BGE-77-II-102
S. 102 / Nr. 21 Familienrecht (d)
BGE 77 II 102
21. Urteil der Il. Zivilabteilung vom 25. . Mai 1951 i. S. Eheleute X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.
Regeste:
Nichtigkeit der Ehe. Art. 120 Ziff. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht. |
voraus, die sich nicht bloss auf die Ehe mit einem bestimmten Partner, sondern
auf das Wesen und die wesentlichen Wirkungen der Ehe im allgemeinen bezieht.
Nullité du mariage. Pour que l'incapacité de discernement soit une cause de
nullité absolue du mariage, il faut qu'elle se rapporte à la nature et aux
effets essentiels du mariage en général et non pas seulement au mariage avec
telle ou telle personne en particulier.
Nullità del matrimonio. Affinché l'incapacità di discernimento costituisca una
causa di nullità del matrimonio (art. 120, cifra 2 CC), occorre ch'essa si
riferisca in generale alla natura e agli effetti essenziali del matrimonio e
non solamente al matrimonio con una determinata persona.
A. - Der 1905 geborene X., der unter Verwaltungsbeiratschaft steht, heiratete
im April 1948 eine 1924 geborene deutsche Staatsangehörige. Die Eheleute X.
wählten den Güterstand der Gütertrennung. Frau X. trat
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in Basel eine Berufslehre an. Am 14. Juli 1948 errichtete X. eine
Schenkungsurkunde, wonach seine Frau seinen gesamten Hausrat als Ehegeschenk
erhalten sollte und X. sich verpflichtete, «jede Verpflichtung, welche Frau X.
eingegangen ist, auf ihr Ansuchen durch Sonderunterschrift ... zu übernehmen».
Am 16. August 1948 liessen die Eheleute einen Verpfründungsvertrag beurkunden,
wonach der Ehemann sein ganzes Vermögen seiner Frau übertrug und diese sich
verpflichtete, ihm Unterhalt und Pflege auf Lebenszeit zu gewähren, «wobei sie
aber nicht verpflichtet ist, hiefür mehr aufzuwenden als den Betrag des ihr
übergebenen Vermögens samt dessen Ertrag». Die Zustimmung des Beirates zu
diesen Verträgen fehlt. Ein bei den Akten liegender Testamentsentwurf besagt
u. a., dass X. seine Ehefrau zur Vorerbin einsetze, von der
Sicherstellungspflicht befreie und ermächtige, soweit für ihren Unterhalt
nötig das Kapital anzugreifen.
Polizeiliche Erhebungen, die die Staatsanwaltschaft im Januar 1949 durchführen
liess, ergaben, dass Frau X., die sogar zur Trauung in Herrenkleidern
erschienen war mit mehrern Mädchen homosexuelle Beziehungen unterhielt,
besondern mit der Y., die sie im ehelichen Schlafzimmer nächtigen liess,
während der Ehemann im Wohnzimmer schlafen musste. Ferner stellte sich heraus,
dass X. die Haushaltarbeiten verrichten musste, und dass er seiner Frau ein
tägliches Taschengeld von Fr. 5.- überliess, während er selber nicht genug zu
essen hatte. Die Staatsanwaltschaft holte hierauf ein Gutachten über die Frage
ein, ob X. bei Eingehung der Ehe geisteskrank oder aus einem dauernden Grunde
nicht urteilsfähig gewesen sei. Der Experte kam zum Schlusse, X., der an sich
nicht schwachsinnig und durchaus imstande sei, ein genügendes Verständnis für
das Wesen der Ehe im allgemeinen aufzubringen, und dessen
Verhältnisschwachsinn ihn bei geeigneter Führung auch nicht unfähig mache, in
der Ehe die einfachsten Pflichten eines Ehegatten zu erfüllen, sei nicht
generell eheunfähig; sofern man
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allerdings die Aufgabe, das Haupt der Gemeinschaft zu sein, namentlich aber
die Kindererziehung zu den einfachsten Aufgaben eines Ehemannes zähle,
erscheine die generelle Ehefähigkeit des X. als zweifelhaft wie es sich damit
verhalte, brauche jedoch nicht entschieden zu werden, denn für die in concreto
vorliegende Eheschliessung sei X. zweifellos urteilsunfähig gewesen, weil er
infolge seiner psychischen Defekte (summarisches Temperament, neurotisch
bedingte Geltungssucht und psychopathische Charakterschwäche) kein genügendes
Verständnis für die Wahl des Ehepartners besessen habe und ausserstande
gewesen sei, die Persönlichkeit seiner Braut und ihre wahren
Eheschliessungsmotive richtig zu beurteilen, und weil seine krankhafte
Geltungssucht bei ihm selber ein abnormes Eheschliessungsmotiv hervorgerufen
habe; die erwähnten psychischen Defekte seien ihrer Natur nach dauernde, so
dass X. bei seiner Heirat aus einem dauernden Grunde nicht urteilsfähig
gewesen sei.
B. - Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft mit Klage vom 5. April 1949,
die Ehe X. sei nach Art. 120 Ziff. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht. |
Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt hiess die Klage gut, weil der Ehemann,
wie aus der Wahl der Partnerin und den Ereignissen seit der Heirat hervorgehe,
nicht bloss hinsichtlich der geschlossenen Ehe urteilsunfähig, sondern
überhaupt ausserstande sei, die mit einer Ehe verbundenen Aufgaben und
Pflichten zu erkennen und sein Handeln entsprechend zu bestimmen. Das
Appellationsgericht nahm mit dem Experten an, X. sei zwar nicht generell
eheunfähig, habe aber die für die konkrete Eheschliessung und die Führung
dieser Ehe erforderliche Urteilsfähigkeit nicht besessen, was sich, abgesehen
von seinem Verhalten in der Ehe, daraus ergebe, dass er diese Heirat nicht
vernünftig zu motivieren vermöge. Mit dieser Begründung hat es am 24. November
1950 das erstinstanzliche Urteil im Hauptpunkte bestätigt. Ferner hat es der
Ehefrau den guten Glauben im Sinne von Art. 134

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 134 - 1 Auf Begehren eines Elternteils, des Kindes oder der Kindesschutzbehörde ist die Zuteilung der elterlichen Sorge neu zu regeln, wenn dies wegen wesentlicher Veränderung der Verhältnisse zum Wohl des Kindes geboten ist. |
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Beurteilung der finanziellen Nebenfolgen der Ungültigerklärung in ein
besonders Verfahren verwiesen.
C. - Mit ihren Berufungen an das Bundesgericht beantragen die Beklagten wie im
kantonalen Verfahren Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach Art. 120 Ziff. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht. |
Eheschliessung einer der Ehegatten geisteskrank oder aus einem dauernden
Grunde nicht urteilsfähig ist. Geisteskrankheit oder Urteilsunfähigkeit der
Ehefrau wird im vorliegenden Falle nicht behauptet. Es wird aber auch nicht
geltend gemacht, dass der Ehemann zur Zeit der Heirat im Sinne von Art. 120
Ziff. 2 geisteskrank gewesen sei. Die tatsächlichen Feststellungen, die die
Vorinstanz auf Grund des Gutachtens über seinen Geisteszustand getroffen hat,
lassen denn auch eine solche Annahme nicht zu. Das Schicksal der Klage hängt
daher einzig davon ab, ob der Ehemann zur Zeit der Heirat aus einem dauernden
Grunde nicht urteilsfähig gewesen sei.
Unter Urteilsunfähigkeit ist grundsätzlich die Unfähigkeit zu verstehen, im
konkreten Falle vernunftgemäss zu handeln (Art. 16

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. |
schliesst die Vorinstanz, dass bei einem Ehegatten Urteilsunfähigkeit im Sinne
von Art. 120 Ziff. 2 nicht nur dann vorliege, wenn er schlechthin unfähig ist,
das Wesen der Ehe und die den Ehegatten daraus erwachsenden Rechte und
Pflichten zu erkennen und sich dieser Einsicht gemäss zu verhalten, sondern
auch dann, wenn ihm zwar die Fähigkeit hiezu nicht allgemein abgesprochen
werden kann, er aber ausserstande ist, hinsichtlich des Abschlusses und der
Führung der Ehe mit dem gerade in Frage stehenden Partner vernünftig zu
handeln. In diesem letzten Punkte kann der Vorinstanz nicht beigestimmt
werden.
Art. 120

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht. |
der öffentlichen Ordnung erforderlich
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ist und daher von Amtes wegen betrieben werden muss. Der Fall der
Urteilsunfähigkeit wird von dieser Bestimmung nur unter der Voraussetzung
erfasst, dass diese Unfähigkeit auf einem dauernden Grunde beruht. War der
betreffende Gatte bei der Heirat nicht aus einem dauernden, sondern nur aus
einem vorübergehenden Grunde urteilsunfähig, so liegt kein Nichtigkeits-,
sondern nur ein Anfechtungsgrund vor (Art. 123

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 123 - 1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
Amtes wegen geklagt, sondern das Klagerecht steht nur dem betreffenden Gatten
zu. Er soll, nachdem er die Urteilsfähigkeit wieder erlangt hat, selber
entscheiden, ob er die Ehe aufrecht erhalten will oder nicht. Dieser Regelung
liegt die Auffassung zu Grunde, dass die Behörden nur dann berechtigt und
verpflichtet sein sollen, wegen Urteilsunfähigkeit eines Ehegatten zur Zeit
der Heirat auf Ungültigerklärung der Ehe zu klagen, wenn dieser Gatte auch
nach der Eheschliessung zu diesem Akte nicht vernünftig Stellung zu nehmen
vermag, und wenn das öffentliche Interesse ein solches Einschreiten
gebieterisch fordert. Diese Erwägung des Gesetzgebers spricht dafür, dass die
Klage auf Nichtigerklärung nicht bloss dann unterbleiben soll, wenn die
Urteilsunfähigkeit bloss auf einem vorübergehenden Grunde beruht, sondern auch
dann, wenn sie sich nicht auf das Wesen der Ehe und die daraus sich ergebenden
Rechte und Pflichten im allgemeinen bezieht, sondern nur auf die Ehe mit einem
bestimmten Partner. Dem Gatten, der nur insofern urteilsunfähig war, als er
seinen Ehepartner und die besondern Probleme einer Ehe mit ihm nicht richtig
zu beurteilen vermochte, darf es ähnlich wie dein bloss vorübergehend
urteilsunfähig gewesenen Gatten überlassen werden, selber zu entscheiden, ob
er an der Ehe festhalten will oder nicht, sobald er sieht, wie sie sich
gestaltet. Die Art. 124 Ziff. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 124 - 1 Bezieht ein Ehegatte im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens eine Invalidenrente vor dem reglementarischen Referenzalter, so gilt der Betrag, der ihm nach Artikel 2 Absatz 1ter des Freizügigkeitsgesetzes vom 17. Dezember 1993217 nach Aufhebung der Invalidenrente zukommen würde, als Austrittsleistung. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 125 - 1 Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufkommt, so hat ihm der andere einen angemessenen Beitrag zu leisten. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 126 - 1 Das Gericht setzt als Unterhaltsbeitrag eine Rente fest und bestimmt den Beginn der Beitragspflicht. |
vorgesehenen Fällen die Anfechtung. Unter Umständen kommt auch eine
Scheidungsklage in Frage. Es besteht kein genügendes öffentliches Interesse
daran, die Ehe in einem
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solchen Falle geradezu als nichtig anzusehen und von Amtes wegen ihre
Ungültigerklärung zu erwirken, selbst wenn der betreffende Gatte die Ehe gar
nicht aufgeben, sondern die aus der unrichtigen Partnerwahl entstandenen
Schwierigkeiten ertragen will. In derartigen Fällen die Nichtigkeitsklage
auszuschliessen, ist umso eher geboten, als es sich bei der Wahl eines
Ehepartners und der Gestaltung des ehelichen Verhältnisses mit ihm um
höchstpersönliche, in besonders weitem Masse von subjektiven Auffassungen
beherrschte Angelegenheiten handelt. Wenn ein Gatte, der seinen Partner und
die Besonderheiten einer Ehe mit ihm vor der Heirat nicht hinlänglich zu
beurteilen vermochte, deswegen in eine unwürdige Lage gerät, aus der er sich
nicht selber zu befreien vermag, so können ihm die Behörden nötigenfalls mit
andern Mitteln als mit der Nichtigkeitsklage helfen. Aus diesen Gründen ist
anzunehmen, dass Art. 120 Ziff. 2 eine Urteilsunfähigkeit voraussetzt, die
sich auf das Wesen und die wesentlichen Wirkungen der Ehe im allgemeinen
bezieht.
Dass X. in diesem Sinne urteilsunfähig sei, lässt sich aus den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz über seinen Geisteszustand und dem ihnen
zugrunde liegenden Gutachten nicht ableiten. Wie die Vorinstanz und der
Experte mit Recht angenommen haben, dürfen an die generelle Urteilsfähigkeit
zur Ehe nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden, weil das Recht zur Ehe
nicht über Gebühr eingeschränkt werden darf. Die Nichtigkeitsklage ist daher
nicht begründet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufungen werden gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die
Klage abgewiesen.
Gesetzesregister
ZGB 16
ZGB 120
ZGB 123
ZGB 124
ZGB 125
ZGB 126
ZGB 134
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 123 - 1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 124 - 1 Bezieht ein Ehegatte im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens eine Invalidenrente vor dem reglementarischen Referenzalter, so gilt der Betrag, der ihm nach Artikel 2 Absatz 1ter des Freizügigkeitsgesetzes vom 17. Dezember 1993217 nach Aufhebung der Invalidenrente zukommen würde, als Austrittsleistung. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 125 - 1 Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufkommt, so hat ihm der andere einen angemessenen Beitrag zu leisten. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 126 - 1 Das Gericht setzt als Unterhaltsbeitrag eine Rente fest und bestimmt den Beginn der Beitragspflicht. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 134 - 1 Auf Begehren eines Elternteils, des Kindes oder der Kindesschutzbehörde ist die Zuteilung der elterlichen Sorge neu zu regeln, wenn dies wegen wesentlicher Veränderung der Verhältnisse zum Wohl des Kindes geboten ist. |
BGE Register