S. 127 / Nr. 23 Handels- und Gewerbefreiheit (d)

BGE 79 I 127

23. Auszug aus dem Urteil vom 1. Juli 1953 i. S. Haemmerli und Konsorten gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich.


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Regeste:
1. Gewaltentrennung.
Soweit in § 4 der zürcherischen VO über die Ärzte die Pflicht zur
Aufbewahrung und Übergabe. weiter erstreckt wird als auf die Aufzeichnungen,
welche die Ärzte nach den §§ 13 und 14 lit. b des zürcherischen
Medizinalgesetzes zu machen haben, und die dazu gehörenden Belege, geht er
über den Rahmen einer Ausführungsvorschrift zum Medizinalgesetz hinaus.
2. Handels- und Gewerbefreiheit.
Die zeitliche Beschränkung der vertretungsweisen Führung einer ärztlichen
Praxis durch eidgenössisch diplomierte Ärzte wird durch keinen polizeilichen
Zweck erfordert, verstösst daher gegen die Handels- und Gewerbefreiheit.
1. Séparation des pouvoirs.
Le § 4 de l'ordonnance zurichoise sur les médecins sort du cadre d'une
disposition d'exécution dans la mesure où il oblige les médecins à prendre des
mesures pour la conservation non seulement des notes que les §§ 13 et 14 lit.
b de la loi sur l'exercice des professions médicales les oblige à prendre et
des pièces qui s'y rapportent, mais d'autres pièces encore.
2. Liberté du commerce et de l'industrie.
La limitation dans le temps de la faculté de se faire remplacer auprès de sa
clientèle par un médecin porteur du diplôme fédéral ne se justifie pas en tant
que mesure de police et viole par conséquent le principe de la liberté du
commerce et de l'industrie.
1. Separazione dei poteri.
Il § 4 del regolamento zurigano sui medici eccede i limiti d'una disposizione
esecutiva nella misura in cui obbliga i medici a prendere dei provvedimenti
per conservare non soltanto le fatture con le loro pezze giustificative
(contemplati dai § 13 e 14 lett. h della legge sull'esercizio delle
professioni mediche), ma anche altri documenti.
2. Libertà di commercio e d'industria.

La limitazione temporale della facoltà di farsi sostituire presso la
clientela da un medico titolare d'un diploma federale non si giustifica come
misura di polizia e viola quindi il principio della libertà di commercio e
d'industria.
A. - Am 20. November 1952 erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich eine
«Verordnung über die Ärzte (AeVO). Diese enthält u. a. folgende Bestimmungen:
§ 1 Abs. 1: Die Bewilligung zur selbständigen ärztlichen Tätigkeit
(Praxisbewilligung) wird nur Inhabern des eidgenössischen Arztdiploms erteilt.
§ 2 Abs. 1: Die ärztliche Praxis ist vom Bewilligungsinhaber persönlich und
auf eigene Rechnung zu führen. Sie

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ist mit dem Namen des Bewilligungsinhabers zu bezeichnen.
§ 4: Die Ärzte haben die Aufzeichnungen über ihre Patienten mit den dazu
gehörenden Belegen während mindestens zehn Jahren aufzubewahren.
Beim Tode eines Praxisinhabers sind die Aufzeichnungen und Belege dem
Nachfolger zu übergeben.
Wird die Praxis nicht von einem anderen Arzt übernommen, so sind die
Aufzeichnungen und Belege bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist dem
Gerichtlich-Medizinischen Institut der Universität Zürich in Verwahrung zu
geben.
§ 5 Abs. 1: Ausser der Praxisbewilligung kann die Direktion des
Gesundheitswesens Bewilligungen für die ärztliche Tätigkeit unter der
persönlichen Aufsicht eines praxisberechtigten Ärztes
(Assistentenbewilligungen) oder in Vertretung eines praxisberechtigten Ärztes
(Vertreterbewilligungen) erteilen für
a) eidgenössisch diplomierte Ärzte
b) Studierende der Medizin
c) nicht eidgenössisch diplomierte Ärzte
§ 7: Die vertretungsweise Führung einer ärztlichen Praxis wird für
eidgenössisch diplomierte Ärzte auf zwölf Monate, für nicht eidgenössisch
diplomierte Ärzte auf drei Monate und für Studierende der Medizin auf zwei
Monate beschränkt.
Bei langdauernder Krankheit des Praxisinhabers kann die Direktion des
Gesundheitswesens die Vertretung über die Dauer von zwölf Monaten hinaus
zulassen, wenn Aussicht besteht, dass der Praxisinhaber die Tätigkeit in
absehbarer Zeit wieder selbst aufnehmen kann.
B. - Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27./29. Dezember 1952 beantragen die
in Zürich ansässigen Aerzte A. Haemmerli, A. Hafner und L. Schlegel, die im
Besitze früher erteilter und gemäss der Übergangsbestimmung von § 12 Abs. 2
AeVO in Kraft bleibender Praxisbewilligungen sind, die Aufhebung der § § 4 und
7 der angeführten Verordnung.
C. - Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
D. - Auf das Ersuchen des Instruktionsrichters, sich zu der Tragweite des § 4
AeVO verbindlich zu äussern und diese Bestimmung authentisch zu
interpretieren, erklärte der Regierungsrat am 1. April 1953: «§ 4 der

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Verordnung über die Ärzte verpflichtet die Ärzte nur zur Aufbewahrung
folgender Unterlagen: 1. - der Aufzeichnungen, die sie nach den § § 13 und 14
lit. b des Medizinalgesetzes zu machen haben; 2. - der Belege, worunter
Röntgenbilder, Laboratoriumsbefunde, Elektrokardiogramme,
Elektroencephalogramme und dergleichen zu verstehen sind.
E. - Mit Eingabe vom 16. Juni 1953 teilten die Beschwerdeführer, nachdem sie
von der Erklärung des Regierungsrates Kenntnis genommen hatten, dem
Instruktionsrichter mit, dass sie an der Beschwerde gegen § 4 AeVO insoweit
festhielten, als dieser eine Aufbewahrungs- und Übergabepflicht hinsichtlich
der zu den Aufzeichnungen über die Patienten gehörenden Belege vorschreibe.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Anfechtung von § 4 der Verordnung richtet sich hauptsächlich dagegen,
dass mit dieser Bestimmung implicite von den Ärzten die Führung von
Krankengeschichten verlangt werde und dass sich die Vorschriften betreffend
Aufbewahrung und Übergabe von Aufzeichnungen auch auf diese Krankengeschichten
bezögen. Nach dem Wortlaut des § 4 AeVO und insbesondere auch nach der
Stellungnahme des Regierungsrates in Beschwerdeantwort und Duplik bestand
Unklarheit darüber, ob die Bestimmung diese Tragweite habe. Das wird nun
eindeutig verneint durch die Erklärung des Regierungsrates vom 1. April 1953,
wonach § 4 die Ärzte nur zur Aufbewahrung derjenigen Aufzeichnungen, die sie
nach den § § 13 und 14 lit. b des zürcherischen Gesetzes betreffend das
Medizinalwesen vom 2. Oktober 1854 (MG) zu machen haben, sowie der Belege
verpflichtet. Darin liegt eine authentische Interpretation der vom
Regierungsrat erlassenen Vorschrift, bei welcher dieser zu behaften ist. Damit
ist die Beschwerde gegenstandslos geworden, soweit sie sich auf die
Krankengeschichten bezieht: Da die § §13 und 14 lit. b MG die Ärzte nicht zur
Führung von

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Krankengeschichten verpflichten, fallen diese auch nicht unter die
Aufbewahrungs- und Übergabepflicht gemäss § 4 AeVO.
2.- Aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass die Pflicht zur
Aufbewahrung und Übergabe derjenigen Aufzeichnungen, welche die Ärzte gemäss
den § § 13 und 14 lit. b MG zu machen haben, nicht angefochten wird. Mit Recht
denn diesbezüglich bleibt § 4 AeVO im Rahmen einer Ausführungsvorschrift zu
den genannten Gesetzesbestimmungen: Die Pflicht zur Aufbewahrung während zehn
Jahren und zur Übergabe an den Praxisnachfolger bezw. an das
Gerichtlich-Medizinische Institut lässt sich sehr wohl als eine Auswirkung,
eine nähere Ordnung der Pflicht zur Führung der dort genannten Aufzeichnungen
betrachten.
3.- Streitig bleibt die Pflicht zur Aufbewahrung und Übergabe der in § 4 AeVO
erwähnten «dazu gehörenden Belege». Nach übereinstimmender Auffassung der
Parteien sind hierunter zu verstehen: Röntgenbilder, Laboratoriumsbefunde,
Elektrokardiogramme, Elektroencephalogramme und dergleichen. Alle hier
genannten Unterlagen können wohl als Belege für die Krankengeschichte gelten,
nicht aber für die Aufzeichnungen gemäss den § § 13 und 14 lit. b MG (Namen
der Kranken, Datum der ärztlichen Raterteilungen und Krankenbesuche,
Verordnungen für die selbst verabreichten Arzneien). Nachdem der Regierungsrat
verbindlich erklärt hat, dass unter den Aufzeichnungen» im Sinne von § 4 AeVO
nur diejenigen zu verstehen sind, welche die Ärzte nach den § § 13 und 14 lit.
b MG zu machen haben, können die oben aufgezählten Unterlagen nicht als» dazu
gehörende Belege betrachtet werden. für Einbezug in die Aufbewahrungs- und
Übergabepflicht, wie er vom Regierungsrat gewollt ist und in der Erklärung vom
1. April 1953 bestätigt wird, lässt sich nur daraus erklären das der
Regierungsrat ursprünglich auch die Krankengeschichten als Aufzeichnungen im
Sinne von § 4 AeVO betrachtete und mit diesen

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auch die dazu gehörenden Belege erfassen wollte. Er hat diesen Standpunkt nun
bezüglich der Krankengeschichten fallen lassen, aber die sich hieraus für die
Belege ergebende Folgerung nicht gezogen. Insofern besteht zwischen den
Ziffern 1 und 2 seiner Erklärung vom 1. April 1953 ein innerer Widerspruch.
Nachdem er bezüglich der oben umschriebenen Belege an der Aufbewahrungs- und
Übergabepflicht festhält, muss geprüft werden, ob der § 4 AeVO insofern
verfassungswidrig ist.
4.- Die Beschwerdeführer machen vor allem geltend, § 4 AeVO verletze den
Grundsatz der Gewaltentrennung, indem er neues Recht schaffe, aber vom
Regierungsrat ohne gesetzliche Delegation einer Befugnis hiezu erlassen worden
sei.
Der Grundsatz der Gewaltentrennung ist in der zürcherischen Kantonsverlassung
zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber aus der darin
vorgenommenen Verteilung der Befugnisse, insbesondere daraus, dass sie in Art.
28 die gesetzgebende Gewalt dem Volke unter Mitwirkung des Kantonsrates
zuweist, während sie in Art. 37 den Regierungsrat als die vollziehende und
verwaltende kantonale Behörde bezeichnet und in Art. 40 seine Befugnisse
entsprechend umschreibt. Hieraus ergibt sich, dass ein Übergriff des
Regierungsrates auf das Gebiet der Gesetzgebung den Grundsatz der
Gewaltentrennung verletzt, der als ein verfassungsmässiges Recht der Bürger
gilt.
Der Regierungsrat bestreitet, dass ein solcher Übergriff vorliege, und macht
geltend, die Verordnung über die Ärzte sei eine reine Vollziehungsverordnung
und diene zur Verwirklichung der Vorschriften des Medizinalgesetzes § 4
insbesondere diene zur Ausführung der § § 13 und 14 lit. b MG, da mit der
Pflicht zur Führung von Aufzeichnungen notwendig die Pflicht zu deren
Aufbewahrung verbunden sein müsse. Letzteres ist an sich richtig, gilt aber
nur mit Bezug auf die vorgeschriebenen Aufzeichnungen selbst und allenfalls
auf die ordnungsgemäss zu

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diesen gehörenden Belege. Wie bereits ausgeführt wurde, haben die
Röntgenbilder, Laboratoriumsbefunde, Elektrokardiogramme und dergleichen mit
den in den § § 13 und 14 lit. b MG vorgeschriebenen Aufzeichnungen nichts zu
tun und können nicht als zu diesen gehörige Belege betrachtet werden. § 4 AeVO
dient also nicht der Ausführung j euer Vorschriften. Eine andere
Gesetzesbestimmung, deren Ausführung sie dienen würde, wird nicht angerufen
und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere fällt § 36 MG hier nicht in
Betracht; denn die Aufbewahrung und Übergabe der erwähnten Belege dient
offensichtlich nicht zur Verhütung, Beseitigung oder Minderung von
gesundheits- und lebensgefährlichen Einflüssen, wie namentlich ansteckender
oder seuchenhafter Krankheiten. Soweit der § 4 AeVO noch streitig ist, d. h.
mit Bezug auf die oben umschriebenen Belege, geht er über den Rahmen einer
Ausführungsvorschrift zum Medizinalgesetz hinaus und schafft neues Recht.
Der Regierungsrat beruft sich allerdings darauf, dass ihm nach BGE 54 I 271
ff. auch ohne ausdrückliche gesetzliche Delegation ein selbständiges
Polizeiverordnungsrecht auf Grund von Art. 21 KV zustehe. Die Frage nach dem
Bestand eines solchen Rechtes ist in der Literatur wie auch in der
Rechtsprechung der zürcherischen Gerichte umstritten (vgl. insbesondere die
einander widersprechenden Urteile des Kassationsgerichtes vom 15. März 1926
und des Obergerichtes vom 29. Juni 1926 ZR 1927 Nr. 47 und 77). Auch soweit
ein solches Recht bejaht wird, wird es stets von einem polizeilichen Zweck
abhängig gemacht, d. h. beschränkt auf den Erlass von Vorschriften, welche das
öffentliche Wohl erfordert (Urteil des zürch. Obergerichtes vom 29. Juni 1926
in ZR 1927 Nr. 77, dort angeführtes Gutachten SCHURTER; ebenso SCHINDLER in
SJZ 31 S. 312). Davon ist auch das Bundesgericht in BGE 54 I 277 ausgegangen.
Es zieht zwar der richterlichen Überprüfungsbefugnis des polizeilichen Zweckes
enge Schranken, prüft aber doch selbst nach, ob die Gründe

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für die polizeiliche Beschränkung ernsthaft und an sich geeignet seien, ein
polizeiliches Einschreiten zu rechtfertigen. Im vorliegenden Falle macht der
Regierungsrat überhaupt keine Gründe des öffentlichen Wohles, insbesondere
auch nicht gesundheitspolizeilicher Natur, für die Pflicht der Ärzte zur
Aufbewahrung und Übergabe der Belege geltend, sondern begründet sie
ausschliesslich mit dem Interesse der Patienten an der Erhaltung der Belege,
namentlich damit, dass diese in der Regel auf Kosten des Patienten erstellt
worden seien und dass dieser auch privatrechtlich einen Anspruch darauf habe,
dass der Arzt sie aufbewahre und seinem Nachfolger oder einer geeigneten
Amtsstelle übergebe. Es handelt sich somit nicht um eine durch das öffentliche
Wohl erforderte polizeiliche Vorschrift, wie sie in Art. 21 KV vorbehalten
ist.
In der Auslegung, welche der Regierungsrat dem in § 4 AeVO erwähnten Begriffe
der Belege gibt, d. h. in seiner Ausdehnung auf Unterlagen zu den
Krankengeschichten wie Röntgenbilder, Laboratoriumsbefunde,
Elektrokardiogramme und dergleichen, lässt sich diese Vorschrift weder auf die
Ausführung des Medizinalgesetzes noch auf ein allfälliges selbständiges
Polizeiverordnungsrecht des Regierungsrates gründen. Ihre Aufstellung durch
den Regierungsrat stellt somit einen Eingriff in die Gesetzgebung dar und
verletzt den Grundsatz der Gewaltentrennung. Die Erwähnung der Belege in § 4
AeVO ist entweder zu streichen, oder dann ist dieser Begriff - entgegen der
authentischen Interpretation des Regierungsrates - zu beschränken auf
allfällige Belege für die Aufzeichnungen, zu denen die Ärzte gemäss den § § 13
und 14 lit. b MG verpflichtet sind.
5.- § 7 AeVO wird insoweit als gegen Art. 31 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV und gegen die
Rechtsgleichheit verstossend angefochten, als er die vertretungsweise Führung
einer ärztlichen Praxis durch eidgenössisch diplomierte Ärzte auf zwölf Monate
beschränkt und eine Verlängerung nur bei

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langdauernder Krankheit des Praxisinhabers und nur dann zulässt, wenn Aussicht
besteht, dass dieser die Praxis in absehbarer Zeit wieder selbst aufnehmen
kann.
Der Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit gilt auch für den Arztberuf.
Die Kantone können dessen Ausübung polizeilichen Beschränkungen unterwerfen.
In Frage kommen namentlich solche, welche die Wahrung der öffentlichen
Gesundheit erfordert. Sie dürfen aber gemäss Art. 31 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV die Handels-
und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen. Dazu gehört nach
feststehender Rechtsprechung, dass sie nicht über dasjenige hinausgehen, was
die Erreichung des polizeilichen Zweckes erfordert.
Der Regierungsrat sagt in Beschwerdeantwort und Duplik nicht, welchen
polizeilichen Zwecken die angefochtene Bestimmung dient. Er betrifft sich
einzig darauf, dass § 7 AeVO lediglich eine Ausnahme von § 2 AeVO sei und eine
Erleichterung bringe. § 2 sei nicht angefochten und entspreche der analogen
Bestimmung für die Zahnärzte, die vom Bundesgericht in einem Urteil vom 28.
Juni 1950 geschützt worden sei. Es gehe nicht an, in § 7 AeVO beliebige
Ausnahmen von dem in § 2 AeVO umschriebenen Grundsatze zuzulassen, ansonst es
ein Leichtes wäre, die zweit angeführte Vorschrift unter Berufung auf § 7 AeVO
zu umgehen. Die neue Verordnung bringe auch eine Erleichterung gegenüber der
bisherigen Regelung, in dem die Vertretung durch nicht eidgenössisch
diplomierte Ärzte während drei Monaten zugelassen werde.
§ 2 AeVO schreibt vor, dass die ärztliche Praxis vom Bewilligungsinhaber
persönlich und auf eigene Rechnung zu führen ist. Eine Ausnahme hievon ergibt
sich aus der in § 5 Abs. 1 AeVO vorgesehenen Erteilung von
Vertreterbewilligungen. § 7 beschränkt die Dauer der vertretungsweisen Führung
einer ärztlichen Praxis: auf zwölf Monate mit Verlängerungsmöglichkeit unter
bestimmten Voraussetzungen für eidgenössisch diplomierte Ärzte, drei Monate
für nicht eidgenössisch diplomierte Ärzte und zwei Monate

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für Studierende der Medizin. Die Beschwerdeführer wenden sich nicht gegen den
Grundsatz der persönlichen Führung der Praxis, sondern lediglich gegen die
zeitliche Beschränkung der Vertretung durch eidgenössisch diplomierte Ärzte.
Es ist daher folgerichtig, dass sie nur den § 7 und nicht auch den § 2
anfechten. Ihre Beschwerde wird deshalb auch nicht präjudiziert durch das
bundesgerichtliche Urteil vom 28. Juni 1950; denn der erste Satz von § 18 der
Verordnung über die Zahnärzte vom 25. August 1949, womit sich das angeführte
Urteil (in Erw. 6) befasst, entspricht inhaltlich dem § 2 Abs. 1 AeVO. Die
Frage der Vertretungsbefugnis und ihrer Dauer stellte sich damals nicht,
streitig war vielmehr die Zulassung von Gesellschaftsverhältnissen zwischen
zur Zahnbehandlung berechtigten und nicht berechtigten Personen, von der
erklärt wurde, sie würde Missbräuchen Vorschub leisten.
Der Regierungsrat sagt nicht und es ist auch nicht ersichtlich, welcher
polizeiliche Zweck eine zeitliche Beschränkung der Vertretung durch
eidgenössisch diplomierte Ärzte erfordere. Grundsätzlich bietet jeder Inhaber
des eidgenössischen Arztdiplomes die gleiche Garantie für
gesundheitspolizeilich einwandfreie Führung der Praxis. Ein Missbrauch der
unbeschränkten Dauer der Vertretung ist schon deshalb nicht zu befürchten,
weil der Praxisinhaber, wie die Parteien übereinstimmend feststellen, selbst
das grösste Interesse hat, ihre Dauer nicht über das unbedingt notwendige Mass
auszudehnen. Bisher unterlag denn auch die Vertretungsmöglichkeit durch
eidgenössisch diplomierte Ärzte keiner zeitlichen Beschränkung; die Verordnung
betreffend die ärztlichen Gehülfen vom 11. März 1909 begrenzte sie nur für
Vertreter ohne eidgenössisches Diplom auf zwei Monate. Für den hier allein
streitigen Fall trifft es also nicht zu, dass die neue Verordnung eine
Erleichterung bringe; vielmehr stellt sie dafür eine bisher unbekannte
Beschränkung auf.
Da die zeitliche Beschränkung der Vertretung durch eidgenössisch diplomierte
Ärzte - sowohl im ersten als

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auch im zweiten Absatz von § 7 AeVO - durch keinen polizeilichen Zweck
erfordert wird, verstösst sie gegen die Handels- und Gewerbefreiheit und ist
deshalb aufzuheben. Damit entfällt die Prüfling der Frage, ob sie auch gegen
die Rechtsgleichheit verstösst.
Demnach erkennt das Bundesgericht.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
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Document : 79 I 127
Date : 01. Januar 1953
Published : 01. Juli 1953
Source : Bundesgericht
Status : 79 I 127
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 1. Gewaltentrennung.2. Handels- und Gewerbefreiheit.1. Séparation des pouvoirs.2. Liberté du...


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54-I-271 • 79-I-127
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SJZ
31 S.312
ZR
1927 Nr.47 • 1927 Nr.77