dem Bauernbetrieb als Realersatz verwenden würde, der Verkäufer oder seine Nachkommen es binnen 10 Jahren zu Fr. 3. - per m2 zurückkaufen können. In der Folge machte ein Sohn des Verkäufers, Wilhelm Reinmann-Kurt, Pächter der verkauften Liegenschaften, das Vorkaufsrecht nach Art. 6

B.- Während das Amtsgericht Wangen a.A. die Klage grundsätzlich guthiess und die Grundstücke dem Kläger zusprach, hat der Appellationshof des Kantons Bern auf Appellation von 3 Beklagten (1 Bruder unterzog sich dem Entscheid) mit Urteil vom 6. Mai 1963 die Klage abgewiesen unter hälftiger Teilung der Kosten.
C.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung des Klägers mit dem Antrag auf Aufhebung desselben und Anerkennung des Vorkaufsrechts an den verkauften Liegenschaften, soweit sie nicht direkt zum Strassenbau verwendet werden. Die noch am Rechte stehenden Beklagten (Witwe, 2 Kinder, Staat Bern) tragen auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
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Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Für denjenigen Teil des Grundstückes Nr. 406 (Wiedlisbachmoos), auf das die Nationalstrasse Nr. 1 direkt zu liegen kommt, haben beide Vorinstanzen ein Vorkaufsrecht des Klägers deshalb verneint, weil für diesen Boden dem Käufer Staat Bern das Enteignungsrecht zusteht, sodass bezüglich dieses Bodens der Ausnahmefall 1 gemäss Art. 10 lit. b

2. Bezüglich der von der Autobahn nicht direkt berührten Kaufgrundstücke greift das Vorkaufsrecht des Klägers dann nicht Platz, wenn auf sie die Ausnahmefälle 2 oder 3 des Art. 10 lit. b

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werden, in das der Staat Bern Land einwerfe, um den im Perimeter des Strassenprojektes zusammengefassten Grundeigentümern einen allgemeinen prozentualen Landabzug zu ersparen. Die öffentliche Aufgabe des Landerwerbes für die Erstellung der Nationalstrassen könne auf diese Weise in der für die betroffenen Grundeigentümer gelindesten Form bewerkstelligt werden. Der Ankauf von Grundstücken durch den Staat zu diesem Zwecke erfolge somit zweifellos "zur Erfüllung einer öffentlichen, gemeinnützigen Aufgabe". Diesen grundsätzlichen Ausführungen der Vorinstanz ist ohne weiteres beizupflichten. Das Bundesgericht hat die Frage kürzlich in einem gleichartigen Fall betreffend den Nationalstrassenbau im Kanton Luzern gleich beurteilt (Urteil vom 20. Juni 1963 i.S. Müller-Helfenstein c. Müller und Staat Luzern, nicht publiziert). Was der Berufungskläger gegen diese Auslegung des Art. 10


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Zwecke verkauft habe und dieses ersetzen müsse.
Weder Wortlaut noch Sinn der erwähnten Bestimmung bieten jedoch einen Anhaltspunkt für eine solche enge Auslegung. Übrigens stützt sich die Vorinstanz für den Ausschluss des Vorkaufsrechts auf Art. 10 lit. b Fall 2 (öffentliche Aufgabe), nicht Fall 3 (Ersatzbeschaffung für verkauftes Land; vgl. BGE 84 II 125 und BGE 85 II 423 ff.). c) Entgegen den Ausführungen S. 13 oben des angefochtenen Urteils schränke das Bundesgesetz über die Nationalstrassen den Geltungsbereich des EGG nicht ein. Selbstverständlich kann von einer solchen Einschränkung im formellen, gesetzestechnischen Sinne nicht die Rede sein. Es verhält sich einfach so, dass das EGG in Art. 10 lit. b das Vorkaufsrecht unter anderem dann ausgeschlossen hat, wenn das betreffende Liegenschaftsgeschäft zur Erfüllung öffentlicher usw. Aufgaben abgeschlossen wird. Was unter diese Zwecke fällt, ist im EGG selber nicht umschrieben, sondern hängt von den Aufgaben ab, die der öffentlichen Hand jeweilen obliegen. Dass sich diese Fälle notwendigen Landerwerbs und daherigen Ausschlusses des Vorkaufsrechts seit dem Erlass des EGG zufolge des Baus der Autobahnen stark vermehrt haben, liegt auf der Hand. Von einer Einschränkung oder gar "Aufhebung" des bäuerlichen Vorkaufsrechts kann aber keine Rede sein. d) Der Kauf sei nicht zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, sondern im Interesse von Privaten erfolgt, weil das erworbene Land dazu bestimmt sei, den vom Nationalstrassenbau direkt betroffenen Landwirten Realersatz zu verschaffen. Gerade das ist aber die öffentliche Aufgabe, die dem Staat nach dem Nationalstrassengesetz gestellt ist. Wenn die Ansicht zuträfe, dass eine öffentliche Aufgabe nur dann vorliege, wenn der Staat für sich Land erwerbe, also z.B. den Boden für den Strassenkörper, so hätte sich Art. 10 lit. b

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auszuschliessen, für die das Enteignungsrecht gegeben ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist denn auch sogar der Verkauf an einen Privaten zu berücksichtigen (vgl. Art. 10 lit. b



3. Erweist sich mithin die Berufung ohne jeden Zweifel als unbegründet, ist sie gemäss Art. 60 Abs. 2

Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 6. Mai 1963, soweit es angefochten wird, bestätigt.