S. 145 / Nr. 34 Strafgesetzbuch (d)

BGE 78 IV 145

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes als staatsrechtlicher Kammer vom
23. September 1952 i. S. Bayard gegen Kantonsgericht Wallis.


Seite: 145
Regeste:
Art. 23 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB. Wer mit einer unzulänglichen Menge Gift jemanden zu töten
versucht, begeht die Tat nicht mit einem Mittel, mit dem sie «überhaupt nicht
ausgeführt werden könnte».
Art. 23 al. 1 CP. Celui qui tente de tuer un tiers en lui administrant une
quantité insuffisante de poison n'use pas d'un moyen tel que la commission de
l'infraction serait «absolument impossible».
Art. 23 cp. 1 CP. Colui che tenta di uccidere una persona somministrandole una
dose insufficiente di veleno non usa un mezzo di natura tale «da escludere in
modo assoluto la possibilità della consumazione del reato».

A. - Paula Bayard verabfolgte ihrem Ehemann Leo Bayard im Februar oder März
1950 zweimal eine mit Surux-Paste (Rattengift), Butter und Konfitüre belegte
Brotschnitte, um ihn zu töten. Leo Bayard starb nicht, wurde jedoch körperlich
geschädigt.
B. - Das Kreisgericht I für den Bezirk Leuk verurteilte Paula Bayard am 19.
Oktober 1951 wegen Tötungsversuchs (Art. 111
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 111 - Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besondern Voraussetzungen der nachfolgenden Artikel zutrifft, wird mit Freiheitsstrafe152 nicht unter fünf Jahren bestraft.
StGB) zu vier Jahren Zuchthaus.
Die Verurteilte reichte gegen dieses Urteil Berufung ein. Vor dem
Kantonsgericht beantragte der Verteidiger wie in erster Instanz, die
Angeklagte sei bloss wegen Körperverletzung zu bestrafen. Zur Begründung
behauptete er, die in der verabfolgten Menge Surux-Paste enthaltene Dosis von
höchstens 500 mg Thalliumacetat habe nach allgemein anerkannter Lehre gar
nicht tödlich wirken können. Zur Stützung dieser Behauptung las er dem

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Kantonsgericht gewisse Abschnitte aus wissenschaftlichen Büchern vor.
Das Kantonsgericht des Wallis bestätigte am 1. Mai 1952 das Urteil der ersten
Instanz. Es führte unter anderem aus, da der Verteidiger die Bücher nicht
hinterlegt habe, könne es die daraus vorgelesenen Abschnitte nicht überprüfen
und folglich auch nicht berücksichtigen. Die Angaben des Verteidigers über die
Giftigkeit der Surux-Paste und die darin enthaltene Menge Thallium stimmten
überdies nicht. Nach einem Brief des Fabrikanten der Surux-Paste vom 23.
Oktober 1951 gälten im allgemeinen für den erwachsenen Menschen 100-200 mg
Thalliumacetat oder -sulfat als minimale letale Dosis. Paula Bayard aber habe
ihrem Ehemann ein Vielfaches dieser Dosis, nämlich rund 800 mg Thalliumacetat
vorgesetzt. Von der zweiten Schnitte habe Bayard nur ganz wenig gegessen, weil
sie ihm nicht schmeckte. Hätte er sie ganz oder auch nur zum grösseren Teil
gegessen, so wäre er bestimmt gestorben. Das Mittel, das Paula Bayard
verwendet habe, um den Ehemann zu vergiften, sei also durchaus geeignet
gewesen, dessen Tod herbeizuführen.
C. - Paula Bayard führt gegen das Urteil des Kantonsgerichts staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben. Sie macht unter Berufung auf
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV unter anderem geltend, die Rechte der Angeklagten und der
Verteidigung seien dadurch verletzt worden, dass das Kantonsgericht auf ein
«Gutachten» (Brief des Fabrikanten der Surux-Paste vom 23. Oktober 1951)
abstelle, das im Widerspruch zu den Grundsätzen jeder Prozessordnung ohne
Interventionsmöglichkeit der Verteidigung erstattet worden sei, ferner
dadurch, dass die vom Verteidiger geltend gemachten und mündlich vorgebrachten
Autoren grundlos aus der Prozedur ausgeschaltet worden seien.
Aus den Erwägungen:
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Kantonsgericht Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verletzte,
indem es seine Feststellung, dass die

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Beschwerdeführerin ihrem Ehemann eine zur Herbeiführung des Todes ausreichende
Menge Surux-Paste verabfolgte, auf den Brief des Fabrikanten dieses
Erzeugnisses vom 23. Oktober 1951 stützte und die vom Verteidiger angerufenen
Shriftwerke nicht berücksichtigte. Die staatsrechtliche Beschwerde könnte nur
gutgeheissen werden, wenn die angeblichen Verstösse für die Beschwerdeführerin
einen Rechtsnachteil zur Folge gehabt hätten.
Das ist nicht der Fall. Auch wenn, wie der Verteidiger behauptet, nicht schon
100-200 mg Thalliumacetat einen Menschen töten könnten, sondern es hiezu 1 g
dieses Stoffes bedürfte, wäre die Beschwerdeführerin nicht bloss der
Körperverletzung oder, wie der Verteidiger eventualiter annimmt, des
untauglichen Tötungsversuchs im Sinne des Art. 23
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB schuldig. Die
Beschwerdeführerin hat ihren Ehemann nicht bloss am Körper verletzen, sondern
sie hat ihn töten wollen, und die Verwendung einer ungenügenden Menge Gift war
nicht ein Mittel, mit dem im Sinne des Art. 23
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB eine Tötung «überhaupt
nicht ausgeführt werden könnte». Unter einem solchen versteht das Gesetz nur
ein absolut untaugliches, d.h. ein Mittel, mit dein rein unmöglich (absolument
impossible) ist, den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen. Relativ untaugliche
Mittel, d. h. solche, die nur wegen unzulänglicher Anwendung (ungeschickt er
Handhabung, ungenügend kräftiger Einwirkung auf das Opfer, Verwendung in
ungenügender Menge usw.) nicht zum Ziele führen, gehören nicht dazu. Ihre
Verwendung bringt den Täter dem beabsichtigten verbrecherischen Erfolge
objektiv näher, bedeutet einen Schritt vorwärts in der Verwirklichung des
gesetzlichen Tatbestandes des Verbrechens. Bei Gebrauch eines absolut
untauglichen Mittels ist das nicht der Fall. Wer einer Speise Mehl beifügt, um
jemanden zu töten, kommt dem beabsichtigten Erfolge nicht näher, weil mit
diesem Mittel ein Mensch überhaupt nicht getötet werden kann; der Täter kann
nach freiem Ermessen des Richters milder bestraft (Art. 23 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB), im
Falle des Handelns aus Unverstand sogar

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straflos gelassen werden (Art. 23 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB). Anders der Täter, der ein zur
Tötung an sich taugliches Gift in ungenügender Menge verabfolgt er beginnt den
Tatbestand des Verbrechens zu verwirklichen, bleibt aber auf dem Wege zum
Erfolge stehen, weil er nicht in genügendem Masse (mit genügend kräftiger
Dosis) auf das Opfer einwirkt, gleich wie der Täter, der mit einem Stock zu
schwach auf dieses einschlägt. Die Beschwerdeführerin müsste daher auch wenn
die verabfolgte Menge Rattengift nicht ausgereicht haben sollte, um einen
Menschen zu töten, wegen Tötungsversuchs nach Art. 21
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
oder 22 StGB bestraft
werden, wobei dahingestellt bleiben kann, welche dieser beiden Bestimmungen
angewendet werden müsste, da beide die gleichen Strafen androhen. Auch wäre
das Verschulden der Beschwerdeführerin, die ihren Mann töten wollte und die
angewendete Menge Gift für genügend hielt, nicht geringer; es bliebe dabei,
dass bloss ein vom Willen der Täterin unabhängiger Umstand das Opfer vor dem
Tod bewahrte. Ein neues Urteil könnte daher weder im Strafmass noch im
Zivilpunkt für die Beschwerdeführerin günstiger ausfallen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 78 IV 145
Date : 01. Januar 1952
Published : 23. September 1952
Source : Bundesgericht
Status : 78 IV 145
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 23 Abs. 1 StGB. Wer mit einer unzulänglichen Menge Gift jemanden zu töten versucht, begeht die...


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quantity • cantonal legal court • victim • hamlet • letter • death • first instance • valais • appeal relating to public law • convicted person • penal code • statement of affairs • use • statement of reasons for the adjudication • commodity • declaration • butter • measure • flour • adult
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