BGE 77 II 122
26. Auszug aus dem Urteil der Il. Zivilabteilung vom 13. Juni 1951 i. S.
Müller und «Frau Emma Schnewlin-Küng Familienstiftung» gegen Teilungsbehörde
der Stadt Luzern und Strekeisen.
Regeste:
Der Willensvollstrecker (Art. 517
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 517 - 1 Der Erblasser kann in einer letztwilligen Verfügung eine oder mehrere handlungsfähige Personen mit der Vollstreckung seines Willens beauftragen. |
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1 | Der Erblasser kann in einer letztwilligen Verfügung eine oder mehrere handlungsfähige Personen mit der Vollstreckung seines Willens beauftragen. |
2 | Dieser Auftrag ist ihnen von Amtes wegen mitzuteilen, und sie haben sich binnen 14 Tagen, von dieser Mitteilung an gerechnet, über die Annahme des Auftrages zu erklären, wobei ihr Stillschweigen als Annahme gilt. |
3 | Sie haben Anspruch auf angemessene Vergütung für ihre Tätigkeit. |
Erbschaftssachen verschaffen will, die sieh in den Händen eines Erben
befinden, hat sich, wenn dieser Erbe die Herausgabe verweigert, nicht an die
Erbschaftsbehörde, sondern an den Richter zu wenden. Bedeutung von Art. 554
Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 554 - 1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
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1 | Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
1 | wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern; |
2 | wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist; |
3 | wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind; |
4 | wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht. |
2 | Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben. |
3 | Stand die verstorbene Person unter einer Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst, so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung, sofern nichts anderes angeordnet wird.528 |
L'exécuteur testamentaire (art. 517 et 518 CC) qui veut entrer en possession
de biens successoraux détenais par un héritier doit, si cet héritier refuse de
se dessaisir de ces biens, s'adresser au juge. Portée de l'art. 554 al. 2 CC.
L'esecutore testamentario (art. 517 e 518 CC), che intende entrare in possesso
di beni della successione trovantisi nelle mani d'un erede, deve adire il
giudice, se questo ere de ne rifiuta la consegna. Portata dell'art. 554 cp. 2
CC.
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Aus dem Tatbestand:
A. - Frau Strekeisen ist das einzige Kind der Eheleute Schnewlin. Nachdem der
Vater im Jahre 1931 gestorben war, schlossen Mutter und Tochter gemeinsam
«einen über den Tod hinaus gültigen Dépôt-joint-Vertrag» über das Tresorfach
Nr. 971 der Luzerner Kantonalbank, gemäss welchem sie sich gegenseitig die
volle Dispositionsbefugnis über das Fach einräumten und jede der beiden allein
darüber verfügen konnte.
Am 16. Oktober 1949 musste die Mutter wegen eines Schwächeanfalls aus ihrer
Wohnung in Luzern, die sie allein bewohnte, in eine Klinik verbracht werden.
Am Abend des 20. Oktober 1949 starb sie. Dem Gesuch um Siegelung der
Erbschaft, das der als Willensvollstrecker auftretende Franz Müller noch am
gleichen Abend bei der Teilungsbehörde stellte, wurde nicht entsprochen.
Deshalb war es der Tochter, die auf die Nachricht von der Erkrankung der
Mutter sogleich herbeigereist war, möglich, am Morgen des 21. Oktobers in der
Wohnung der Mutter deren Tresorschlüsselsamt Legitimationskarte, die Papiere
mit Aufzeichnungen über das Vermögen und einige Vermögenswerte ohne grossen
Belang an sich zu nehmen.
Das am 21. Oktober 1949 eröffnete Testament der Mutter setzt die Tochter auf
den Pflichtteil, sieht die Errichtung einer Familienstiftung vor, widmet
dieser die verfügbare Quote des Nachlasses und bezeichnet Franz Müller als
Willensvollstrecker.
Der Aufforderung des Teilungsamtes, ihm die Wohnungs- und Tresorschlüssel
auszuliefern, kam die Tochter am Nachmittag des 21. Oktober 1949 nach.
Am 26. Oktober 1949 wurde über den Inhalt des Tresorfachs ein Inventar
aufgenommen. Das Inventargut wurde im Schrankfach belassen, und die Schlüssel
dazu blieben in den Händen des Teilungsamtes.
Am 11. Februar 1950 stellte die Tochter das Gesuch um Herausgabe der
Tresorschlüssel und der
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Legitimationskarte. Das Teilungsamt entsprach diesem Gesuch am 14. Februar
1950 unter der Bedingung, dass der Tresorinhalt in ein offenes Depot bei der
Schweiz. Volksbank in Luzern gelegt werde, welcher Bedingung die Tochter sich
unterzog.
B. - Am 7. Juli 1950 stellte Müller bei der Teilungsbehörde die Begehren, die
Eheleute Strekeisen seien zu verpflichten, ihm alle «an sich genommenen
Buchhaltungsmaterialien, Schriftstücke, Belege usw.» herauszugeben, und das
Bankdepot sei zu seiner freien Verfügung zu stellen. Am 8. August 1950 wies
die Teilungsbehörde diese Begehren wegen sachlicher Unzuständigkeit ab.
C. - Hiegegen führte Müller, auch im Namen der Familienstiftung, beim
Regierungsrat des Kantons Luzern Beschwerde. Der Regierungsrat hat die
Beschwerde am 25. Januar 1951 abgewiesen. Der Begründung ist zu entnehmen:
Der Besitzesstreit zwischen dem Willensvollstrecker und der gesetzlichen Erbin
ist eine Angelegenheit, die der Zivilrichter zu entscheiden hat... Die
Verwaltungsbehörde kann die Erbin nicht anweisen, Erbschhaftssachen
herauszugeben, noch ist sie befugt, über das Bankdepot eine Verfügung zu
treffen. Es ist allerdings richtig, dass der Willensvollstrecker den Nachlass
zu verwalten und der Regierungsrat wiederholt Teilungsbehörden zur
Aushändigung des Nachlasses an den Willensvollstrecker verpflichtet hat...
Allein in jenen Fällen stand dem Willensvollstrecker eine Behörde gegenüber,
deren Befugnisse abzuklären waren, und nicht die Erben. Die Teilungsbehörde
kann übrigens, wo sie nach § 80 EG z. ZGB mitwirkt, keine Verfügungen treffen
oder gegenüber den Erben verbindliche Entscheidungen treffen sie kann nur
leitend und beratend mitwirken...
Selbst wenn die Teilungsbehörde der Stadt Luzern die Tresorschlüssel zu
Unrecht an Frau Strekeisen ausgehändigt hätte, wäre sie heute nicht mehr in
der Lage, eine Herausgabeverfügung wirksam zu erlassen... Übrigens war das
Verhalten der Teilungsbehörde richtig. Es ist unzutreffend, dass Frau
Strekeisen vor der Anhandnahme des Nachlasses weder Tresorschlüssel noch
Legitimationskarte besass. Da sie die Schlüssel von sich aus der
Teilungsbehörde aushändigte, die ihr gegenüber, zumal ausserhalb des Kantons
Luzern, keine Verfügungsgewalt hätte ausüben können, war es in Ordnung, die
Schlüssel wieder der Erbin und Mitmieterin des Tresorfachs zurückzugeben.»
D. - Den Entscheid des Regierungsrates fechten Müller und die Familienstiftung
mit Nichtigkeitsbeschwerde gemäss
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Art. 68
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 554 - 1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
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1 | Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
1 | wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern; |
2 | wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist; |
3 | wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind; |
4 | wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht. |
2 | Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben. |
3 | Stand die verstorbene Person unter einer Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst, so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung, sofern nichts anderes angeordnet wird.528 |
kantonales Recht (§ 80 EG z. ZGB) angewendet, während Art. 554 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 554 - 1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
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1 | Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
1 | wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern; |
2 | wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist; |
3 | wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind; |
4 | wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht. |
2 | Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben. |
3 | Stand die verstorbene Person unter einer Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst, so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung, sofern nichts anderes angeordnet wird.528 |
massgebend sei, wonach die Erbschaftsbehörde verpflichtet sei, dem
Willensvollstrecker die Verwaltung der Erbschaft zu übergeben -
Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
4. ... Art. 554
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 554 - 1 Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
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1 | Die Erbschaftsverwaltung wird angeordnet: |
1 | wenn ein Erbe dauernd und ohne Vertretung abwesend ist, sofern es seine Interessen erfordern; |
2 | wenn keiner der Ansprecher sein Erbrecht genügend nachzuweisen vermag oder das Vorhandensein eines Erben ungewiss ist; |
3 | wenn nicht alle Erben des Erblassers bekannt sind; |
4 | wo das Gesetz sie für besondere Fälle vorsieht. |
2 | Hat der Erblasser einen Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben. |
3 | Stand die verstorbene Person unter einer Beistandschaft, welche die Vermögensverwaltung umfasst, so obliegt dem Beistand auch die Erbschaftsverwaltung, sofern nichts anderes angeordnet wird.528 |
anzuordnen ist. Im Anschluss hieran bestimmt Abs. 2: «Hat der Erblasser einen
Willensvollstrecker bezeichnet, so ist diesem die Verwaltung zu übergeben».
Dabei ist vorausgesetzt, dass nach Abs. 1 die Erbschaftsverwaltung angeordnet
werden muss. Die Beschwerdeführer behaupten nun gar nicht, dass im
vorliegenden Falle die Erbschaftsverwaltung anzuordnen sei. Art. 554 Abs. 2
ist hier also überhaupt nicht anwendbar. Im übrigen ist unter der Übergabe der
Verwaltung an den Willensvollstrecker im Sinne dieser Vorschrift nur die
Ernennung des Willensvollstreckers zum Erbschaftsverwalter zu verstehen, nicht
die Herausgabe der Erbschaft zur Verwaltung. Auf keinen Fall lässt sich aus
dieser Vorschrift ableiten, dass die Erbschaftsbehörde, die die Erbschaft
nicht in Händen hat, sie zunächst in ihren Besitz bringen, also demjenigen,
der darüber verfügt, entziehen dürfe und müsse, um sie dem Willensvollstrecker
ausliefern zu können. Für eine solche Annahme bietet das ZGB aber auch sonst
nicht den geringsten Anhaltspunkt. Daraus folgt, dass die Beschwerde
unbegründet ist, soweit sie sich darauf stützt, dass die Vorinstanz
bundesrechtliche Vorschriften über die Herausgabe der Erbschaft an den
Willensvollstrecker nicht angewendet habe.
6.- Will sich der Willensvollstrecker den Besitz der Erbschaftssachen
verschaffen, so kann er dieses Ziel unter den gegebenen Verhältnissen
höchstens dadurch erreichen, dass er die gesetzliche Erbin vor Gericht auf
Herausgabe
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dieser Sachen belangt (vgl. ESCHER N. 9 zu Art. 518
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 518 - 1 Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters. |
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1 | Die Willensvollstrecker stehen, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters. |
2 | Sie haben den Willen des Erblassers zu vertreten und gelten insbesondere als beauftragt, die Erbschaft zu verwalten, die Schulden des Erblassers zu bezahlen, die Vermächtnisse auszurichten und die Teilung nach den vom Erblasser getroffenen Anordnungen oder nach Vorschrift des Gesetzes auszuführen. |
3 | Sind mehrere Willensvollstrecker bestellt, so stehen ihnen diese Befugnisse unter Vorbehalt einer anderen Anordnung des Erblassers gemeinsam zu. |
III). Ob die gesetzliche Erbin sich auf rechtmässige oder widerrechtliche
Weise in den Besitz der Erbschaft gesetzt habe, ist nur insofern von
Bedeutung, als der Willensvollstrecker im letztem Falle nicht auf die
ordentliche gerichtliche Klage angewiesen wäre, sondern das
Besitzesschutzverfahren einschlagen könnte. Dass Frau Strekeisen den Besitz
unter Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften erworben habe, ist jedoch
keineswegs dargetan denn sie durfte sich in den ersten Stunden nach dem Tode
ihrer Mutter wohl als Alleinerbin und daher Alleineigentümerin der von ihr
behändigten Dinge betrachten. (Offenbar gestützt auf den Bericht der Luzerner
Kantonalbank vom 12. Januar 1951, wonach Frau Strekeisen das Tresorfach zu
Lebzeiten ihrer Mutter einmal allein geöffnet hat, nimmt die Vorinstanz im
übrigen an, dass Frau Strekeisen schon vor dem Tode ihrer Mutter einen
Tresorschlüssel und eine Legitimationskarte besessen habe.) Um so eher lässt
sich begreifen, dass die Teilungsbehörde die zum Zwecke der Inventaraufnahme
herausverlangten Schlüssel nicht dem Willensvollstrecker in die Hände
gespielt, sondern an Frau Strekeisen zurückgegeben hat (die sich wohl
überhaupt damit hätte begnügen können, das Schrankfach zum erwähnten Zwecke zu
öffnen, ohne die Schlüssel aus der Hand zu geben). Umgekehrt ist nicht
einzusehen, wieso der Willensvollstrecker, um den ihm erteilten Auftrag
ausführen zu können, die ganze Erbschaft in seine Verfügungsgewalt bekommen
muss. Es kann sich sogar fragen, ob sich nicht aus dem Testament in dieser
Hinsicht Einschränkungen ergeben.