S. 1 / Nr. 1 Familienrecht (d)

BGE 77 II 1

1. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. April 1951 i. S. Stadt Zürich gegen
R. und W.


Seite: 1
Regeste:
Scheinehe. Einspruch und Klage auf Untersagung des Eheabschlusses wegen
beabsichtigter Scheinehe. Klagelegitimation der zuständigen Behörde.
Anforderungen an den Nachweis des Fehlens des Willens zu wirklicher Ehe (Art.
108, 111 ZGB Art. 64 OG).
Mariages fictifs. Opposition au mariage et action en opposition à la
conclusion du mariage fondée sur le fait que les intéressés ont en vue un
mariage fictif. Qualité pour agir de l'autorité compétente. Exigences quant à
la preuve de l'absence de la volonté de conclure un mariage véritable (art.
108, 111 CC, 64 OJ).
Matrimoni fittizi. Opposizione al matrimonio e azione per inibizione del
matrimonio fondata sul fatto che gli interessati hanno in vista un matrimonio
fittizio. Veste per agire dell'autorità competente. Requisiti cui deve
sodisfare la prova che manca alle parti la volontà di concludere un vero
matrimonio (art. 108, 111 CC, 64 OG).

A. - Die Beklagte Hermine W., geborene X., geschiedene Y., geschiedene Z.,
geboren 1882, seit 1912 in Zürich wohnhaft, suchte durch Inserat im
Tagesanzeiger von Zürich vom 30. Dezember 1949 Bekanntschaft zwecks Heirat mit
«älterem Geschäftsherrn oder Pensioniertem, Zürcher Stadtbürger bevorzugt» und
stellte sich dabei als Witwe gesetzten Alters, ohne Anhang, mit eigenem

Seite: 2
Haus und schöner Wohnungseinrichtung vor. Der Beklagte, Hermann R. in Uster,
geboren 1876, Bürger von Zürich, meldete sich, und schon am 23. Januar 1950
meldeten die beiden beim Zivilstandsamt Uster ihr Eheversprechen an. Die
Eheverkündigung wurde am 27. Januar 1950 publiziert. Am 3. Februar 1950 erhob
der Stadtrat von Zürich gegen den Eheabschluss Einsprache gemäss Art. 108
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 108 - 1 Die Ungültigkeitsklage ist innerhalb von sechs Monaten seit Kenntnis des Ungültigkeitsgrundes oder seit dem Wegfall der Drohung einzureichen, in jedem Fall aber vor Ablauf von fünf Jahren seit der Eheschliessung.
1    Die Ungültigkeitsklage ist innerhalb von sechs Monaten seit Kenntnis des Ungültigkeitsgrundes oder seit dem Wegfall der Drohung einzureichen, in jedem Fall aber vor Ablauf von fünf Jahren seit der Eheschliessung.
2    Das Klagerecht geht nicht auf die Erben über; ein Erbe kann jedoch an der bereits erhobenen Klage festhalten.
ZGB
und reichte, als diese nicht anerkannt wurde, fristgerecht Klage auf
Untersagung des Eheabschlusses gemäss Art. 111
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 111 - 1 Verlangen die Ehegatten gemeinsam die Scheidung und reichen sie eine vollständige Vereinbarung über die Scheidungsfolgen mit den nötigen Belegen und mit gemeinsamen Anträgen hinsichtlich der Kinder ein, so hört das Gericht sie getrennt und zusammen an. Die Anhörung kann aus mehreren Sitzungen bestehen.
1    Verlangen die Ehegatten gemeinsam die Scheidung und reichen sie eine vollständige Vereinbarung über die Scheidungsfolgen mit den nötigen Belegen und mit gemeinsamen Anträgen hinsichtlich der Kinder ein, so hört das Gericht sie getrennt und zusammen an. Die Anhörung kann aus mehreren Sitzungen bestehen.
2    Hat sich das Gericht davon überzeugt, dass das Scheidungsbegehren und die Vereinbarung auf freiem Willen und reiflicher Überlegung beruhen und die Vereinbarung mit den Anträgen hinsichtlich der Kinder genehmigt werden kann, so spricht das Gericht die Scheidung aus.
ZGB ein.
Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt: Frau W. sei 1913 durch Heirat mit
dem Deutschen Y. deutsche Staatsbürgerin geworden. Am 3. Oktober 1921 sei sie
aus sittenpolizeilichen Gründen des Landes verwiesen worden, habe aber die
Landesverweisung dadurch zu umgehen gewusst, dass sie am 22. November 1922 den
Schweizer Z. geheiratet habe. Sie habe ihren unsittlichen Lebenswandel
weitergeführt und sich in Abwesenheit des Mannes der Prostitution hingegeben.
Schon am 29. Februar 1924 sei ihre Ehe mit Z. geschieden worden. Im Jahre 1929
habe sie den Winterthurer Bürger Arnolti W. geheiratet, der von ihrem
bisherigen Lebenswandel nichts gewusst habe. Verbittert über das Leben der
Frau habe er sich dem Trunke ergeben und sei 1946 gestorben. Während der Ehe
mit W. sei die Beklagte wiederholt bestraft worden, so zweimal wegen Kuppelei
und einmal wegen Veruntreuung, und habe zehn Polizeibussen erlitten.
Schliesslich habe man ihr im Jahre 1945 den Entzug der
Niederlassungsbewilligung in Zürich angedroht. Sie habe aber ihr Kuppelgewerbe
weiter betrieben und sei deswegen im Jahre 1948 mit 8 Monaten Gefängnis, Fr.
400.- Busse und 2 Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit
bestraft worden, worauf ihr der Stadtrat von Zürich die
Niederlassungsbewilligung entzogen habe. Im Januar 1950 habe sie sich in
Schlieren niedergelassen. Bei der beabsichtigten neuen Heirat gehe es ihr
nicht um die Gründung einer neuen Familie, sondern

Seite: 3
ausschliesslich um die Erwerbung des Bürgerrechts der Stadt Zürich, um die
Verweisung illusorisch zu machen und ihr Kupplergewerbe wieder aufnehmen zu
können.
Der Beklagte R. sei erst nach erfolgter Verlobung von Drittpersonen über das
Vorleben der W. aufgeklärt worden und gebe sich nun der Illusion hin, er könne
seine Frau bekehren. Damit sei aber nicht zu rechnen, da diese eine kriminell
veranlagte, unverbesserliche und gefährliche Person sei. Es liege im
öffentlichen Interesse, eine derartige Heirat zu verhindern, die nur eine
Scheinehe begründe.
B. - Sowohl das Bezirksgericht Uster als das Obergericht des Kantons Zürich
haben die Klage abgewiesen. in seinem Urteil vom 16. November 1950 nimmt
letzteres Anlass, die Rechtsprechung des Bundesgerichtes über die Scheinehen
in Zweifel zu ziehen, erklärt dann aber, es brauche im vorliegenden Fall zum
Problem nicht Stellung genommen zu werden, da die Klage deswegen abgewiesen
werden müsse, weil feststehe, dass jedenfalls der beklagte Bräutigam die Ehe
im Sinne der Aufnahme einer wirklichen Lebensgemeinschaft ernstlich wolle. Wo
aber nur der eine Nupturient bösgläubig sei, liege nicht die bei der Scheinehe
sonst vorhandene, der Simulation entsprechende Situation vor, sondern die
typische Rechtsfigur der Mentalreservation im Sinne der allgemeinen
Vertragslehre, welche die Rechtswirkung der Willenserklärung nicht hindern
könne. Wenn man noch mit dem Bundesgericht die simulierte Ehe auf dem Umweg
über Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1    Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2    Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
ZGB als annullierbar betrachten wolle, so ginge es zu weit, auf
dem gleichen Wege schon die blosse einseitige Mentalreservation als
Nichtigkeitsgrund einzuführen. Als solcher genüge nur die Bösgläubigkeit
beider Nupturienten, nicht aber eines einzigen, zumal wenn, wie hier, die
Untersagung einer noch nicht geschlossenen Ehe in Frage stehe und auch der
gutgläubige Nupturient sich der Klage des Gemeinwesens widersetze, was in den
beiden bundesgerichtlichen Entscheiden, welche die Frage im gegenteiligen

Seite: 4
Sinne zu beurteilen scheinen (BGE 66 II 225, 68 II 276), nicht der Fall
gewesen sei.
C. - Mit der vorliegenden Berufung hält die Stadt Zürich an ihrem
Klagebegehren auf Unterlassung des Eheabschlusses fest und verlangt eventuell
Rückweisung der Sache zur Vervollständigung des Tatbestandes an die Vorinstanz
gemäss Art. 64 OG. Die beklagten Nupturienten tragen auf Bestätigung des
angefochtenen Urteils an.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist eine Ehe, die ohne jeden
Willen zur ehelichen Gemeinschaft nur eingegangen worden ist, um damit
verbundene Nebenfolgen herbeizuführen, nichtig zu erklären. Die zuständige
Behörde ist zur Klage legitimiert. Von dieser mit dem Entscheide in Sachen
Frick c. Zürich (BGE 65 II 133 ff.) in wohlüberlegter Weise und mit
gründlicher Motivierung eingeleiteten und in zahlreichen späteren Entscheiden
bestätigten und ausgebauten Praxis wieder abzuweichen, besteht ungeachtet der
seither dagegen laut gewordenen Kritiken theoretischer Natur kein Anlass.
Ebenso muss daran festgehalten werden, dass die legitimierte Behörde
berechtigt ist, schon gegen eine beabsichtigte Eheschliessung Einspruch zu
erheben, wenn sie den Nachweis zu leisten vermag, dass die Parteien die Form
der Eheschliessung benützen wollen, um unter Ablehnung jeder ehelichen
Gemeinschaft nur eine Nebenfolge der Ehe herbeizuführen (vgl. BGE 65 II 140
Erw. 1, 67 I 275). Die Vorinstanz hat die vorliegende Klage denn auch nicht in
Ablehnung dieser grundsätzlichen Auffassung abgewiesen, sondern weil in casu
der beklagte Bräutigam zweifellos den Willen zur Eingehung einer Ehe mit
voller Lebensgemeinschaft habe, der böse Glaube einer Partei aber zur
Nichtigerklärung bzw. zur Untersagung der Ehe auf Klage eines Dritten nicht
genüge. Es lässt sich in der Tat der Standpunkt vertreten, dass diese Frage
trotz des Präjudizes in BGE 68 II 276 Erw. 3 noch einer grundsätzlichen
Prüfung bedürfte, da jener Fall insofern anders

Seite: 5
lag, als der gutgläubige Ehegatte sich der Klage des Gemeinwesens nicht
widersetzte, ihr vielmehr stillschweigend zustimmte, und daher die dortige
Motivierung weniger allgemein nur dahin hätte formuliert werden können, die
Gutgläubigkeit des einen Ehegatten stehe der Nichtigerklärung jedenfalls
deswegen nicht entgegen, weil er mit der Klage der zuständigen Behörde einig
gehe. Die Frage kann jedoch im vorliegenden Falle offen bleiben, weil die
Klage aus einem andern Grund abgewiesen werden muss:
Die Vorinstanz hat dahingestellt gelassen, ob als erwiesen zu gelten habe,
dass bei der beklagten Braut der Ehewille fehle. Dieser Beweis ist, wie die 1.
Instanz ausdrücklich betonte, bis heute keineswegs erbracht. Die Klägerin
behauptet nicht das Gegenteil, macht jedoch geltend, sie habe Beweise
angetragen, aus denen sich ergebe, dass die Beklagte im Ernste gar nicht an
eine wirkliche Ehe denke, und verlangt unter Hinweis auf Art. 64 OG, dass die
Abnahme dieser Beweise angeordnet werde. Damit indessen eine solche Anweisung
zur Ergänzung des Tatbestandes verlangt werden kann, müssen konkrete
Beweisanträge vorliegen, die als relevant anerkannt werden können. Dies ist
vorliegend nicht der Fall denn die Anträge, welche die Klägerin gestellt hat,
vermögen den notwendigen Beweis des Fehlens des Ehewillens der Beklagten nicht
zu erbringen, jedenfalls nicht angesichts der Strenge, die bei diesem Nachweis
zu walten hat. Es darf keinesfalls Nupturienten, die eine wirkliche Ehe
wollen, der Eheabschluss verunmöglicht werden, nur weil Umstände vorhanden
sind, die Zweifel an diesem Willen begründet erscheinen lassen. Es liegt in
der Natur der Sache, dass es praktisch selten möglich sein wird, diesen Beweis
vor dem Eheabschluss zu führen, sofern nicht klare Äusserungen der
Nupturienten selbst dazu vorliegen.
Vor Obergericht hatte die Klägerin auf die vor Bezirksgericht gestellten
Beweisanträge verwiesen und bestimmte Anträge nur zum Nachweis gestellt, dass
die Beklagte mit der Heirat bezwecke, die Ausweisung aus

Seite: 6
der Stadt Zürich zu umgehen. Dieser Beweis kann aber, auch wenn er gelingt,
keineswegs zur Gutheissung der Klage führen; denn auch wenn dieser Nebenzweck
bewiesen wird, ist damit noch nicht gesagt, dass die Frau nicht bereit ist,
die eheliche Gemeinschaft wirklich aufzunehmen und zu führen. Das aber müsste
bewiesen werden; denn dass noch andere Zwecke mit dem Eheabschluss verfolgt
werden, mögen sie dem Nupturienten auch wichtiger sein als der Hauptinhalt der
Ehe, betrifft nur die Motive zum Eheabschluss, schadet daher nicht und stellt
keinen Beweis für das Fehlen eines Willens zur wirklichen ehelichen
Gemeinschaft dar.
Vor Bezirksgericht wollte die Klägerin den gleichen Beweis führen und weiter
dartun, dass man der Beklagten nicht glauben könne, wenn sie Ehewillen
behaupte, weil sie eine notorische Lügnerin sei. Allein auch damit kann nicht
bewiesen werden, dass sie nur eine Scheinehe will. Es kann von ihr nicht der
Beweis verlangt werden, dass sie den Willen zu wirklicher Ehe hat der Klägerin
obliegt es, den Beweis zu führen, dass die Beklagte diesen Willen nicht hat,
wozu allerdings Indizienbeweis genügen kann. Ein Beweisantrag, der zum
Nachweis dieser Tatsache tauglich wäre, ist in den Akten nicht zu finden. Es
ist auch nicht ersichtlich, wie der Nachweis im vorliegenden Falle anders
erbracht werden könnte, als durch dahingehende Aussagen der beklagten Braut
selbst. Solche Äusserungen sind aber nicht behauptet. Es kann daher auch nicht
gemäss dem Eventualantrag der angefochtene Entscheid als mangelhaft im Sinne
des Art. 64 OG aufgehoben und die Rückweisung zur Aktenergänzung angeordnet
werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 16. November 1950 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 77 II 1
Date : 01. Januar 1951
Published : 19. April 1951
Source : Bundesgericht
Status : 77 II 1
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Scheinehe. Einspruch und Klage auf Untersagung des Eheabschlusses wegen beabsichtigter Scheinehe...


Legislation register
OG: 64
ZGB: 2  108  111
BGE-register
65-II-133 • 66-II-225 • 67-I-273 • 68-II-273 • 77-II-1
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
defendant • marriage • intention • hamlet • federal court • marital companionship • question • engagement • lower instance • residence permit • good faith • spouse • doubt • mental reservation • marriage • expulsion from the country • nullity • number • decision • statement of affairs
... Show all