BGE 77 I 136
25. Urteil vom 23. Mai 1951 i. S. Rahm gegen Kantonale Pensionskasse
Schaffhausen und Grosser Rat des Kantons Schaffhausen.
Regeste:
Wann und inwieweit ist der Pensionsanspruch des kantonalen Beamten ein
wohlerworbenes, gegen Änderungen durch die spätere Gesetzgebung geschütztes
Recht?
Wenn ein kantonaler Erlass die Herabsetzung laufender Renten nur nach
vorheriger Änderung des Erlasses zulässt, verstösst die rückwirkende
Herabsetzung bereits verfallener Renten gegen die Eigentumsgarantie und die
Rechtsgleichheit.
Quand et dans quelle mesure le droit du fonctionnaire cantonal à une pension
constitue-t-il un droit acquis, que la législation ultérieure ne peut
modifier?
Lorsque la loi cantonale prévoit que les rentes courantes ne peuvent être
réduites qu'après modification préalable de la loi elle-même, la réduction
avec rétroactivité de rentes échues viole la garantie de la propriété, ainsi
que le principe de l'égalité devant la loi.
Quando e in quale misura il diritto del funzionario cantonale ad una pensione
costituisce un diritto acquisito che l'ulteriore legislazione non può
modificare?
Se la legge cantonale prevede che le rendite correnti possono essere ridotte
soltanto previa modificazione della legge stessa, la
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riduzione con effetto retroattivo delle rendite scadute viola la garanzia
della proprietà come pure il principio dell'eguaglianza davanti alla legge.
A. - Das schaffhausische Gesetz über die staatlichen Besoldungsverhältnisse
vom 1. Juli 1919 bestimmt in Art. 21:
«Der Staat errichtet entweder eine allgemeine Pensionskasse
(Unterstützungskasse) oder subventioniert eine von der Beamtenschaft zu
gründende Pensionskasse.
In diesem Falle können alle im Dienste des Staates befindlichen Beamten,
Angestellten und Arbeiter gehalten werden, dieser Kasse beizutreten und die
statutengemässen, auf versicherungstechnischer Grundlage beruhenden
Verpflichtungen zu erfüllen.
Das Nähere wird durch Dekret des Grossen Rates geregelt...
Auf Grund dieser Gesetzesbestimmung erliess der Grosse Rat am 24. November
1925 das Dekret über die Allgemeine Pensions- und Hilfskasse für die Beamten,
Angestellten und ständigen Arbeiter des Kantons Schaffhausen (kantonale
Pensionskasse). Nach diesem Dekret - das am 31. August 1936 revidiert wurde -
ist die kantonale Pensionskasse eine mit eigener Rechtspersönlichkeit
ausgestattete, öffentlichrechtliche Anstalt, deren Verhältnisse, soweit nicht
im Dekrete selbst, in den zu dessen Ergänzung erlassenen Statuten der
kantonalen Pensionskasse vom 26./30. September 1936 geregelt sind.
In der Fassung vom 31. August 1936 enthält das Dekret über die kantonale
Pensionskasse u a. folgende Bestimmungen:
§ 4. «Zeigt die technische Bilanz, dass das Gleichgewicht zwischen Aktiven und
Passiven der Kasse erheblich gestört ist, so sind die Beiträge sowohl der
Versicherten als auch des Staates bzw. der staatlichen Betriebe zu erhöhen
oder es hat eine entsprechende Reduktion der Leistungen der Kasse
stattzufinden, in die auch die laufenden Renten miteinbezogen werden können.
Abänderungen der Renten und der Prämien, sowie wesentliche Abänderungen der
übrigen Beiträge an die Kasse dürfen jedoch nur auf Grund eines
versicherungstechnischen Gutachtens und nach vorheriger Aenderung des Dekretes
vorgenommen werden.»
§ 29. «Die jährliche Invaliden. bzw. Altersrente beträgt nach dem dritten
eigentlichen Dienstjahr 28 Prozent der Besoldung und steigt mit jedem weitem
angerechneten Dienstjahr um 1 Prozent bis zum Maximum von 60 Prozent nach 35
Dienstjahren.»
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Beide Paragraphen finden sich auch in den Statuten der kantonalen
Pensionskasse vom 26./30. September 1936 als Art. 5 und 38.
Seit dem Jahre 1944 wies die Verwaltungskommission der
kantonal-schaffhausischen Pensionskasse wiederholt in ihren Geschäftsberichten
auf die Notwendigkeit einer Sanierung der Kasse hin. Nachdem am 6. Juli 1947
das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV) durch
das Schweizervolk angenommen worden war, kam als weiteres Problem die Frage
der Anpassung der Kasse an die AHV hinzu.
Der von der Verwaltungskommission der Pensionskasse beigezogene Experte
berechnete in einem Gutachten vom 17. Januar 1948 das Defizit der Kasse auf
18,4 Millionen Franken. Mit Beschluss vom 23. September 1948 sprach sich die
Delegiertenversammlung der kantonalen Pensionskasse für die Trennung der AHV
und der kantonalen Pensionskasse aus. Die Sanierung wurde daher angestrebt
unter Wahrung der getrennten Führung beider Kassen, aber immerhin unter
Berücksichtigung der Leistungen der AHV.
Am 18. Dezember 1950 stimmte der Grosse Rat einer Revision des Dekretes über
die kantonale Pensionskasse zu. In der revidierten Fassung sieht das Dekret
u.a. vor, dass die Prämie des Besoldungsnehmers von 5 auf 6 % und diejenige
des Besoldungsgebers von 7 auf 10 % erhöht und die Rente um ca. 1/8
herabgesetzt wird. Für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde fallen vor
allem folgende Bestimmungen in Betracht:
§ 29. «Die jährliche Invaliden- bzw. Altersrente beträgt nach dem dritten
eigentlichen Dienstjahr 30 Prozent der versicherten Besoldung und erreicht in
35 Dienstjahren das Maximum von 52 Prozent nach der folgenden Skala...»
§ 58. «Versicherte, die vor dem 1. Juli 1883 geboren sind und daher keinen
Anspruch auf eine Rente der eidg. AHV haben, erhalten bei ihrem Rücktritt die
Altersrente nach § 29 des Dekretes vom 31. August 1936 gemäss folgender
Skala...»
§ 60. «Alters. und Invalidenrentnern, die nach dem 1. Juli 1883 geboren sind
und an Pensionskassenrente und Rente der eidgenössischen
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AHV zusammen weniger beziehen, als ihnen nach der Skala in § 58 zugekommen
wäre, ergänzt die Kasse die Rentenbezüge auf die nach dieser Skala sich
ergebende Höhe.»
§ 63. «Das Dekret tritt mit dem Tage der Publikation im Amtsblatt mit
Rückwirkung auf den 1. Januar 1949 in Kraft und wird vom Regierungsrat in
Vollzug gesetzt.»
Die Publikation und Invollzugsetzung dieses Dekretes durch den Regierungsrat
erfolgte am 23. Februar 1951.
B. - Der am 2. August 1883 geborene Beschwerdeführer Hans Rahm stand während
36 Jahren im Dienste des Kantons Schaffhausen. Er war der kantonalen
Pensionskasse schon im Zeitpunkt ihrer Gründung (1. Januar 1925) als
versichertes Mitglied beigetreten. Auf sein Gesuch hin wurde er ab 1. Januar
1949 pensioniert. Am 17. Januar 1949 eröffnete ihm die Verwaltungskommission
der kantonalen Pensionskasse unter Hinweis darauf, dass seine anrechenbare
Besoldung sich auf Fr. 12000.- belaufe - folgenden Beschluss:
«1. - Hr. Hans Rahm hat ab Januar 1949 eine Altersrente von 60% Fr. 7200.-
zugut.
2. Der Entwurf der neuen Statuten sieht eine Rentenreduktion zur teilweisen
Sanierung der kantonalen Pensionskasse vor. Die Verwaltungskommission hat
beschlossen, die Renten ab Januar 1949 gemäss der neuen Rentenskala
auszurichten, damit sich keine Rückforderungen ergeben, nachdem dieses
Geschäft vom Grossen Rat behandelt worden ist.
Daraus ergibt sich folgender Rentenanspruch für Herrn Rahm: 52% Altersrente
Fr. 6240.-, monatliche Auszahlung = Fr. 520.-. Sollte der Grosse Rat eine
andere als die vorgesehene Regelung treffen, so haben die Versicherten
rückwirkend auf den 1. Januar 1949 Anspruch auf die Rente nach dem
Grossratsbeschluss.»
Mit einem an den Präsidenten der Verwaltungskommission der kantonalen
Pensionskasse gerichteten Schreiben vom 12. Februar 1949 erhob Hans Rahm -
unter Berufung auf § 4 des Dekretes vom 31. August 1936 und den
gleichlautenden Art. 5 der Statuten vom 26./30. September 1936 - Einsprache
gegen die im Hinblick auf eine bevorstehende Dekret- bzw. Statutenrevision
verfügte Reduktion der Rente und verlangte deren ungekürzte Ausbezahlung.
Diesem Begehren wurde entsprochen, worauf Hans Rahm
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sich mit Schreiben vom 28. Februar 1949 bereit erklärte, die Differenz (Fr.
80.- pro Monat) separat zur Verfügung zu halten für den Fall, dass eine
Änderung der Rechtslage die Rückzahlung an die Pensionskasse erheischen
sollte.
C. - Innert 30 Tagen seit der am 23. Februar 1951 erfolgten Publikation des
revidierten Dekretes über die kantonale Pensionskasse reichte Hans Rahm beim
Bundesgericht die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Antrag,
die § § 29 und 63 des Dekretes des Grossen Rates des Kantons Schaffhausen über
die kantonale Pensionskasse (Versicherungskasse und Spareinlegerkasse) vom 18.
Dezember 1950 seien, soweit sie die Rückwirkung dieser Bestimmungen auf den 1.
Januar 1949 festlegen, als verfassungswidrig aufzuheben.
Die Beschwerdebegründung lässt sich folgendermassen zusammenfassen:
a) Gemäss § 60 des neuen Dekretes erhalte der Beschwerdeführer jährlich:
52% von Fr. 12000.- Fr. 6240.-
AHV-Rente Fr. 788.-
Zuschuss für Differenz zwischen alter und neuer Rente
Fr. 172.-
Total wie bisher Fr. 7200.-
Die Regelung des neuen Dekretes laufe somit darauf hinaus, dass die dem
Beschwerdeführer gegenüber der Pensionskasse zustehende Rente um die ihm aus
einer ganz andern Rechts quelle zustehende AHV-Rente gekürzt werde. Soweit
diese Kürzung nur mit Wirkung seit der Publikation des neuen Dekretes (23.
Februar 1951) eingeführt worden sei, erhebe der Beschwerdeführer keine
Einsprache, da sich der kantonale Gesetzgeber diese Möglichkeit im Dekret vom
31. August 1936 (§ 4) und in den Statuten vom 26. September 1936 (Art. 5)
vorbehalten habe. Nach dieser klaren gesetzlichen Bestimmung dürfe aber eine
vor der Abänderung des Dekretes verfallene Rente nicht gekürzt oder gar
zurückgefordert werden. Wohl habe
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das neue Dekret vom 18. Dezember 1950/23. Februar 1951 das frühere Dekret vom
31. August 1936 revidiert und dessen Bestimmungen derogiert. Doch das frühere
Dekret sei bis zum 23. Februar 1951 in Kraft gewesen und unter diesem Dekret
habe der Beschwerdeführer auf Grund seiner Einzahlungen in die Pensionskasse
einen unabdingbaren Rechtsanspruch auf die volle Rente erworben. Ein bereits
erworbenes Vermögensrecht könne nicht durch die Einführung neuen Rechts mit
rückwirkender Kraft beseitigt werden.
b) Ein solcher Eingriff verletze Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
die Voraussetzungen für die Sanierung der kantonalen Pensionskasse durch
Erhöhung der Beiträge einerseits und Herabsetzung der Kassaleistungen
anderseits gegeben gewesen seien, so habe doch kein sachlicher Grund
vorgelegen, die bereits entstandenen und ausbezahlten Renten in die Sanierung
einzubeziehen und sie herabzusetzen, zumal dadurch nur eine kleine Zahl von
Rentnern betroffen werde. Auch das am 1. Januar 1949 in Kraft getretene
Bundesgesetz über die AHV vermöge diese Rückwirkung nicht sachlich zu
rechtfertigen. Der AHV-Rentenanspruch beruhe auf einem ganz andern Rechttitel
als der Anspruch gegen die kantonale Pensionskasse. Für den ordentlichen
AHV-Rentenanspruch habe der Bezüger - neben seinem Arbeitgeber - während
mindestens einem Jahr die Prämien bezahlt. Das neue Dekret schaffe
Rentenbezüger von zweierlei Recht, da lediglich jene Rentner, die für ihre
AHV-Rente etwas einbezahlen durften, sich eine Kürzung gefallen lassen müssen;
von den andern werde nichts zur Sanierung der Pensionskasse beigetragen.
c) Ausser Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Eigentumsgarantie (Art. 19 KV). Die von den Rentenbezügern gemäss Dekret vom
31. August 1936 bis zum 23. Februar 1951 bezogenen Renten seien wohlerworbene
Rechte im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Die sachlich
unbegründete Beschneidung
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dieser Rechte auf zwei Jahre zurück sei ein willkürlicher Eingriff der
Staatsgewalt.
D. - Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen beantragt die kostenfällige
Abweisung der Beschwerde und fühlt zur Begründung seines Antrags u.a. aus:
a) Er sei zweifelsohne berechtigt gewesen, dem Dekret vom 18. Dezember
1950/23. Februar 1951 rückwirkende Kraft auf den 1. Januar 1949 beizulegen.
Die Grosszahl der eidgenössischen kantonalen und kommunalen Pensionskassen
habe ihre neuen, in der Regel im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der AHV
revidierten Statuten mit einer Rückwirkungsklausel versehen, so z. B. die
eidg. Versicherungskasse, die Versicherungskasse der SBB, die
Versicherungskassen für das Staatspersonal des Kantons Zürich, für das
basellandschaftliche Staats- und Gemeindepersonal Sowie für das Personal der
Stadt Winterthur. In den Statuten der Versicherungskasse für das zürcherische
Staatspersonal seien zum Teil noch empfindlichere Kürzungen vorgesehen als in
den Statuten der kantonalen Pensionskasse Schaffhausen. Dass es sich bei den
Renten dieser Kasse nicht um unabdingbare Rechtsansprüche handeln könne,
ergebe sich aus § 4 des Dekretes vom 31. August 1936.
b) Der Beschwerdeführer sei durch die Zahlung einer einzigen Jahresprämie von
2% seiner Besoldung an die AHV schon am 1. Januar 1949 in den Genuss einer
lebenslänglichen einfachen Altersrente in der Höhe von Fr. 788.- pro Jahr
gekommen. Zusammen mit der Pensionskassenrente von 52% und dem Zuschuss der
Pensionskasse gemäss § 60 erhalte er ab 1. Januar 1949 eine Gesamtrente von
Fr. 7200.-, was den 60% der maximal versicherbaren Besoldung von Fr. 12000.-
gemäss den Bestimmungen des alten Dekretes entspreche. Er habe also keine
Kürzung des gesamten Rentenanspruches in Kauf zu nehmen. Von den aktiven
Mitgliedern der Pensionskasse seien weit grössere Opfer für die Sanierung zu
bringen als vom Beschwerdeführer. Der Aktive habe, obgleich er die um 1%
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erhöhte persönliche Prämie zu übernehmen habe, gleichwohl nur Anspruch auf
eine um ca. 1/8 gekürzte Pensionskassenrente. Diese Rente sei für die am 1.
Januar 1949 Pensionierten tatsächlich immer noch höher als der Anspruch, der
sich auf Grund des vorhandenen Deckungskapitals ergebe.
c) Die Anpassung an die Leistungen der AHV habe auf den Zeitpunkt erfolgen
müssen, an welchem die ersten Rentenzahlungen der AHV zu fliessen begonnen
haben. Jedes andere Inkraftsetzungsdatum hätte grosse Härten und
Ungerechtigkeiten mit sich gebracht. Die zwischen dem 1. Januar 1949 und dem
Publikationsdatum des neuen Dekretes pensionierten Versicherten hätten sonst
aus den Leistungen der AHV einen Gewinn ziehen können, den weder die vor dem
1. Januar 1949 noch die nach dem Inkrafttretungsdatum des neuen Dekretes
Pensionierten je für sich beanspruchen könnten. Auch ohne die Einführung der
AHV hätte eine Sanierung der kantonalen Pensionskasse erfolgen müssen und
hätte in diesem Falle noch viel einschneidendere Massnahmen mit sich gebracht.
Es sei darum nicht einzusehen, weshalb gerade diejenigen Funktionäre, von
denen zu kleine Gründungsbeiträge und zu niedrige Prämien einbezahlt worden
seien, nichts an die Sanierung beitragen sollen, anderseits aber jeden
möglichen Gewinn für sich beanspruchen möchten.
d) Nach dem Urteile des Bundesgerichts i. S. Eicher (BGE 70 I S. 10 ff.) seien
bei einer Pensionskasse allgemeine Sanierungsmassnahmen unter dem
Gesichtspunkte des Verfassungsrechts nicht zu beanstanden, soweit ihnen nicht
durch die Eigentumsgarantie besonders geschützte Zusicherungen entgegenstehen
und soweit diese Massnahmen nicht auf einer einseitigen oder sonst
willkürlichen Verlegung der zu bringenden Opfer beruhen. Eine besondere
Zusicherung, die die Herabsetzung der Renten allgemein oder im Falle des
Beschwerdeführers als verfassungsrechtlich unzulässig erscheinen liesse,
bestehe aber nicht, wie sich aus den gemachten Ausführungen ergebe.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung
1. -
2.- Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, besitzt der
Pensionsanspruch des Beamten den Charakter eines wohlerworbenen Rechts (BGE 63
I 40, 118; 67 I 188), das auch gegenüber den allgemeinen Massnahmen des
Gesetzgebers wenigstens nach zwei Richtungen durch die Verfassung geschützt
ist. Einmal werden durch die Eigentumsgarantie und die Garantie der
Rechtsgleichheit solche Massnahmen ausgeschlossen, denen bestimmte
Zusicherungen des Gesetzgebers entgegenstehen. Weiter schliesst die Garantie
der Rechtsgleichheit Massnahmen aus, die unsachlich oder stossend sind, was
bei einer Sanierung der Pensionskasse insbesondere dann zutrifft, wenn die zu
erbringenden Opfer einseitig verlegt werden (BGE 67 I 186 ff., 70 I 20 ff.,
nicht veröffentlichte Entscheide vom 6. März 1944 i. S. Werren Erw. 4 und i.
S. Ladame und Kons. Erw. 6).
3. Die im Dekret vom 18. Dezember 1950/23. Februar 1951 vorgesehene
Rentenkürzung kann, auch soweit sie gemäss dessen § 63 rückwirkend, d. h. für
die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zur Inkraftsetzung des Dekretes (23. Februar
1951) verfügt wurde, trotz der verhältnismässig langen Rückwirkung (mehr als 2
Jahre) kaum als unsachlich oder stossend bezeichnet werden, nachdem bereits
mit dem 1. Januar 1949 die AHV-Rente, um die die Pensionskassenrente gekürzt
werden soll, zu laufen begann und den Versicherten schon zu Anfang des Jahres
1949 von der projektierten Rentenkürzung Mitteilung gemacht worden war. Doch
muss zu dieser Frage nicht abschliessend Stellung genommen werden; denn die
beanstandete Rückwirkung verstösst wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen
ergeben wird - gegen eine bestimmte Zusicherung, die den versicherten
staatlichen Funktionären durch das frühere Dekret vom 31. August 1936 gegeben
worden war.
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4.- Dieses frühere Dekret sieht in § 4 Abs. 1 vor, dass bei einer
Sanierungsbedürftigkeit der Kasse eine Reduktion der Renten erfolgen dürfe und
zwar auch eine Reduktion der «laufenden» Renten. Den Gegensatz zu den
«laufenden» Renten bilden in erster Linie die «anwartschaftlichen» Renten,
deren Einbezug in die Sanierung ohne weiteres als zulässig betrachtet wurde.
Doch kommt darin, dass daneben nur noch die Miteinbeziehung der «laufenden»
Renten vorgesehen wurde, auch zum Ausdruck, dass eine Reduktion bereits
verfallener Renten nicht ins Auge gefasst wurde. Die Unzulässigkeit der
Reduktion verfallener Renten ergibt sich dann aber ganz klar aus der in § 4
Abs. 2 beigefügten Bemerkung, dass eine Reduktion nur nach vorheriger Änderung
des Dekretes vorgenommen werden dürfe. Wenn auch bei einer notwendig
gewordenen Sanierung der Kasse eine Reduktion laufender Renten erfolgen darf,
so hat doch der Versicherte einen Anspruch sowohl darauf, dass diese Reduktion
den Verhältnissen, insbesondere den den übrigen Interessenten auferlegten
Opfern entspricht, wie auch darauf, dass die Reduktion nur für die Zeit nach
der Inkraftsetzung des neuen Dekretes erfolgt, dass diesem also keine
rückwirkende Kraft beigelegt wird. Hätte das Dekret lediglich bestimmen
wollen, dass die Reduktion der Renten nur durch eine Abänderung des Dekretes
(und nicht etwa auch durch eine Abänderung der Ausführungsvorschriften: der
Statuten) erfolgen dürfe, so hätte das Wort «vorherig» weggelassen werden
müssen. Mit der Beifügung dieses Wortes wurde den Versicherten die
ausdrückliche Zusicherung gegeben, dass auch bei einer Sanierung die bereits
verfallenen Renten nicht reduziert werden. Über diese bestimmte Zusicherung
des frühern Dekretes, die bis zur Publikation des neuen Dekretes vom 23.
Februar 1951 in Kraft geblieben ist, hat sich § 63 des neuen Dekretes dadurch
hinweggesetzt, dass er die Renten rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 1949
bis 23. Februar 1951 gekürzt hat. Es liegt heute ein ähnlicher Tatbestand vor,
wie ihn das Bundesgericht auf Beschwerde des
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C. Scacchi und Cons. am 27. Oktober 1941 zu beurteilen hatte (BGE 67 I S. 177
ff.). Wie damals in der Vorschrift, dass bei einer Sanierung der Pensionskasse
die Kassaleistungen nur für die Neueintretenden herabgesetzt werden dürfen,
eine verfassungsmässig geschützte Zusicherung des ungeschmälerten Weiterbezugs
der Renten für die bisherigen Kassamitglieder erblickt wurde, so muss heute in
der Vorschrift, dass eine Reduktion der Renten nur nach vorheriger Abänderung
des Dekretes vorgenommen werden dürfe, die verfassungsmässig geschützte
Zusicherung erblickt werden, dass die Rentenkürzung nicht schon für die Zeit
vor dem Inkrafttreten des abgeänderten Dekretes verfügt werde.
5.- Für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde kann keine Bedeutung dem
Umstand zukommen, dass die Kürzung der Pensionskassenrente durch Abzug eines
der Höhe der AHV-Rente entsprechenden Betrages erfolgt und daher der
Versicherte ab i. Januar 1949 unter Einschluss der AHV-Rente den gleichen
Betrag erhält, der ihm bis an hin von der Pensionskasse allein ausbezahlt
wurde. Die kantonale Pensionskasse Schaffhausen ist eine nicht anerkannte
Versicherungseinrichtung im Sinne von Art. 82
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
im Sinne dieses Artikels ist nicht erfolgt; denn durch das neue Dekret vom 18.
Dezember 1950, 23. Februar 1951 wurden die Prämien der kantonalen Kasse nicht
herabgesetzt, sondern erhöht. Die AHV und die kantonale Kasse stehen völlig
unabhängig nebeneinander. Eine Anrechnung der AHV-Rente auf die
Pensionskassenrente ist daher nur möglich unter Wahrung jener Grundsätze, die
nach der oben unter Erwägung Ziff. 2 wiedergegebenen bundesgerichtlichen
Praxis bei der Herabsetzung von Leistungen einer öffentlichrechtlichen
Pensionskasse zu beobachten sind. Wenn der Beschwerdeführer die AHV-Rente
beziehen kann, obgleich er an die AHV nur eine einzige Jahresprämie einbezahlt
hat, so ist dies eine Folge des eidg. Rechts, das den nach dem 1. Juli 1883
geborenen Personen die AHV-Rente gewährt,
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auch wenn sie nur eine Jahresprämie einbezahlt haben.
Der Umstand, dass die Pensionskasse die Versicherten schon zu Anfang des
Jahres 1949 auf die damals projektierte Rentenkürzung aufmerksam gemacht hat,
wäre vielleicht von Bedeutung gewesen, wenn die in § 4 des frühern Dekretes
den Versicherten gegebene Zusicherung nicht vorgelegen hätte und infolgedessen
zu entscheiden gewesen wäre, ob die rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar
1949 bis 23. Februar 1951 erfolgte Herabsetzung der Pensionskassenrente
unsachlich oder stossend sei. Doch die den Versicherten in § 4 des frühern
Dekretes gegebene Zusicherung stellt auf die vorherige Änderung des Dekretes
und nicht auf das vorherige Vorliegen eines Dekret- oder Statutenentwurfes ab.
Diese Zusicherung ist aber für das Schicksal der vorliegenden Beschwerde
entscheidend.
6.- Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen verweist in seiner Vernehmlassung
darauf, dass die Grosszahl der Pensionskassen - und darunter auch die
eidgenössischen ihre neuen in der Regel im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten
des Bundesgesetzes über die AHV revidierten Statuten mit einer
Rückwirkungsklausel versehen haben. Doch versucht der Grosse Rat nicht
darzutun, dass durch diese Pensionskassen-Erlasse Renten rückwirkend gekürzt
wurden unter Missachtung einer den Versicherten in frühern Erlassen gegebenen
Zusicherung. Nur in diesem beschränkten Umfange aber wird durch die
Gutheissung der vorliegenden Beschwerde eine Rückwirkungsklausel als
verfassungswidrig erklärt. Die rückwirkend auf den 1. Januar 1950 in Kraft
getretenen Statuten der allgemeinen Versicherungskasse für das Personal der
allgemeinen Bundesverwaltung (Eidg. Versicherungskasse) vom 29. September 1950
und der Pensions- und Hilfskasse für das Personal der Schweizerischen
Bundesbahnen vom 9. Oktober 1950 haben überhaupt keine Rentenkürzungen
vorgenommen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass § 63 des schaffhausischen
Pensionskassendekretes vom 18. Dezember 1950/23. Februar 1951 insoweit
aufgehoben wird, als damit die in den §§ 29 und 60 vorgesehene Kürzung der
Pensionskassenrente rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis 23.
Februar 1951 in Kraft gesetzt wird.