Urteilskopf

86 IV 175

43. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. August 1960 i.S. Winiger gegen Hofmann.
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Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 175

BGE 86 IV 175 S. 175

Die nach Art. 173 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
1    Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt,
2    Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar.
3    Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen.
4    Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden.
5    Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen.
StGB an den Beweis des guten Glaubens zu stellenden Anforderungen richten sich nach den Umständen des einzelnen Falles und sind deshalb nicht immer die gleichen. An die Sorgfalt, die der Täter anzuwenden hat, um eine rufschädigende Beschuldigung
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oder Verdächtigung in guten Treuen für wahr halten zu dürfen, ist ein weniger strenger Massstab anzulegen, wenn er mit der Äusserung berechtigte Interessen verfolgte. Der Richter darf und muss daher namentlich der besonderen Lage Rechnung tragen, in der sich die Prozesspartei befindet, die sich vor die Wahl gestellt sehen kann, entweder auf die Wahrnehmung ihrer Interessen zu verzichten oder eine ehrverletzende Äusserung zu tun, die sich möglicherweise als unzutreffend erweisen wird (BGE 85 IV 186 /7); er wird den Gründen, die geeignet waren, die Überzeugung des Beschuldigten von der Richtigkeit seiner Vorbringen zu rechtfertigen oder ihn von der sonst zu fordernden Überprüfung seiner Behauptungen abzuhalten, mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Rechtsstreites und die auf dem Spiele stehenden Parteiinteressen umso grössere Bedeutung beimessen (BGE 86 IV 75). Was für die Prozesspartei gilt, hat in vermehrtem Masse für den Anwalt zu gelten. Gewöhnlich kennt er den Sachverhalt, für den er sich einzusetzen hat, nicht aus eigener Wahrnehmung, sondern hat sich auf die Angaben und Unterlagen zu stützen, die er vom Auftraggeber oder von Dritten erhält. Darüber hinaus ist er oft nicht in der Lage, die ihm zur Verfügung gestellten Auskünfte zum voraus hinreichend auf ihre Richtigkeit zu prüfen, sei es, dass ihm die Mittel zur einwandfreien Abklärung fehlen oder dass ihm diese aus Zeitmangel nicht möglich ist. Es versteht sich von selbst, dass den Anwalt bei der Prüfung der Wahrheit vorgebrachter Behauptungen nicht, wie der Beschwerdeführer geltend macht, die gleiche Sorgfaltspflicht trifft wie den Richter, der dazu berufen ist, mit den gesetzlichen Mitteln im hiefür vorgesehenen Verfahren den wahren Sachverhalt zu erforschen. Gewiss darf sich der Anwalt nicht blindlings auf die Angaben seines Auftraggebers oder Dritter verlassen, sondern er hat sich nach Möglichkeit zu vergewissern, ob für ehrenrührige Behauptungen oder Verdächtigungen ernsthafte Anhaltspunkte bestehen. Wo solche Äusserungen im Interesse der zu
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vertretenden Sache liegen, sind jedoch an seine Prüfungspflicht nicht besonders hohe Anforderungen zu stellen, jedenfalls geringere, als wenn jemand eine Ehrverletzung ohne schützenswerten Beweggrund begeht. Auf alle Fälle darf die Sorgfaltspflicht des Anwalts nicht so weit gespannt werden, dass er dadurch in der normalen Ausübung seines Berufes gehindert würde.
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Document : 86 IV 175
Date : 17. August 1960
Published : 31. Dezember 1960
Source : Bundesgericht
Status : 86 IV 175
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 173 Ziff. 2 StGB. An den Beweis des guten Glaubens sind geringere Anforderungen zu stellen, wenn die ehrverletzende


Legislation register
StGB: 173
BGE-register
85-IV-182 • 86-IV-175 • 86-IV-72
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