Urteilskopf

85 IV 189

49. Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1959 i.S. Bucher gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 190

BGE 85 IV 189 S. 190

A.- Am 8. September 1958 zog Werner Hunziker mit seiner Familie von der Langensandstrasse 38 in Luzern nach Tegna, Kanton Tessin, um. Vor dem an der Strasse stehenden Hause Nr. 36 blieb nach Abfahrt des Möbelwagens ein Jutesack mit zwei Paar Damenskischuhen, je einem Paar Herren- und Kinderskischuhen und einem Paar Töchter-Schlittschuhstiefeln mit Schlittschuhen liegen. Als der Hauswart Xaver Bucher abends von der Arbeit heimkehrte, öffnete er den bei den Kehrichteimern stehenden Sack und behändigte ihn. Ein Paar Damenskischuhe, die er dem Sack entnahm, übergab er einer Bewohnerin des anliegenden Hauses, Frau Ronchetti. Von den andern Schuhpaaren wurden die Schlittschuhstiefel zweimal von seiner eigenen Tochter benutzt.
B.- Nach der Ankunft am neuen Wohnort vermisste Hunziker dieses Schuhwerk, und als er den Hergang vernahm, reichte er gegen Bucher Strafanzeige wegen Fundunterschlagung ein. Bucher erklärte, er habe angenommen, diese Sachen seien absichtlich liegen gelassen worden, um als Kehricht abgeführt zu werden.
C.- Das Amtsgericht Luzern-Stadt sprach am 30. April 1959 den Beschuldigten von der Anklage der Fundunterschlagung nach Art. 141
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 141 - Wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB frei, verurteilte ihn aber wegen Nichtanzeigens eines Fundes nach Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB zu einer Busse von Fr. 10.- mit Kostenfolge. Das Schadenersatzbegehren des Privatklägers Hunziker verwies es auf den Weg des Zivilprozesses. In der Begründung billigt das Amtsgericht dem Beschuldigten den guten Glauben zu, es handle sich um Sachen, die der bisherige Eigentümer bei seinem Wegzug von Luzern aufgegeben habe, so dass sie herrenlos und
BGE 85 IV 189 S. 191

damit der Aneignung nach Art. 718
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 718 - Eine herrenlose Sache wird dadurch zu Eigentum erworben, dass jemand sie mit dem Willen, ihr Eigentümer zu werden, in Besitz nimmt.
ZGB zugänglich geworden seien. Diese Annahme, die auch der Ansicht zweier Zeuginnen entspreche, habe "einer gewissen Berechtigung nicht entbehrt" angesichts des Ortes, wo sich der (übrigens noch andere Gegenstände, namentlich ein Blumentöpfchen, enthaltende) Sack befunden habe. Bei pflichtgemässer Vorsicht hätte der Beschuldigte den Irrtum freilich vermeiden können, doch sei bloss fahrlässige Fundunterschlagung nicht strafbar. Unter dem Gesichtspunkt vorsätzlichen Handelns müsse ihm die irrige Vorstellung über den Sachverhalt zugute kommen, womit sich die auf Art. 141
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 141 - Wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB gestützte Beschuldigung als unbegründet erweise. Dagegen habe er gegen die Pflicht zur Anzeige eines Fundes nach Art. 720
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
ZGB verstossen, was nach Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB mit einer Busse zu ahnden sei. Es habe ihm nicht entgehen können, dass der Wert der Gegenstände offenbar den Betrag von Fr. 10. - überstieg (Hunziker bemass ihn auf rund Fr. 485.--, der vom Amtsstatthalteramt beigezogene Sachverständige freilich nur auf Fr. 85.-).
D.- Gegen dieses Urteil hat der Beschuldigte, soweit es zu seinen Ungunsten lautet, Nichtigkeitsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Prozedur zu seiner Freisprechung an das Amtsgericht zurückzuweisen; die Kosten mit Einschluss einer angemessenen Parteientschädigung habe der Privatkläger, eventuell der Staat zu tragen. Die Staatsanwaltschaft beantragt Zustimmung zu den Anträgen des Beschwerdeführers.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Wie allgemein anerkannt ist, besteht zwischen dem Vergehen der Fundunterschlagung (Art. 141
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 141 - Wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB) und der Übertretung des Nichtanzeigens eines Fundes (Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB) Gesetzeskonkurrenz im Sinne der Subsidiarität. Wird ein Finder wegen jenes Vergehens bestraft, so kommt somit eine Verurteilung wegen dieser Übertretung
BGE 85 IV 189 S. 192

nicht in Frage. Ob er sich im letzteren Sinne schuldig gemacht habe, ist dagegen zu prüfen, wenn er mangels Strafantrages nicht wegen Fundunterschlagung verfolgt werden kann oder von der dahingehenden Anklage freizusprechen ist, wie im vorliegenden Falle (vgl. BGE 71 IV 93 Erw. 4; THORMANN/OVERBECK, N. 6 zu Art. 141
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 141 - Wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
und N. 5 zu Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB).
2. War somit bei Verneinung einer Fundunterschlagung zunächst offen, ob immerhin eine Übertretung im Sinne von Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB begangen worden sei, so hat die Vorinstanz nun aber übersehen, dass nur die vorsätzliche Unterlassung der Fundanzeige bestraft wird (vgl. THORMANN/OVERBECK, N. 4, und LOGOZ, N. 2 zu Art. 332
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 332
StGB). Dieser Vorsatz muss den Tatbestand der Nichtanzeige eines Fundes im Sinne von Art. 720 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
und Art. 725 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 725 - 1 Werden jemandem durch Wasser, Wind, Lawinen oder andere Naturgewalt oder zufällige Ereignisse bewegliche Sachen zugeführt, oder geraten fremde Tiere in seinen Gewahrsam, so hat er die Rechte und Pflichten eines Finders.
1    Werden jemandem durch Wasser, Wind, Lawinen oder andere Naturgewalt oder zufällige Ereignisse bewegliche Sachen zugeführt, oder geraten fremde Tiere in seinen Gewahrsam, so hat er die Rechte und Pflichten eines Finders.
2    Fliegt ein Bienenschwarm in einen fremden bevölkerten Bienenstock, so fällt er ohne Entschädigungspflicht dem Eigentümer dieses Stockes zu.
ZGB umfassen. Er ist nicht gegeben, wenn der Beschuldigte vermeintlich keine "verlorene" Sache vor sich hat (was dem Begriff des Fundes nach ZGB wesentlich ist, wie aus Art. 720 Abs. 1 hervorgeht; die den Bestimmungen über den Fund unterstellte "Zuführung" nach Art. 725 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 725 - 1 Werden jemandem durch Wasser, Wind, Lawinen oder andere Naturgewalt oder zufällige Ereignisse bewegliche Sachen zugeführt, oder geraten fremde Tiere in seinen Gewahrsam, so hat er die Rechte und Pflichten eines Finders.
1    Werden jemandem durch Wasser, Wind, Lawinen oder andere Naturgewalt oder zufällige Ereignisse bewegliche Sachen zugeführt, oder geraten fremde Tiere in seinen Gewahrsam, so hat er die Rechte und Pflichten eines Finders.
2    Fliegt ein Bienenschwarm in einen fremden bevölkerten Bienenstock, so fällt er ohne Entschädigungspflicht dem Eigentümer dieses Stockes zu.
ZGB fällt hier ausser Betracht). Verloren ist aber eine Sache nur, wenn sich der Eigentümer des Gewahrsams nicht entäussert hat in der Absicht, sein Eigentum aufzugeben (vgl. die Erläuterungen zum VE des ZGB, S. 122/23 der 2. Ausgabe: "Als verloren hat jemand eine gefundene Sache zu betrachten, wenn er vernünftigerweise annehmen muss, dass sie einen Eigentümer habe und nicht mit Absicht weggeworfen worden sei"; BGE 59 II 143). Nach Feststellung der Vorinstanz, die eine - innere - Tatsache betrifft und für das Bundesgericht verbindlich ist, hat nun der Beschwerdeführer gerade das angenommen, was das Vorliegen einer verlorenen Sache ausschliesst: der Jutesack samt Inhalt sei von Hunziker absichtlich vor dem Hause stehen gelassen und für die Kehrichtabfuhr bereitgestellt worden. Da er die behändigten Sachen nicht als verlorene (fremde), sondern als vom bisherigen Eigentümer aufgegebene (und damit herrenlos
BGE 85 IV 189 S. 193

gewordene) betrachtete, unterliess er nicht vorsätzlich die Anzeige eines Fundes im Rechtssinne. Jene Annahme erwies sich freilich später als irrtümlich. Dieser Irrtum über den Sachverhalt ist dem Beschwerdeführer aber zugute zu halten (Art. 19
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 19 - 1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
1    War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
2    War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe.
3    Es können indessen Massnahmen nach den Artikeln 59-61, 63, 64, 67, 67b und 67e getroffen werden.15
4    Konnte der Täter die Schuldunfähigkeit oder die Verminderung der Schuldfähigkeit vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen, so sind die Absätze 1-3 nicht anwendbar.
StGB; BGE 82 IV 202; über den "Willensinhalt des verbrecherischen Vorsatzes" vgl. auch GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, S. 28/29). Mangels subjektiven Tatbestandes ist daher die in Frage stehende Übertretung ebenso zu verneinen wie die Fundunterschlagung. Ungeprüft kann bleiben, ob sich der Beschwerdeführer trotz gutgläubiger Aneignung der Sachen erst nachträglich in strafbarer Weise gegen die Anzeigepflicht nach Art. 720 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 720 - 1 Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
1    Wer eine verlorene Sache findet, hat den Eigentümer davon zu benachrichtigen und, wenn er ihn nicht kennt, entweder der Polizei den Fund anzuzeigen oder selbst für eine den Umständen angemessene Bekanntmachung und Nachfrage zu sorgen.
2    Zur Anzeige an die Polizei ist er verpflichtet, wenn der Wert der Sache offenbar 10 Franken übersteigt.
3    Wer eine Sache in einem bewohnten Hause oder in einer dem öffentlichen Gebrauch oder Verkehr dienenden Anstalt findet, hat sie dem Hausherrn, Mieter oder den mit der Aufsicht betrauten Personen abzuliefern.
ZGB vergangen haben könnte, dann nämlich, wenn er nach Kenntnis des wahren Sachverhaltes absichtlich keine Anzeige erstattet hätte. Beim tatsächlichen Ablauf der Ereignisse bestand zu nachträglicher Anzeige keine Veranlassung, da Hunziker auf anderem Wege vom Schicksal des versehentlich zurückgelassenen Schuhwerks erfahren und die Polizei benachrichtigt hatte, worauf er die Sachen denn auch zurückerhielt.

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Amtsgerichts Luzern-Stadt vom 30. April 1959, soweit die Verurteilung wegen Nichtanzeigens eines Fundes betreffend, in Haupt- und Kostenpunkt aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an das Amtsgericht Luzern-Stadt zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 85 IV 189
Date : 27. Oktober 1959
Published : 31. Dezember 1959
Source : Bundesgericht
Status : 85 IV 189
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Nichtanzeigen eines Fundes. Art. 332 StGB. - Irrige Vorstellung über den Sachverhalt. Art. 19 StGB. 1. Die Übertretung nach


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StGB: 19  141  332
ZGB: 718  720  725
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59-II-138 • 71-IV-87 • 82-IV-198 • 85-IV-189
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