S. 18 / Nr. 6 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 76 III 18

6. Entscheid vom 2. Februar 1950 i. S. Luck.

Regeste:
Arrest. Gewöhnliche Forderungen können nicht nur beim Fehlen eines festen
Wohnsitzes, sondern auch bei mangelnder Bestimmbarkeit des Wohnsitzes des
Arrestschuldners am Wohnsitze des Drittschuldners arrestiert werden.
Séquestre. Les créances ordinaires peuvent être séquestrées au domicile du
tiers débiteur non seulement lorsque le débiteur ait préjudice duquel le
séquestre a été ordonné n'a pas de domicile fixe mais aussi lorsqu'il n'est
pas possible de le déterminer exactement.
Sequestro. I crediti ordinari possono essere sequestrati al domicilio del
terzo debitore non soltanto quando il debitore, in o die del quale ô stato
ordinato il sequestro, non ha domicilio fisso, ma anche quando il suo
domicilio non può essere determinato con sicurezza.

Am 21. Mai 1949 erwirkte der Rekurrent bei der Arrestbehörde des Bezirkes
Zürich gegen Hans Schüpbach, «Riva Piana, Locarno-Minusio» für eine
Verlustscheinsforderung von Fr. 85.30 einen Arrestbefehl an das Betreibungsamt
Zürich 8, der als Arrestgrund Art. 271 Ziff. 5
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 271 - 1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:468
1    Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:468
1  wenn der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat;
2  wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft;
3  wenn der Schuldner auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen, für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind;
4  wenn der Schuldner nicht in der Schweiz wohnt, kein anderer Arrestgrund gegeben ist, die Forderung aber einen genügenden Bezug zur Schweiz aufweist oder auf einer Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 beruht;
5  wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen provisorischen oder einen definitiven Verlustschein besitzt;
6  wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt.
2    In den unter den Ziffern 1 und 2 genannten Fällen kann der Arrest auch für eine nicht verfallene Forderung verlangt werden; derselbe bewirkt gegenüber dem Schuldner die Fälligkeit der Forderung.
3    Im unter Absatz 1 Ziffer 6 genannten Fall entscheidet das Gericht bei ausländischen Entscheiden, die nach dem Übereinkommen vom 30. Oktober 2007472 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu vollstrecken sind, auch über deren Vollstreckbarkeit.473
SchKG und als Arrestgegenstand
das Guthabendes Schuldners an Fritz Thoenen in Zürich 8 gemäss Zahlungsbefehl
Nr. 1132 des Betreibungsamtes Zürich 8 nannte. Das Betreibungsamt vollzog den
Arrest am 25. Mai 1949. Nachdem der Schuldner die (zunächst vergeblich nach
Minusio gesandte) Arresturkunde und den Zahlungsbefehl Nr. 4174 unter der
Adresse «postlagernd Biel» erhalten hatte, führte er rechtzeitig Beschwerde
mit dem Antrag, der Arrestvollzug und die Betreibung seien wegen örtlicher
Unzuständigkeit des Betreibungsamtes Zürich 8 aufzuheben. Er machte geltend,
er wohne nicht in Zürich, sondern «entweder in Locarno-Minusio oder in Biel
wie gegenwärtig»; demgemäss sei die arrestierte Forderung in

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Biel «domiziliert». Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde ab. Die
kantonale Aufsichtsbehörde dagegen hat am 22. Dezember 1949 den Arrestvollzug
und den Zahlungsbefehl aufgehoben. Diesen Entscheid hat der Rekurrent an das
Bundesgericht weitergezogen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Das Betreibungsamt hat den Arrestvollzug abzulehnen, soweit hiezu Massnahmen
getroffen werden müssten, die sich als Verletzung der beim Vollzug zu
beachtenden Vorschriften darstellen. Es hat also namentlich die Arrestierung
von Gegenständen zu verweigern, die nicht in seinem Amtskreise liegen (BGE 75
III 26
und dort zit. Entscheide).
Gewöhnliche (d.h. nicht pfandgesicherte und nicht in einem Wertpapier
verkörperte) Forderungen eines in der Schweiz wohnenden Titulars gelten nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtes als an seinem Wohnort gelegen (BGE 64
III 130
; 75 III 26). Wohnt der Titular nicht in der Schweiz, oder stützt sich
der Arrestbefehl darauf, dass er überhaupt keinen festen Wohnsitz hat, so ist
die Arrestierung am Wohnsitze des Drittschuldners zulässig (BGE 63 III 44, 75
III 27
). Gleich wie im Falle mangelnden festen Wohnsitzes ist es zu halten,
wenn die Wohnsitzverhältnisse des Arrestschuldners so undurchsichtig sind,
dass auch ernstliche und umsichtige Erhebungen es nicht erlauben, die Frage,
wo er wohne, einigermassen zuverlässig zu beantworten. Den Gläubiger in einem
solchen Falle zu zwingen, den Arrest am Wohnsitz des Arrestschuldners zu
nehmen, liefe praktisch auf eine Rechtsverweigerung hinaus. Darum ist dem
Gläubiger wie beim Mangel eines festen Wohnsitzes so auch in den (von diesem
Falle oft kaum unterscheidbaren) Fällen mangelnder Bestimmbarkeit des
Wohnsitzes zu gestatten, die Forderungen des Arrestschuldners am Wohnorte des
Drittschuldners arrestieren zu lassen. Denkbar wäre zwar auch ein

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Abstellen auf den jeweiligen Aufenthaltsort des Arrestschuldners (analog Art.
48
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 48 - Schuldner, welche keinen festen Wohnsitz haben, können da betrieben werden, wo sie sich aufhalten.
SchKG). Dieser ist jedoch für den Gläubiger oft ebenfalls kaum
feststellbar, wenn die Wohnsitzverhältnisse unergründlich sind. Für den
Arrestschuldner anderseits bedeutet der jeweilige Aufenthaltsort die mehr oder
weniger zufälliges Moment. Die Anknüpfung an den Wohnort des Drittschuldners
ist daher für den Gläubiger voUrteilhafter und für den Arrestschuldner (der im
übrigen in derartigen Fällen keine besondere Rücksichtnahme verdient)
mindestens nicht nachteiliger als die Anknüpfung an den jeweiligen
Aufenthaltsort dieses letztem.
Im vorliegenden Falle ergibt sich aus den Nachforschungen des Arrestgläubigers
und namentlich auch aus den eigenen Vorbringen des Arrestschuldners, dass
dessen Wohnsitzverhältnisse im erwähnten Sinne undurchsichtig sind. Der
Arrestschuldner nennt mehrere Orte in der Schweiz, zu denen er in nähern
Beziehungen stehe (Minusio, Biel, Sutz bei Biel), hütet sich aber sorgsam,
eindeutig zu sagen, wo er heute seinen Wohnsitz habe, oder Angaben zu machen,
die es erlauben würden, dem einen oder andern der in Frage kommenden Orte den
Vorzug zu geben. Unter diesen Umständen besteht nach dem Gesagten kein Grund,
den am Wohnorte des Drittschuldners in Zürich 8 erfolgten Arrestvollzug
aufzuheben. Es müsste bei dieser Massnahme sein Bewenden haben, selbst wenn
man annehmen wollte, das Betreibungsamt hätte den Arrestbefehl nicht ohne
weiteres auf Grund der ihm damals (aus dem Betreibungsverfahren
Schüpbach/Thoenen und aus den Mitteilungen des Rekurrenten) bekannten
Umstände, sondern erst nach Rückfrage bei der Arrestbehörde oder nach
Beschaffung weiterer Belege durch den Gläubiger vollziehen dürfen. Der von der
Vorinstanz angezogene Fall BGE 64 III 127 ff. und der vorliegende Fall
unterscheiden sich dadurch, dass dort zweifelsfrei feststand, dass der
Arrestschuldner an dem im Arrestbefehl angegebenen, vom Arrestort
verschiedenen Orte

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wohnte, wogegen hier das Bestehen eines Wohnsitzes an dem im Arrestbefehl
genannten Orte dem Betreibungsamt von vornherein als mindestens zweifelhaft
erscheinen musste.
Hat der Arrestvollzug in Zürich 8 vor den Vorschriften des Betreibungsrechts
Bestand, so ergibt sich die Zuständigkeit des Betreibungsamtes Zürich 8 zum
Erlass des Zahlungsbefehls ohne weiteres aus Art. 52
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 52 - Ist für eine Forderung Arrest gelegt, so kann die Betreibung auch dort eingeleitet werden, wo sich der Arrestgegenstand befindet.90 Die Konkursandrohung und die Konkurseröffnung können jedoch nur dort erfolgen, wo ordentlicherweise die Betreibung stattzufinden hat.
SchKG.
Demnach erkennt die Schuldbetr. - u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die
Beschwerde abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 76 III 18
Date : 01. Januar 1949
Published : 02. Februar 1950
Source : Bundesgericht
Status : 76 III 18
Subject area : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Subject : Arrest. Gewöhnliche Forderungen können nicht nur beim Fehlen eines festen Wohnsitzes, sondern auch...


Legislation register
SchKG: 48  52  271
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63-III-44 • 64-III-127 • 75-III-25 • 76-III-18
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