S. 130 / Nr. 21 Verfahren (d)

BGE 76 I 130

21. Urteil vom 21. Juni 1950 i. S. Hoter.


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Regeste:
Revision bundesgerichtlicher Entscheide.
Revision auf Grund neuer Tatsachen und Beweismittel (Art. 137 lit. b OG)
Voraussetzungen (Erw. 2, 3).
Zulässigkeit der Revision von Entscheidungen über Auslieferungsbegehren? (Erw.
1).
Internationales Auslieferungsrecht.
Kann die Auslieferung an das Ausland unter Berufung auf den Schweizerischen»
ordre public verweigert werden? (Erw. 4).
Wirkung der nachträglichen Änderung der rechtlichen Qualifikation der Tat auf
die bereits bewilligte und erfolgte Aus Lieferung (Erw. 5).
Révision des arrêts du Tribunal fédéral.
Révision fondée sur des faits et preuves nouveaux (art. 137 litt. b OJ)
conditions (consid. 2 et 3).
Un arrêt portant sur une demande d'extradition peut-il être l'objet de
révision? (consid. 1).
Extradition dans les rapports internatioanaux.
L'extradition à un Etat étranger peut-elle être refusée eu égard à l'ordre
public suisse? (consid. 4).
Conséquences qu'a sur l'extradition déjà accordée et exécutée le fait que
l'autorité étrangère modifie après coup la qualification juridique de
l'infraction (consid. 5).
Revisione delle sentenze del Tribunale federale.
Revisione in base a nuovi fatti e prove (art. 137 lett. b OG) condizioni
(consid. 2 e 3).
È ammissibile la revisione di sentenze in materia di estradizione? (consid.
1).
Estradizione nei rapporti internazionali.
L'estradizione ad uno Stato estero può essere rifiutata in considerazione
dell'ordine pubblico svizzero (consid. 4)?
Effetti dell'ulteriore modifica della qualificazione giuridica del reato
sull'estradizione già accordata ed eseguita.

A. - Im November 1948 ersuchte der Untersuchungsrichter des Landgericht es
Düsseldorf um Aus Lieferung des deutschen Staatsangehörigen Helmuth Hoter
wegen gemeinschaftlich mit andern Tätern am 16. Mai 1933 an dem jüdischen
Zahnarzt Dr. Meyer verübten Mordes (§ 211 des deutschen StGB) und wegen
Verbrechens gegen die

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Menschlichkeit (Art. 11 Ziff. 1e und 2-5 des Gesetzes des alliierten
Kontrollrates vom 20. Dezember 1945). Hoter erhob gegen die Aus Lieferung
Einsprache mit der Begründung, es handle sich um ein politisches Delikt, doch
wies das Bundesgericht die Einsprache durch Urteil vom 5. Mai 1949 ab und
bewilligte die Aus Lieferung unter dem Vorbehalt, dass Hoter wegen Verbrechens
gegen die Menschlichkeit nicht verfolgt und bestraft werden dürfe. Hoter wurde
am 23. Mai 1949 den deutschen Behörden übergeben.
B. - Am 8. Dezember 1949 fasste das Landgericht Düsseldorf in der Strafsache
gegen Birkenstock und Kons. den Beschluss, das Verfahren gegen den Angeklagten
Hoter abzutrennen und die Strafsache gegen ihn auf unbestimmte Zeit zu
vertagen, da ein für seine Beurteilung wichtiger Zeuge bisher nicht habe
einvernommen werden können. Ferner wurde beschlossen:
«Vor Anberaumung einer erneuten Hauptverhandlung soll durch die
Staatsanwaltschaft noch eine Entscheidung des Schweiz. Bundesgerichtes über
folgende Frage eingeholt werden:
Versagt die Schweiz dem Angeklagten Hoter auch den Asylschutz unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass im Jahre 1933 das Verfahren bezüglich der
den Gegenstand des jetzigen Strafverfahrens bildenden Tat durch Erlass des
Preussischen Justizministers vom 12. August 1933 auf Grund des Erlasses des
Preussischen Ministerpräsidenten vom 22. Juli 1933 in Verbindung mit der
allgemeinen Verfügung des Preussischen Justizministers vom 25. Juli 1933
betreffend Gnadenerweise aus Anlass der Beendigung der
national-sozialistischen Revolution niedergeschlagen worden ist?
Es sei hierbei darauf hingewiesen, dass nach geltendem deutschen Recht durch
die Verordnung zur Beseitigung national-sozialistischer Eingriffe in die
Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947, Art. 1 § 2, die jetzige Strafverfolgung
ungeachtet der damaligen Niederschlagung nicht gehindert wird.»
C. - Am 21. Februar 1950 reichte Helmuth Hoter beim Bundesgericht ein
Revisionsgesuch ein mit den Anträgen: Es sei das Urteil des Bundesgerichts vom
5. Mai 1949 aufzuleben und auf Grund des Auffindens neuer Beweismittel für im
früheren Verfahren bereits vorgebrachte Tatsachen und der nachträglichen
Entdeckung neuer Tatsachen ein neuer Entscheid zu fällen es sei die frübere

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Einsprache des Gesuchstellers gegen die Ans Lieferung an Deutschland
gutzuheissen, der Gesuchsteller des Asylschutzes würdig zu erklären, die
bereits erfolgte Aus Lieferung an Deutschland rückgängig zu machen, der
Gesuchsteller alsdann in der Schweiz auf freien Fuss zu setzen und ihm unter
Ansetzung einer angemessenen Frist die Ausreise aus der Schweiz zu gestatten;
für den Fall einer nur teilweisen Berücksichtigung der heute vorliegenden und
neu vorgebrachten Tatsachen sei an eine eventuell bestätigte Aus Lieferung ein
neuer, erweiterter Vorbehalt hinsichtlich der Nichtverfolgung und -bestafung
anzubringen. Zur Begründung dieser Anträge wird unter Berufung auf Art. 137
lit. b OG vorgebracht:
Der Gesuchsteller habe in seiner Eingabe an das Bundesgericht vom 9. April
1949 u.a. auch ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht dass die im Zusammenhang
mit der national-sozialistischen Revolution in der Zeit vom 21. März - 16.
Juli 1933 begangenen Straftaten von den im Juli erfolgten und sich auf die
Ermächtigung des Reichskanzlers vom 25. April 1933 stützenden Amnestieerlassen
erfasst worden seien. Dagegen habe der Gesuchsteller der den Beweis dafür,
dass auch die ihm zur Last gelegte Tat von einer solchen Amnestie betroffen
worden sei, damals nicht erbringen können. Erst seit der Eröffnung des
Berichtsbeschlusses vom 8. Dezember 1949 habe er eine Abschrift der
Bestätigung des Preussischen Justizministers vom 16. August 1933 beibringen
können, wonach damals das Ermittlungsverfahren über die am 16. Mai 1933
erfolgte Ermordung von Dr. Meyer niedergeschlagen wurde.
Die Anklagebehörde habe am Schlusse der Hauptverhandlung nur noch die
Bestrafung des Gesuchstellers wegen Beihilfe zum Totschlag beantragt. Diese
Straftat sei aber nach Schweiz. Rechtsauffassung längst verjährt. Wäre die Aus
Lieferung seinerzeit wegen dieses Delikts verlangt worden, so hätte sie
gestützt auf Art. 6 des Auslieferungsgesetzes wegen Verjährung verweigert
werden müssen. Es

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dränge sich daher in materieller Beziehung eine Revision des
bundesgerichtlichen Urteils vom 5. Mai 1949 auf.
Die erwähnte Amnestie mache nach Schweiz. Rechtsauffassung eine
Strafverfolgung unmöglich, obwohl die deutsche Verordnung vom 23. Mai 1947,
ein Nachkriegsgesetz mit rückwirkender Kraft, die Verfolgung von bereits
verjährten Straftaten anordne und ferner bestimme, dass auch bereits erfolgte
Einstellungen und Niederschlagungen nicht zu beachten seien. Diese Verordnung
sei aber nicht Gegenstand des Aus Lieferungsvertrages. Nach Schweiz.
Rechtsauffassung dürfe grundsätzlich eine Rückwirkung neuen Rechts auf früher
begangene Delikte nicht angenommen werden, es sei denn in Anwendung des
Grundsatzes des lex mitior gemäss Art. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
StGB.
D. - Die Bundesanwaltschaft beantragt die Abweisung des Revisionsgesuches und
führt u. a. aus: Der Amnestieerlass vom Juli 1933, der einzig als neue
Tatsache i. S. von Art. 137 lit. b OG in Frage komme, sei dem Gesuchsteller
bereits im früheren Verfahren bekannt gewesen und könne daher nicht als neu
bezeichnet werden. Dass er die Abschrift des Erlasses des preussischen
Justizministers im früheren Verfahren nicht habe beibringen können, werde
bestritten. Das Revisionsgesuch solle nur dazu dienen, vom Bundesgericht
entscheiden zu lassen, ob die rückwirkende Anwendung der Verordnung vom 23.
Mai 1947 auf Ereignisse des Jahres 1933 dem Schweizerischen «ordre public»
widerspreche. Die Revision bezwecke aber nicht die Korrektur einer angeblich
unrichtig (oder unvollständig) ausgedrückten Rechtsauffassung. Übrigens sei
nicht einzusehen, welche günstigen Folgen die Revision für Hoter haben könnte,
denn die erfolgte Aus Lieferung könne nicht mehr rückgängig gemacht werden,
und anderseits bedürften die deutschen Strafbehörden zur Freilassung Hoters
nicht der Zustimmung des Bundesgerichts. Eine Einreise Hoters in die Schweiz
komme auf keinen Fall in Frage, da er in der Schweiz als höchst unerwünscht
und des Asylschutzes unwürdig zu betrachten sei.

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Die Polizeiabteilung des eidg. Justiz- und Polizeidepartements schliesst sieh
der Meinungsäusserung der Bundesanwaltschaft an und bemerkt weiter: Zur
rechtlichen Qualifikation der Tat Hoters könne sie sich ohne genaue Kenntnis
der Akten nicht äussern, was jedoch unerheblich sei, da das Bundesgericht wohl
nicht Anlass haben werde, auf die Prüfung dieser Frage einzutreten. Sie
begnüge sich mit der Feststellung, dass die Strafverfolgung nach deutschem
Recht offenbar nicht verjährt sei, gleichgültig ob es sich um Mord oder
Totschlag handle. Ob es sich nach Schweiz. Recht um Mord, wie nach der
Darstellung im Aus Lieferungsbegehren ohne weiteres habe geschlossen werden
müssen, handle, oder ob allenfalls blosse Tötung vorliege, sodass die
Strafverfolgung nach Schweiz. Recht verjährt sei, lasse sich, wie erwähnt, auf
Grund der Aktenlage nicht eindeutig feststellen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Ob auf Grund von Art. 136
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
und 137
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
OG auch die Revision bundesgerichtlicher
Entscheide über Auslieferungsbegehren verlangt werden kann, ist bis heute
nicht entschieden worden. Dafür spricht, dass die Revision bundesgerichtlicher
Entscheide vom OG ganz allgemein als zulässig erklärt wird und dass hiefür -
von den Urteilen der Strafgerichtsbehörden des Bundes im Strafpunkt abgesehen,
vgl. Art. 139
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
OG - das OG massgebend ist. Der Umstand allein, dass die
Befugnis des Bundesgerichts zur Beurteilung von Einsprachen gegen die Aus
Lieferung und das dafür geltende Verfahren nicht im OG geregelt sind, bildet
keinen Grund, die Revision in Auslieferungsangelegenheiten auszuschliessen.
Dagegen kann man sich fragen, ob die Revision, nachdem die Aus Lieferung
vollzogen ist, sich nicht der Natur der Sache nach verbietet, ähnlich wie sich
bei Entscheidungen mit familienrechtlichen Wirkungen gewisse Einschränkungen
der Revisionsmöglichkeit ergeben (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S.
499/500). So sieht z.B. das deutsche Aus Lieferungsgesetz

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vom 23. Dezember 1929 in § 29 unter gewissen Voraussetzungen eine Wiederholung
der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung vor, allein nur bis zur tatsächlichen
Durchführung der Auslieferung (METTGENBERG, Komm. S. 350 ff.). Der Umstand,
dass - wie im vorliegenden Fall - der ersuchte Staat sich weigert, dem
Ausgelieferten erneut Asyl zu gewähren und die Rückkehr in sein Territorium zu
gestatten, steht wohl der Revision nicht entgegen. Entscheidend dürfte
vielmehr sein, ob der ersuchende Staat verpflichtet ist, dem
Revisionsentscheid des ersuchten Staates Folge zu geben. Die Revision dürfte
daher jedenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn der Ausgelieferte vom Gericht
des ersuchenden Staates bereits rechtskräftig abgeurteilt worden ist. Anders
verhält es sich dagegen, wenn das Strafverfahren noch hängig ist und der
ersuchende Staat einen die Aus Lieferung widerrufenden oder mit einem neuen
Vorbehalt versehenden Revisionsentscheid beachtet. Wie aus dem unter lit. A
wiedergegebenen Beschluss des Landsgerichts Düsseldorf vom 8. Dezember 1949
hervorgeht, scheint dieses Gericht einen allfälligen Revisionsentscheid des
Bundesgerichts beachten zu wollen, da die dort beschlossene, bis heute
allerdings noch nicht erfolgte Anfrage an das Bundesgericht sonst keinen Sinn
hätte. Ob die Revision bundesgerichtlicher Urteile über Einsprachen gegen Aus
Lieferungen zulässig ist, braucht indessen nicht entschieden zu werden, da,
wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben, das vorliegende Revisionsgesuch
sich materiell als unbegründet erweist und abgewiesen werden muss.
2.- Das am 21. Februar 1950 eingereichte Revisionsgesuch ist rechtzeitig, wenn
der Gesuchsteller die geltend gemachte neue Tatsache, den Gnadenerlass des
preussischen Justizministers vom 12. August 1933, nicht früher als 90 Tage vor
der Einreichung, d. h. nicht vor dem 94 November 1949 erfahren hat (Art. 141
lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
in Verbindung mit Art. 137 lit. b OG). Der Oberstaatsanwalt von
Düsseldorf hat dem Bundesgericht auf Anfrage hin

Seite: 136
durch Schreiben vom 6. Mai 1950 mitgeteilt, der erwähnte Gnadenerlass sei mit
dem Angeklagten in der Verhandlung vom 30. November 1949 erörtert worden ob
Hoter persönlich schon früher davon Kenntnis gehabt habe, lasse sich nicht
feststellen, dagegen hätten seine Verteidiger zweifellos bei ihrer
Akteneinsicht anfangs November 1949 davon Kenntnis erhalten. Diese Kenntnis
seiner Strafverteidiger in Düsseldorf kann indessen dem Gesuchsteller nicht
als eigene angerechnet werden, da sie an dem in der Schweiz durchgeführten
Auslieferungsverfahren in keiner Weise beteiligt waren. Steht demnach nur
fest, dass Hoter am 30. November 1949 von der geltend gemachten neuen Tatsache
Kenntnis erhalten hat, so ist auf das Revisionsgesuch einzutreten, und es
fragt sieh weiter, ob es dem Gesuchsteller nicht schon im früheren Verfahren
möglich war, diese Tatsache in Erfahrung zu bringen und sich die Beweismittel
dafür zu verschaffen (Art. 137 lit. b OG).
3.- Eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel kann im Revisionsverfahren
nur berücksichtigt werden, wenn der Revisionskläger in früheren Verfahren für
die Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln die der prozessualen Lage
angemessene Tätigkeit entfaltet hat, wenn es ihm trotz aller Umsicht unmöglich
war, die Tatsache in Erfahrung zu bringen oder das Beweismittel zu finden
(BIRCHMEIER, a.a.O. S. 507). Dass es Hoter im Aus Lieferungsverfahren an
dieser ihm zumutbaren Sorgfalt habe fehlen lassen, ist entgegen der Auffassung
der Bundesanwaltschaft nicht anzunehmen. Dem Gesuchsteller und seinem Anwalt
war damals zwar bekannt, dass der preussische Ministerpräsident das
preussische Justizministerium am 22. Juli 1933 ermächtigt hatte, das
Gnadenrecht auszuüben hinsichtlich hängiger Strafverfahren, welche
Strafhandlungen betrafen, die in der Zeit vom 21. März bis 15. Juli 1933 «im
Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Revolution zur Durchsetzung des
nationalsozialistischen Staates» begangen worden waren (vgl. BGE 59 I 154).
Dagegen hatten sie keine Kenntnis

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davon noch lagen Anhaltspunkte dafür vor, das seinerezeit ein Strafverfahren
wegen der Ermordung von Dr. Meyer eingeleitet und dann gestützt auf jene
Ermächtigung niedergeschlagen worden war. Durch eine Anfrage bei den
Strafverfolgungsbehörden von Düsseldorf hätte dies freilich in Erfahrung
gebracht werden können, doch kann dem Gesuchsteller die Unterlassung einer
solchen Anfrage nicht zum Vorwurf gemacht werden, zumal weder im Aus
Lieferungsbegehren noch in den Akten, auf die es sich stützte, noch in der dem
Anwalt des Gesuchstellers zur Verfügung gestandenen Anklageschrift vom 26.
August 1948 auf das frühere Strafverfahren, dessen Niederschlagung durch den
preussischen Justizminister oder die Verordnung zur Beseitigung
nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947
Bezug genommen worden war.
4.- Die Aus Lieferung an Deutschland ist nach Art. 1 des
Schweizerisch-deutschen Aus Lieferungsvertrages und Art. 3 des eidg. Aus
Lieferungsgesetzes zu bewilligen, wenn die den Gegenstand des deutschen
Strafverfahrens bildenden Handlungen den Tatbestand eines im Aus
Lieferungsvertrag vorgesehenen Vergehens erfüllen und sowohl nach deutschem
als nach Schweizerischem Rechte strafbar sind. Die Aus Lieferung Hoters ist
wegen Mordes, also wegen eines im Aus Lieferungsvertrag vorgesehenen
Vergehens, bewilligt worden. Und zwar war die Tat auch nach deutschem Rechte
strafbar, denn die am 12. August 1933 angeordnete Niederschlagung des
Strafverfahrens gegen Hoter ist durch die Verordnung zur Beseitigung
nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947
aufgehoben worden. Der Gesuchsteller behauptet nun, diese Verordnung
widerspreche dem Schweizerischen «ordre public». Damit könnte jedoch das
Gesuch um Revision des bundesgerichtlichen Urteils vom 5. Mai 1949 nur
begründet werden, wenn dieser Einwand, sofern er im früheren Verfahren erhoben
worden wäre, vom Bundesgericht hätte geprüft werden und zur Verweigerung der

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Auslieferung hätte führen können. Das ist aber zu verneinen. Um gegenüber
einem Aus Lieferungsbegehren geltendgemacht, einem andern Staate
entgegengehalten werden zu können, müsste ein solcher Vorbehalt des
Schweizerischen «ordre public», wie ihn der Gesuchsteller im Auge hat, im Aus
Lieferungsvertrag oder zum mindesten im Schweizerischen Aus Lieferungsgesetz
vorgesehen sein. Da dies nicht der Fall ist, hätte das Bundesgericht die Aus
Lieferung Hoters an Deutschland auch dann bewilligen müssen, wenn ihm im
Zeitpunkt seines ersten Entscheides die Niederschlagung des früheren
Strafverfahrens und die sie aufhebende deutsche Verordnung vom 23. Mai 1947
bekannt gewesen wären. Diesen neuen Tatsachen geht somit die Erheblichkeit ab,
weshalb das darauf gestützte Revisionsgesuch sich als unbegründet erweist.
5.- Erblickt man im Begehren, an der dergestalt grundsätzlich zu bestätigenden
Aus Lieferung einen neuen, erweiterten Vorbehalt hinsichtlich der
Nichtverfolgung und -bestrafung anzubringen, ein Revisionsgesuch, so ist
darauf nicht einzutreten, da es sich auf keinen der in Art. 136
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
und 137
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
OG
abschliessend aufgezählten Revisionsgründe stützen kann. Wird das Begehren
hingegen als Erläuterungsbegehren im Sinne von Art. 145
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
OG aufgefasst, so ist
es abzuweisen, da der BGE vom 5. Mai 1949 klar, vollständig und unzweideutig
ist. Die Aus Lieferung Hoters an Deutschland erfolgte ausschliesslich wegen
Mordes. Am Schlusse der Hauptverhandlung scheint nun die Anklagebehörde die
Anklage wegen Mordes fallen gelassen und auf Beihilfe wegen Totschlags
beschränkt zu haben. Was diese nachträgliche Änderung der rechtlichen
Qualifikation der Tat für eine Wirkung hat auf die aus Lieferungsrechtliche
Stellung Hoters, hat das Bundesgericht nicht zu entscheiden. Zwar dürfte es
unzweifelhaft sein, dass die Verurteilung Hoters wegen eines andern Delikts
als Mord jedenfalls dann gegen den Grundsatz der Spezialität verstösst und
unzulässig ist, wenn dieses andere Delikt im Zeitpunkt, als die Aus Lieferung
bewilligt wurde,

Seite: 139
nach schweizerischem Recht bereits verjährt war (vgl. HESS, Der Grundsatz der
Spezialität im Aus Lieferungsrecht S. 50 ff., insbes. S. 53 bei Anm. 65). Das
Recht und die Pflicht, über die Einhaltung der Bestimmungen der
Auslieferungsverträge und damit auch des Grundsatzes der Spezialität zu
wachen, stehen indessen ausschliesslich den politischen Behörden, d. h. dem
Bundesrate zu. Sofern Hoter der Ansicht ist, dass die deutschen Strafbehörden
den Grundsatz der Spezialität verletzen, steht es ihm frei, sich deswegen an
den Bundesrat zu wenden (vgl. HESS a.a.O. S. 90 ff.). Das Bundesgericht hat
sich mit dieser Frage nicht zu befassen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Document : 76 I 130
Date : 01. Januar 1949
Published : 21. Juni 1950
Source : Bundesgericht
Status : 76 I 130
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Revision bundesgerichtlicher Entscheide.Revision auf Grund neuer Tatsachen und Beweismittel (Art...


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OG: 136  137  139  141  145
StGB: 2
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59-I-136 • 76-I-130
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