Urteilskopf

86 II 256

40. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. September 1960 i. S. Wertli gegen Weder.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 257

BGE 86 II 256 S. 257

Die Übung ist nicht objektives Recht (Gewohnheitsrecht), sondern gilt als Inhalt des Vertrages, wenn die Parteien sich ihr ausdrücklich oder stillschweigend unterwerfen oder das Gesetz sie mangels abweichenden Parteiwillens als massgebend erklärt (BGE 34 II 640,BGE 37 II 410,BGE 47 II 164,BGE 53 II 310,BGE 76 II 50, BGE 83 II 523). Ob eine Übung bestehe oder nicht bestehe, ist daher nicht Rechtssondern Tatfrage. Der Entscheid des kantonalen Richters hierüber bindet das Bundesgericht (BGE 37 II 409,BGE 38 II 519f.,BGE 41 II 257,BGE 42 II 121,BGE 43 II 597,BGE 45 II 268,BGE 51 II 400). Vorbehalten bleibt der Fall, wo die Feststellung auf einer Verkennung des Rechtsbegriffs der Übung beruht (BGE 42 II 121). Auch steht dem Bundesgerichte zu, die als Übung festgestellten Regeln wie Willensäusserungen von Vertragschliessenden auszulegen (BGE 34 II 640).
Das Kantonsgericht führt aus, da im vorliegenden Falle die Übernahme des Auftrages unter ganz besonderen Umständen, in Verbindung mit einer unbestrittenermassen illegalen Ausfuhr aus Deutschland erfolgte und dem Beklagten in Konstanz keine Liste der beigepackten Kugellager übergeben werden konnte, liege keine Vertragsart vor, bei der kraft Übung ein selbständiges Forderungsrecht des Dritten bejaht werden könne. Der Kläger macht nicht geltend, das Kantonsgericht gehe von einem unzutreffenden Begriff der Übung aus. Die Feststellung, dass eine solche beim Abschluss von Verträgen der vorliegenden Art nicht bestehe, bindet daher das Bundesgericht. Der Kläger ficht sie auch nicht an. Er bringt nur vor, nach allgemeiner Übung stehe bei Frachtverträgen dem Empfänger ein Forderungsrecht gegen den Frachtführer zu,
BGE 86 II 256 S. 258

und diese Übung sei analog anzuwenden, weil der zwischen Nadich und dem Beklagten abgeschlossene Vertrag einem Frachtvertrag sehr ähnlich sei. Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob der Richter eine Übung, die sich nur in Fällen bestimmter Art durchgesetzt hat, sinngemäss auf andere Fälle anwenden darf. Auf diesem Wege könnte nur der Inhalt des Vertrages ermittelt werden, mit der Begründung, was in Fällen der einen Art Übung sei, habe von den Parteien nach Treu und Glauben auch in ähnlichen Fällen als Sinn der Willensäusserungen betrachtet werden dürfen bzw. betrachtet werden müssen. Für die Auslegung der Willensäusserungen ist jedoch im vorliegenden Falle kein Raum, da auf Grund der vorinstanzlichen Beweiswürdigung davon ausgegangen werden muss, die Vertragschliessenden hätten dem Kläger kein Forderungsrecht einräumen wollen. Dieser tatsächliche Wille geht der Übung als Quelle eines nur hypothetisch gewollten Vertragsinhaltes vor. Die Klage ist daher abzuweisen, ohne dass zu entscheiden wäre, ob das Forderungsrecht des Klägers auch deshalb verneint werden müsste, weil der Beklagte die Liste, auf Grund der er die für den Kläger bestimmten Kugellager hätte ausscheiden sollen, weder unmittelbar von Nadich noch über Pelzl erhielt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 86 II 256
Datum : 13. September 1960
Publiziert : 31. Dezember 1960
Quelle : Bundesgericht
Status : 86 II 256
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 1. Art. 43, 63 Abs. 2 OG. Darf das Bundesgericht überprüfen, ob eine Uebung bestehe? 2. Art. 112 Abs. 2 OR, Vertrag zugunsten


Gesetzesregister
OG: 43  43e  63
OR: 112
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 112 - 1 Hat sich jemand, der auf eigenen Namen handelt, eine Leistung an einen Dritten zu dessen Gunsten versprechen lassen, so ist er berechtigt, zu fordern, dass an den Dritten geleistet werde.
1    Hat sich jemand, der auf eigenen Namen handelt, eine Leistung an einen Dritten zu dessen Gunsten versprechen lassen, so ist er berechtigt, zu fordern, dass an den Dritten geleistet werde.
2    Der Dritte oder sein Rechtsnachfolger kann selbständig die Erfüllung fordern, wenn es die Willensmeinung der beiden andern war, oder wenn es der Übung entspricht.
3    In diesem Falle kann der Gläubiger den Schuldner nicht mehr entbinden, sobald der Dritte dem letzteren erklärt hat, von seinem Rechte Gebrauch machen zu wollen.
BGE Register
34-II-638 • 37-II-407 • 41-II-252 • 42-II-112 • 43-II-592 • 45-II-266 • 47-II-160 • 51-II-397 • 53-II-305 • 76-II-45 • 83-II-522 • 86-II-256
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ausfuhr • begründung des entscheids • beklagter • bundesgericht • deutschland • entscheid • kantonsgericht • tatfrage • treu und glauben • vertrag zugunsten eines dritten • vertragsinhalt • vorinstanz • weiler • wille