S. 234 / Nr. 42 Privatversicherung (d)

BGE 76 I 234

42. Urteil vom 10. November 1950 i. S. Lloyd's Versicherer gegen eidg.
Versicherungsamt.

Regeste:
Versicherungsaufsicht:
1. Legitimation zur Beschwerde gegen Entscheide des eidg. Versicherungsamtes
im Gebiete der staatlichen Aufsicht über die Privatversicherung.
2. Zweck und Umfang der Versicherungsaufsicht.
3. Prämienrückvergütungen für schadenfreie Jahre in der
Motorfahrzeughaftpflichtversicherung.
Surveillance des entreprises d'assurances
1. Qualité pour recourir contre des décisions prises par le Bureau fédéral des
assurances dans le domaine de la surveillance de l'Etat sur les entreprises
privées d'assurances.
2. But et étendue de la surveillance des entreprises d'assurances.
3. Ristournes sur les primes en matière d'assurance de la responsabilité des
détenteurs de véhicules automobiles pour les années où l'assuré n'a pas eu de
sinistre.
Sorveglianza delle imprese di assicurazione
1. Veste per ricorrere contro le decisioni prese dall'Ufficio federale delle
assicurazioni nel campo della sorveglianza dello Stato sulle imprese private
di assicurazione.
2. Scopo e portata della sorveglianza delle imprese di assicurazione.
3. Rimborso di una parte del premio in materia di assicurazione della
responsabilità dei detentori di autoveicoli per gli anni in cui l'assicurato
andò esente da infortuni.


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A. - In der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung wird den Versicherten, die
zwei oder mehr schadenfreie Versicherungsjahre hatten, eine Rückvergütung auf
die im schadenfreien Vorjahr bezahlte Prämie gewährt, sei es durch Verrechnung
mit der nächsten Jahresprämie, sei es (bei Ablauf der Versicherung) in bar;
sie bemisst sich nach der Anzahl der schadenfreien Jahre und beträgt je
nachdem 10 bis 25% der Prämie. Die meisten in der Schweiz die
Haftpflichtversicherung betreibenden Gesellschaften sind in einer
Interessengemeinschaft, der sog. Unfalldirektorenkonferenz (UDK),
zusammengeschlossen. Durch für die Mitglieder verbindliche Beschlüsse der UDK
sind die Gesellschaften verpflichtet, ihren Versicherungsbestand gegenseitig
zu respektieren. In diesem Zusammenhang beschloss die UDK am 21. Juli 1949 mit
Genehmigung des eidg. Versicherungsamtes (nachstehend EVA), dass ein
Versicherter bei Wechsel der Gesellschaft mit der Zählung der schadenfreien
Jahre für Rückvergütung von vorne zu beginnen habe.
B. - Die Lloyd's, eine dem englischen Recht eigentümliche Organisation von
privaten Versicherern, die gemeinsam Versichrungsgeschäfte abschliessen, sind
am 31. Oktober 1947 vom Bundesrat ermächtigt worden, in der Schweiz
verschiedene Versicherungsarten, darunter die Haftpflichtversicherung, zu
betreiben. Sie beabsichtigten, auf Anfang 1950 die
Motorfahrzeughaftpflichtversicherung aufzunehmen. Auf Wunsch des EVA erklärten
sie sich bereit, den von allen in der Schweiz tätigen Gesellschaften
angewendeten Haftpflichttarif ebenfalls anzuwenden.
Dagegen möchten sie - abweichend von den der UDK angeschlossenen
Gesellschaften - vorsehen, dass bei Bemessung der Rückvergütung für
schadenfreie Jahre die dem Wechsel zu Lloyd's unmittelbar vorausgegangenen
schadenfreien Jahre angerechnet werden, soweit sie bei einem und demselben
Versicherer verbracht wurden. Von der Anrechnung ausgeschlossen sollen nur die
Jahre sein,

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die auf weiter zurückliegende Vertragsverhältnisse entfallen. Sie legen dem
EVA folgende Formulierung der entsprechenden Klausel der
Versicherungsbedingungen zur Genehmigung vor
Schadenfreie Jahre, die der Versicherungsnehmer in ununterbrochener
Reihenfolge schon vor Abschluss dieser Versicherung bei derselben
Versicherungsunternehmung hatte, werden für die Festsetzung des
Rückvergütungssatzes mitgezählt.
Der Tarif soll durch eine entsprechende Bestimmung und das Antragsformular
durch eine zusätzliche Frage nach schadenfreien Jahren «bei derselben
Versicherungsunternehmung» ergänzt werden.
C. - Mit Entscheid vom 7. Juli 1950 verweigerte das EVA die Genehmigung dieser
Vorlage. Es führte dazu aus:
a) Die bisherige Regelung, dass die unfallfreien Jahre bei anderen
Gesellschaften nicht mitzuzählen seien, stelle nicht nur einen internen
Beschluss der UDK, sondern eine vom EVA genehmigte und für sämtliche
Gesellschaften geltende Tarifvereinbarung dar. Von einem solchen Grundsatz
könne nicht zu Gunsten einer einzelnen Gesellschaft abgewichen werden, auch
wenn er eine neue Gesellschaft stärker belaste als die alteingeführten auch
einer neuen Schweizerischen Gesellschaft könne keine Sonderstellung eingeräumt
werden.
b) Ein Verzicht auf das Verbot der Anrechnung betriebsfremder
Versicherungsjahre würde eine unfruchtbare Aus -spannungskampagne auslösen;
die Folge wäre eine wesentliche Vermehrung der Abschlusskosten und damit eine
Verteuerung dieses Versicherungszweiges, die sich letzten Endes zu Ungunsten
der Versicherungsnehmer in einer erhöhten Prämie auswirken würde. Das würde
der Aufgabe der Aufsichtsbehörden und ihren Bestrebungen auf Kostensenkung in
der lange defizitär gewesenen Motorfahrzeughaftpflichtversicherung
zuwiderlaufen.
c) Die im Antrag gemachten Angaben über die schadenfreien Jahre könnten von
Lloyd's nicht überprüft werden, weil die Konkurrenzgesellschaften dazu wohl
nicht Hand

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bieten würden. Lloyd's wären auf die Ehrlichkeit der Antragsteller angewiesen,
was nachteilige Folgen haben könnte, sobald es dem Publikum bekannt würde.
Dann könnten sich schlechte Elemente einen Vorurteil verschaffen, was wiederum
dem Wechsel des Versicherers Vorschub leisten würde.
d) Weil die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung wegen ihres obligatorischen
Charakters in der Privatversicherung eine besondere Stellung einnehme, müsse
die Aufsichtsbehörde bei ihr in gewissen Belangen strengere Anforderungen
stellen.
D. - Mitverwaltungsgerichtlicher Beschwerde beantragen Lloyd's, den Entscheid
aufzuheben und die von ihnen gemachte Vorlage als zulässig zu erklären.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen und den angefochtenen
Entscheid aufgehoben
in Erwägung
1.- Gemäss Art. 99 Z. VII Abs. 1 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zulässig gegen Entscheide des EVA auf Grund des Aufsichtsgesetzes, mit
Ausnahme der Verweigerung der Bewilligung zum Betrieb eines
Versicherungsunternehmens: diese Ausnahme liegt hier nicht vor.
Die Lloyd's Versicherer sind als solche vom Bundesrat zum Betrieb der
Haftpflichtversicherung ermächtigt worden, und der angefochtene Entscheid des
EVA richtet sich gegen sie. Sie sind daran als Partei beteiligt und somit
gemäss Art. 103 Abs. 1 OG zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt. Bei dieser Sachlage braucht nicht untersucht zu werden, ob sie
eine juristische Person oder eine Personengemeinschaft darstellen, zumal die
Vertretungsbefugnis ihres Generalbevollmächtigten für die Schweiz ausgewiesen
und unbestritten ist.
2.- Der vorliegende Streit beruht auf den verschiedenen Auffassungen der
Parteien über den Zweck, der mit

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der Aufsicht über den Geschäftsbetrieb der Privatversicherungen erreicht
werden soll, und über die hieraus sich ergebenden Grenzen der
Ausichtsbefugnis. Nach Ansicht der Beschwerdeführer dicht die Aufsicht
ausschliesslich der Sicherstellung der finanziellen Solidarität der
Versicherungsunternehmungen, um die Versicherten vor Verlust ihrer Ansprüche
bei Eintritt des versicherten Risikos zu bewahren, und hat sich in je dem
einzelnen Falle auf die Solidität der betreffenden Unternehmung zu
beschränken, die im vorliegenden Falle ausser Zweifel stehe. Nach Ansicht des
EVA dagegen geht es um die Interessen der Gesamtheit aller Versicherten. die
mit dem Gesamt Interesse aller Unternehmungen des betreffenden
Versicherungszweiges zusammenhängen, weshalb die Aufsichtsbehörde auch über
die gute Ordnung des Versicherungsmarktes zu wachen und Störungen derselben zu
verhindern habe. Es ist unbestritten, dass die von den Beschwerdeführern
vorgeschlagene Gestaltung ihrer Versicherungsbedingungen hinsichtlich der
Prämienrückvergütungen ihre eigene finanzielle Solidität nicht in Frage
stellen würde. Das EVA befürchtet aber als Folge derselben eine
Ausspannungskampagne, welche durch zahlreiche Versicherungswechsel die
Abschlusskosten im gesamten Zweig der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung
vermehren und letzten Endes zu einer Prämienerhöhung zulasten der Versicherten
führen würde: es rechnet offenbar damit, dass bei Zulassung des Vorgehens der
Beschwerdeführer die anderen Gesellschaften sich demselben aus
Konkurrenzgründen anschliessen und die bisherige Regelung aufgeben würden. Es
begründet die Verweigerung der Genehmigung damit, dass sonst die von ihm im
Einvernehmen mit der UDK mühsam erreichte Sanierung dieses
Versicherungszweiges gefährdet würde. Entscheidend ist somit die Frage, ob die
zwangsweise Durchsetzung einer solchen Sanierung in den Rahmen der
Aufsichtsbefugnis des EVA fällt.
Das EVA stützt seine Auffassung auf die sehr weite

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Umschreibung dieser Befugnis in Art. 9 Abs. 1
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 9 Solvabilität - 1 Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
1    Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
2    Die Solvabilität ist ausreichend, wenn das risikotragende Kapital mindestens so gross ist wie das Zielkapital.
VAG: Der Bundesrat trifft
jederzeit die ihm durch das allgemeine Interesse und dasjenige der
Versicherten geboten erscheinenden Verfügungen» und darauf, dass gemäss Art. 2
Z. 1 die Unternehmungen dem Bundesrate u.a. ihre allgemeinen
Versicherungsbedingungen und Tarife einzureichen haben. Durch den BRB vom 17.
November 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen
unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften ist die
Ausübung der Aufsicht weitgehend dem EVA übertragen worden, so namentlich der
Entscheid über die Zulassung der Prämientarife und allgemeinen
Versicherungsbedingungen (Art. 20
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 20 Vorschriften zum gebundenen Vermögen - Der Bundesrat erlässt Vorschriften insbesondere über die Bestellung, die Belegenheit, die Deckung, die Veränderungen und die Kontrolle des gebundenen Vermögens. Er orientiert sich dabei am Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht. Er kann die FINMA zur Regelung der technischen Einzelheiten ermächtigen.
, insbesondere Z. 5 und 8).
Trotz seinem weitgefassten Wortlaut vermag Art. 9 Abs. 1
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 9 Solvabilität - 1 Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
1    Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
2    Die Solvabilität ist ausreichend, wenn das risikotragende Kapital mindestens so gross ist wie das Zielkapital.
VAG Massnahmen der
Aufsichtsbehörde nur zu rechtfertigen, soweit sie dem mit der Staatsaufsicht
verfolgten Zwecke entsprechen, und ist in diesem Sinne restriktiv auszulegen.
Das ergibt sich aus dem Charakter des Aufsichtsgesetzes als eines
Polizeigesetzes. Wie die Parteien übereinstimmend und zutreffend ausführen,
ist die durch Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit mit Bezug
auf den Geschäftsbetrieb von Privatunternehmungen im Gebiete des
Versicherungswesens durch Art. 34 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 34 Politische Rechte - 1 Die politischen Rechte sind gewährleistet.
1    Die politischen Rechte sind gewährleistet.
2    Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.
BV und das in Ausführung hievon
erlassene Aufsichtsgesetz beschränkt worden. Dabei handelt es sich um eine
polizeiliche Beschränkung, die nicht über das Mass ausgedehnt werden darf, das
zur Erreichung des damit angestrebten Zieles notwendig ist. Wenn auch das
Bundesgericht das Aufsichtsgesetz - anders als kantonale Erlasse - nicht auf
seine Verfassungsmässigkeit zu überprüfen hat, so hat es sich doch bei seiner
Anwendung an eine restriktive Auslegung im Sinne der Bundesverfassung zu
halten. Es fragt sich somit, ob der angefochtene Entscheid, der den
Beschwerdeführern die Berücksichtigung der bei anderen Versicherern gehabten
schadenfreien Jahre in der Bemessung der

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Prämienrückvergütungen verbietet, sich durch den Zweck der
Versicherungsaufsicht rechtfertigen lässt.
3.- Im Aufsichtsgesetze selbst, das ja lediglich den durch Art. 34 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 34 Politische Rechte - 1 Die politischen Rechte sind gewährleistet.
1    Die politischen Rechte sind gewährleistet.
2    Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.
BV
erteilten Auftrag ausführt, wird der Zweck der Staatsaufsicht nicht genannt,
sondern vorausgesetzt. Eine ähnliche Haltung nimmt auch die Botschaft des
Bundesrates vom 13. Januar 1855 zum Gesetzesentwurf ein, so eingehend sie sich
sonst über die zu ordnende Materie äussert. Sie schildert insbesondere die
Stellung des Staates zum privaten Versicherungswesen, wie sie sich in den
Kantonen und im Ausland entwickelt hat, mit den verschiedenen getroffenen
Lösungen und kommt zum Schlusse: «Nur darüber existiert keine Divergenz der
Ansichten, dass die Bedeutung des Versicherungswesens mit jedem Tag zunimmt
und dass dabei, wenn auch nicht bei allen Versicherungszweigen in gleichem
Masse, die öffentliche Wohlfahrt in hohem Grade interessiert ist, woraus 5 ich
von selbst die Tatsache erklärt, dass die Stellung des Staates zum privaten
Versicherungswesen fast überall auf der öffentlichen Tagesordnung steht.
Niemand wird bestreiten, dass z. B. der Zusammenbruch einer unserer
Lebensversicherungsgesellschaften geradezu ein Landesunglück wäre.» (BBl 1885,
Bd. I, S. 117). Dem Entwurf liegt offensichtlich die gleiche Auffassung über
Notwendigkeit und Zweck der Staatsaufsicht zugrunde wie dem Bericht eines
Ausschusses des englischen Unterhauses, der auf S. 111 wörtlich wiedergegeben
wird und die Gründe anführt, aus denen beim Lebensversicherungswesen von dem
Grundsatz der Nichteinmischung der Staatsbehörden in gewerbliche Dinge
abgewichen werden müsse. Diese Einstellung kommt zum Ausdruck in den
Ausführungen der Botschaft über das behördliche Einschreiten (S. 119):
«Überzeugt sich die Aufsichtsbehörde, dass eine Unternehmung für die
Versicherten nicht mehr die nötigen Garantien bietet, so gibt der Entwurf,
unter Feststellung des einzuschlagenden Verfahrens, dem Bundesrat die nötigen
Kompetenzen,

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Abhülfe zu treffen» und über die Konzessionspflicht (S. 124): «Dabei versteht
es sich aber von selbst, dass die der Bewilligung vorangehende staatliche
Prüfung sich - keineswegs mit dem Bedürfnis der Zulassung neuer Gesellschaften
zu befassen hat, sondern einzig und allein mit denjenigen Faktoren, welche auf
die Solidität der Unternehmung, d. h. auf die Wahrung der Interessen der
Versicherten, Bezug haben.» Und die ständerätliche Kommission erklärt in ihrem
Bericht vom 9. März 1885 (ebenda, S. 630): «Wir haben es nur mit einem
Aufsichtsgesetze in dem engen Rahmen des Geschäftsbetriebes durch
Privatunternehmungen zu tun, also einem seinem Objekte nach genau begrenzten
Polizeigesetze im weitem Sinne des Wortes», und nennt als Grund der Aufsicht
«die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung und Aufgabe des Versicherungswesens
an sich, als einer der mächtigsten sozialen Schöpfungen der Neuzeit, und die
ausserordentliche Summe von Interessen, welche mit demselben in heutiger Zeit
verknüpft sind, einerseits, und die für den Laien vorhandene Schwierigkeit, ja
Unmöglichkeit einer zuverlässigen Beurteilung der dabei in Frage kommenden
technischen Unterlagen und Faktoren anderseits» (S. 631). Damit nimmt der
Gesetzgeber den gleichen Standpunkt ein wie BODENHEIMER in seinem Gutachten
von 1879 «Zur Gesetzgebung über das Versicherungswesen», das die Aufgabe der
Aufsicht wie folgt umschreibt (S. 144): «Die Aufsicht erstreckt sich nicht auf
die geschäftliche Zweckmässigkeit der Einrichtungen der
Versicherungsinstitute, sondern bloss auf ihre technische und finanzielle
Suffizienz und Solvenz. Die Aufsicht hat den fernem Zweck, zu verhüten, dass
das Publikum durch unklare Einrichtungen, unwahre Kundgebungen und falsche
Angaben irregeleitet und in seinen rechtmässigen Erwartungen getäuscht werde.»
Auch die seitherige Literatur bezeichnet übereinstimmend als die wichtigste,
wenn nicht überhaupt als die Aufgabe der Aufsicht die Prüfung der Solidität
der Unternehmungen mit dem Zweck, die

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Ansprüche der Versicherten auf Leistungen der Gesellschaften sicherzustellen
(STAMPFLI, Die Schweizerische Staatsaufsicht über das private
Versicherungswesen, S. 99; HAYMANN, La Surveillance des sociétés d'assurances
en Suisse, S. 60; LOCHER, Die Gesetzgebung betreffend die staatliche
Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen in der Schweiz, S.
33).
Dieser Aufgabe dient insbesondere die Genehmigungspflicht, welcher die
Prämientarife und allgemeinen Versicherungsbedingungen unterworfen sind: Sie
sind auf ihre technischen Grundlagen zu prüfen, d. h. daraufhin, ob die
Prämienleistungen versicherungstechnisch genügen, um die der Gesellschaft
künftig obliegenden Leistungen nebst ihren Unkosten zu decken. Der Hauptzweck
der Aufsicht erfordert also eine Prüfung der Prämientarife darauf, dass sie
das hiefür notwendige Minimum nicht unterschreiten. Daneben kann der von
Bodenheimer und der ständerätlichen Kommission erwähnte Umstand, dass der Laie
die Angemessenheit der Prämien nicht beurteilen kann, auch zu einer Begrenzung
der Prämiensätze nach oben führen, um das Publikum vor Übervorteilung zu
schützen. Im übrigen aber ist es nicht Sache der Aufsichtsbehörde, in das
privatrechtliche Verhältnis zwischen Versicherer und Versichertem
einzugreifen; namentlich darf sie die freie Wahl der Versicherten unter den
verschiedenen Gesellschaften nicht beschränken, soweit diese die Bedingungen
erfüllen und daher die Konzession erhalten haben. In das Spiel der freien
Konkurrenz darf sie nur eingreifen, wo das durch die soeben genannten Zwecke,
die Sicherung der künftigen Leistungen und den Schutz der Versicherten vor
Übervorteilung, erfordert wird. Den Gesellschaften steht es frei, sich in der
Ausübung der Konkurrenz weiterhin zu beschränken solche Beschränkungen können
jedoch nicht durch die Aufsichtsbehörde für Unternehmungen, die sich ihnen
nicht unterwerfen wollen, verbindlich erklärt werden.
4.- Die Ausführungen der Beschwerdeführer über das

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Wesen der Prämienrückvergütungen für schadenfreie Jahre sind zutreffend und
werden vom EVA nicht bestritten. Es leuchtet ein, dass Motorfahrzeugführer mit
einer Reihe von schadenfreien Jahre ein besseres Risiko darstellen, das bei
der Bemessung der Prämien zu berücksichtigen ist, und dass es hiefür ohne jede
Bedeutung ist, wo sie während der betreffenden Jahre versichert waren. In
diese Ordnung trägt der Ausschluss der bei anderen Unternehmungen gehabt en
schadenfreien Jahre ein wesensfremdes, ja sachwidriges Moment hinein. Er wird
denn auch nicht aus dem Wesen der Rückvergütung, sondern mit der Erwägung
begründet, dass dadurch die Ausspannung zahlreicher Versicherter vermieden
werde, welche die Abschlusskosten für den gesamten Versicherungszweig
vermehren und letzten Endes zu einer Erhöhung der Prämien führen würde. Dem
Interesse der Versicherten mit schadenfreien Jahren daran, auch bei Wechsel
des Versicherers die volle Prämienrückvergütung zu geniessen, wird das Gesamt
Interesse aller Versicherten an der Vermeidung einer Prämienerhöhung
gegenübergestellt. Dasselbe sei bei der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung
umso dringlicher, als hier der Markt bereits durch wiederholte
Prämienerhöhungen habe saniert werden müssen; diese mühsam erreichte Sanierung
werde durch das Vorhaben der Beschwerdeführer in Frage gestellt. Um das zu
verhindern, schützt das EVA den Beschluss der UDK und erklärt ihn auch für die
der Konferenz nicht angeschlossenen Unternehmungen als verbindlich. Dadurch
werden die Versicherten insofern in der freien Wahl des Versicherers
beschränkt, als ihnen bei Wechsel desselben der Verlust des bereits erworbenen
Anspruchs auf Prämienrückvergütung droht. Zugleich wird in die freie
Konkurrenz zwischen den Gesellschaften eingegriffen. Es fragt sich, ob das
durch die oben genannten Zwecke der Aufsicht gerechtfertigt werden kann.
Dass die Solidität der Beschwerdeführer durch die von ihnen vorgesehenen
weitergehenden Rückvergütungen in

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Frage gestellt, ihre künftigen Leistungen an die Versicherten gefährdet
würden, behauptet das EVA nicht. Es erwartet, dass die anderen Gesellschaften
aus Konkurrenzgründen ihrem Beispiel folgen und die bisherige Regelung
aufgeben würden. Dass durch die daraus resultierende Erhöhung der
Rückvergütungen die Solidität dieser andern Gesellschaften gefährdet würde,
macht das EVA ebenfalls nicht geltend. Den Nachteil für die Gesamtheit des
Versicherungszweiges erblickt es nicht hierin, sondern in der zu erwartenden
allgemeinen Ausspannungskampagne; wegen der aus dieser resultierenden
vermehrten Abschlusskosten, nicht wegen der höheren Rückvergütungen, müssten
nach seiner Ansicht vielleicht die Prämien erhöht werden. Das EVA greift in
die freie Konkurrenz ein, um eine durch diese indirekt bewirkte
Prämienerhöhung zu verhindern. Insofern liegt der Eingriff im Interesse der
Versicherten; doch hat er weder mit der Erhaltung der Solidität der
Unternehmungen noch mit dem Schutz der Versicherten vor Übervorteilung zu tun.
Das Gesamt Interesse aller Versicherten an der Niedrighaltung der Prämien wird
dem Interesse einzelner Versicherter am Versichererwechsel vorangestellt. Eine
ähnliche Erwägung lag dem BRB vom 23. Mai 1930 über das Verbot der Gewährung
von Vergünstigungen auf Lebensversicherungen zugrunde, das auf Art. 9
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 9 Solvabilität - 1 Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
1    Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
2    Die Solvabilität ist ausreichend, wenn das risikotragende Kapital mindestens so gross ist wie das Zielkapital.
VAG
gestützt und in BGE 58 I 266 geschützt wurde: Auch dort wurde offenbar davon
ausgegangen, dass die einzelnen Versicherten gewährten Vergünstigungen von den
Gesellschaften doch wieder hereingebracht werden und letzten Endes die
Gesamtheit der Versicherten in Form von erhöht en Prämien belasten würden.
Während aber jene Vergünstigungen mit Recht als ein Missbrauch bezeichnet
wurden, in dessen Abstellung ein Schutz der Versicherten vor Übervorteilung
lag, ist die Gewährung der Prämienrückvergütungen nach Massgabe aller
schadenfreien Jahre in der Natur der Sache begründet; hier ist es vielmehr
sachwidrig, nur die schadenfreien Jahre bei der eigenen Gesellschaft zu
berücksichtigen.

Seite: 245
Dass gegenseitige Ausspannung unter den verschiedenen
Versicherungsunternehmungen vermieden wird, liegt offen -sichtlich in deren
Interesse, aber nur sehr indirekt im Interesse der Versicherten.
Vereinbarungen zwischen den Gesellschaften zu diesem Zwecke sind verständlich
und zu begrüssen. Ein durch das EVA auszuübender Zwang zur Beachtung solcher
Vereinbarungen durch Gesellschaften, welche denselben nicht beitreten wollen,
lässt sich aber durch den Zweck der Aufsicht nicht rechtfertigen. Die
Genehmigung der von den Beschwerdeführern vorgelegten Bedingung hinsichtlich
der Rückvergütung, welche dem Wesen dieser Vergütungen entspricht, durfte
nicht deshalb verweigert werden, weil sie von der durch die UDK aus anderen
Gründen vereinbarten Lösung abweicht. Die vom EVA befürchteten Folgen - deren
Eintritt zudem zweifelhaft ist - vermögen das Verbot nicht zu begründen.
5.- Der Umstand, dass die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung obligatorisch
ist, begründet keine weitergehenden Befugnisse der Aufsichtsbehörde bei diesem
Versicherungszweig. Wesen und Zweck der Aufsicht sind hier die gleichen wie
bei allen Versicherungen. Das Obligatorium soll dafür sorgen, dass sich die
Geschädigten an einen leistungsfähigen Schuldner halten können; das wird
erreicht, wenn die Solidität der Versicherungsunternehmungen sichergestellt
ist, und erfordert keine darüber hinaus gehenden Eingriffe in die freie
Konkurrenz unter denselben. Mit den aus dem Motorfahrzeuggesetz resultierenden
Besonderheiten hat die vorliegende Streitigkeit keinen Zusammenhang, es sei
denn die von den Rückvergütungen erwartete erzieherische Wirkung auf die
Automobilisten; diese würde aber durch die vom EVA geschützte Beschränkung der
Rückvergütungen eher abgeschwächt.
6.- Aus der Zulassung der von den Beschwerdeführern vorgesehenen Regelung der
Prämienrückvergütung in den Versicherungsbedingungen folgt ohne weiteres auch
die Zulassung der Frage nach schaden freien Jahren «bei

Seite: 246
derselben Versicherungsunternehmung» im Antragsformular; der Streit hierüber
hat, wie das EVA zutreffend bemerkt, keine selbständige Bedeutung, sondern
erledigt sich mit dem Hauptpunkt. Es ist Sache der Beschwerdeführer, wie sie
die richtige Beantwortung der genannten Frage überprüfen können; allfällige
Schwierigkeiten nach dieser Richtung können nicht zum Ausschluss der Frage
führen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 76 I 234
Datum : 01. Januar 1949
Publiziert : 10. November 1950
Quelle : Bundesgericht
Status : 76 I 234
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Versicherungsaufsicht:1. Legitimation zur Beschwerde gegen Entscheide des eidg. Versicherungsamtes...


Gesetzesregister
BV: 31 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
34
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 34 Politische Rechte - 1 Die politischen Rechte sind gewährleistet.
1    Die politischen Rechte sind gewährleistet.
2    Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.
OG: 103
VAG: 9 
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 9 Solvabilität - 1 Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
1    Ein Versicherungsunternehmen muss über eine ausreichende Solvabilität verfügen.
2    Die Solvabilität ist ausreichend, wenn das risikotragende Kapital mindestens so gross ist wie das Zielkapital.
20
SR 961.01 Bundesgesetz vom 17. Dezember 2004 betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG) - Versicherungsaufsichtsgesetz
VAG Art. 20 Vorschriften zum gebundenen Vermögen - Der Bundesrat erlässt Vorschriften insbesondere über die Bestellung, die Belegenheit, die Deckung, die Veränderungen und die Kontrolle des gebundenen Vermögens. Er orientiert sich dabei am Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht. Er kann die FINMA zur Regelung der technischen Einzelheiten ermächtigen.
BGE Register
58-I-264 • 76-I-234
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
frage • versicherer • bundesrat • privatversicherung • versicherungsaufsicht • unternehmung • weiler • haftpflichtversicherung • schutz der versicherten • stelle • entscheid • mass • englisch • bundesgericht • versicherungsnehmer • polizeigesetz • charakter • bedingung • beginn • beendigung
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