BGE-89-IV-3
Urteilskopf
89 IV 3
2. Urteil des Kassationshofes vom 20. Februar 1963 i.S. A und Konsorten gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.
Regeste (de):
- 1. Art. 64
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59
- 2. Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 100 - Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird.
Regeste (fr):
- 1. Art. 64 dernier alinéa CP. L'application de cette règle est exclue dans les cas d'avortements, qui sont soumis non pas à la prescription ordinaire, mais à la prescription de deux ans.
- 2. Art. 100 ch. 1 al. 2 CP. L'application de cette règle ne doit pas être exclue en principe dans le cas d'infractions dont le délai de prescription est bref.
Regesto (it):
- 1. Art. 64 ultimo capoverso CP. L'applicazione di questa regola è esclusa nei casi di aborto, sottoposti non alla prescrizione ordinaria, ma a quella di due anni.
- 2. Art. 100 num. 1 cpv. 2 CP. L'applicazione di questa regola non deve in principio essere esclusa per i casi di reati con breve termine di prescrizione.
Sachverhalt ab Seite 4
BGE 89 IV 3 S. 4
A.- A. liess sich Ende August oder im September 1959, als sie noch nicht 19 Jahre alt war, durch eine Abtreiberin in Kreuzlingen die Frucht abtreiben. B. liess sich im August 1959 einen Eingriff vornehmen, der den Abgang einer zwei Monate alten Frucht bewirkte. C. hatte die Schwangere mit der Abtreiberin zusammengebracht. D. liess sich im August 1959, als sie sich schwanger glaubte, eine Seifenlösung in die Gebärmutter einspritzen, ohne dass eine Frucht abging.
B.- Am 4. Juli 1962 verurteilte die Kriminalkammer des Kantons Thurgau A. und B. wegen passiver Abtreibung (Art. 118

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 118 - 1 Wer eine Schwangerschaft mit Einwilligung der schwangeren Frau abbricht oder eine schwangere Frau zum Abbruch der Schwangerschaft anstiftet oder ihr dabei hilft, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- Die Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Kriminalgerichts sei wegen Nichtanwendung von Art. 64

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 100 - Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird. |
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 64

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
BGE 89 IV 3 S. 5
Zeit knüpft an den Gedanken der Verjährung an. Die heilende Kraft der Zeit, die das Strafbedürfnis geringer werden lässt, soll auch berücksichtigt werden können, wenn die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist, die Tat aber längere Zeit zurücklìegt und der Täter sich inzwischen wohl verhalten hat (STOOSS, Motive, Allg. Teil S. 75, 82). Verhältnismässig lange Zeit im Sinne des Art. 64 letzter Absatz ist daher nach der Rechtsprechung verstrichen, wenn die Strafverfolgung der Verjährung nahe ist (BGE 73 IV 159). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle, wo im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung der Abtreibungen nahezu die dreijährige Frist der absoluten Verjährung abgelaufen war, dem Buchstaben nach erfüllt. Nach dem Sinn des Art. 64 letzter Absatz aber können zwei bis drei Jahre nicht als verhältnismässig lange Zeit gelten, denn nach so kurzer Frist kann von einer heilenden Wirkung der Zeit, wozu es sonst bei Verbrechen und Vergehen zehn bzw. fünf Jahre braucht, nicht gesprochen werden. Der Gesetzgeber hat in Art. 118

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 118 - 1 Wer eine Schwangerschaft mit Einwilligung der schwangeren Frau abbricht oder eine schwangere Frau zum Abbruch der Schwangerschaft anstiftet oder ihr dabei hilft, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |
2. Nach Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 100 - Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
BGE 89 IV 3 S. 6
werden können, auch gegen die Anwendung von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 100 - Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.