S. 397 / Nr. 68 Verfahren (d)
BGE 78 II 397
68. Urteil der Il. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1952 1. S. Berger gegen
Berger.
Regeste:
Berufung nach Art. 50 OG.
Begriff des selbständigen Vor- und Zwischenentscheides. Voraussetzungen der
Berufung gegen einen solchen Entscheid.
Recours en réforme selon l'art. 50 OJ.
Décision préjudicielle ou incidente. Condition du recours en réforme contre
une décision de cette nature.
Ricorso per riforma a'sensi dell'art. 50 OG.
Decisione pregiudiziale o incidente. Presupposti del ricorso per riforma
contro una siffatta decisione.
A. - Das Bezirksgericht Zürich wies die vorliegende Scheidungsklage des
Ehemannes ab, weil die Ehe bloss gestört, jedoch nicht im Sinne von Art. 142
ZGB tief zerrüttet sei. Das Obergericht kam dagegen nach Ergänzung des
Beweisverfahrens zum Ergebnis, die Ehe sei tief und unheilbar zerrüttet und
müsse, weil den Mann kein überwiegendes Verschulden treffe, geschieden werden.
«Die Berufungsinstanz kann jedoch die Scheidung nicht aussprechen, da die
Akten zur Regelung der Nebenfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen sind, das
Scheidungsurteil aber eine Einheit bilden muss. Die Vorinstanz hat jedoch das
Urteil in der Frage der Scheidung nicht selbst zu finden, sondern nur, auf
Grund der Erwägungen der Berufungsinstanz, auszusprechen.» Der auf diese
Erwägungen gestützte «Beschluss» des Obergerichtes lautet:
«1. Das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich... wird aufgehoben.
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2. Die Akten gehen an die Vorinstanz zurück zur Ausfällung eines neuen
Entscheides im Sinne der Erwägungen und zur Regelung der Nebenfolgen der
Scheidung.»
B. - Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht verlangt die Beklagte die
Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses und die vollumfängliche Abweisung
der Scheidungsklage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung.
Der angefochtene «Beschluss» ist zweifellos kein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG. Fraglich ist nur, ob er einen (nicht die Zuständigkeit
betreffenden, sondern materiellen) Vor- oder Zwischenentscheid darstelle, der
unter den besondern Voraussetzungen von Art. 50 OG gesondert (d. h. vor dem
Endentscheid) der Berufung an das Bundesgericht unterläge. Auch das ist jedoch
zu verneinen. Das Obergericht will allerdings, wie sich aus dem Dispositiv und
den es erläuterden Erwägungen des angefochtenen Rückweisungsbeschlusses
ergibt, die Scheidungsfrage rechtsverbindlich erledigen. Das Bezirksgericht
soll, sobald einmal die ganze Sache spruchreif sein wird, die Scheidung ohne
nochmalige Prüfung des dahingehenden Begehrens aussprechen und nur über die
Nebenfolgen selbständig urteilen. Dennoch hat man es nicht mit einem
«Entscheid» über das Scheidungsbegehren im Sinne von Art. 50 OG zu tun.
Dahingestellt kann bleiben, ob diese Vorschrift nicht überhaupt ein die
betreffende Vor- oder Zwischenfrage betreffendes ausdrückliches Dis-positiv im
Auge hat. Zumal wenn die Bejahung einer bestimmten positiven
Anspruchsgrundlage in Frage steht, spricht sich ein darüber getroffener
Entscheid ordentlicherweise im Dispositiv über diesen vorweg erledigten Punkt
aus. Ob dies für die Einlegung einer Berufung nach Art. 50 OG geradezu
unerlässlich sei, ist allerdings fraglich. Was nun aber im besonderen die
Scheidungsklage betrifft, so lässt sich ein massgebender Entscheid über das
Scheidungsbegehren nur durch ein ausdrückliches Dispositiv
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herbeiführen. Das ist eine Folge der Rechtsnatur solcher Klagen, die auf ein
Gestaltungsurteil abzielen. Enthält sich das oberinstanzliche kantonale
Gericht eines solchen Urteils, und behält es dessen Ausfällung dem Gericht
erster Instanz vor, das zugleich über die Nebenfolgen der Scheidung zu
urteilen haben wird, so kann von einem die Scheidungsfrage massgebend
erledigenden Vor- oder Zwischenentscheid nicht die Rede sein. Die Ehe bleibt
bestehen, bis die Scheidung allenfalls, eben durch Gestaltungsurteil,
ausgesprochen wird und in Rechtskraft erwächst.
Übrigens würde es auch an der weitem Voraussetzung zu gesonderter Anrufung des
Bundesgerichts nach Art. 50 OG fehlen, dass sich durch die von der
Berufungsklägerin erbetene Entscheidung eine diesen aussergewöhnlichen
Rechtsmittelweg hinreichend rechtfertigende Zeit - oder Kostenersparnis
erzielen liesse. Art. 50 OG stellt die Berufung gegen Vor- und
Zwischen-Entscheide nur in Ausnahmefällen zur Verfügung, dann nämlich, wenn es
gilt, einen sonst zu gewärtigenden aussergewöhnlich grossen Zeit- oder
Kostenaufwand zu vermeiden. Die Beurteilung der Nebenfolgen einer Scheidung
nach Art. 150 -152 und 156 ZGB erfordert aber kaum jemals nach Beurteilung der
Scheidungsfrage noch ein weitläufiges Beweisverfahren. Die Schuldfrage ist
gewöhnlich schon bei Prüfung des Scheidungspunktes abzuklären, und im übrigen
handelt es sich in der Regel um Tatsachen, die sich verhältnismässig rasch und
ohne übermässige Kosten abklären lassen. Was aber die (freilich mitunter
umständliche Erhebungen erfordernde) güterrechtliche Auseinandersetzung
betrifft (Art. 154 ZGB), so steht das Bundesrecht der Verweisung dieser
speziellen Nebenfolge der Scheidung in ein getrenntes Verfahren nicht
entgegen. Auf diese Weise lässt sich der Scheidungsprozess entlasten. Sollte
aber eine kantonale Verfahrensordnung dem entgegenstehen, so wäre dies kein
Grund, das Bundesgericht in aussergewöhnlicher Weise in Anspruch zu nehmen.
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Über die Voraussetzungen der Berufung nach Art. 50 OG hat das Bundesgericht
nach freiem Ermessen zu entscheiden, ohne öffentliche Beratung (Abs. 2
daselbst).
Demnach erkennt das Bundesgericht: Auf die Berufung wird nicht eingetreten.