S. 69 / Nr. 16 Strafgesetzbuch (d)

BGE 76 IV 69

16. Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1950 i. S. Elber gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
Art. 41 Ziff. 1 StGb. Dem Motorfahrzeugführer, der durch besonders skrupel-
und hemmungslose Missachtung von Verkehrsvorschriften jemanden fahrlässig
tötet, kann der bedingte Aufschub des Strafvollzuges versagt werden.
Art. 41 ch. 1 CP. Le sursis peut être refusé au conducteur de véhicule à
moteur qui a tué un tiers par négligence pour avoir méprisé avec une absence
particulière de scrupules les règles de la circulation.
Art. 41 cifra 1 CP. La sospensione condizionale della pena può essere
rifiutata al conducente di un autoveicolo che ha cagionate per negligenza la
morte di alcuno, trasgredendo senza il minimo scrupolo alle regole della
circolazione.


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A. - Am 4. November 1947 etwa um 13 Uhr führte Elber in Zürich ein
Personenautomobil mit 85 km/St. durch den 7.25 m breiten Sihlquai
stadtauswärts. Etwa 80 m vor der Einmündung der Fabrikstrasse überholte er
einen von Gottfried Oehen gesteuerten Lastwagen, obwohl ihm ein anderes
Personenautomobil entgegenfuhr. Um einen Zusammenstoss zu vermeiden, musste
Oehen den Lastwagen abbremsen, um Elber das vorzeitige Einschwenken nach
rechts zu ermöglichen. Elber raste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter,
obwohl 150 bis 180 In vor ihm der Radfahrer Heinrich Würmli in gleicher
Richtung fuhr. Er verlangsamte die Fahrt auch dann noch nicht, als er sehen
konnte, dass Würmli nach links in die Einfahrt zum Lagerplatz der Firma Keller
& Frei einbiegen wollte. Ohne zu warnen, versuchte Elber den Radfahrer zu
überholen. Um das tun zu können, fuhr er immer weiter nach links. Als er vom
Radfahrer noch 55-60 m entfernt war, begann er zu bremsen. Wegen der hohen
Geschwindigkeit konnte er jedoch nicht mehr rechtzeitig anhalten. Am linken
Strassenrand überfuhr und tötete er Würmli. Erst 10-15 m nach dem
Zusammenstoss kam das Automobil zum Stehen.
B. - Am 8. April 1949 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Elber
wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und fahrlässiger Tötung
zu sechs Monaten Gefängnis.
Den bedingten Strafvollzug lehnte es ab. Zur Begründung führte es aus, schon
die beiden Vergehen vom 4. November 1947 zeugten von einer rücksichtslosen
Gesinnung des Verurteilten. Obschon er beim Überholen des Lastwagens nur mit
knapper Not einem Zusammenstoss entgangen sei, sei er mit der gleichen
unsinnigen Geschwindigkeit weitergerast, ohne dem Verkehr die gebührende
Aufmerksamkeit zu schenken. Bezeichnend sei seine Aussage, ein Radfahrer auf
der rechten Strassenseite sei für ihn eigentlich belanglos; er habe den
Verunfallten erst «registriert», als dieser versucht habe, die Strasse zu
überqueren. Vor allem

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liessen die Leumundserhebungen den rücksichtslosen Charakter des Angeklagten
erkennen. Seit 1934 habe er zahlreiche Bussen wegen Übertretung von
Vorschriften des Motorfahrzeuggesetzes erlitten, und zwar nicht nur wegen
Bagatellsachen, wie er meine. Die meisten Übertretungen wiesen auf einen
verantwortungslosen Fahrer hin (Motorradfahren ohne Führer- und
Verkehrsbewilligung, Lernfahrt ohne Begleitung, Linksfahren und Überholen in
Kurve, Führen eines betriebsunsicheren Autos, Nichtgewähren des
Rechtsvortritts usw.). Auch die Art und Weise, wie er den rapportierenden
Polizisten und andern Strassenbenützern begegnet sei, zeuge von keiner
anständigen Gesinnung. Der Polizeirapport von Zürich vermerke, der Angeklagte
habe bei den vorgenommenen Kontrollen die Polizeiorgane mit «Löli» betitelt.
Er selber gebe zu, dass er jeweils ein freches Maul gehabt habe. Richtig sei,
dass die meisten Polizeibussen auf die Jahre 1934 bis 1940 zurückgingen. Elber
habe sich jedoch nicht grundlegend gewandelt. Das zeige ein Vorfall vom 4.
Juli 1947, wo er wegen Nichtgewähren des Vortrittes und Nichtanpassen der
Geschwindigkeit an die örtlichen Verhältnisse mit einem anderen Automobil
zusammengestossen sei. Der Garagist Schweizer erkläre, er habe, wenn er mit
dem Angeklagten ausgefahren sei, wegen dessen schnellen Fahrweise jeweils ein
unbehagliches Gefühl gehabt. Der mit Elber befreundete Jörg sage aus, der
Angeklagte riskiere im Strassenverkehr vielleicht etwas mehr als ein
sogenannter Sonntagsfahrer. Auch diese Aussagen wiesen darauf hin, dass der
Angeklagte als Fahrzeuglenker keine Hemmungen habe. Vor allem aber werfe die
gegenüber dem Bahnbeamten Aebischer begangene Tätlichkeit, für die ihn das
Obergericht am 21. Januar 1947 mit Fr. 80.- gebüsst habe, ein bedenkliches
Licht auf ihn. Er habe zwar auch heute wieder bestritten, dass er den Beamten
tätlich angegriffen habe. Es bestehe jedoch keine Veranlassung, auf die
Feststellungen des Obergerichts, das ein tätliches Verhalten des Angeklagten
angenommen habe, nicht abzustellen. Gerade

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jener Vorfall zeuge von besonderer Rohheit. Zu Ungunsten Elbers spreche
ferner, dass er sich im vorliegenden Falle recht einsichtslos erwiesen habe.
Er versuche die ganze Schuld am Unfall auf den Radfahrer abzuwälzen, weil er
kein Zeichen gegeben habe, und verdächtige ihn sogar, angetrunken gewesen zu
sein. Auch aus dem Verhalten des Angeklagten in der heutigen Verhandlung
gewinne man nicht die Überzeugung, dass ihn der tödliche Unfall tief
beeindruckt habe.
C. - Elber führt beim Kassationshof des Bundesgerichts Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrage, das Urteil vom 8. April 1949 sei aufzuheben und die Sache zur
Gewährung des bedingten Strafvollzugs an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D. - Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die Elber gegen das gleiche Urteil
eingereicht hat, ist vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 4. Februar
1950 abgewiesen worden.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Die tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts binden den
Kassationshof. Soweit der Beschwerdeführer einzelne davon beanstandet, ist er
nicht zu hören (Art. 277 bis Abs. 1 , Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
2.- Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes ist der Richter nicht
verpflichtet, den Strafvollzug bedingt aufzuschieben, wenn die in Art. 41
Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
-4
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB genannten Voraussetzungen erfüllt sind, sondern es
bleibt seinem pflichtgemässen Ermessen anheimgestellt, die Massnahme wegen
eines im Gesetz nicht genannten Grundes abzulehnen. Ein solcher dem Sinn und
Geist des Gesetzes nicht widersprechender Grund kann in Fällen fahrlässiger
Tötung durch Missachtung von Verkehrsvorschriften in einer rücksichtslosen,
von besonderer Skrupellosigkeit und Hemmungslosigkeit zeugenden Fahrweise des
Verurteilten gesehen werden, die, selbst wenn sie früher nicht zu Tage
getreten war, das Vertrauen nicht gibt, der Verurteilte

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werde auch ohne den Vollzug der Strafe künftig ähnlichen Versuchungen
widerstehen, wie sie an ihn als Motorfahrzeugführer täglich herantreten können
(BGE 73 IV 8174 IV 137 f., 196). Schon das allein genügte im vorliegenden
Falle, den bedingten Strafvollzug abzulehnen, ohne dass der Vorinstanz
Überschreitung des Ermessens vorgeworfen werden könnte. Der Beschwerdeführer
ist am 4. November 1947 mit frevelhafter Rücksichtslosigkeit gefahren. Sein
Verhalten gegenüber dem Radfahrer kann umsomehr als hemmungslos bezeichnet
werden, als der Beschwerdeführer unmittelbar vorher einem Zusammenstoss mit
dem Lastwagen nur dank der Geistesgegenwart Oehens entgangen war. Vollends ist
die ungünstige Voraussage zulässig, wenn man Vorleben und Charakter des
Beschwerdeführers würdigt. Der Beschwerdeführer ist wegen Übertretung des
Motorfahrzeuggesetzes schon vierzehnmal gebüsst worden. Dass dreizehn dieser
Bussen verhältnismässig weit zurückliegen, ändert nichts. Die vierzehnte ist
weniger als zwei Monate vor dem 4. November 1947 ausgesprochen worden. In das
Jahr 1947 fällt auch die Verurteilung wegen des Verhaltens gegenüber dem
Bahnbeamten Aebischer, dem der Beschwerdeführer bei der Billetkontrolle
kurzerhand zwei Faustschläge in das Gesicht versetzte, weil Aebischer ihm das
Abonnement aus der Hand nahm, um es näher anzusehen. Solches Verhalten zeugt
von Unbeherrschtheit, Rohheit und ungewöhnlicher Rücksichtslosigkeit gegenüber
andern. In der gleichen Richtung deutet das von der Vorinstanz erwähnte
Benehmen des Beschwerdeführers gegenüber Polizeiorganen. Dass der
Beschwerdeführer sich auf anderem Gebiete gebessert haben mag, seine
finanzielle Lage saniert hat, der Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern
erster Ehe pünktlich nachkommt, als arbeitsam gilt und sich im Dienste des
Siemens A. -G. bewährt hat, ist demgegenüber unerheblich.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 76 IV 69
Datum : 01. Januar 1949
Publiziert : 05. April 1950
Quelle : Bundesgericht
Status : 76 IV 69
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 41 Ziff. 1 StGb. Dem Motorfahrzeugführer, der durch besonders skrupel- und hemmungslose...


Gesetzesregister
BStP: 273  277bis
StGB: 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
BGE Register
76-IV-69
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